Johannes 18,1-19,42

Leiden und Tod Jesu

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Joh 18
Nach diesen Worten ging Jesus mit seinen Jüngern hinaus, auf die andere Seite des Baches Kidron. Dort war ein Garten; in den ging er mit seinen Jüngern hinein. (Joh 18,1)

In den vorangegangenen Kapiteln hat Johannes vom Abschiedsmahl Jesu mit seinen Jüngern berichtet mit dem Zeichen der Fußwaschung. Anschließend hat Jesus noch viel mit den Jüngern geredet. In den langen Abschiedsreden hat er sie auf die Zeit nach seinem Tod vorbereitet. Nun ist seine Stunde gekommen. Es geschieht alles nach Plan. Jesus handelt nicht in Eile. Er hat sich Zeit genommen, um mit seinen Jüngern zu reden. Nun gehen sie über das Kidrontal hinüber Richtung Ölberg zum Garten Getsemani, wo Jesus sich, wie nur Johannes uns überliefert, oft mit seinen Jüngern aufgehalten hat.

Auch Judas, der Verräter, der ihn auslieferte, kannte den Ort, weil Jesus dort oft mit seinen Jüngern zusammengekommen war. Judas holte die Soldaten und die Gerichtsdiener der Hohenpriester und der Pharisäer und sie kamen dorthin mit Fackeln, Laternen und Waffen. Jesus, der alles wusste, was mit ihm geschehen sollte, ging hinaus und fragte sie: Wen sucht ihr? Sie antworteten ihm: Jesus von Nazaret. Er sagte zu ihnen: Ich bin es. Auch Judas, der Verräter, stand bei ihnen. Als er zu ihnen sagte: Ich bin es!, wichen sie zurück und stürzten zu Boden. Er fragte sie noch einmal: Wen sucht ihr? Sie sagten: Jesus von Nazaret. Jesus antwortete: Ich habe euch gesagt, dass ich es bin. Wenn ihr mich sucht, dann lasst diese gehen! So sollte sich das Wort erfüllen, das er gesagt hatte: Ich habe keinen von denen verloren, die du mir gegeben hast. Simon Petrus aber, der ein Schwert bei sich hatte, zog es, schlug nach dem Diener des Hohenpriesters und hieb ihm das rechte Ohr ab; der Diener hieß Malchus. Da sagte Jesus zu Petrus: Steck das Schwert in die Scheide! Der Kelch, den mir der Vater gegeben hat - soll ich ihn nicht trinken? (Joh 18,2-11)

Judas hat Jesus verraten, indem er den Hohenpriestern den abgelegenen Ort genannt hat, wohin Jesus mit seinen Jüngern gegangen ist. Judas führt einen Trupp von Wächtern an, die Jesus gefangen nehmen sollen. Wenn man bedenkt, dass Jesus ein friedlicher Wanderprediger war, ist es etwas ungewöhnlich, dass die Wächter Waffen mit sich führen. Aber wahrscheinlich hielt man Jesus auch für einen Freiheitskämpfer und wusste nicht so genau, wie friedlich seine "Truppe" war. Johannes berichtet auch davon, dass Petrus ein Schwert bei sich hatte, mit dem er tatsächlich einen der Wächter verletzt hat.
Doch Jesus will sich nicht mit Waffengewalt verteidigen, aber er ist den Angreifern keineswegs schutzlos ausgeliefert. Er gib sich selbst in ihre Hände, denn wenn er es gewollt hätte, dann hätte er sich ihrem Zugriff entziehen können. Es ist hier nicht Judas, der den Wächtern mit einem Kuss Jesus zeigt. Sie fragen in die Menge, wer von den Anwesenden der gesuchte Jesus von Nazaret ist. Und Jesus antwortet: Ich bin es!
Dieses "Ich bin es" ist nicht nur die Aussage, dass Jesus der Gesuchte ist. Jesus ist Gott, in ihm offenbart sich der Gott Israels, der sich schon Mose am Dornbusch mit den Worten gezeigt hat: "Ich bin der Ich bin da". Dieser ist es, vor dem die Wächter stehen und die Gewalt dieser Aussage lässt sie zurückweichen. Sie haben es nicht mit einem gewöhnlichen Räuber oder Freiheitskämpfer zu tun, sondern vor ihnen steht Gottes Sohn, das spüren sie innerlich, auch wenn sie letztlich nicht an ihn glauben.
Sie hätten keine Macht über ihn, wenn Jesus nicht selbst in ihre Gewalt hätte geben wollen. Nur so geht der Wille des Vaters in Erfüllung, nur so kann Jesus seine Sendung vollenden. Er trinkt den Kelch, den ihm der Vater reicht. In den anderen Evangelien ist uns das Gebet Jesu am Ölberg überliefert, in dem er in seiner Not den Vater darum bittet, dass er den Kelch vorüber gehen lassen möge. Zugleich aber sagt Jesus, dass in allem der Wille des Vaters geschehen möge. Im Johannesevangelium zeigt Jesus keine Angst. Er ist bereit, den Willen des Vaters an sich geschehen zu lassen.

