Markus 1,21-28

Der Dämon

.
Markus
Und sie ziehen nach Kafarnaum hinein. Und sofort am Sabbat kam er in die Versammlung und lehrte. Und sie waren außer Fassung über seine Lehre; denn er lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat, und nicht wie die Schriftgelehrten. (Mk 1,21-22)

In Kafarnaum ist es ein Sabbat wie jeder andere. Die frommen jüdischen Männer haben sich zum Gebet versammelt, wie es üblich ist. In der Versammlung geht es aber auch um andere Themen. Man beratschlagt sich über anstehende Probleme und diskutiert sie aus der Sicht der Religion. Dabei geben die Schriftgelehrten den Ton an. Schließlich haben sie die Heiligen Schriften studiert und fühlen sich somit kompetent, über alle Fragen der Religion zu entscheiden.
Die Schriftgelehrten waren gebildeter als der Großteil der ländlichen Bevölkerung und genossen daher Ansehen bei den Menschen. Aber doch waren sie nicht so gebildet, dass man sie auch als intelligent hätte bezeichnen können. Ihr Wissen beruhte vielmehr allein auf Tradition. Sie hatten die heiligen Schriften studiert und überprüften alles genau, ob es mit dem Wortlaut dieser Schriften übereinstimmte. Neuerungen und Flexibilität waren da nicht zu erwarten. Wenn es nach ihnen ginge, sollte möglichst alles so bleiben, wie es ist, denn so, wie es ist, ist es gut. Gab es strittige Fragen zu beantworten, so waren stets die Schriftgelehrten gefragt. Sie hatten auf alles eine Antwort. Die war zwar nicht immer besonders klug, aber doch für die einfachen Leute vom Land ausreichend. Da ist es nicht verwunderlich, dass Jesus mit seiner „neuen“ Lehre immer wieder in Konflikt mit den Schriftgelehrten geriet.
Und doch ist an diesem Sabbat etwas anders in Kafarnaum. Man hat in der Stadt eine seltsame Gruppe gesichtet. Da kommt ein gewisser Jesus, der einige Männer bei sich hat, meist einfache Männer, wie man ihnen ansieht, sicher auch Fischer vom See unter ihnen. Vor nicht allzu langer Zeit ging da so ein Gerücht um. Dieser Jesus soll, wie so viele andere, sich von Johannes im Jordan taufen haben lassen und da soll etwas Außergewöhnliches geschehen sein. Als er ins Wasser stieg, war das anders als bei allen anderen Leuten und auch Johannes soll dabei ganz außer sich und erstaunt gewesen sein. Man hatte die Sache fast wieder vergessen, hatte länger nichts mehr von Jesus gehört. Doch jetzt kommt er, und er kommt nicht allein.
Lausiges Gesindel, Rumtreiber, Vagabunden, haben die Schriftgelehrten dazu gesagt. Wieder einer, der meint, was Besonderes zu sein. Wieder einer von denen, die den Menschen dummes Zeug einreden. In letzter Zeit gibt es zu viele von diesen Schwindlern, die die Leute nur von ihrer Arbeit abhalten und nichts taugen. Auch die anderen in der Versammlung sind skeptisch. In der Tat hat es in letzter Zeit viele Wanderprediger gegeben, die sich dann doch als falsche Propheten erwiesen haben. Die Schriftgelehrten werden Recht haben mit ihrem Urteil. Schließlich hat ja bisher noch niemand etwas Genaueres von diesem Jesus gehört, viele haben noch nie seinen Namen gehört.
Plötzlich kommt Jesus mit seinen Jüngern in die Versammlung. Er steht plötzlich unter ihnen. Als Jesus die Versammlung betritt, empfängt ihn eisige Kälte.
Wie es jedem erwachsenen jüdischen Mann zusteht, macht Jesus von seinem Recht Gebrauch, in der Versammlung zu reden. Da horchen die ersten auf. Wie der Reden kann und was er zu sagen hat! So haben wir noch keinen hier reden hören, denken viele. Er meint wirklich uns, mit dem was er sagt. Vielleicht ist etwas dran an seinen Worten.

