Gerecht gemacht aus Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn. (Röm 5,1)
In den vorangegangenen Kapiteln hat Paulus bereits erläutert, was die Gerechtmachung aus Glauben bedeutet und dass diese allen zuteilwird, die an Jesus Christus glauben, sowohl Juden als auch Heiden. Er zeigt damit einen ganz neuen Heilsweg auf, den weder Juden noch Heiden bisher gekannt haben.
Gerecht sein, das war für den frommen Juden das Ziel seines Lebens und die größte Auszeichnung. So wird beispielsweise von Ijob gesagt, dass er "gerecht und gerade" war (vgl. Ijob 1,1). Gerecht wurde man durch die genaue Erfüllung des Gesetzes. Aber wer so lebte, stand vor einem Dilemma: Das Gesetz führte dem Menschen immer wieder seine Fehler vor Augen. Wer bewusst und gewissenhaft nach dem Gesetz leben wollte, erkannte immer mehr seine Sünde und entfernte sich, so sehr er sich auch anstrengen mochte, immer weiter von dem Ziel, wirklich gerecht zu sein. Hier kann nur Gott helfen und er hat es getan, indem er durch Jesus Christus die Gerechtmachung allen schenkt, die an Jesus Christus glauben.
Auch Paulus lebte bis zu seiner Bekehrung als strenger Eiferer für das Gesetz. Nach seiner Bekehrung aber versuchte er die traditionelle Auslegung des mosaischen Gesetzes und das Evangelium, das Jesus Christus gebracht hat, miteinander in Einklang zu bringen. Jesu Lehre steht ja auf dem Fundament des Gesetzes, wie er selbst sagt, dass er nicht gekommen ist, um das Gesetz aufzuheben, sondern um es zu erfüllen. Massiv stellte sich die Frage nach dem Gesetz, als sich das Christentum zu den Heiden hin öffnete. Müssen Heiden, die Christen werden möchten, das ganze jüdische Gesetz befolgen? Das Apostelkonzil in Jerusalem hat über diese Frage entschieden und man kam - unter Mitwirkung des Heiligen Geistes - zu dem Entschluss, dass dies nicht notwendig ist. Mit Jesus Christus hat Gott die Gerechtmachung allen geschenkt, die an Jesus Christus glauben, Juden und Heiden.
Aber warum bedarf es überhaupt der Gerechtmachung des Menschen? Durch den Sündenfall des Menschen im Paradies war das Verhältnis zwischen Gott und Mensch gestört worden. Die Sünde ist zwischen Gott und Mensch getreten. Dabei will die Geschichte vom Sündenfall nicht aufzeigen, dass durch Adam und Eva die Sünde in die Welt gekommen ist. An der Geschichte von Adam und Eva wird vielmehr exemplarisch aufgezeigt, was im Leben jedes Menschen immer wieder geschieht. Der Mensch weiß, was er tun sollte, wird aber in der Versuchung schwach und entscheidet sich gegen das Gebot Gottes. Die Geschichte vom Sündenfall steht für Tendenz aller Menschen, eher das Böse als das Gute zu tun. Adam ist das Bild für den Menschen, der in Sünde lebt, das Bild für die Menschheit bis zum Kommen Jesu Christi.
Der Mensch wird bereits in eine Welt hineingeboren, in der die Sünde herrscht und zugleich macht er sich durch seine eigene, freie und bewusste Abwendung von Gott von einem Freund Gottes zu seinem Feind. Es war dem Menschen nicht möglich, von sich aus die Freundschaft mit Gott wiederherzustellen. In seiner übergroßen Liebe zu uns Menschen hatte Gott aber den Plan zu unserer Rettung und hat seinen Sohn Jesus Christus in die Welt gesandt, um uns mit Gott zu versöhnen und den Frieden mit Gott wiederherzustellen.
