Baruch 3,9-4,4

Licht und Weisheit

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Höre, Israel, die Gebote des Lebens; merkt auf, um Einsicht zu erlangen.
Warum, Israel, warum lebst du im Gebiet der Feinde, siechst dahin in einem fremden Land, bist unrein geworden, den Toten gleich, wurdest zu den Abgeschiedenen gezählt?
Du hast den Quell der Weisheit verlassen. Wärest du auf Gottes Weg gegangen, du wohntest in Frieden für immer.
Nun lerne, wo die Einsicht ist, wo Kraft und wo Klugheit, dann erkennst du zugleich, wo langes Leben und Lebensglück, wo Licht für die Augen und Frieden zu finden sind.
Wer hat je den Ort der Weisheit gefunden? Wer ist zu ihren Schatzkammern vorgedrungen?
Doch der Allwissende kennt sie; er hat sie in seiner Einsicht entdeckt. Er hat ja die Erde für immer gegründet, er hat sie mit Tieren bevölkert.
Er entsendet das Licht, und es eilt dahin; er ruft es zurück, und zitternd gehorcht es ihm. Froh leuchten die Sterne auf ihren Posten. Ruft er sie, so antworten sie: Hier sind wir. Sie leuchten mit Freude für ihren Schöpfer.
Das ist unser Gott; kein anderer gilt neben ihm.
Er hat den Weg der Weisheit ganz erkundet und hat sie Jakob, seinem Diener, verliehen, Israel, seinem Liebling. Dann erschien sie auf der Erde und hielt sich unter den Menschen auf.
Sie ist das Buch der Gebote Gottes, das Gesetz, das ewig besteht. Alle, die an ihr festhalten, finden das Leben; doch alle, die sie verlassen, verfallen dem Tod.
Kehr um, Jakob, ergreif sie! Geh deinen Weg im Glanz ihres Lichtes! Überlass deinen Ruhm keinem andern, dein Vorrecht keinem fremden Volk! Glücklich sind wir, das Volk Israel; denn wir wissen, was Gott gefällt. (Bar 3,9-4,4)

Bei diesem Text handelt es sich um ein Weisheitsgedicht, das für sich selbständig ist und als solches in das Buch Baruch integriert wurde. Weisheit ist für den gläubigen Juden gleichbedeutend mit dem Gesetz, das Gott dem Volk Israel gegeben hat. Als Christen glauben wir, dass Gottes Weisheit in Jesus Christus Mensch geworden ist. Seine Worte sind die Richtschnur für unser Leben und ihm wollen wir ähnlich werden.
Zunächst schildert das Gedicht die Situation, in der sich Israel in der Zeit der Entstehung des Textes befindet. Das Land wurde verwüstet und das Volk in die Verbannung nach Babylon geführt. Dazu kam es, weil Israel nicht der Weisheit Gottes gefolgt ist. Das folgende Lob der Weisheit wird gerahmt von der Aufforderung, dieser zu folgen, denn nur die Weisheit zeigt den Weg, auf dem "Licht für die Augen und Frieden zu finden sind" (Bar 3,14).
Der Gedanke des Lichtes kehrt in dem Text oft wieder und er ist es auch, der mich dazu angeregt hat, diese Gedanken zum Osterfest zu schreiben. Wir haben ja oben bereits gesehen, wie wichtig das Licht für die Feier der Osternacht ist, ja dass das Licht mit Christus selbst gleich gesetzt wird, wie in dem alten Text das Licht für die Weisheit Gottes steht.
Gott ist der Schöpfer des Lichtes. So hören wir es ganz am Anfang der Bibel im Schöpfungsbericht und auch hier heißt es: "Er entsendet das Licht, und es eilt dahin; er ruft es zurück, und zitternd gehorcht es ihm. Froh leuchten die Sterne auf ihren Posten." (Bar 3,33f.)
Es gibt vielleicht nichts in dieser Welt, das tiefgründiger ist als das Licht. Bis heute kann kein Mensch genau erklären, was Licht ist. Aber es ist da, und ohne Licht können wir nicht Leben. Das Licht zeigt uns die Vielfalt der Körper der Natur und macht sie leuchtend und bunt. Das Licht der Sterne erhellt die Nacht und heute liefern uns Satelliten erstaunliche Bilder von dem, was in den Tiefen des Universums geschieht. All dieses Gewaltige hat Gott geschaffen und es gehorcht seinem Befehl und er könnte das Licht der Sterne ausknipsen, wie wir eine Lampe mit dem Lichtschalter. Doch Gott lässt das Licht weiter leuchten und lässt uns dessen Geheimnisse immer tiefer ergründen. Vielleicht können wir auch den Zusammenhang zwischen Gott, seiner Weisheit, und dem Leben auf dieser Welt immer tiefer verstehen, je deutlicher uns die Geheimnisse des Lichtes offenbar werden.
Auf jeden Fall lohnt es sich, nach Gottes Weisheit zu suchen. Es gibt im Leben immer wieder Neues zu entdecken. Wir dürfen nie meinen, der Weisheit letzten Schluss ergründet zu haben. Hinter jeder Entdeckung steht ein neues Rätsel. Und je mehr wir die Geheimnisse dieser Welt entdecken, desto mehr entdecken wir auch Gott. Er will sich uns offenbaren in seiner Schöpfung und in seinem Wort, das zu uns auf Erden gekommen ist. Gott hat uns das Licht gebracht, das uns voraus leuchtet in die unergründlich scheinenden Tiefen des Universums.
Doch es bringt nichts, nach den Sternen zu greifen, wenn es in uns selbst dunkel ist. Jeder Mensch muss für sich das neue Leben entdecken, das Christus für uns bereitet hat. Dazu bedarf es keiner besonderen Fähigkeiten, keiner verborgenen Einweihungen. Jeder hat Zugang zu Gottes Licht. Das Wasser der Taufe allein genügt, um einen neuen Menschen aus uns zu machen und als solche neuen Menschen haben wir die Verantwortung, immer mehr nach dem Licht der Weisheit Gottes zu streben.
"Kehr um, ergreif sie! Geh deinen Weg im Glanz ihres Lichtes! Überlass deinen Ruhm keinem andern." (Bar 4,2f.)
Es ist eine Ehre, Anteil an Gottes Weisheit zu haben, dessen sollten wir uns stets bewusst sein. Jeder Mensch ist auserwählt, Anteil an Gottes Licht zu haben. Den Lebensweg im Glanz des Lichtes der Weisheit zu gehen, ist die Berufung jedes Menschen.