Die Soldaten, ihre Befehlshaber und die Gerichtsdiener der Juden nahmen Jesus fest, fesselten ihn und führten ihn zuerst zu Hannas; er war nämlich der Schwiegervater des Kajaphas, der in jenem Jahr Hoherpriester war. Kajaphas aber war es, der den Juden den Rat gegeben hatte: Es ist besser, dass ein einziger Mensch für das Volk stirbt.
Simon Petrus und ein anderer Jünger folgten Jesus. Dieser Jünger war mit dem Hohenpriester bekannt und ging mit Jesus in den Hof des hohepriesterlichen Palastes. Petrus aber blieb draußen am Tor stehen. Da kam der andere Jünger, der Bekannte des Hohenpriesters, heraus; er sprach mit der Pförtnerin und führte Petrus hinein. Da sagte die Pförtnerin zu Petrus: Bist du nicht auch einer von den Jüngern dieses Menschen? Er antwortete: Nein. Die Diener und die Knechte hatten sich ein Kohlenfeuer angezündet und standen dabei, um sich zu wärmen; denn es war kalt. Auch Petrus stand bei ihnen und wärmte sich.
Der Hohepriester befragte Jesus über seine Jünger und über seine Lehre. Jesus antwortete ihm: Ich habe offen vor aller Welt gesprochen. Ich habe immer in der Synagoge und im Tempel gelehrt, wo alle Juden zusammenkommen. Nichts habe ich im Geheimen gesprochen. Warum fragst du mich? Frag doch die, die mich gehört haben, was ich zu ihnen gesagt habe; sie wissen, was ich geredet habe. Auf diese Antwort hin schlug einer von den Knechten, der dabeistand, Jesus ins Gesicht und sagte: Redest du so mit dem Hohenpriester? Jesus entgegnete ihm: Wenn es nicht recht war, was ich gesagt habe, dann weise es nach; wenn es aber recht war, warum schlägst du mich? Danach schickte ihn Hannas gefesselt zum Hohenpriester Kajaphas.
Simon Petrus aber stand (am Feuer) und wärmte sich. Sie sagten zu ihm: Bist nicht auch du einer von seinen Jüngern? Er leugnete und sagte: Nein. Einer von den Dienern des Hohenpriesters, ein Verwandter dessen, dem Petrus das Ohr abgehauen hatte, sagte: Habe ich dich nicht im Garten bei ihm gesehen? Wieder leugnete Petrus und gleich darauf krähte ein Hahn. (Joh 18,12-27)

Jesus wird vor den Hohenpriester geführt und verhört. Heimlich ist Petrus dem Trupp gefolgt, der Jesus gefangen genommen hat. Zusammen mit einem anderen Jünger, der Zugang zum Palast des Hohenpriesters hatte - wer genau dieser andere Jünger war, wissen wir nicht - beobachtet Petrus das Verhör Jesu. Während der andere als Jünger Jesu bekannt ist, wissen die Leute im Palast des Hohenpriesters nicht genau, wer Petrus ist. Die vermuten, er könnte ebenso zu den Jüngern Jesu gehören. Doch Petrus streitet das ab und verleugnet Jesus.
Petrus ist feige, Jesus aber zeigt Mut. Er steht vor dem Hohenpriester, dem höchsten Vertreter des jüdischen Glaubens. Doch Jesus steht vor ihm nicht wie ein Gefangener. Er weiß, dass er größer ist als der Hohepriester. Er ist Gottes Sohn. Wenn der Hohepriester etwas über Jesus und seine Lehre wissen will, soll er doch die Leute fragen. Die ganze Stadt weiß, was Jesus geredet hat. Für diese Antwort bekommt Jesus eine Ohrfeige. Doch Jesus bleibt standhaft und legt nach. War es nicht wahr, was er gesagt hat? Warum wird Jesus dafür bestraft, dass er die Wahrheit sagt? Das Thema Wahrheit wird Jesus nochmals vor Pilatus zur Sprache bringen.

