Römerbrief 12,1-21

Christliche Gemeinde

.
Hl. Schrift
Angesichts des Erbarmens Gottes ermahne ich euch, meine Brüder, euch selbst als lebendiges und heiliges Opfer darzubringen, das Gott gefällt; das ist für euch der wahre und angemessene Gottesdienst. (Röm 12,1)

Nach den langen theologischen Ausführungen über Gottes Gerechtmachung aus dem Glauben und über die Rettung Israels angesichts dessen Unglaubens kommt Paulus nun zum praktischen Teil des Römerbriefes. Die Gläubigen sind gerecht gemacht vor Gott, sind von der Sünde befreit und durch die Taufe zu Kindern Gottes geworden. Sie sind das neue Volk Gottes, das in der Gemeinde vor Ort erfahrbar wird.
"Angesichts des Erbarmens Gottes", mit diesen Worten fasst Paulus alles vorher im Brief Gesagte zusammen. Gott hat sich der Menschen erbarmt und schenkt allen, die an Jesus Christus glauben und durch die Taufe in das neue Volk Gottes eintreten, Erlösung und Vergebung der Sünden. Was dieses Erbarmen bedeutet, bringt Teresa von Avila mit wenigen Worten auf den Punkt:

Der Herr muss uns keine großen Geschenke geben. Es genügt, dass er uns seinen Sohn gesandt hat, der uns den Weg weisen soll. (Teresa von Avila)

Somit wir Erlösung konkret durch ein Leben aus dem Glauben nach der Weisung des Herrn, indem sich der Gläubige "als lebendiges und heiliges Opfer darbringt, das Gott gefällt." Er stellt sich ganz, mit Leib und Seele, mit allem Denken und Tun, Gott zur Verfügung, um seinen Willen zu tun. Lebendig und heilig soll ein solches Opfer sein, nicht tot und verdorben. Die Werke dieser Welt, Unzucht, Heuchelei, Grausamkeit, führen zum Tod. Die Werke Gottes aber führen zum Leben. Wie diese Werke konkret aussehen, wird Paulus in diesem Kapitel noch näher darlegen: Liebe ohne Heuchelei, Hilfsbereitschaft, Gastfreundschaft, Einmütigkeit, Vergebung sind hier nur einige Schlagworte. Johannes Chrysostomus erklärt dieses Opfer folgendermaßen:

Das Auge schaue nichts Sündhaftes an, und es ist zum Opfer geworden; die Zunge rede nichts Schlimmes, und sie ist zur Opfergabe geworden; die Hand tue nichts Verbotenes, und sie ist zum Opfer geworden. Aber das genügt noch nicht, sondern es bedarf auch guter Taten. Die Hand gebe Almosen, der Mund spreche Segenswünsche gegen Widersacher aus, das Ohr sei stets zum Anhören von Reden über göttliche Dinge bereit. Denn das Opfer darf nichts Unreines an sich haben, das Opfer soll ein Erstling von allem sein. So lasst denn auch uns Gott die Erstlinge der Hände, der Füße, des Mundes und aller andern Glieder darbringen! Ein solches Opfer ist Gott wohlgefällig, ... die Art, zu opfern aber ist dabei eine ganz neue, und darum ist auch die Art des Feuers eine ganz eigene. Es braucht nämlich kein Holz oder sonstigen Brennstoff, sondern unser Feuer hat seine Lebenskraft aus sich selbst. Es verzehrt auch nicht die Opfergabe, sondern gibt ihr vielmehr Leben. (Johannes Chrysostomus)

