Ezechiel 2,1-3,27

Sendung Ezechiels

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Ezechiel
Er sagte zu mir: Stell dich auf deine Füße, Menschensohn, ich will mit dir reden. (Ez 2,1)

Ezechiel hat die Herrlichkeit Gottes gesehen und ist anbetend niedergefallen. Gott aber will den Menschen nicht mit seiner Größe erdrücken, sondern er will ihn aufrichten. Gott ist es, der den Menschen erhebt. Er spricht ihn an und sein Geist, der auch die Richtung des gewaltigen Thronwagens lenkt, hebt Ezechiel empor.

Als er das zu mir sagte, kam der Geist in mich und stellte mich auf die Füße. Und ich hörte den, der mit mir redete. (Ez 2,2)

Erst nachdem Gott Ezechiel durch seinen Geist emporgehoben hat, fährt er fort zu sprechen:

Er sagte zu mir: Menschensohn, ich sende dich zu den abtrünnigen Söhnen Israels, die sich gegen mich aufgelehnt haben. Sie und ihre Väter sind immer wieder von mir abgefallen, bis zum heutigen Tag. Es sind Söhne mit trotzigem Gesicht und hartem Herzen. Zu ihnen sende ich dich. Du sollst zu ihnen sagen: So spricht Gott, der Herr. Ob sie dann hören oder nicht - denn sie sind ein widerspenstiges Volk -, sie werden erkennen müssen, dass mitten unter ihnen ein Prophet war. Du aber, Menschensohn, fürchte dich nicht vor ihnen, hab keine Angst vor ihren Worten! Wenn dich auch Dornen umgeben und du auf Skorpionen sitzt, hab keine Angst vor ihren Worten und erschrick nicht vor ihrem Blick; denn sie sind ein widerspenstiges Volk. Du sollst ihnen meine Worte sagen, ob sie hören oder nicht, denn sie sind widerspenstig. (Ez 2,3-7)

Von nun an übt Ezechiel unter den Verbannten Israeliten in Babylon das Amt des Propheten aus. Es ist ein schweres Amt, das mit einer großen Verantwortung verbunden ist. Ezechiel kann sich nicht auf das verlassen, was er bisher gelernt hat. Gottes Wort ist so ganz anders, als die Erwartung der Menschen. Schon immer haben fromme Menschen versucht, Gott in ein Schema zu pressen, das ihnen angenehm ist. Doch Gott lässt sich vom Menschen nicht manipulieren und für die Interessen einzelner Gruppen einnehmen. Der Prophet muss Gottes Wort verkünden, das teilweise auch dem Denken frommer Menschen widerspricht. Gott fordert den Propheten ganz, Leben und Botschaft des Propheten werden eins. Und er muss reden, sonst macht er sich selbst schuldig. Er muss den Spott und die Widerworte seiner Zeitgenossen ertragen. Er muss reden, auch wenn er selbst manchmal das Unfassbare, das er von Gott zu hören bekommt, nicht verstehen kann.
Gottes Wort ist auch heute noch wirkmächtig. Es verkündet eine Wahrheit, die dem Denken vieler Menschen zuwiderläuft. Doch wenn wir Gottes Wort lauschen, es ganz in uns aufnehmen, uns von ihm ergreifen und verwandeln lassen, dann sehen wir die Welt mit ganz neuen Augen und können verstehen, was hinter den Dingen steht. Doch dafür müssen wir uns befreien von unseren gewohnten Denkweisen und angelernten Verhaltensmustern. Nur wenn wir ganz neu lernen zu sehen und zu hören kann uns Gottes Wort mit all seiner Kraft ergreifen.

Du aber, Menschensohn, höre, was ich zu dir sage. Sei nicht widerspenstig wie dieses widerspenstige Volk! Öffne deinen Mund und iss, was ich dir gebe. Und ich sah: Eine Hand war ausgestreckt zu mir; sie hielt eine Buchrolle. Er rollte sie vor mir auf. Sie war innen und außen beschrieben und auf ihr waren Klagen, Seufzer und Weherufe geschrieben. (Ez 2,8-10)

Gottes Wort wird Ezechiel zur Nahrung, ähnlich wie es auch bei Jeremia ist (vgl. Jer 15,16). Gottes Wort ist Stärkung, aber zugleich auch Herausforderung. Es ist keine leichte Kost, sondern manchmal auch schwer verdaulich. Es sind harte Worte darunter, die einem den Magen verderben, aber auch Worte des Heils, die süß wie Honig sind. Doch wie immer Gottes Wort ist, es fordert eines: Entschiedenheit.