Von Kajaphas brachten sie Jesus zum Prätorium; es war früh am Morgen. Sie selbst gingen nicht in das Gebäude hinein, um nicht unrein zu werden, sondern das Paschalamm essen zu können. Deshalb kam Pilatus zu ihnen heraus und fragte: Welche Anklage erhebt ihr gegen diesen Menschen? Sie antworteten ihm: Wenn er kein Übeltäter wäre, hätten wir ihn dir nicht ausgeliefert. Pilatus sagte zu ihnen: Nehmt ihr ihn doch und richtet ihn nach eurem Gesetz! Die Juden antworteten ihm: Uns ist es nicht gestattet, jemanden hinzurichten. So sollte sich das Wort Jesu erfüllen, mit dem er angedeutet hatte, welchen Tod er sterben werde. (Joh 18,28-32)

Anders als die Synoptiker legt Johannes den Hauptaspekt bei der Verurteilung Jesu auf den Prozess vor Pilatus. Die Juden sind hier machtlos, denn es war ihnen unter römischer Herrschaft nicht erlaubt, selbst die Todesstrafe zu vollstrecken. Genau diese aber war für sie die einzig angemessene Strafe für den Gotteslästerer Jesus von Nazaret. Daher bringen sie Jesus zum römischen Statthalter Pilatus.
Es ist der Tag vor dem Paschafest. Die Juden betreten den Palast des Pilatus nicht, damit sie sich nicht verunreinigen und so von der Feier des Paschafestes ausgeschlossen sind. Während die Synoptiker das Abendmahl Jesu als Paschamahl schildern und Jesus am Tag des Festes hingerichtet wird, erfolgt bei Johannes die Hinrichtung Jesu am Vorabend des Festes. Diese Chronologie erscheint schlüssiger. Jesus stirbt als Opferlamm für die Sünden der Vielen. In seinem Mahl mit den Jüngern hat er vorausgenommen, was in seinem Tod geschieht.
Wenn wir den Verlauf der Verurteilung Jesu näher betrachten, so sehen wir Pilatus hin und her gerissen. Er redet mit Jesus, dann geht er hinaus, kommt wieder zurück. Er will Jesus freilassen, aber die Juden verstehen es, ihn in die Enge zu treiben, dass er keine andere Wahl hat, als Jesus hinrichten zu lassen. Sie stellen Pilatus gegenüber Jesus als Hochverräter dar und wenn Pilatus einen Hochverräter entkommen ließe, würde das ihn in den Augen des Kaisers in Misskredit bringen. Doch auch die Juden glänzen hier nicht gerade, denn der Preis dafür, dass sie Pilatus dazu bringen, Jesus zu verurteilen, ist letztlich ihre Anerkennung der Römischen Herrschaft. Nur wenn sie sich Pilatus gegenüber als treue Anhänger Roms ausgeben, macht ihre Anklage Jesu als Hochverräter in den Augen des Pilatus wirklich Sinn.
Allein Jesus bleibt in all dem Hin- und Her standhaft. Er bleibt fest stehen, als Pilatus ihn verhört, verliert nicht das Gesicht, als er dem Volk zur Schau gestellt wird. Er findet die richtigen Worte, lässt sich nicht auf sinnlose Diskussionen ein und schweigt schließlich, als er merkt, dass alle Worte hier sinnlos sind.

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Heilige Schrift
Da ging Pilatus wieder in das Prätorium hinein, ließ Jesus rufen und fragte ihn: Bist du der König der Juden? Jesus antwortete: Sagst du das von dir aus oder haben es dir andere über mich gesagt? Pilatus entgegnete: Bin ich denn ein Jude? Dein Volk und die Hohepriester haben dich an mich ausgeliefert. Was hast du getan? Jesus antwortete: Mein Königtum ist nicht von dieser Welt. Wenn mein Königtum von dieser Welt wäre, würden meine Leute kämpfen, damit ich den Juden nicht ausgeliefert würde. Nun aber ist mein Königtum nicht von hier. (Joh 18,33-36)