Wer das neue Leben im Glauben an Jesus Christus lebt, der unterscheidet sich grundlegend von einem Weltmenschen. Auch wenn das Leben der Weltmenschen auf den ersten Blick als gut erscheinen mag, wenn sich sogenannte Gutmenschen als die Retter der Welt fühlen mögen, so entdeckt man hinter der äußeren Fassade oft gewaltige Schwachpunkte. Viel Dünkel und Eigennutz stehen dahinter und was zunächst so selbstlos erscheint, kann sich schnell zu einer totalitären Forderung und der Ausgrenzung Andersdenkender entwickeln.
Doch auch im Christentum ist selbstlose Liebe nicht allgegenwärtig. Immer wieder treten in der Kirche Machtstreben und Selbstsucht in den Vordergrund. Paulus ruft die Gläubigen zur Heiligkeit auf. Nicht nur Gutes zu tun, sondern es auch selbstlos zu tun, nicht nur nach außen den Anschein der Güte zu wecken, sondern auch im Inneren gütig zu sein. Zu seiner eigenen Überzeugung stehen, aber auch den Andersdenkenden anerkennen und annehmen in seiner Andersheit. Christliche Liebe muss tiefer gehen und weiter blicken als das Gutmenschentum. Das heißt vor allem, sich stets dessen bewusst zu sein, dass Gott uns zuerst geliebt hat, dass er uns sein Erbarmen erwiesen hat, und daher all unser Tun in seinem Dienst steht.

.
Hl. Schrift
Gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern wandelt euch und erneuert euer Denken, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist: was ihm gefällt, was gut und vollkommen ist. (Röm 12,2)

Paulus fordert die Gläubigen dazu auf, anders zu denken, nicht im Sinn dieser Welt, sondern im Sinne Gottes. Das Denken dieser Welt beschäftigt sich damit, wie es möglich ist, den Reichtum zu vermehren, mehr Profit zu machen, eine bessere Stellung als andere zu erlangen, sich selbst groß zu machen. Christliches Denken aber muss demütig sein und sich darin vertiefen, wie es möglich ist, den Willen Gottes auf Erden immer mehr Wirklichkeit werden zu lassen.
Christliches Denken muss in die Tiefe gehen, muss hinter die äußeren Dinge blicken. Es darf sich nicht treiben lassen von diesem und jedem, von den blinkenden Anzeigen der Werbung oder dem äußeren Glanz. Christliches Denken muss still werden und versuchen, zum Zentrum zu gelangen, zu Gott, der unserem Denken zwar verborgen ist, der sich uns aber offenbart hat, vor allem in der Heiligen Schrift. Somit heißt christliches Denken vor allem auch, die Heilige Schrift zu meditieren, aus ihren Worten zu leben, und sich vom Heiligen Geist inspirieren zu lassen.
Wenn wir Gott zuerst denken und nicht uns selbst, verlieren wir nichts, denn was Gott will ist auch das, was für uns am besten ist. Nur wer sich dieser Tatsache bewusst geworden ist, kann auch sich wirklich ganz Gott hingeben.

Seien wir überzeugt, dass alles zu unserem Besten geschieht. Gott führt uns den Weg, der ihm gefällt, ihm gehören wir, nicht mehr uns selbst. Er erweist uns Gnade, indem er unseren Willen lenkt, in seinem Garten zu graben und in seiner Gegenwart zu bleiben.
Liebe besteht nicht im Streben nach größerem Glück, sondern in der größeren Entschlossenheit, Gott in allem erfreuen zu wollen, und sich mit ganzer Kraft darum zu bemühen, dass wir ihn nicht betrüben. (Teresa von Avila)

Zunächst beschreibt Paulus das Große, zu dem die Christen berufen sind. Wir sind ein wohlgefälliges Opfer für Gott und unser Opfer besteht darin, seinen Willen zu tun.

Aufgrund der Gnade, die mir gegeben ist, sage ich einem jeden von euch: Strebt nicht über das hinaus, was euch zukommt, sondern strebt danach, besonnen zu sein, jeder nach dem Maß des Glaubens, das Gott ihm zugeteilt hat. (Röm 12,3)

Die Größe des Menschen besteht in seiner Bereitschaft zum Dienen. Jeder soll das Seine tun und nicht hoch hinaus streben, indem er sich mit anderen vergleicht und etwas anstrebt, das ihm nicht zukommt. Jeder soll gemäß seiner Berufung leben. Was aber die Berufung jedes Einzelnen ist, gilt es in gläubiger Hingabe an den Herrn herauszufinden.

