Ezechiel 4-24

Sprüche gegen Jerusalem

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Du, Menschensohn, nimm dir einen Lehmziegel, leg ihn vor dich hin und ritze eine Stadt darauf ein [nämlich Jerusalem]! Belagere sie; bau ihr gegenüber einen Belagerungswall; schütte einen Damm gegen sie auf; leg vor ihr ein Truppenlager an und stell gegen sie ringsum Sturmböcke auf! Nimm eine Eisenplatte und stell sie als eiserne Mauer zwischen dich und die Stadt! Richte dein Gesicht auf die Stadt: Nun ist sie belagert und du belagerst sie. Das ist ein (warnendes) Zeichen für das Haus Israel. (Ez 4,1-3)

Diese Verse machen deutlich, worum es im Buch Ezechiel geht: Jerusalem, das nach der ersten Eroberung geschwächt zurückgelassen wurde, wird erneut erobert werden und dabei werden Stadt und Tempel gänzlich zerstört werden. Durch viele Worte und Zeichen macht Gott durch den Propheten das drohende Unheil deutlich. Es geschieht, was niemand bisher für möglich gehalten hätte, Gott verlässt seinen Tempel und entzieht so der Stadt seinen Schutz (Ez 8-11). Schuld daran ist die Ungerechtigkeit und der Götzendienst der Bewohner Jerusalems, die lieber auf die falschen Propheten hören als auf Gottes Wort.
Der Prophet schildert Jerusalem als unnützes Holz vom Weinstock (Ez 15) und als treulose Frau (Ez 16). Ez 17 ist ein Lied von der Untreue des Königs. Der König wird verglichen mit einem Zedernspross. Ihr Hochmut hat die Könige Judas zu Fall gebracht, doch Gott wird einen neuen Herrscher einsetzen.

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Ezechiel
So spricht Gott, der Herr: Ich selbst nehme ein Stück vom hohen Wipfel der Zeder und pflanze es ein. Einen zarten Zweig aus den obersten Ästen breche ich ab, ich pflanze ihn auf einen hoch aufragenden Berg. Auf die Höhe von Israels Bergland pflanze ich ihn. Dort treibt er dann Zweige, er trägt Früchte und wird zur prächtigen Zeder. Allerlei Vögel wohnen darin; alles, was Flügel hat, wohnt im Schatten ihrer Zweige.
Dann werden alle Bäume auf den Feldern erkennen, dass ich der Herr bin. Ich mache den hohen Baum niedrig, den niedrigen mache ich hoch. Ich lasse den grünenden Baum verdorren, den verdorrten erblühen. Ich, der Herr, habe gesprochen, und ich führe es aus. (Ez 17,22-24)

Das 17. Kapitel des Buches Ezechiel beschreibt in einer Vision die Geschichte Israels zur Zeit des Babylonischen Exils. Unter König Nebukadnezar gewannen die Neubabylonier die Vorherrschaft über Syrien / Palästina. König Nebukadnezar ist der Adler, der den Wipfel der Zeder (die Oberschicht des Königreichs Juda) vom Libanon (dem Königreich Juda) in die Stadt der Händler (Babylon) trägt. Juda hätte die Möglichkeit gehabt, als Vasallenstaat unter der Herrschaft Nebukadnezars weiter zu bestehen, doch man kündigt dieses Verhältnis auf und wendet sich an Ägypten (den anderen Adler). Die Ägypter aber sind keine Hilfe. Vielmehr erregt der Abfall Judas von König Nebukadnezar dessen Zorn, was zur endgültigen Eroberung Judas und Jerusalems und zur Deportation eines Großteils der Bevölkerung nach Babylon führt.
Doch der Niedergang Judas und Jerusalems ist nicht endgültig. Hier setzt die Vision ein, die wir in der heutigen Lesung hören. Nun ist es nicht mehr ein fremder König, der einem Adler gleich den obersten Wipfel der Zeder (König und Führungsschicht Judas) verpflanzt, sondern Gott selbst. Gott pflanzt einen zarten Zweig der Zeder wieder dort ein, wo er hingehört, auf die Höhe von Israels Bergland. Und dieser Zweig wurzelt fest und gedeiht prächtig und es kommen die Vögel und wohnen darin.
Es gibt immer Hoffnung auf ein neues Wachstum. Auch wenn alles so hoffnungslos erscheint, wie die Rückkehr nach Jerusalem nach der Verschleppung nach Babylon, kann sich doch alles zum Guten wenden. Ein Vorbild für diese Hoffnung liefert uns die Kraft der Natur. Es ist bewundernswert, wie ein abgebrochener Zweig neue Wurzeln schlagen und zu einem Baum heranwachsen kann und wie aus einem Baumstumpf ein neuer Trieb hervor sprosst. Selbst wo es ausweglos erscheint, kann neues Leben erblühen.
Von dieser Hoffnung spricht auch der folgende Abschnitt:

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Ezechiel
So spricht der Herr: Ihr sagt: Das Verhalten des Herrn ist nicht richtig. Hört doch, ihr vom Haus Israel: Mein Verhalten soll nicht richtig sein? Nein, euer Verhalten ist nicht richtig. Wenn der Gerechte sein rechtschaffenes Leben aufgibt und unrecht tut, muss er dafür sterben. Wegen des Unrechts, das er getan hat, wird er sterben. Wenn sich der Schuldige von dem Unrecht abwendet, das er begangen hat, und nach Recht und Gerechtigkeit handelt, wird er sein Leben bewahren. Wenn er alle Vergehen, deren er sich schuldig gemacht hat, einsieht und umkehrt, wird er bestimmt am Leben bleiben. (Ez 18,25-28)

Ezechiel spricht seine Worte in die Zeit des Untergangs der Stadt Jerusalem. Er ist zusammen mit vielen Einwohnern der Stadt bereits in der Verbannung in Babylon, die in Jerusalem Verbliebenen werden bald folgen. Sie glauben, dass ihr Schicksal die Strafe ist für die Verfehlungen der Generation ihrer Eltern. Doch Ezechiel macht deutlich, dass es ihre eigene Schuld ist. Sie werden nicht für die Taten ihrer Eltern bestraft. Sie selbst sind es, die nicht verstanden, worauf es ankommt. Sie vertrauen auf den Gott Israels, den sie mit ihren Lippen ehren, ihr Tun aber ist ganz anders. Heimlich verehren sie auch andere Götter und missachten das Gesetz Gottes.
Ihr Denken ist verkehrt. Sie sagen sich: Gott hat Israel erwählt. Er wird Jerusalem beschützen, egal was wir tun. Wir sind Gottes auserwähltes Volk. Doch die Erwählung Gottes bedarf auch ständig ihrer Annahme durch den Menschen. Gott erwartet von seinen Erwählten ein Leben, das dieser Erwählung entspricht. Die Menschen können sich nicht auf ihr Erwähltsein verlassen. Die Erwählung zeigt sich in einem Bund zwischen Gott und dem Volk Israel. Zu diesem Bund gehören auch die Gebote. Wenn das Volk diese Gebote Gottes missachtet, läuft es Gefahr, den Status des Erwähltseins zu verlieren.
Gott ist treu, er steht zu seiner Erwählung Israels, und darum gibt er auch immer wieder die Möglichkeit der Umkehr. Wenn die Eltern gesündigt haben, haben die Kinder dennoch die Möglichkeit, es besser zu machen. Immer wenn Menschen erkennen, dass sie dem Bund mit Gott nicht entsprochen haben, schafft Gott den Raum für eine Umkehr. Wer sich aber auf sein Erwähltsein verlässt und sich bewusst immer weiter von Gottes Geboten entfernt, der läuft Gefahr, den Status der Erwählung zu verlieren.

Herr, lass mich meine Fehler erkennen,
gib mir den Mut, einzusehen, wo ich deinem Willen nicht entsprochen habe.
Gib mir die Kraft, umzukehren, die Kraft, loszulassen, was mich von dir trennt.
Du wartest stets auch mich mit deinen geöffneten Armen.
Lass mich zu dir eilen in die Arme deiner Barmherzigkeit.