Er sagte zu mir: Menschensohn, iss, was du vor dir hast. Iss diese Rolle! Dann geh und rede zum Haus Israel! Ich öffnete meinen Mund und er ließ mich die Rolle essen. Er sagte zu mir: Menschensohn, gib deinem Bauch zu essen, fülle dein Inneres mit dieser Rolle, die ich dir gebe. Ich aß sie und sie wurde in meinem Mund süß wie Honig. Er sagte zu mir: Geh zum Haus Israel, Menschensohn, und sprich mit meinen Worten zu ihnen! Nicht zu einem Volk mit fremder Sprache und unverständlicher Rede wirst du gesandt, sondern zum Haus Israel, auch nicht zu vielen Völkern mit fremder Sprache und unverständlicher Rede, deren Worte du nicht verstehst. Würde ich dich zu ihnen senden, sie würden auf dich hören.
Doch das Haus Israel will nicht auf dich hören, es fehlt ihnen der Wille, auf mich zu hören; denn jeder vom Haus Israel hat eine harte Stirn und ein trotziges Herz. Ich aber mache dein Gesicht ebenso hart wie ihr Gesicht und deine Stirn ebenso hart wie ihre Stirn. Wie Diamant und härter als Kieselstein mache ich deine Stirn. Fürchte sie nicht, erschrick nicht vor ihrem Blick; denn sie sind ein widerspenstiges Volk. Er sagte zu mir: Menschensohn, nimm alle meine Worte, die ich dir sage, mit deinem Herzen auf und höre mit deinen Ohren! Geh zu den Verschleppten, zu den Söhnen deines Volkes, und ob sie hören oder nicht, sprich zu ihnen und sag zu ihnen: So spricht Gott, der Herr.
Da hob mich der Geist empor und ich hörte hinter mir ein Geräusch, ein gewaltiges Dröhnen, als sich die Herrlichkeit des Herrn von ihrem Ort erhob, das Geräusch von den Flügeln der Lebewesen, die einander berührten, und das Geräusch der Räder neben ihnen, ein lautes, gewaltiges Dröhnen. Der Geist, der mich emporgehoben hatte, trug mich fort. Ich ging dahin, mit bitterem und grollendem Herzen, und die Hand des Herrn lag schwer auf mir. (Ez 3,1-14)

Gott sendet Ezechiel zu seinem Volk, das in der Verbannung in Babylon lebt. Es sind seine Landsleute, sie können verstehen, was er sagt, doch sie werden nicht auf ihn hören. Der Geist Gottes, der Ezechiel emporgehoben hat und ihn wunderbare Dinge hat sehen lassen, setzt ihn nun wieder auf der Erde ab. Ezechiel aber ist verstört, so sehr hat ihn dieses Geschehen ergriffen. Ein Mensch kann nicht in den Himmel blicken, ohne dass diese Schau ihn verwandelt.

So kam ich zu den Verschleppten, [die am Fluss Kebar wohnten,] die in Tel-Abib wohnten, und ich saß dort sieben Tage lang verstört mitten unter ihnen. (Ez 3,15)

Der eingangs genannte Ansiedlungsort der Israeliten in Babylon wird hier durch die Ortsangabe Tel-Abib präzisiert. Das meint im Akkadischen etwa "Flut-(Ruinen)hügel", was vielleicht auf eine durch Überschwemmung zerstörte Stadt hinweist, die durch die Exilsgemeinde wiederaufgebaut werden musste. Tel bedeutet Ruinenhügel, Abib aber hat Anklänge an das Hebräische Aviv, das Frühling, Frühjahrsfrucht bedeutet. Somit steckt in dem Wort ein Anklang an den Neuanfang, der nach dem Untergang mit dem Exil in Babylon beginnt. Als zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Juden wieder nach Israel zurückkehren konnten, griff man diesen Gedanken auf und der Name der heute größten Stadt Israels Tel Aviv geht auf den Namen der hier in Ezechiel genannten Stadt zurück.