Jesus steht vor Pilatus. Dieser weiß nicht so recht, was er mit ihm anfangen soll. Er merkt schnell, dass Jesus kein Unruhestifter ist, der den Römern gefährlich werden könnte, sondern dass es hier um innerjüdische Streitigkeiten geht. Die Juden aber haben Jesus vor Pilatus gebracht mit der Anklage wegen Hochverrat. Jesus hat sich als König ausgegeben. Daher beschäftigt sich die Verhandlung vor Pilatus auch mit diesem Thema. Ja, Jesus gibt zu, ein König zu sein, aber sein Königtum ist nicht von dieser Welt.
Christus ist ein König, der seine Legitimation nicht von irgendeiner irdischen Macht empfangen hat, sondern vom Himmel, von Gott seinem Vater. Daher hat sein Königtum auf ewig Bestand und kann von keiner Macht bezwungen werden. Jesus ist aber kein König einer fernen Welt und Zeit, sondern sein Reich ist schon mitten unter uns. Das Reich Gottes ist zwar nicht von der Welt, aber doch mitten in dieser Welt. Daher kann man sagen, dass das Reich Gottes, die Königsherrschaft Christi, das Reich seines Vaters nicht etwas ganz von dieser Welt Verschiedenes ist, sondern auf geheimnisvolle Weise mit unserer Welt verbunden ist.
Christus ein König - wie sollen wir das verstehen? War nicht sein Leben alles andere als königlich und sagt er nicht selbst über sich, dass der Menschensohn nicht gekommen ist, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen? Und doch riefen die Menschen, als Jesus in Jerusalem eingezogen ist: "Hosanna! Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn, der König von Israel." Das Volk sieht in Jesus den verheißenen Messias-König gemäß den Worten der Propheten: "Fürchte dich nicht, Tochter Zion. Siehe, dein König kommt, er sitzt auf dem Fohlen einer Eselin."
Die offiziellen Vertreter der jüdischen Religion, die nicht an das Messias-Königtum Jesu Christi glaubten, klagten ihn beim römischen Statthalter als Aufrührer an. Wer sich König nennen lässt, der stellt den Machtanspruch des Kaisers in Frage. Doch beim Verhör stellt sich für Pilatus heraus, dass Jesus keineswegs plant, durch einen Aufruhr politische Macht an sich zu reißen. Und doch weist Jesus den Königstitel nicht von sich. "Du sagst es - ich bin ein König. - Aber mein Königtum ist nicht von dieser Welt." Ziel des Königtums Jesu Christi ist es, für die Wahrheit Zeugnis abzulegen.

Da sagte Pilatus zu ihm: Also bist du doch ein König? Jesus antwortete: Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme. Pilatus sagte zu ihm: Was ist Wahrheit? (Joh 18,37-38a)

Wahrheit? Bei diesem Wort ist es für Pilatus genug. Was ist Wahrheit? Bis heute suchen wir eine Antwort auf diese Frage. Im Griechischen, der Sprache des Neuen Testaments, steht für Wahrheit das Wort "aletheia", was man auch den Begriff Enthüllung oder Offenlegung übersetzen kann. In Jesu Leben, Wirken und Sterben wird enthüllt, wer Gott ist und wie Mensch und Gott zueinander stehen. Gott nimmt sich des Menschen an, schenkt Heilung und Vergebung.
Im Hebräischen und Aramäischen hat Wahrheit eine andere Bedeutung. Im Alten Testaments steht für Wahrheit das Wort "emuna", das wörtlich übersetzt "Treue" heißt. Auch das Wort "Amen", mit dem wir unser Gebet zur Bekräftigung schließen, stammt aus diesem Wortfeld. Wenn Jesus von der Wahrheit Zeugnis gibt, so gibt er Zeugnis von der Treue Gottes. Gott steht zu den Menschen, er gibt seinen Sohn als Opfer für das Heil der Welt.

