Offenbarung 12,1-17

Die Frau und der Drache

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Maria
Dann erschien ein großes Zeichen am Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet; der Mond war unter ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt. Sie war schwanger und schrie vor Schmerz in ihren Geburtswehen. (Offb 12,1-2)

Das zwölfte Kapitel bildet das Zentrum der Offenbarung des Johannes. Bisher hat Johannes in seinen Visionen geschaut, wie das Lamm im Himmel - Symbol für Jesus Christus - die sieben Siegel des Buches der Welt geöffnet und somit den tieferen Sinn des Weltgeschehens offenbar gemacht hat. Die sieben Posaunen sind erschallt und haben das Unheil gezeigt, das über die Bewohner der Erde hereinbricht. Mit dem Ertönen der siebten Posaune öffnet sich der Blick auf das messianische Geschehen der Endzeit.
Das Kind, mit dem die Frau schwanger ist, zeigt uns den Messias, Jesus Christus, Gottes Sohn. Die Frau ist Bild für das Volk Gottes. Die zwölf Sterne sind Symbol für die zwölf Stämme Israels, des auserwählten Gottesvolkes. Durch dieses Volk will Gott der Welt sein Heil vermitteln und aus diesem Volk geht der Messias hervor. Durch die Einsetzung der zwölf Apostel hat Jesus Christus das neue Gottesvolk errichtet, das aus dem Gottesvolk des Alten Bundes hervorgeht, nun aber die ganze Welt umgreift.
Die Frau ist zum einen Symbol für das Volk Gottes, sie ist aber auch ein ganz konkreter Mensch, Maria. In ihr verdichtet sich die Geschichte des Volkes Gottes. Aus ihr geht der Messias hervor und so wird sie zur Schnittstelle zwischen Altem und Neuem Bund.

Maria hat nicht nur als Person und Gestalt Bedeutung, sondern auch als Zeichen und Symbol. Dies aber nicht in einem äußerlichen, konventionellen Sinne verstanden, so wie man gewisse Dinge mit symbolischer Bedeutung ausstattet. Maria ist vielmehr als wirklichkeitserfüllendes personales Symbol zu erkennen, in welchem Zeichen und Wirklichkeit, Bedeutung und Tat, Sinn und Gestalt zusammengehören.

Diese Worte von Leo Kardinal Scheffczyk zeigen uns, wie wir die Stelle aus der Offenbarung deuten können. Die Frau ist konkret Maria und sie ist zugleich Symbol für das alte Gottesvolk, aus dem der Verheißung nach der Messias hervorgeht. Durch die Geburt des Messias wird Maria zur Mutter des neuen Gottesvolkes, das ihr Sohn auf Erden gegründet hat.
Gottes Geschichte mit den Menschen ist immer konkret. Sie geschieht durch bestimmte Personen, die Gottes Willen tun. Sie entsteht nicht durch Debatten und Verlautbarungen, sondern durch Taten. Durch ihr Ja zu Gott ist Maria zum Urbild aller Menschen zu allen Zeiten geworden, die ihr Ja sagen zum Willen Gottes. Dies rechtfertigt die Stellung, die ihr die Kirche zuweist, indem sie uns Maria als Mutter und Fürsprecherin zeigt.
Gott selbst zeigt uns Maria als Urbild des glaubenden Menschen. Johannes sieht Maria als Zeichen der neuen Heilszeit des Messias. Die zwölf Sterne zeigen die Universalität Mariens als Repräsentantin des Alten und Neuen Bundes. Sonne und Mond sind die Zeichen dieser Erdenzeit, die Sonne als Zeitmesser des Tages, der Mond als Nachtgestirn und Maß für Monate und Festzeiten. So wird deutlich, dass das folgende Geschehen, das Johannes als Vision im Himmel sieht, eine konkrete Entsprechung auf Erden hat. So wie Maria einerseits symbolisch für das Volk Gottes steht, andererseits aber ganz konkret auf Erden gelebt hat, so bleibt auch alles andere, das Johannes sieht, kein abstraktes Bild, sondern wird konkret geschehen.

3Ein anderes Zeichen erschien am Himmel: ein Drache, groß und feuerrot, mit sieben Köpfen und zehn Hörnern und mit sieben Diademen auf seinen Köpfen. 4Sein Schwanz fegte ein Drittel der Sterne vom Himmel und warf sie auf die Erde herab. Der Drache stand vor der Frau, die gebären sollte; er wollte ihr Kind verschlingen, sobald es geboren war.