Am Ende der sieben Tage erging das Wort des Herrn an mich: Menschensohn, ich gebe dich dem Haus Israel als Wächter. Wenn du ein Wort aus meinem Mund hörst, musst du sie vor mir warnen. Wenn ich zu einem, der sich schuldig gemacht hat, sage: Du musst sterben!, und wenn du ihn nicht warnst und nicht redest, um den Schuldigen von seinem schuldhaften Weg abzubringen, damit er am Leben bleibt, dann wird der Schuldige seiner Sünde wegen sterben; von dir aber fordere ich Rechenschaft für sein Blut. Wenn du aber den Schuldigen warnst und er sich von seiner Schuld und seinem schuldhaften Weg nicht abwendet, dann wird er seiner Sünde wegen sterben; du aber hast dein Leben gerettet. Und wenn ein Gerechter sein rechtschaffenes Leben aufgibt und Unrecht tut, werde ich ihn zu Fall bringen und er wird sterben, weil du ihn nicht gewarnt hast. Seiner Sünde wegen wird er sterben und an seine gerechten Taten von einst wird man nicht mehr denken. Von dir aber fordere ich Rechenschaft für sein Blut. Wenn du aber den Gerechten davor warnst zu sündigen und er sündigt nicht, dann wird er am Leben bleiben, weil er gewarnt wurde, und du hast dein Leben gerettet. (Ez 3,16-21)

Ezechiel wird dem Volk als Wächter gegeben. Er zeigt die Anwesenheit Gottes auch unter den im Exil lebenden Israeliten. Er hat das Volk im Namen Gottes zu unterweisen, sie vor dem falschen Weg zu warnen und ihnen zu zeigen, was Gerechtigkeit bedeutet. Nach dieser Gerechtigkeit Gottes sollen die Menschen ihr Leben ausrichten, dann werden sie gerettet. Wer nicht auf den Propheten hört, ist selbst schuld an seinem Untergang. Auf Ezechiel aber liegt die Verantwortung, dass er Gottes Wort verkündet und die Menschen warnt. Im Zentrum des Buches in Ez 33 wird Gott erneut den Wächterauftrag an Ezechiel aussprechen.

Dann legte sich die Hand des Herrn auf mich. Er sagte zu mir: Steh auf und geh hinaus in die Ebene! Ich will dort mit dir reden. Ich stand auf und ging in die Ebene hinaus. Und siehe, dort stand die Herrlichkeit des Herrn, so wie ich sie schon am Fluss Kebar gesehen hatte, und ich fiel nieder auf mein Gesicht. Doch der Geist kam in mich und stellte mich wieder auf die Füße.
Er redete mit mir und sagte zu mir: Geh in dein Haus und schließ dich ein! Und du, Menschensohn - sie werden dich fesseln und mit Stricken binden, sodass du nicht mehr zum Volk hinausgehen kannst. Deine Zunge lasse ich dir am Gaumen kleben. Du wirst verstummen und nicht mehr ihr Mahner sein können; denn sie sind ein widerspenstiges Volk. Wenn ich aber mit dir rede, werde ich deinen Mund öffnen. Dann sag zu ihnen: So spricht Gott, der Herr. Wer hören will, der höre, wer nicht hören will, der lasse es; denn sie sind ein widerspenstiges Volk. (Ez 3,22-27)

Erneut kommt der Geist Gottes über Ezechiel. Er fällt nieder, doch wieder ist es der Geist, der ihn aufrichtet und er hört Gottes Wort. Wenn man diese Worte liest, merkt man, wie sehr das Wort Gottes Ezechiel fordert. Ezechiel soll reden, soll Wächter sein, aber nicht immer. Sein Mund wird auch verschlossen sein, seine Zunge gefesselt, dann wird er nicht mehr sprechen können, bis Gott seinen Mund erneut öffnet. Aber selbst wenn er stumm ist, wird Ezechiel mit Zeichenhandlungen dem Volk eine Mahnung sein. Was dies bedeutet, zeigt uns das folgende Kapitel.