Nachdem er das gesagt hatte, ging er wieder zu den Juden hinaus und sagte zu ihnen: Ich finde keine Schuld an ihm. Ihr seid aber gewohnt, dass ich euch zum Paschafest einen freilasse. Wollt ihr also, dass ich euch den König der Juden freilasse? Da schrien sie wieder: Nicht diesen, sondern Barabbas! Barabbas aber war ein Räuber. (Joh 18,38b-40)

Pilatus will den Fall Jesus möglichst schnell abschließen und die beste Lösung dafür, scheint zu sein, dass er Jesus im Rahmen der Pascha-Amnestie die Freiheit schenkt. Es war, wie Johannes berichtet üblich, dass am Paschafest ein Gefangener freigelassen wurde. Wen anderes als Jesus wird das Volk sich wünschen, denkt Pilatus. Doch die Menge wurde bereits umgestimmt. Nein, nicht Jesus sondern Barabbas, einen Straßenräuber und Aufständischen wollen sie. Nachdem die Freilassung Jesu gescheitert ist, beginnt das grausame Prozedere der Hinrichtung. Es beginnt mit der Geißelung, danach treiben die Soldaten ihren Spott mit Jesus, gemäß seiner Verurteilung als falscher König dadurch, dass sie aus ihm einen König mit Dornenkrone machen, dem sie ihre Verachtung entgegenbringen.

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Heilige Schrift
Darauf ließ Pilatus Jesus geißeln. Die Soldaten flochten einen Kranz aus Dornen; den setzten sie ihm auf und legten ihm einen purpurroten Mantel um. Sie stellten sich vor ihn hin und sagten: Heil dir, König der Juden! Und sie schlugen ihm ins Gesicht. Pilatus ging wieder hinaus und sagte zu ihnen: Seht, ich bringe ihn zu euch heraus; ihr sollt wissen, dass ich keinen Grund finde, ihn zu verurteilen. Jesus kam heraus; er trug die Dornenkrone und den purpurroten Mantel. Pilatus sagte zu ihnen: Seht, da ist der Mensch! (Joh 19,1-5)

Seht der Mensch!
Die Soldaten hatten hemmungslos ihren Spott mit Jesus getrieben. Seine Haut war zerschunden von den Wunden der Geißelung, die Dornenkrone zerstach sein Haupt. Dazu kamen ein Purpurmantel und ein Stock als Zepter. Jesus als König der Juden, so führt Pilatus ihn vor das Volk. Die Menge grölt. Die Stimmung heizt sich auf. Doch es genügt dem Hohen Rat nicht, dass Pilatus Jesus öffentlich demütigen lässt, so dass keiner mehr daran glaubt, dass er wirklich ein König oder gar der Messias sein könnte. Die Menschen, die ihn noch vor wenigen Tagen jubelnd in Jerusalem empfangen haben, sollen nun glauben, dass sie auf einen Betrüger hereingefallen sind.
Jesus steht für alle geschundenen Menschen. Er ist ein Bild für das, was Menschen einander antun können. Wie viele Menschen werden bis heute von anderen gequält und öffentlich zur Schau gestellt. Wie vielen Menschen versucht man ihre Würde zu nehmen. Verachtet, ausgestoßen. Auch diese Menschen können sich in Jesus wiederfinden, in ihm einen Fürsprecher sehen.
Mensch, achte auf deine Würde! Kein Mensch kann einem anderen seine Würde nehmen, wenn dieser sie sich nicht nehmen lässt. Gott ist es, der dem Menschen seine Würde schenkt. Möge der Blick auf den Schmerzensmann all jenen Kraft geben, die Spott und Hohn und hemmungslose Gewalt erdulden müssen. Mögen sie im Blick auf den Schmerzensmann erfahren, dass es eine Macht gibt, die stärker ist als alle Gewalt.
Beten wir darum, dass Liebe den Hass besiegt und die Menschen gegenseitig ihre Würde achten. Bitten wir darum, dass wir die Kraft haben, mutig zu sein, wo es gilt, für andere einzutreten und nicht wegzusehen, wo unsere Hilfe gebraucht wird. Erheben wir unsere Stimme, gegen das Grölen der Menge, wenn andere Menschen verspottet werden. Möge Gott uns helfen, eine Gesellschaft des Friedens und der Toleranz aufzubauen.