Ein weiteres Zeichen sieht Johannes im Himmel, einen Drachen von unvorstellbarer Größe. Die sieben Köpfe zeigen seine universelle Macht über Himmel und Erde. Drei Köpfe haben je zwei Hörner und vier Köpfe je ein Horn, so gelangt man zur Zehnerzahl und sieht zugleich die Drei und die Vier, die für Himmel und Erde stehen, und die in der Sieben zur Universalität werden. Es ist eine Bedrohung, die selbst Gott gefährlich wird. So sieht die Tradition in Satan seit jeher Luzifer als des höchsten unter den Engeln, der sich gegen Gott erhoben hat.
Ein Drittel der Sterne fegt der Drache mit seinem Schwanz vom Himmel zur Erde. Man kann darin die Engel sehen, die Satan auf seine Seite gezogen hat. So kommt das Böse auf die Erde. Wir erfahren hier, dass die Kämpfe auf der Erde letztlich die Folge dieses einen Kampfes im Himmel sind. Wir erkennen den Ursprung des widergöttlichen Wirkens, das Gottes gute Schöpfung zerstören und den Menschen von Gott trennen will.
Doch auch Gott verlagert sozusagen seinen Kampfplatz auf die Erde. Er überlässt seine Schöpfung nicht den teuflischen Mächten. Die Frau und ihr Kind sind die Hoffnungsträger im Kampf gegen das Böse auf Erden. Eine Frau, schwach und doch mächtig durch ihren Glauben. Dies zeigt uns Maria als neue Eva. Eva ist den Verführungen Satans erlegen. Maria aber nimmt den Kampf wieder auf, der den Nachkommen Evas prophezeit wurde:

Feindschaft setze ich zwischen dich und die Frau, zwischen deinen Nachwuchs und ihren Nachwuchs. Er trifft dich am Kopf, und du triffst ihn an der Ferse. (Gen 3,15)

Der Drache weiß um die Macht des Kindes. Er weiß, dass seine Zeit zu Ende gehen wird, wenn es Gottes Sohn gelingt, sein Werk auf Erden zu vollbringen. Gott kommt als hilfloses Kind auf die Welt, geboren von einer einfachen Frau. Doch es gelingt dem Drachen nicht, die Frau und ihr Kind zu vernichten. Das ist ein Zeichen der Hoffnung. Was schwach scheint auf Erden, wird stark durch den Glauben.

5Und sie gebar ein Kind, einen Sohn, der über alle Völker mit eisernem Zepter herrschen wird. Und ihr Kind wurde zu Gott und zu seinem Thron entrückt. 6Die Frau aber floh in die Wüste, wo Gott ihr einen Zufluchtsort geschaffen hatte; dort wird man sie mit Nahrung versorgen, zwölfhundertsechzig Tage lang.

In einem Satz wird hier die ganze Heilsgeschichte zusammengefasst. Die Leser der Offenbarung wissen, was hier gemeint ist. Es steht im Evangelium. Gottes Sohn kam in die Welt und hat den Neuen Bund gestiftet mit seinem Blut. Der Drache konnte ihn nicht verschlingen, sondern Gottes Sohn ging aus dem Tod als Sieger hervor über den Tod und thront zur Rechten des Vaters.
Maria aber wird zur Mutter des neuen Gottesvolkes. Mit ihren Kindern, den Glaubenden, steht sie im Kampf gegen den Satan. Sie ist die Zuflucht der Glaubenden und sie breitet den Mantel aus über ihre Kinder, um sie vor aller Not zu schützen. Rufen wir Maria um ihre Hilfe an:

Jungfrau, Mutter Gottes mein
lass mich ganz Dein eigen sein

Dein im Leben, Dein im Tod
Dein in Unglück, Angst und Not
Dein in Kreuz und bittrem Leid
Dein für Zeit und Ewigkeit
Jungfrau, Mutter Gottes mein
lass mich ganz Dein eigen sein

Mutter auf Dich hoff und baue ich
Mutter zu Dir ruf und seufze ich
Mutter Du gütigste, steh mir bei
Mutter Du mächtigste, Schutz mir leih

O Mutter, so komm, hilf beten mir
O Mutter so komm, hilf streiten mir
O Mutter so komm hilf leiden mir
O Mutter so komm und bleib bei mir

