Da antwortete der Herr dem Ijob aus dem Wettersturm und sprach: Wer ist es, der den Ratschluss verdunkelt mit Gerede ohne Einsicht? Auf, gürte deine Lenden wie ein Mann: Ich will dich fragen, du belehre mich!
Wo warst du, als ich die Erde gegründet? Sag es denn, wenn du Bescheid weißt! Wer setzte ihre Maße? Du weißt es ja. Wer hat die Messschnur über sie gespannt? Wohin sind ihre Pfeiler eingesenkt? Oder wer hat ihren Eckstein gelegt, als alle Morgensterne jauchzten, als jubelten alle Gottessöhne? (Ijob 38,1-7)
Lange hat Ijob gerufen, hat seine Gerechtigkeit gegenüber den Freunden verteidigt, scheinbar vergebens. Seine zunächst unpersönliche Klage hat sich dann an Gott gewendet, den er schließlich direkt mit "Du" angesprochen hat. Nun antwortet Gott dem Ijob. Gott lässt mit sich reden. Aber seine Antwort fällt anders aus als erwartet. Er lässt sich nicht auf die vorangegangenen Diskussionen ein, liefert keine neuen Argumente im Streit der Freunde. Vielmehr zeigt er seine Größe und Andersheit, an die der Mensch nicht heranreicht.
Gott kommt im Wettersturm daher und zeigt sich als Herr der Welt, als ihr Schöpfer und Erhalter. Er allein kennt ihre Geheimnisse. Vom Gefüge der Welt als ganzer bis hin zum kleinsten ihrer Lebewesen hält er alles in seinen Händen. Er besitzt die Macht über die Kräfte der Natur, denen der Mensch hilflos ausgeliefert ist. Er bändigt die Ungeheuer, mit denen sich der Mensch im Kampf nicht messen sollte. Nicht in den Büchern, nicht in der Gelehrsamkeit, allein in der Kraft der Natur ist Gott zu finden. Das scheint das Fazit der Reden Gottes im Buch Ijob zu sein.
Ist das alles? Fragen wir vielleicht enttäuscht. Da haben gelehrte Männer stundenlang über die Frage der Gerechtigkeit nachgedacht, die Frage, wie der Mensch vor Gott steht und dann antwortet Gott nicht etwa in einer von Weisheit strotzenden Rede, sondern erzählt von den Kräften der Natur und Ungeheuern.
Waren den Menschen früherer Zeiten die Gesetze der Natur noch weitgehend unbekannt, so haben wir heute ein Wissen über die Entstehung des Universums, unserer Erde, der Entwicklung des Lebens auf der Erde, des Laufs der Gestirne und der Phänomene des Wetters wie keine Generation vor uns. Zwar gibt es immer noch viele Rätsel, der Mensch weiß zwar um die Bausteine des Lebens, kann selbst aber (noch) kein Leben erschaffen, weiß um die Zusammenhänge der Natur, kann aber das Wetter und Klima nicht beeinflussen, außer dass er die Natur zerstört und den Klimawandel durch Verschmutzung vorantreibt. Aber das Wissen der Menschheit wächst weiter.
Der Mensch streckt seine Hand nach den Sternen aus und ist ihnen näher gekommen als je zuvor. Was zählt da für ihn ein Gott, der von den Säulen der Erde, den Kammern des Schnees und der Kraft der Tiere redet. Der Mensch hat die Natur entweder gezähmt oder zerstört und wenn sie sich doch noch gegen den Menschen erhebt, dann nicht, weil sie Vollstrecker des göttlichen Strafgerichtes ist, sondern weil sich manche ihrer Kräfte einfach (noch) nicht vom Menschen steuern lassen.
Aber doch sind wir auch heute noch offen für die beeindruckende Wirkung der Natur. Wir fühlen uns anders, wenn wir die enge Stadt verlassen und die saubere Luft des Waldes atmen, wenn wir auf einem Berg stehen und die Weite um uns herum auf uns wirken lassen, wenn wir am Ufer des Meeres die Wogen betrachten und die Brise der See uns umfängt. Es gibt sie auch heute noch, jene mystischen Momente, in denen Gott uns nahe kommt mit einer Kraft, die wir uns nicht erklären können.
Auch in der Physik hat man erkannt, dass die Gesetze Newtons nur eine Erklärung für die Naturphänomene sind, dass sie aber Teil viel größerer Naturgesetze sind, die wir heute noch nicht kennen. Wissenschaftler suchen nach der Weltformel, nach dem Gottesteilchen (das aber nur so heißt, weil man eine Entdeckung medienwirksam verkaufen wollte und nicht, weil es irgendetwas mit Gott zu tun hätte) und stoßen auf immer neue Fragen, was die Erklärung der Wirklichkeit angeht.
Es gibt auch heute noch Geheimnisse, über die wir staunen, und irgendwie merken wir, dass die rein auf das Materielle reduzierte Welt nicht alles sein kann. Aber führt uns das zu Gott? Lassen sich diese Geheimnisse vielleicht irgendwann mit einer Formel erschließen, die Gott auch hier unnötig macht, vielleicht auch in der Erklärung dessen, wie unserer Welt entstanden ist (heute müssen seriöse Wissenschaftler immer noch zugeben, dass sie die Entstehung des Universums zwar bis ganz nah an jenen Moment des sogenannten Urknalls zurückverfolgen können, jener erste Moment der Entstehung des Universums aber weiterhin ein großes Rätsel bleibt).
Gott finden wir nicht in den Weiten des Universums. Aber bedeutet, dass da draußen kein Gott ist auch, dass es ihn nicht gibt? Wenn Gott aber in uns ist, ist er dann nicht nur ein Produkt des Bewusstseins? Vielleicht das Produkt des Denkens vieler oder gar ein Produkt der Kräfte des Universums, die sich eben nicht nur in der für uns sichtbaren Materie zeigen.
Gottes Rede mag uns heute nicht mehr überzeugen, aber die Fragen des Buches Ijob sind bis heute aktuell geblieben und wir dürfen darauf vertrauen, dass Gott uns auch heute eine Antwort geben wird, wenn wir - wie Ijob - rechtschaffen vor ihn treten und mit ihm über unsere Fragen streiten. Gott lebt und seine Kraft zeigt sich auch heute. Auch wenn wir heute sein Wirken nicht mehr an den Kräften der Natur messen, so können wir es doch an uns erfahren und in der Welt, wenn bei all dem Leiden, bei allen Katastrophen, bei all dem Bösen, das täglich geschieht, doch immer wieder das Gute zum Durchbruch kommt und sich Raum schafft und das Licht über die Finsternis siegt.
Und so erkennen vielleicht auch wir, wie am Ende Ijob:
Da antwortete Ijob dem Herrn und sprach: Ich habe erkannt, dass du alles vermagst. Kein Vorhaben ist dir verwehrt. Wer ist es, der ohne Einsicht den Rat verdunkelt? - Fürwahr, ich habe geredet, ohne zu verstehen, über Dinge, die zu wunderbar für mich und unbegreiflich sind. Hör doch, ich will nun reden, ich will dich fragen, du belehre mich! Vom Hörensagen nur hatte ich von dir gehört, jetzt aber hat mein Auge dich geschaut. Darum widerrufe ich. Ich bereue in Staub und Asche. (Ijob 42,1-6)