Römerbrief 3,21-4,25

Glaube und Gesetz

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Jetzt aber ist unabhängig vom Gesetz die Gerechtigkeit Gottes offenbart worden, bezeugt vom Gesetz und von den Propheten: die Gerechtigkeit Gottes durch Glauben an Jesus Christus, offenbart für alle, die glauben. Denn es gibt keinen Unterschied: Alle haben ja gesündigt und die Herrlichkeit Gottes verloren. Umsonst werden sie gerecht, dank seiner Gnade, durch die Erlösung in Christus Jesus. (Röm 3,21-24)

Im vorangegangen Abschnitt hat Paulus ausführlich dargelegt, dass weder Juden noch Heiden vor Gott gerecht sind. Die Heiden haben sich, obwohl sie Gott anhand der Schöpfung hätten erkennen können, nichtigen Göttern zugewandt. Die Juden aber können nicht gerecht werden, weil sie nicht in der Lage sind, das Gesetz zu halten. Obwohl sie von Gott in besonderer Weise erwählt sind, nutzt ihnen diese Erwählung letztlich nichts, weil sie ihr nicht entsprechen können.
Gott aber hat aus diesem Dilemma einen Ausweg geschaffen, nämlich indem er selbst die Gerechtigkeit schenkt, die der Mensch nicht in der Lage ist, durch eigene Anstrengung zu erlangen. Diese Gerechtigkeit Gottes kommt aus dem Glauben an Jesus Christus und ist ein Geschenk der Gnade Gottes. Als Beispiel für die Gerechtigkeit aus dem Glauben führt Paulus Abraham an. Paulus gebraucht in den folgenden Kapiteln sein ganzes rednerisches Geschick und geballtes theologisches und philosophisches Denken, um genau diese These der Gerechtigkeit aus dem Glauben in Unabhängigkeit vom Gesetz im Detail zu begründen.

