Matthäus 21,33-46

Die bösen Winzer

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Heilige Schrift
Hört noch ein anderes Gleichnis: Es war ein Gutsbesitzer, der legte einen Weinberg an, zog ringsherum einen Zaun, hob eine Kelter aus und baute einen Turm. Dann verpachtete er den Weinberg an Winzer und reiste in ein anderes Land. (Mt 21,33)

Jesus erzählt ein weiteres Gleichnis mit einem Bild, das alle Menschen damals wie heute verstehen können. Ein Gutsbesitzer legt einen Weinberg an, umgibt ihn mit einer schützenden Mauer, baut noch einen Turm für den Wächter und eine Kelter dazu. Er tut alles notwendige, um eine gute Ernte sicherzustellen.

Er legte einen Weinberg an, und zwar jenen, von dem es bei Jesaja (5,7) heißt: Der Weinberg des Herrn der Heere ist das Haus Israel. Weiter heißt es: Er zog ringsherum einen Zaun, das meint entweder die Mauer der Stadt Jerusalem oder die Behütung durch die Engel. (Hieronymus)

Jesus spielt mit diesem Gleichnis auf das Weinberglied aus Jes 5 an. Dort spricht der Prophet ebenfalls von einem Weinbergbesitzer. Gott selbst ist dieser Besitzer und er legt einen Weinberg an und dieser Weinberg ist das Volk Israel. Auch hier tut der Besitzer alles, um die Fruchtbarkeit des Weinbergs zu gewährleisten, doch anstatt süßer Trauben bringt er nur saure und faule Beeren hervor, mit denen sich kein Wein erzeugen lässt. Daraufhin lässt der Besitzer den Weinberg verkommen.
Jesaja kündigt mit seinen Worten die Zerstörung Jerusalems und das Exil in Babylon an. Für ihn ist das Unrecht der Bewohner schuld an ihrem Untergang. Die bibelkundigen Hörer des Gleichnisses Jesu, zu denen die Pharisäer und Schriftgelehrten zählten, erkannten diesen Zusammenhang sofort. Das wird auch ausdrücklich am Ende des Gleichnisses erwähnt. Wir müssen also den Worten Jesu hier höchste Bedeutung beimessen.
Anders als bei Jesaja geht es Jesus nicht um die Zerstörung des unfruchtbaren Weinbergs. Der Weinberg trägt Früchte. Im Gleichnis sind es vielmehr die vom Besitzer eingesetzten Verwalter, die ihm den Anteil an den Früchten verwehren. Das Gleichnis richtet sich also nicht an das Volk an sich. Viele aus dem Volk haben Jesus ja geglaubt. Das Gleichnis richtet sich vielmehr gegen die religiösen Führer, Pharisäer und Schriftgelehrte, die sich mit ihrem Tun Gottes Willen entgegenstellen.

Als nun die Erntezeit kam, schickte er seine Knechte zu den Winzern, um seinen Anteil an den Früchten holen zu lassen. Die Winzer aber packten seine Knechte; den einen prügelten sie, den andern brachten sie um, einen dritten steinigten sie. Darauf schickte er andere Knechte, mehr als das erste Mal; mit ihnen machten sie es genauso. Zuletzt sandte er seinen Sohn zu ihnen; denn er dachte: Vor meinem Sohn werden sie Achtung haben. Als die Winzer den Sohn sahen, sagten sie zueinander: Das ist der Erbe. Auf, wir wollen ihn töten, damit wir seinen Besitz erben. Und sie packten ihn, warfen ihn aus dem Weinberg hinaus und brachten ihn um. (Mt 21,34-39)

Der Codex Aureus zeigt die einzelnen Szenen des Gleichnisses. Zunächst ist der Besitzer des Weinbergs zu sehen, wie er seinen Weinberg Verwaltern anvertraut. Dann sehen wir, wie die Verwalter die Diener des Gutsherrn umbringen und hinauswerfen. Das dritte Bild zeigt, wie der Gutsbesitzer seine Sohn sendet (links) und wie dieser ebenfalls von den Winzern umgebracht wird (rechts).
Es sind grausame Bilder. Vielleicht haben wir uns daran gewöhnt. Wir kennen das Gleichnis. Aber versuchen wir einmal, diese Brutalität der Winzer auf uns wirken zu lassen. Sie töten in ihrer Gier mehrere Menschen, zunächst die Diener und dann auch noch den Sohn des Gutsbesitzers. Sie gebaren sich in ihrem Weinberg wie Diktatoren, die niemandem Rechenschaft schuldig sind und von niemand zur Verantwortung gezogen werden können. Doch in Wahrheit ist ihre Macht sehr begrenzt.

Wenn nun der Besitzer des Weinbergs kommt: Was wird er mit solchen Winzern tun? Sie sagten zu ihm: Er wird diesen bösen Menschen ein böses Ende bereiten und den Weinberg an andere Winzer verpachten, die ihm die Früchte abliefern, wenn es Zeit dafür ist. (Mt 21,33-41)