Du kannst mir ja helfen, o Mächtigste
Du willst mir ja helfen o Gütigste
Du musst mir nun helfen o Treueste
Du wirst mir auch helfen Barmherzigste

O Mutter der Gnade, der Christen Hort
Du Zuflucht der Sünder, des Heiles Port
Du Hoffnung der Erde, des Himmels Zier
Du Trost der Betrübten, ihr Schutzpanier

Wer hat je umsonst Deine Hilf angefleht
Wann hast Du vergessen ein kindlich Gebet
Drum ruf ich beharrlich, in Kreuz und in Leid
Maria hilft immer, sie hilft jederzeit

Ich ruf voll Vertrauen im Leiden und Tod
Maria hilft immer, in jeglicher Not
So glaub' ich und lebe und sterbe darauf
Maria hilft mir in den Himmel hinauf
Amen.
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Maria
7Da entbrannte im Himmel ein Kampf; Michael und seine Engel erhoben sich, um mit dem Drachen zu kämpfen. Der Drache und seine Engel kämpften, 8aber sie konnten sich nicht halten und sie verloren ihren Platz im Himmel. 9Er wurde gestürzt, der große Drache, die alte Schlange, die Teufel oder Satan heißt und die ganze Welt verführt; der Drache wurde auf die Erde gestürzt und mit ihm wurden seine Engel hinabgeworfen.

Der Blick geht wieder in den Himmel. Wir dürfen uns das geschehen nicht zeitlich vorstellen, dass zunächst der Kampf auf der Erde geführt wird und dann der im Himmel. Die Bilder, die Johannes und zeigt, überlappen sich und gehen ineinander über. Auch gibt es in der Ewigkeit des Himmels keine Zeit.
Wir haben bereits erfahren, dass der Satan ein Drittel der Sterne zur Erde geworfen hat. Ein Drittel der Engel hat sich mit ihm gegen Gott erhoben. Doch der Kampf im Himmel ist entschieden. Michael kämpft mit seinen Engeln siegreich gegen den Satan und seine Engel. Der Drache wird vom Himmel zur Erde geworfen.
Der Kampf im Himmel ist entschieden. Die endgültige Durchsetzung des Heils ist nur noch eine Frage der Zeit. Aber es wird eine schwere Zeit, denn der Satan weiß um das Ende seiner Macht und versucht alles, um so viel Schaden anzurichten wir möglich. Das sind die schauerhaften Bilder der Apokalypse und wir sehen sie jeden Tag konkret, wenn wir in den Fernseher oder die Zeitung blicken.

10Da hörte ich eine laute Stimme im Himmel rufen: Jetzt ist er da, der rettende Sieg, die Macht und die Herrschaft unseres Gottes und die Vollmacht seines Gesalbten; denn gestürzt wurde der Ankläger unserer Brüder, der sie bei Tag und bei Nacht vor unserem Gott verklagte. 11Sie haben ihn besiegt durch das Blut des Lammes und durch ihr Wort und Zeugnis; sie hielten ihr Leben nicht fest, bis hinein in den Tod. 12Darum jubelt, ihr Himmel und alle, die darin wohnen. Weh aber euch, Land und Meer! Denn der Teufel ist zu euch hinabgekommen; seine Wut ist groß, weil er weiß, dass ihm nur noch eine kurze Frist bleibt.

Im Himmel ertönt Jubel über den Sturz des Drachens. Jubel über die siegreiche Heimkehr des Sohnes Gottes, der als Opferlamm sein Blut vergossen hat zum Heil der Menschen. Dieses Blut des Lammes gewährt den Sieg auch auf Erden. Zwar ist der Kampf noch nicht entschieden und die Gläubigen bleiben den Nachstellungen des Drachen und seines Gefolges ausgesetzt. Ihr Toben aber ist ein sinnloses Toben, das nichts mehr ändern wird an ihrer Niederlage.
Die Glaubenden aber müssen an der Heils- und Siegesgewissheit festhalten. Sie stehen noch im Kampf. Sie müssen standhaft bleiben. Noch können sie fallen. Das ist die Botschaft der Offenbarung des Johannes. Sie will die Glaubenden zur Standhaftigkeit ermutigen. Die Leiden der Glaubenden können groß sein. Das Toben des Teufels ist gewaltig. Aber er ist besiegt. Wer standhaft bleibt, hat Anteil an Gottes Sieg.
Der Satan wird hier genannt der Ankläger unserer Brüder. Als solcher tritt er auch an manchen Stellen im Alten Testament auf, besonders deutlich im Buch Ijob. Da hat er noch ganz selbstverständlich Zugang zu Gott, um immer wieder den gerechten Ijob anzuklagen. Vielleicht ist er doch nicht so gerecht, wie es scheint. So erlaubt Gott es ihm, Unheil über Ijob zu bringen, seinen gesamten Besitz, ja auch seine Familie zu vernichten. So versucht die Bibel zu erklären, warum das Unheil sowohl die Gerechten als auch die Ungerechten trifft.
Nun aber gibt es keinen mehr, der die Menschen vor Gott anklagt. Vielmehr haben wir jetzt Fürsprecher bei Gott. Unsere größte Fürsprecherin ist Maria. Sie wird uns im folgenden Abschnitt noch einmal als Schutzfrau in großer Bedrängnis vorgestellt.