Immer wieder ist im Römerbrief vom Glauben die Rede. Aber was heißt Glaube? Sicher kennen sie den meiner Ansicht nach ziemlich dummen Satz "Glauben heißt nicht Wissen". Da lässt sich dann aber weiter fragen: Was wissen wir wirklich? Besonders seit der Aufklärung gilt das als Wissen, was sich mathematisch-naturwissenschaftlich überprüfen und messen lässt. Wir sprechen von den Naturgesetzen, die der Mensch erforscht und sich zunutze macht. Dadurch sind dem Menschen enorme Fortschritte in der Technik möglich geworden. Heute aber erkennt auch die Wissenschaft, dass die Welt nicht so klar definiert ist, wie es sich die Wissenschaftler in der Zeit der Aufklärung gedacht haben. Vor allem mit der Quantenphysik stößt der Mensch in Bereiche vor, die erkennen lassen, dass die Welt ganz anderes ist, als wir sie mit unseren Sinnen wahrnehmen. Zeit und Raum sind keine unveränderlichen Größen. Es tun sich ganz neue Perspektiven auf.
Zudem kann heute auch kein Mensch mehr dieses ungeheure naturwissenschaftliche Wissen präsent haben kann. Es gibt einzelne Spezialisten, die ihr Spezialgebiet intensiv erforschen und dieses Wissen an andere weitergeben. Somit beruhen auch die Naturwissenschaften darauf, dass wir vieles eigentlich nicht wissen und uns daher auf andere verlassen müssen. Alle Produkte, die wir im Alltag verwenden, von den Elektrogeräten über das Auto bis hin zu Medikamenten verstehen wir letztlich nicht. Wir verlassen uns auf die, die für deren Herstellung zuständig sind und gehen davon aus, dass wir mit unserem eingeschränkten Wissen diese Dinge gebrauchen können. Wir haben gelernt, mit ihnen umzugehen, auch wenn wir sie nicht verstehen. Wohl kaum einer wird aber in diesem Fall von Glauben sprechen.
Glaube bezieht sich nicht auf sichtbare, sinnlich wahrnehmbare Dinge, aber dennoch auf etwas, das real ist. Wirklichkeit ist mehr als das, was wir mit unseren Augen sehen können. Das ist eine Tatsache, die auch in den modernen Naturwissenschaften zunehmend wieder Anerkennung findet. Es war eine wissenschaftliche Engführung anzunehmen, dass das Unsichtbare weniger real ist als die sichtbaren Dinge. In unserer stark materialistisch geprägten Gesellschaft gilt aber auch heute noch, dass nur das Sichtbare, das Mess- und Zählbare wirklich ist. Wer darüber hinaus noch an etwas anderes, an eine jenseitige Welt, an Gott glaubt, darf dies zwar gerne tun, wird aber nur allzu oft belächelt und soll vor allem nicht meinen, dass er andere von einem solchen Glauben überzeugen sollte. Der Glaube ist zur Privatsache jedes einzelnen geworden, weil ausgeschlossen wird, dass ihm etwas Reales, anderen objektiv Vermittelbares und für alles Menschen Gültiges zu Grunde liegt.
Das war nicht immer so. In der griechischen Philosophie gab es eine vorherrschende Tendenz dahingehend, dass das Sichtbare nicht das Eigentliche ist, vielmehr das wirklich Seiende nicht sichtbar und nur mit dem Geist erkennbar ist. Auch in der christlichen Theologie galt mindestens bis ins Mittelalter die Überzeugung, dass geistige Erkenntnis die Sinneserkenntnis übersteigt. Dass der Mensch mit seinem Verstand auch die Dinge dieser Welt erforschen kann, galt eher als Nebenprodukt. Der Verstand ist dem Menschen von Gott gegeben, und er ist ihm vor allem dazu gegeben, dass der Mensch Gott erkennen kann.
Es galt die Überzeugung, dass Gott die existierende objektive Wahrheit ist, die für alle Menschen gültig ist und deren Existenz jeder Mensch mit seinem Verstand erkennen kann, sofern er nur diesen Verstand in rechter Weise gebraucht. Der Mensch kann Gott, der in seinem Wesen Wahrheit ist, erkennen, weil eine Ähnlichkeit zwischen Mensch und Gott besteht. Der Mensch ist Bild Gottes, nicht seinem Körper nach, sondern durch den Verstand, mit dem er Gott erkennen kann. Da der Mensch aber irdisch ist, ist ihm diese Erkenntnis Gottes nicht in ihrer Fülle möglich. Erst nach dem Tod wird Gott dem Menschen schenken, ihn zu schauen, wie er ist.
Im Hebräerbrief (11,1) heißt es: Glaube ist die Substanz der Dinge, die man erhofft, Beweis für nicht Sichtbares. Das bedeutet, dass die subjektive Entscheidung für den Glauben die objektive Existenz dessen, was man glaubt, voraussetzt. Glaube ist also mehr als das subjektive Fürwahrhalten von etwas, das man nicht wissen kann. Vielmehr wird durch den Glauben die existierende objektive Wahrheit in das Leben des Einzelnen hineingenommen. Da diese Wahrheit aber die menschliche Fassungskraft übersteigt, geschieht dies nur in Teilen und nicht in ganzer Fülle. Der Verstand des Menschen ist dazu aufgefordert - und auch dazu fähig - die Wahrheit immer tiefer zu ergründen und den Willen dazu anzutreiben, das Erkannte im Leben des ganzen Menschen umzusetzen.
Dieser Glaube verändert den Menschen. Wer Gottes Wirklichkeit anerkennt, den wird diese Wirklichkeit verändern. In diesem Glauben, dieser Anerkennung Gottes, geschieht die Gerechtmachung des Menschen. Dieser Glaube aber ist nicht diffus, sondern hat ein klares Zentrum: Jesus Christus. In ihm hat Gott sich den Menschen offenbart und den Weg des Glaubens aufgezeigt.