Klagelieder

Einführung

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Das Buch der Klagelieder umfasst fünf Lieder, die sich mit der Zerstörung Jerusalems durch die Babylonier im Jahr 587 v.Chr. beschäftigen. In Form einer Totenklage wird das traurige Schicksal Jerusalems besungen. Wie konnte es zu dieser Katastrophe kommen? Ist Jerusalem nicht Gottes auserwählte Stadt, das Haupt aller Städte des Erdkreises?
Die fünf Lieder sind klar voneinander abgegrenzt und in sich abgeschlossen. Ihr Gliederungsmerkmal ist das hebräische Alphabet mit seinen 22 Buchstaben. Die Lieder 1 bis 4 sind als Akrostichon komponiert, was bedeutet, dass jede der 22 Strophen (Lieder 1-3 dreizeilige, Lieb 4 zweizeilige Strophen) mit einem Buchstaben des hebräischen Alphabets von Aleph bis Taw beginnt. Das Lied 5 erinnert nur durch seine 22 Strophen an das Alphabet. In den Übersetzungen ist die Akrostichie nicht umsetzbar, die lateinische Vulgata hat die hebräischen Buchstaben von dem eigentlichen Text an den Anfang der jeweiligen Strophen gesetzt, um an die ursprüngliche Form zu erinnern.
In der jüdischen Tradition trägt das Buch den Namen "Echa" nach dem Klageruf "Ach!", mit dem die Lieder 1, 2 und 4 beginnen oder "Qinot", was als "Leichenklagelieder" zu übersetzen ist. Dem entspricht der Titel "Threnoi" der Septuaginta, was dann im Lateinischen als "Threni" wiedergegeben wurde. Die Vulgata hat dies dann mit "Lamentationes" übersetzt, wobei dieser Begriff nicht mehr explizit die Totenklage, sondern die Klage im Allgemeinen meint, wie es auch im deutschen Titel "Klagelieder" zum Ausdruck kommt.
In der jüdischen Tradition gehört das Buch zu den "Schriften" (Ketubim) und innerhalb dieser zu dem Block der fünf "Festrollen" (Megillot), die an den jüdischen Hauptfesten gelesen werden (Rut - Wochenfest, Hoheslied - Pesach, Kohelet - Laubhüttenfest, Klagelieder - Gedenktag der Tempelzerstörung, Ester - Purim). In der christlichen Tradition findet sich das Buch bei den Propheten direkt im Anschluss an das Buch Jeremia, was von einer alten Tradition herrührt, die den Propheten Jeremia als Sänger der Klagelieder ansieht, was in der Buchüberschrift von Septuaginta und Vulgata zum Ausdruck kommt. Erst mit dem Beginn der kritischen Exegese ab dem 18. Jahrhundert wurde diese Zuschreibung wieder in Frage gestellt. Man geht heute von einem oder mehreren aus der gebildeten Oberschicht Jerusalems stammenden Verfassern aus, die diese Lieder in den Jahren nach der Zerstörung im Jahr 587 v.Chr. niedergeschrieben haben.
In der christlichen Liturgie haben die Klagelieder ihren Platz an den letzten drei Tagen der Karwoche im nächtlichen Stundengebet (Matutin) und den Trauermetten. In den Klöstern wurden sie zunächst im einfachen gregorianischen Lektionston gesungen. Ab dem 15. Jahrhundert entstehen immer anspruchsvollere musikalische Vertonungen, von mehrstimmigen Gesängen bis hin zu Orchesterwerken. Einzelne Verse der Klagelieder finden sich in Kreuzwegandachten und bei der Betrachtung der Schmerzen Mariens. Nicht mehr der Untergang Jerusalems wird beweint, sondern das Leid, das Jesus bei seiner Kreuzigung widerfahren ist und an dem auch seine Mutter Maria Anteil nahm.