Als die Hohenpriester und ihre Diener ihn sahen, schrien sie: Ans Kreuz mit ihm, ans Kreuz mit ihm! Pilatus sagte zu ihnen: Nehmt ihr ihn und kreuzigt ihn! Denn ich finde keinen Grund, ihn zu verurteilen. Die Juden entgegneten ihm: Wir haben ein Gesetz, und nach diesem Gesetz muss er sterben, weil er sich als Sohn Gottes ausgegeben hat. Als Pilatus das hörte, wurde er noch ängstlicher. Er ging wieder in das Prätorium hinein und fragte Jesus: Woher stammst du? Jesus aber gab ihm keine Antwort. Da sagte Pilatus zu ihm: Du sprichst nicht mit mir? Weißt du nicht, dass ich Macht habe, dich freizulassen, und Macht, dich zu kreuzigen? Jesus antwortete: Du hättest keine Macht über mich, wenn es dir nicht von oben gegeben wäre; darum liegt größere Schuld bei dem, der mich dir ausgeliefert hat. Daraufhin wollte Pilatus ihn freilassen, aber die Juden schrien: Wenn du ihn freilässt, bist du kein Freund des Kaisers; jeder, der sich als König ausgibt, lehnt sich gegen den Kaiser auf.
Auf diese Worte hin ließ Pilatus Jesus herausführen und er setzte sich auf den Richterstuhl an dem Platz, der Lithostrotos, auf Hebräisch Gabbata, heißt. Es war am Rüsttag des Paschafestes, ungefähr um die sechste Stunde. Pilatus sagte zu den Juden: Da ist euer König! Sie aber schrien: Weg mit ihm, kreuzige ihn! Pilatus aber sagte zu ihnen: Euren König soll ich kreuzigen? Die Hohenpriester antworteten: Wir haben keinen König außer dem Kaiser. Da lieferte er ihnen Jesus aus, damit er gekreuzigt würde. (Joh 19,6-16a)

Nun ist das Urteil über Jesus endgültig gesprochen. Er trägt selbst sein Kreuz und über seinem Kreuz steht in drei Sprachen die Inschrift: Jesus von Nazaret, der König der Juden. ein König am Kreuz? Ja, Jesus ist wahrhaft ein König. Das ist die Wahrheit, die Johannes uns berichtet. Auch wenn Jesus am Kreuz stirbt, so ist es Gottes Wille. Wenn Gott es nicht gewollt hätte, dann hätte Jesus seiner Verurteilung entgehen können. Doch Jesus wird zum Paschalamm des neuen Bundes, er stirbt für die Menschen, damit sie durch seinen Tod die Vergebung der Sünden erlangen. Und wie Jesus nach seinem Tod auferstehen wird, so wird dieser Tod allem Menschen, die an Jesus glauben, das Leben bringen.

Sie übernahmen Jesus. Er trug sein Kreuz und ging hinaus zur sogenannten Schädelhöhe, die auf Hebräisch Golgota heißt. Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere, auf jeder Seite einen, in der Mitte Jesus. Pilatus ließ auch ein Schild anfertigen und oben am Kreuz befestigen; die Inschrift lautete: Jesus von Nazaret, der König der Juden. Dieses Schild lasen viele Juden, weil der Platz, wo Jesus gekreuzigt wurde, nahe bei der Stadt lag. Die Inschrift war hebräisch, lateinisch und griechisch abgefasst. Die Hohenpriester der Juden sagten zu Pilatus: Schreib nicht: Der König der Juden, sondern dass er gesagt hat: Ich bin der König der Juden. Pilatus antwortete: Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben.
Nachdem die Soldaten Jesus ans Kreuz geschlagen hatten, nahmen sie seine Kleider und machten vier Teile daraus, für jeden Soldaten einen. Sie nahmen auch sein Untergewand, das von oben her ganz durchgewebt und ohne Naht war. Sie sagten zueinander: Wir wollen es nicht zerteilen, sondern darum losen, wem es gehören soll. So sollte sich das Schriftwort erfüllen: Sie verteilten meine Kleider unter sich und warfen das Los um mein Gewand. Dies führten die Soldaten aus. (Joh 19,16b-24)

Wörtlich geht mit dem, was an Jesus geschieht, das Wort der Schrift in Erfüllung. Wie kein anderer Psalm steht Psalm 22 im Zusammenhang mit Jesu Tod. Während bei den anderen Evangelien Jesus am Kreuz den Anfang dieses Psalms betet - "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen" - zeigt Johannes, wie die Worte der Psalmen in Erfüllung gehen. Das Verteilen und Losen um seine Kleider (Ps 22,19) und später das Stillen des Durstes mit Essig.