Denn wie wir an dem einen Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder denselben Dienst leisten, so sind wir, die vielen, ein Leib in Christus, als einzelne aber sind wir Glieder, die zueinander gehören. Wir haben unterschiedliche Gaben, je nach der uns verliehenen Gnade. Hat einer die Gabe prophetischer Rede, dann rede er in Übereinstimmung mit dem Glauben; hat einer die Gabe des Dienens, dann diene er. Wer zum Lehren berufen ist, der lehre; wer zum Trösten und Ermahnen berufen ist, der tröste und ermahne. Wer gibt, gebe ohne Hintergedanken; wer Vorsteher ist, setze sich eifrig ein. (Röm 12,4-8a)

Das Bild von der Gemeinde als Leib mit vielen Gliedern, das er im Korintherbrief weit ausführt, lässt Paulus hier nur anklingen, ebenso die Rede über die Charismen. Gemeindeleben soll in gegenseitigem Einklang in Übereinstimmung mit dem Glauben erfolgen. Da Paulus die Gemeinde in Rom nicht persönlich kennt, bleibt es bei allgemeinen Ratschlägen und Ermunterungen.

Wer Barmherzigkeit übt, der tue es freudig. (Röm 12,8b)
Es ist nämlich nicht genug, Werke der Barmherzigkeit zu betreiben, sondern man muss es mit freigebiger Hand und unverdrossenem Gemüt tun, ja mehr noch: nicht bloß mit unverdrossenem Gemüt, sondern geradezu mit Heiterkeit und Freude. Denn es ist nicht dasselbe, nicht verdrossen zu sein und fröhlich zu sein. ... Beides soll bei einem Werk der Barmherzigkeit vereint sein: Freigebigkeit und Freudigkeit. Warum machst du ein weinerliches Gesicht beim Almosengeben? Was bist du betrübt bei Werken der Barmherzigkeit und bringst dich um den Lohn des guten Werkes? Wenn du dabei betrübt bist, so tust du kein Werk der Barmherzigkeit, sondern bist roh und gefühllos, denn wenn du betrübt bist, wie kannst du einen, der in Trauer ist, aufmuntern? (Johannes Chrysostomus)
Eure Liebe sei ohne Heuchelei. (Röm 12,9a)
Wie der Apostel nicht einfach das Austeilen von Almosen verlangt, sondern dass es mit Einfalt geschehe, nicht einfach die Führung eines Vorsteheramtes, sondern eine mit Pflichteifer, nicht einfach Almosengeben, sondern ein solches mit Freudigkeit, so verlangt er auch nicht einfach Liebe, sondern ungeheuchelte Liebe. Denn das ist wahre Liebe. Ist die einmal vorhanden, dann folgt alles andere von selbst. Denn wer dann Werke der Barmherzigkeit verrichtet, der verrichtet sie mit Freudigkeit, denn er erweist sie ja sich selbst. Wer dann ein Vorsteheramt innehat, der führt es mit Pflichteifer, denn er ist ja Vorsteher für sich selbst. Wer dann Almosen austeilt, der tut dies reichlich: denn er schenkt ja sich selbst. (Johannes Chrysostomus)
Verabscheut das Böse. (Röm 12,9b)
Paulus sagt nicht: Enthaltet euch vom Bösen, sondern hasst es, verabscheut es, und nicht einfach hasst es, sondern hasset es heftig. ... Weil es nämlich viele Menschen gibt, die zwar nichts Böses tun, aber doch das Begehren danach haben, darum sagt der Apostel: "Hasst es heftig!" Er will nämlich auch unser Inneres rein gehalten haben und dass wir Feindschaft, Hass und Krieg gegen die Sünde führen. Meint nicht, will er sagen, dass mein Gebot "Liebet einander" so weit geht, dass ihr auch mit den Schlechten zusammenarbeiten sollt. Nein, gerade das Gegenteil gebiete ich: nicht bloß von der bösen Tat, sondern auch von der Neigung zum Bösen sich freizuhalten, ja, nicht bloß von der Neigung dazu sich freizuhalten, sondern ihr sollt euch mit allem Abscheu davon abkehren und es hassen. Doch auch daran allein ist es nicht genug, sondern der Apostel will auch die Übung der Tugend haben, indem er sagt: (Johannes Chrysostomus)
Haltet fest am Guten! (Röm 12,9c)