13Als der Drache erkannte, dass er auf die Erde gestürzt war, verfolgte er die Frau, die den Sohn geboren hatte. 14Aber der Frau wurden die beiden Flügel des großen Adlers gegeben, damit sie in die Wüste an ihren Ort fliegen konnte. Dort ist sie vor der Schlange sicher und wird eine Zeit und zwei Zeiten und eine halbe Zeit lang ernährt. 15Die Schlange spie einen Strom von Wasser aus ihrem Rachen hinter der Frau her, damit sie von den Fluten fortgerissen werde. 16Aber die Erde kam der Frau zu Hilfe; sie öffnete sich und verschlang den Strom, den der Drache aus seinem Rachen gespien hatte. 17Da geriet der Drache in Zorn über die Frau und er ging fort, um Krieg zu führen mit ihren übrigen Nachkommen, die den Geboten Gottes gehorchen und an dem Zeugnis für Jesus festhalten.

Die Frau tritt dem Drachen furchtlos gegenüber. Sie weiß, dass er ihr nichts anhaben kann. Himmel und Erde stehen ihr bei. Die Adlerflügel sind Symbol für Gottes Schutz. Auch die Erde tritt ein für die Frau, indem sie sich öffnet, um den verderblichen Wasserstrom des Drachen aufzufangen. Himmel und Erde kämpfen gegen die Macht des Bösen und der Kampf tobt immer heftiger, bis der Drache besiegt werden wird. Von diesem Sieg über den Drachen erfahren wir einige Kapitel später und dieser Sieg wird dann den Weg öffnen für Gottes neues Wohnen unter den Menschen.
Noch aber ist die Geschichte bestimmt vom Toben des Satans. Das ist die Weltdeutung der Offenbarung des Johannes. Der Drache zieht die Mächtigen der Erde auf seine Seite. Sie kämpfen mit ihm gegen die Gerechten. Doch Gottes Kinder, die Kinder der Mutter der Glaubenden, die Kinder Mariens brauchen nichts zu fürchten. Die Mutter hat ihnen gezeigt, wie sie im Kampf bestehen können. Die Mutter hilft ihren Kindern.
Als Glaubende sind wir Kinder Mariens und Maria ist unsere Mutter. Dieser Glaube ist zutiefst biblisch. Gott hat uns Maria zur Mutter gegeben. Maria war ein Mensch wie wir. Darum kann sie uns zeigen, wie wir als Gottes Kinder in dieser Welt leben können. Als Mutter kümmert sie sich um ihre Kinder. Wir vertrauen uns ihrer Fürsprache und ihrem Schutz an.

Maria, Mutter, schau auf die ganze Menschheit, auf unsere moderne Welt, in die uns Gottes Ratschluss hineingestellt hat! Es ist eine Welt, die Christus, dem wahren Licht, den Rücken kehrt. Nun zittert und stöhnt sie unter dem selbst geschaffenen, gefahrvollen Dunkel. Deine milde, mütterliche Stimme möge sie hinführen zum wahren Leben und Licht der Menschheit. Du schönste Jungfrau, du würdigste Mutter, du begnadete von allen Frauen! Sei ihnen Leitstern, der zu Christus führt, dem einzig höchsten Licht der Welt! Erflehe ihr das Wissen vom wahren Sinn des Daseins! Den Leidenden erflehe Trost, den Toten das ewige Leben! Zeige dich als Mutter! Lass uns alle erfahren, dass du uns Mutter bist! Darum bitten wir dich, du gütige, milde und liebe Jungfrau Maria. Amen.
Papst Paul VI.