Es war vor dem Paschafest. Jesus wusste, dass seine Stunde gekommen war, um aus dieser Welt zum Vater hinüberzugehen. Da er die Seinen, die in der Welt waren, liebte, erwies er ihnen seine Liebe bis zur Vollendung. Es fand ein Mahl statt, und der Teufel hatte Judas, dem Sohn des Simon Iskariot, schon ins Herz gegeben, ihn zu verraten und auszuliefern. Jesus, der wusste, dass ihm der Vater alles in die Hand gegeben hatte und dass er von Gott gekommen war und zu Gott zurückkehrte, stand vom Mahl auf, legte sein Gewand ab und umgürtete sich mit einem Leinentuch. Dann goss er Wasser in eine Schüssel und begann, den Jüngern die Füße zu waschen und mit dem Leinentuch abzutrocknen, mit dem er umgürtet war. (Joh 13,1-5)
Jesus zeigt seine Liebe - und doch herrscht in seiner nächsten Umgebung Unfrieden. Da ist Judas Iskariot, der ihn verraten wird, da sind die Jünger, unter denen es während des Mahls zum Streit kommt, wer der Größte unter ihnen ist.
Ist nicht die Liebe zum Scheitern verurteilt? Wer es gut mit anderen meint und für sie da ist, der wird leicht ausgenutzt. Wer im Stillen treu seine Pflicht erfüllt, der wird leicht übergangen. Es zählt mehr der Schein als das Sein. Wer sich durchsetzten kann, bekommt was er will. Was zählt da noch Liebe, wenn die Macht über die Liebe triumphiert? Wer kann das heute leben, was Jesus gepredigt hat, wenn es damals nicht einmal die Apostel geschafft haben? Muss der Lohn für die Liebe bis zum Jüngsten Tag warten, während sie jetzt nur Nachteile bringt?
Wir könnten verzweifeln, wenn wir tagtäglich mitbekommen, wie ungerecht es in dieser Welt zugeht. Sind die Sanftmütigen nicht die letzten Dummen, die es endlich auch kapieren sollten, dass man so nicht weiterkommt? Wer herrschen will, muss stark sein und wer Schwäche zeigt, taugt nur zum Dienen. Das ist das Gesetz dieser Welt. Doch Christus kehrt dieses Gesetz um:
Die Allmacht neigt sich zu den schmutzigen Füßen, weil die Menschen die verbildeten Köpfe zu hoch tragen.
Reinhold Stecher
Unmittelbar bevor Jesus sich auf seinen Leidensweg begab, hat er seinen Jüngern die Füße gewaschen und ihnen seinen Leib und sein Blut als Speise und Trank gereicht.
Beide Akte gehören zusammen, beide bekunden sie Gottes Entschlossenheit, uns die ganze Fülle seiner Liebe zu zeigen.
Jesus will, dass auch unsere Liebe so total, so radikal und so vollendet ist wie die seine.
Henri Nouwen