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Heilige Schrift
Bei dem Kreuz Jesu standen seine Mutter und die Schwester seiner Mutter, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala. Als Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er liebte, sagte er zu seiner Mutter: Frau, siehe, dein Sohn! Dann sagte er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter! Und von jener Stunde an nahm sie der Jünger zu sich. (Joh 19,25-27)

Maria unter dem Kreuz, nur Johannes berichtet uns davon. Maria war allezeit in der Nähe ihres Sohnes, auf der Hochzeit zu Kana, als Jesus lehrte und die Menschen geheilt hat. Maria leidet mit ihrem Sohn, wie es einst der greise Simeon ihr prophezeit hat.
Unter dem Kreuz zeigt sich Maria als Frau aus dem Volk, die auf der Seite Gottes steht. Man könnte behaupten, dass Jesus Maria nicht nur brauchte, um geboren zu werden, sondern auch um zu sterben. Jetzt ist die Stunde gekommen, von der Jesus so oft sprach und in dieser Stunde darf auch die Mutter Jesu nicht fehlen. Nur noch eine kurze Zeit, dann wird der tote Sohn ihr in den Schoß gelegt.
In dieser Stunde wird Maria zur Königin. Jesus trug die ganze Menschheit in sich, und nun ruht die ganze Menschheit beschützt in dem Schoß seiner Mutter, die so zur Mutter und Königin aller Menschen wird.

Maria, die Mutter des Herrn, stand beim Kreuz ihres Sohnes. Darüber gibt mir einzig der Evangelist Johannes Auskunft. Die anderen schreiben von der Erschütterung der Welt während des Leidens Christi, der Verdunkelung des Himmels. ... Johannes aber lässt uns wissen, was die anderen nicht mitteilen: wie er vom Kreuz herab seine Mutter anspricht. ... Vom Kreuz herab gibt Christus sein Vermächtnis, und er teilt seine Zuwendung zweien zusammen, der Mutter und dem Jünger. Der Herr macht nicht nur ein öffentliches Testament, sondern auch eines, das die Familie betrifft. Und für dieses Testament ist Johannes Zeuge - und er ist würdig, dieses Zeugnis zu geben. (Ambrosius)
Das ist ohne Zweifel die Stunde, von der Jesus sprach anlässlich der Verwandlung von Wasser in Wein (Joh 2,4): "Was willst du von mir, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen." Als er damals im Begriff war, eine göttliche Tat zu wirken, wies er seine Mutter zurück, da sie nicht der Gottheit, sondern der schwachen Menschennatur nach seine Mutter ist. Jetzt aber, da er leidet, empfiehlt er diejenige, aus der er Mensch geworden ist, menschlichem Empfinden, menschlicher Liebe. (Augustinus)
Danach, als Jesus wusste, dass nun alles vollbracht war, sagte er, damit sich die Schrift erfüllte: Mich dürstet. Ein Gefäß mit Essig stand da. Sie steckten einen Schwamm mit Essig auf einen Ysopzweig und hielten ihn an seinen Mund. Als Jesus von dem Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht! Und er neigte das Haupt und gab seinen Geist auf. (Joh 19,28-30)

Jesus war den ganzen Tag der brütenden Sonnenhitze ausgesetzt und hat weder zu Essen noch zu Trinken bekommen. Als ihn dürstet, reichen ihm die Soldaten nur einen Schwamm mit Essig, wohl eine Mischung, die die Gekreuzigten betäuben sollte. Damit erfüllt sich ein weiteres Psalmwort: "Für den Durst reichten sie mir Essig." (Ps 69,22)
Nun ist alles erfüllt. Jesus hat alles getan, was der Wille des Vaters war. Nun neigt er das Haupt und übergibt seinen Geist - in die ewig unvergängliche liebende Gegenwart des Vaters.