Die Bosheit der Winzer hat keinen dauerhaften Erfolg. Der Besitzer des Weinbergs wird selbst kommen, und für Gerechtigkeit sorgen. Gegen ihn sind sie machtlos. Ihn können sie nicht töten und hinauswerfen wie die anderen. Ein böses Ende wartet auf sie. Es bleibt dem Leser überlassen, sich das im Detail vorzustellen. Sie werden nun selbst - ob tot oder lebendig wissen wir nicht - aus dem Weinberg geworfen und die Verantwortung dafür wird anderen anvertraut, die den Willen des Besitzers erfüllen.
Jesus meint mit diesem Gleichnis zunächst die religiösen Führer der Juden. Die Propheten haben bereits die falsche Frömmigkeit vieler religiöser Führer ihrer Zeit kritisiert. Man hat auf sie nicht gehört, sie zwar nach ihrem Tod glorifiziert, aber dennoch nicht den Ernst ihrer Botschaft wahrgenommen. Jesus ist als Sohn Gottes der letzte Gesandte. Dann wird Gott als Herr seines Volkes selbst kommen und nach dem Rechten sehen.
Das Gleichnis ist aber nicht nur an die religiösen Führer der Juden zur Zeit Jesu gerichtet. Es geht uns alle an, weil jeder Gläubige eine Verantwortung hat im Weinberg des Herrn und jeder einzelne wird darauf geprüft, ob er dieser Verantwortung gerecht geworden ist.
Das Gleichnis zeichnet ein Bild von dem, wozu Menschen in ihrer Gier fähig sind. Immer wieder neigen die Menschen dazu, mehr haben zu wollen, zusammenzuraffen, den eigenen Vorteil zu suchen auf Kosten der Schwächeren. Ja selbst Glaube und Kirche werden immer wieder von Heuchlern missbraucht, die versuchen, unter dem Schein der Frömmigkeit Profit zu machen.
Doch wir brauchen nicht nur auf die großen Delikte sehen. Dann hätte uns das Gleichnis ja vielleicht nicht viel zu sagen. Wenn wir es recht bedenken, ist doch alles, was wir haben, uns nur anvertraut. Die Erde hat Gott geschaffen und dem Menschen übergeben. Der Mensch soll sie verantwortungsvoll nutzen. Vor allem soll er nicht vergessen, dem Schöpfer seinen Anteil zu geben.
Die Menschen früherer Zeiten haben Gott Opfer von den besten Erträgen der Ernte gebracht. Wir wissen, dass Gott keine Nahrung von uns braucht. Was aber Gott von uns will ist, dass wir uns immer bewusst sind, dass alles, was wir haben, letztlich ein Geschenk von ihm ist. Er möchte, dass wir ihm dafür Ehre und Dank erweisen. Der Dank an Gott geht soweit, dass wir bereit sein müssen, ihm alles wieder zu geben. Er wird es uns ja nicht nehmen, sondern uns noch viel mehr dafür schenken. Doch wir wollen festhalten, anstatt loszulassen und riskieren dadurch, alles zu verlieren.
In seinem Roman Las Casas vor Karl V. zeigt Reinhold Schneider, wie die Menschen zur Zeit der spanischen Eroberungen in Südamerika von der Gier nach Reichtümern so besessen waren, dass sie schier über Leichen gingen. Um die Schätze Westindiens auszuplündern, war ihnen jedes Mittel recht. Schlimm ist auch, dass dies alles unter dem Deckmantel der angeblichen Bekehrung der Indios geschah. Doch wie wollen die, die selbst den Glauben nur nach Schein und eigenem Gutdünken und nicht gemäß Gottes Willen leben, andere bekehren? Sehr tief geht daher das Wort Reinhold Schneiders am Ende seines Romans und ich meine, dass es für die Menschen aller Zeiten gilt und auch teilweise das trifft, was uns Jesus im heutigen Gleichnis sagen will:

Daran liegt es ja nicht, dass wir die Welt mit dem Kreuze durchdringen; sondern es liegt alles daran, dass wir über unserer Mühe von ihm durchdrungen werden.

Selbst von der Kraft des Kreuzes durchdrungen werden. Jesus nachfolgen auf seinem Weg, der nicht irdische Herrschaft sondern Dienst am Menschen bedeutet und Hingabe an den Willen des Vaters bis zum Äußersten.

Und Jesus sagte zu ihnen: Habt ihr nie in der Schrift gelesen: Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, er ist zum Eckstein geworden; das hat der Herr vollbracht, vor unseren Augen geschah dieses Wunder? Darum sage ich euch: Das Reich Gottes wird euch weggenommen und einem Volk gegeben werden, das die erwarteten Früchte bringt. Und wer auf diesen Stein fällt, der wird zerschellen; auf wen der Stein aber fällt, den wird er zermalmen.
Als die Hohenpriester und die Pharisäer seine Gleichnisse hörten, merkten sie, dass er von ihnen sprach. Sie hätten ihn gern verhaften lassen; aber sie fürchteten sich vor den Leuten, weil alle ihn für einen Propheten hielten. (Mt 21,42-46)

Als Jesus das Gleichnis erzählt hat, hatte er zunächst alle auf seiner Seite, doch mit seiner Folgerung aus dem Gleichnis brüskiert er die Menschen. Nie sucht Jesus mit seinen Worten den Beifall der Zuhörer. Er ist kein Demagoge, der den Leuten nach dem Mund redet. Immer kommt eine Pointe, die ganz anders ist, als die Leute es erwartet hätten. Hier sagt er seinen Zuhörern ins Gesicht, dass sie selbst diese bösen Winzer sind, deren Verurteilung sie so freimütig zugestimmt haben.
Sie haben das Reich Gottes zur Verwaltung von Gott anvertraut bekommen, aber sie haben aus dem Reich Gottes ihr eigenes Reich gemacht. Sie sind nicht mehr bereit, sich von Gottes Geboten führen zu lassen, sondern haben die Gebote Gottes nach ihren eigenen Vorstellungen verändert. Daher wird Gott kommen und sein Reich anderen anvertrauen.