Er sagt nicht bloß: Tut es, sondern: haltet mit Zuneigung daran fest. ... Dann nennt er auch den Grund, warum wir einander lieben sollen: (Johannes Chrysostomus)
Seid einander in brüderlicher Liebe zugetan, übertrefft euch in gegenseitiger Achtung! (Röm 12,10)
Brüder, will er sagen, seid ihr, derselbe Mutterschoß hat euch geboren. Darum seid ihr einander Liebe schuldig. ... Spricht der Apostel von Nichtchristen, so mahnt er: "Wenn es möglich ist, so haltet Frieden mit allen Menschen, so viel an euch liegt!" Handelt es sich aber um die eigenen Leute, dann mahnt er: "In der Bruderliebe seid gegeneinander recht herzlich!" Dort fordert er, nicht feindselig zu sein, nicht zu hassen, nicht Widerwillen zu haben; hier verlangt er, dass wir lieben, ja nicht bloß lieben, sondern zärtlich lieben. Die Liebe, sagt er, muss nicht allein ungeheuchelt sein, sondern auch innig, warm, feurig. Denn was nützt es, wenn du zwar ohne Arg liebst, aber nicht warm? ... Warte nicht, bis du von einem anderen Liebe erfährst, sondern eile du ihm entgegen und mach den Anfang. Dann wirst du den Lohn dafür in der Liebe des andern finden. (Johannes Chrysostomus)
Lasst nicht nach in eurem Eifer, lasst euch vom Geist entflammen und dient dem Herrn!
Seid fröhlich in der Hoffnung, geduldig in der Bedrängnis, beharrlich im Gebet! (Röm 12,11-12)
Sieh, wie der Apostel alles gesteigert haben will! Er sagt nicht nur "Habt den Geist", sondern: "Habet den Geist glühend in euch", d.h. damit ihr feurig und aufgemuntert seid. Denn wenn du das hast, was bisher aufgezählt worden ist, so ziehst du den Hl. Geist auf dich herab. Wenn aber dieser in dir wohnt, so wird er dich zu den vorgenannten Dingen eifrig machen, und alles wird dir unter dem Antrieb des Heiligen Geistes und der Liebe leicht werden, da du ja dann von zwei Seiten angefeuert bist. ...
Das alles sind Schürmittel jenes Feuers. Nachdem der Apostel Geldspende verlangt hat und körperliche Hilfeleistung und Führung des Vorsteheramtes und Pflichteifer und Verwaltung des Lehramtes und andere Mühen, salbt er den Kämpfer mit dem Öl der Liebe und dem Heiligen Geist durch das Mittel der Hoffnung. Denn nichts macht die Seele so stark und tatbereit zu allem, als eine angenehme Hoffnung. ... Außerdem zeigt er noch ein anderes Hilfsmittel: "Seid beständig im Gebet."
Wenn dir nun die Liebe alles leicht macht, der Heilige Geist dir beisteht, die Hoffnung dir alles erleichtert, die Trübsal dich erprobt macht und bereit, alles standhaft zu ertragen, und du hast dann außerdem noch eine Wehr, die allerstärkste, nämlich das Gebet und die Hilfe, die vom vertrauensvollen Beten kommt, was wird dir dann noch schwer fallen an den Geboten? Gar nichts. Siehst du, wie der Apostel den Kämpfer allseits mit Wehr und Waffe versieht und ihm die Gebote als leicht erfüllbar vor Augen stellt? (Johannes Chrysostomus)
Helft den Heiligen, wenn sie in Not sind; gewährt jederzeit Gastfreundschaft!
Segnet eure Verfolger; segnet sie, verflucht sie nicht!
Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden!
Seid untereinander eines Sinnes; strebt nicht hoch hinaus, sondern bleibt demütig! Haltet euch nicht selbst für weise!
Vergeltet niemand Böses mit Bösem! Seid allen Menschen gegenüber auf Gutes bedacht!
Soweit es euch möglich ist, haltet mit allen Menschen Frieden!
Rächt euch nicht selber, liebe Brüder, sondern lasst Raum für den Zorn (Gottes); denn in der Schrift steht: Mein ist die Rache, ich werde vergelten, spricht der Herr. Vielmehr: Wenn dein Feind Hunger hat, gib ihm zu essen, wenn er Durst hat, gib ihm zu trinken; tust du das, dann sammelst du glühende Kohlen auf sein Haupt.
Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute! (Röm 12,13-21)