Heute hängt am Kreuze,
der die Erde über den Wassern aufgehängt;
mit einem Kranz aus Dornen wird umwunden
der König der Engel;
zum Spotte wird in Purpur gehüllt,
der den Himmel mit Wolken umhüllt;
Backenstreiche erhält,
der im Jordan den Adam befreite;
mit Nägeln wird angeheftet
der Bräutigam der Kirche;
mit der Lanze wird durchbohrt
der Sohn der Jungfrau;
wir verehren Deine Leiden, o Christus;
zeige uns auch Deine glorreiche Auferstehung!
(Gebet der Ostkirche)
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Heilige Schrift
Weil Rüsttag war und die Körper während des Sabbats nicht am Kreuz bleiben sollten, baten die Juden Pilatus, man möge den Gekreuzigten die Beine zerschlagen und ihre Leichen dann abnehmen; denn dieser Sabbat war ein großer Feiertag. Also kamen die Soldaten und zerschlugen dem ersten die Beine, dann dem andern, der mit ihm gekreuzigt worden war. Als sie aber zu Jesus kamen und sahen, dass er schon tot war, zerschlugen sie ihm die Beine nicht, sondern einer der Soldaten stieß mit der Lanze in seine Seite, und sogleich floss Blut und Wasser heraus. Und der, der es gesehen hat, hat es bezeugt, und sein Zeugnis ist wahr. Und er weiß, dass er Wahres berichtet, damit auch ihr glaubt. Denn das ist geschehen, damit sich das Schriftwort erfüllte: Man soll an ihm kein Gebein zerbrechen. Und ein anderes Schriftwort sagt: Sie werden auf den blicken, den sie durchbohrt haben.
Josef aus Arimathäa war ein Jünger Jesu, aber aus Furcht vor den Juden nur heimlich. Er bat Pilatus, den Leichnam Jesu abnehmen zu dürfen, und Pilatus erlaubte es. Also kam er und nahm den Leichnam ab. Es kam auch Nikodemus, der früher einmal Jesus bei Nacht aufgesucht hatte. Er brachte eine Mischung aus Myrrhe und Aloe, etwa hundert Pfund. Sie nahmen den Leichnam Jesu und umwickelten ihn mit Leinenbinden, zusammen mit den wohlriechenden Salben, wie es beim jüdischen Begräbnis Sitte ist. An dem Ort, wo man ihn gekreuzigt hatte, war ein Garten, und in dem Garten war ein neues Grab, in dem noch niemand bestattet worden war. Wegen des Rüsttages der Juden und weil das Grab in der Nähe lag, setzten sie Jesus dort bei. (Joh 19,31-42)

Nur der Evangelist Johannes berichtet uns ein wichtiges Detail aus dem Geschehen der Kreuzigung Jesu. Der Tod am Kreuz war ein qualvolles Martyrium und es dauerte oft lange, bis die Gekreuzigten tot waren. Solange sie genügend Kraft in den Beinen hatten, konnten sie sich einigermaßen aufrecht halten und so den Tod hinauszögern. Darum war es üblich, den Gekreuzigten die Beine zu zertrümmern und so ihren Tod schneller herbeizuführen.
Jesus hat den Zeitpunkt seines Todes bewusst gewählt. Es heißt bei Johannes, dass Jesus, nachdem alles vollbracht war, was in der Schrift vorausgesagt war, seinen Geist aufgab (Joh 19,30). Daher war er bereits tot, als die Soldaten kamen, um den beiden anderen Gekreuzigten die Beine zu zerschlagen.
Einer der Soldaten, die Legende hat ihn später den heiligen Longinus genannt, öffnete aber mit seiner Lanze die Seite Jesu, woraufhin Blut und Wasser daraus hervorkamen. Das ist aus medizinischer Sicht durchaus vorstellbar, wichtiger aber ist die symbolische Deutung, die Johannes mit diesem Ereignis verbindet.
Der heilige Augustinus sagt dazu:

Mit Bedacht wählte der Evangelist sein Wort, er sagt weder: Er durchstach seine Seite, noch: Er verwundete sie oder etwas Ähnliches, sondern: Er öffnete sie, so dass sich dort gewissermaßen eine Tür auftat, der die Sakramente der Kirche entströmten, ohne die niemand zu jenem Leben, welches das wahre Leben ist, Zugang hat.

Das Wasser aus der Seite Jesu steht als Symbol für die Taufe, durch die der Mensch Anteil erhält an der Erlösung. Durch die Taufe wirkt Gott die Vergebung der Sünden, die Jesus Christus durch seinen Kreuzestod erwirkt hat, und der Getaufte wird eingegliedert in die Kirche, die der Leib Christi ist. Das Blut steht für die Eucharistie. In ihr feiern wir immer neu das Opfer Christi, der sich hingibt zu unserem Heil, und erhalten Anteil an Christus selbst, der in den Gestalten von Brot und Wein wahrhaft gegenwärtig ist.
Als der Auferstandene später den Jüngern erscheint, zeigt er ihnen seine durchbohrten Hände und seine Seitenwunde. Gezeichnet von den Wunden der sich hingebenden Liebe geht Jesus in den Himmel ein. Das macht uns deutlich, dass Gott uns tatsächlich mit einem menschlichen Herzen liebt, bis zur Ganzhingabe seines Lebens. Zugleich lädt er uns ein, wie er zu werden und ruft uns, an seiner Sendung teilzunehmen: Herz Gottes auf der Erde zu sein.