Baruch 1,1-14

Einführung

.
Das ist der Wortlaut des Buches, das Baruch, der Sohn Nerijas, des Sohnes Machsejas, des Sohnes Zidkijas, des Sohnes Hasadjas, des Sohnes Hilkijas, in Babel geschrieben hat. (Bar 1,1)

Die Überschrift nennt einen gewissen Baruch als Verfasser des gleichnamigen Buches. Dieser Baruch war selbst kein Prophet, sondern wahrscheinlich eine namhafte Persönlichkeit zur Zeit des Jeremia. Er war Begleiter und Schreiber des Propheten (vgl. Jer 32,12f.16; 36; 43,1-7; 45). Wegen seines Bezuges zu Jeremia hat das Buch Baruch seine Stellung im Kanon in unmittelbarer Nähe des Jeremiabuches. Die Septuaginta reiht es zwischen Jeremia und den Klageliedern ein, die Vulgata unmittelbar nach den Klageliedern.
Das Buch Baruch fehlt jedoch in der hebräischen Bibel. Es ist nur auf Griechisch überliefert und zählt zu den deuterokanonischen Schriften. Diese Tatsache und eine genaue Betrachtung seines Inhaltes haben dazu geführt, dass man schon sehr früh seine Entstehung im 6. Jahrhundert angezweifelt hat und es von der überwiegenden Mehrheit der Exegeten auf das 2. vorchristliche Jahrhundert datiert wird. Auch wenn das Buch Baruch somit nicht in dem suggerierten engen Zusammenhang zum Propheten Jeremia steht, so gibt es doch wie auch die Klagelieder Zeugnis davon, welch großes Andenken dieser Prophet hinterließ.
Zweifel besteht in der Wissenschaft darüber, ob es sich bei Baruch um ein einheitliches Buch handelt. Viele Exegeten gehen davon aus, dass unter dem Namen des Baruch mehrere in ihrer Entstehung voneinander unabhängige Schriften zusammengefasst wurden. Wir können es in folgende Teile gliedern:

Bar 1,1-14 - Einleitung
1.Teil 1,15-3,8 - Das Gebet der Verbannten
2.Teil 3,9-4,4 - Die göttliche Weisheit
3.Teil 4,5-5,9 - Jerusalems Klage und Hoffnung
4.Teil 6,1-72 - Der Brief des Jeremia

In der Einleitung des Buches wird uns folgende Situation geschildert:

Es war im fünften Jahr, am siebten Tag des fünften Monats, zur selben Zeit, als die Chaldäer Jerusalem eingenommen und in Brand gesteckt hatten. Baruch verlas den Wortlaut dieses Buches vor König Jojachin von Juda, dem Sohn Jojakims, und vor dem ganzen Volk, das zusammengekommen war, um die Schrift zu hören. Er las vor den königlichen Beamten und Prinzen, vor den Ältesten und dem ganzen Volk, vom Kleinsten bis zum Größten, vor allen, die in Babel am Fluss Sud angesiedelt waren.
Da weinten, fasteten und flehten sie vor dem Herrn. Dann legten sie Geld zusammen, so viel ein jeder vermochte, und sandten es nach Jerusalem an den Priester Jojakim, den Sohn Hilkijas, des Sohnes Schallums, an die übrigen Priester und an das ganze Volk, das sich mit ihm in Jerusalem befand.
Baruch selbst hatte bereits am zehnten Siwan die Geräte des Hauses des Herrn, die aus dem Tempel verschleppt worden waren, erhalten, um sie in das Land Juda zurückzubringen. Es waren jene silbernen Geräte, die König Zidkija von Juda, der Sohn Joschijas, hatte anfertigen lassen, nachdem Nebukadnezzar, der König von Babel, Jojachin aus Jerusalem verschleppt und nach Babel gebracht hatte, samt den Beamten, den Schmieden, der Oberschicht und den Bürgern des Landes.
Dazu ließen (die Spender) sagen: Hier senden wir euch Geld. Kauft dafür Brandopfer, Sündopfer und Weihrauch und bereitet Speiseopfer; bringt sie dar auf dem Altar des Herrn, unseres Gottes, und betet für das Leben des Königs Nebukadnezzar von Babel und für das Leben seines Sohnes Belschazzar, dass ihre Tage so zahlreich seien wie die Tage des Himmels über der Erde.
Uns aber verleihe der Herr Kraft und lasse unsere Augen leuchten. So werden wir leben unter dem Schutz des Königs Nebukadnezzar von Babel und unter dem Schutz seines Sohnes Belschazzar, wir werden ihnen lange Zeit dienen und Gunst vor ihnen finden. Betet auch für uns zum Herrn, unserem Gott; denn wir haben gesündigt gegen den Herrn, unseren Gott, und bis heute hat der Herr seinen Grimm und Zorn noch nicht von uns abgewendet.
Lest dann dieses Buch vor, das wir euch senden; es soll am Tag des Festes, und zwar an den Versammlungstagen, im Haus des Herrn vorgetragen werden. (Bar 1,2-14)