In seinem Leben hat Jesus Christus von der Liebe Gottes Zeugnis gegeben und hat diese Liebe bis in den Tod hinein bezeugt. In der Auferweckung Jesu Christi hat Gott gezeigt, dass seine Liebe stärker ist als Sünde und Tod. Christus, das Lamm Gottes, hat alle Sünde der Welt auf sich genommen und sie an das Kreuzesholz getragen. Gott selbst hat in Christus das gestörte Verhältnis zwischen Gott und Mensch wieder in Ordnung gebracht, hat die Gerechtigkeit, das rechte Verhältnis zwischen Gott und Mensch wieder hergestellt.
Somit wird deutlich, dass sich der Mensch nicht selbst erlösen kann, sondern die Erlösung und Wiederherstellung der Gerechtigkeit ganz Geschenk Gottes ist. Der Segen, der uns durch die Erlösung zuteilwird, wird auf wunderbare Weise im Exsultet der Osternacht gepriesen:
O unfassbare Liebe des Vaters: um den Knecht zu erlösen, gabst du den Sohn dahin!
O wahrhaft heilbringende Sünde Adams, du wurdest uns zum Segen, da Christi Tod dich vernichtet hat.
O glückliche Schuld, welch großen Erlöser hast du gefunden.
Die Sünde des Menschen hat zwar das Verhältnis zwischen Mensch und Gott gestört, aber sie hat Gottes Liebe zum Menschen nicht ausgelöscht. Gott ist ja in seinem Wesen Liebe und kann nicht anders als lieben. Der scheinbare Triumph des Teufels, der den Menschen zur Sünde verführt hat, wurde zu seiner größten Niederlage. Gott hat in seiner Liebe beschlossen, selbst Mensch zu werden und den Menschen so auf wunderbare Weise zu erneuern. Durch die Erlösungstat Jesu Christi sind wir, von Gott gerecht gemacht, zu Freunden Gottes geworden. Das ist das neue Leben der Christen. Es zeigt sich in dem Frieden, den wir nun mit Gott haben. Vorher war der Mensch ein Feind Gottes und Feindschaft bedeutet Krieg. In seiner Sünde stellte sich der Mensch feindlich gegen Gott. Nun ist der Mensch Gottes Freund und Freundschaft bedeutet Frieden.
Durch ihn haben wir auch den Zugang zu der Gnade erhalten, in der wir stehen, und rühmen uns unserer Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes. (Röm 5,2)
Durch Christus haben wir Zugang zur Gnade erhalten, zur ungeschaffenen Gnade Gottes die nichts anderes ist als seine Liebe. Wenn wir Freunde Gottes sind, kann Gott seine Liebe über uns ausgießen. Diese Liebe ist ganz Geschenk Gottes und wir können sie nur empfangen, wenn wir sie als Geschenk annehmen. Das ist nur möglich, wenn wir nicht unsere Verdienste suchen, sondern wirklich bereit sind, uns beschenken zu lassen. Therese von Lisieux sagt:
Der liebe Gott hat viel Liebe zu verschenken, aber er kann es nicht. Jeder präsentiert ihm seine Verdienste, und das ist so wenig ...
Um Gott eine Freude zu machen stellt sich die kleine Therese daher vor Gott hin und sagt:
Gib mir diese Liebe! Ich bin damit einverstanden, Opfer der Liebe zu sein, das heißt alle Liebe zu empfangen, welche die anderen nicht annehmen, weil sie nicht zulassen, dass du sie liebst, wie du es möchtest.
Opfer der Liebe sein ... Wer kann fassen, was dies bedeutet, ein unergründliches Geheimnis. Nur so viel sei dazu gesagt, dass das Annehmen der Liebe Gottes eben kein Spaziergang ist, sondern auf einen engen, steinigen Weg führt. Liebe zu Gott ist Feindschaft mit der Welt. Die Liebe Gottes führt zum Kampf. Seine Liebe hat Gott ans Kreuz gebracht. Dieses "Risiko" besteht auch für jeden, der sich auf die Liebe Gottes einlässt. Daher schrecken so viele vor ihr zurück. Auch Paulus spricht von der Bedrängnis, in die die Liebe Gottes führt.