Nach Bar 1,2 wird das Buch Baruch zum ersten Mal im Jahr 582 v.Chr. am Jahrestag der Tempelzerstörung vor der Versammlung der nach Babylon deportierten Juden verlesen. In diesem Zusammenhang findet auch eine Geldsammlung statt. Das Geld soll zusammen mit Tempelgeräten, welche die Babylonier bei der Eroberung Jerusalems entwendet und nun den Juden zurückgegeben haben, nach Jerusalem gesandt werden, damit dort der Opferkult aufrecht erhalten werden kann. Zudem soll dabei im Tempel für das Wohl des babylonischen Königs Nebukadnezzar und seines Sohnes und auch für die Juden im Exil gebetet werden. An diesen Bericht schließt sich ein Bußgebet (Bar 1,15-3,8) an.
Wir müssen davon ausgehen, dass die hier dargestellte Situation fiktiv ist. Durch den Hinweis auf die Verbannten in Babylon soll ein Bezug zur Situation der Juden zur Entstehungszeit des Buches hergestellt werden. Das Buch ist aller Wahrscheinlichkeit nach unter Diaspora-Juden im 2. Jahrhundert v.Chr. entstanden. Wie die Juden im babylonischen Exil müssen auch diese fern vom Tempel des Herrn in Jerusalem leben, zeigen aber ihre enge Bindung an Jerusalem durch ihre reichen Spenden, die sie gleich den im Text geschilderten Juden regelmäßig überbringen.
Ihre Treue zur jüdischen Religion bringen die Diaspora-Juden zudem durch Gebet und treue Befolgung des mosaischen Gesetzes zum Ausdruck. Das Gesetz Gottes wird personifiziert in der Gestalt der Weisheit. Der zweite Teil des Buches zeigt uns diesen für das 2. vorchristliche Jahrhundert typischen Topos. Im dritten Teil werden zudem messianische Hoffnungen geschildert, wie sie im Diaspora-Judentum jener Zeit lebendig waren.
Der Brief des Jeremia ist eine eigenständige Schrift, die an den Schluss des Buches Baruch angefügt wurde. Hierbei geht es um die Gefahren, die vom heidnischen Götterkult ausgehen. Wie die Juden im babylonischen Exil, so sind auch die Diaspora-Juden diesen Gefahren ausgesetzt und müssen darin ihre Treue zum Herrn beweisen. In Form eines Traktates, einer lehrhaften theologischen Abhandlung, wird hier bewiesen, dass die von der babylonischen Bevölkerung verehrten und gefürchteten Götter, ebenso wie die Götter der Heiden im Umfeld der Diaspora-Juden, keine Gottheiten sind. Allein dem Gott Israels gebührt Verehrung und Gottesfurcht.