Und sofort war in ihrer Versammlung ein Mann mit einem unreinen Geist, und er begann zu kreischen. Er sagte: Was ist mit uns und dir, Jesus, Nazarener? Bist du gekommen, um uns zu vernichten? Ich weiß, wer du bist: der Heilige Gottes. Und Jesus fuhr ihn an und sagte: Verstumme und komm aus ihm heraus! Und der unreine Geist riss ihn und schrie mit lauter Stimme und kam aus ihm heraus. (Mk 1,23-26)

Plötzlich ist da ein Mann, der laut zu schreien anfängt. Die Feuerprobe für jeden Redner: ein unerwarteter Zwischenfall, ein Störenfried in der Menge, den man nicht ignorieren kann. Der fängt an, Jesus zu beschimpfen. Was haben wir mit dir zu schaffen? Was verwunderlich ist, dieser Mann kennt einige Details von Jesus, die den anderen bisher nicht geläufig waren. Du bist Jesus, der Nazarener. Du bist der Heilige Gottes! Was soll das nun? Die Leute blicken entsetzt auf den schreienden Mann, der nun Jesus gegenüber steht. Es bildet sich ein Kreis um die beiden. Auch die Jünger Jesu sind ganz erschrocken. Sie sind ja erst kurze Zeit mit Jesus unterwegs und haben so etwas noch nicht erlebt.
Jesus aber weiß, was hier läuft. Er kennt den Widersacher, den Satan, der hier durch seine Dämonen in dem verwirrten Mann wirkt. Er hat ihn bei der Versuchung in der Wüste kennengelernt. Er weiß, dass mit ihm nicht zu spaßen ist. Man meint heute oft, es wird sich da um so etwas wie Epilepsie gehandelt haben, die man sich eben nicht erklären konnte und daher sagte, der Kranke sei vom Teufel besessen. Doch ich denke, es geht da um mehr als eine unerklärbare Krankheit. Wir dürfen uns die Szene aber auch nicht so vorstellen, wie wenn in einem Hollywood-Film ein Exorzist am Werk ist. Der Teufel wirkt viel subtiler. Vielleicht ist der Mann den Menschen früher gar nicht aufgefallen. Jetzt aber beschimpft er Jesus lauthals. Er will Jesus verunsichern, will ihn bei den Menschen in Misskredit bringen, will verhindern, dass die Menschen seinen Worten glauben.
Jesus sagt einmal zu seinen Jüngern, als sie zu ihm kommen, weil sie einen Dämon nicht austreiben konnten: Diese Art kann nur durch Gebet und Fasten ausgetrieben werden. Gegen die Macht der Dämonen kommt nur an, wer sich selbst darum bemüht, ein lauteres, gottgefälliges Leben zu führen. Der Teufel kennt jede noch so kleine Schwäche eines Menschen. Er weiß, wo jeder Mensch angreifbar ist. Wir merken es ja, wenn wir gerade immer wieder an unserem schwächsten Punkt versucht werden. Unsere Schwächen sind die Stärken des Teufels. Wollen wir ihm entgegentreten, wird er uns zuerst unsere Schwachstellen vorhalten. Leicht kann er uns dann vor den Menschen in Misskredit bringen, wenn er das zu Tage fördert, was niemand sehen sollte.
Oft sind das Vergehen im sexuellen Bereich. Ich denke, der Grund dafür ist nicht, weil die Sexualität in irgendeiner Weise schlecht wäre. Im Gegenteil, die Sexualität ist, wenn sie in ihrem guten und eigentlichen, von Gott bestimmten Sinn genutzt wird, eine der positivsten Kräfte des Menschen. Daher hat ihre Pervertierung auch eine so enorme Macht. Und Sexualität ist etwas, das in irgendeiner Weise für jeden Menschen Bedeutung hat. Bilder können kräftige Reize auslösen und wenn dann vielleicht noch einige ungünstige Effekte aus der momentanen Lebenssituation hinzukommen, erliegt der Mensch schnell der Versuchung, die Sexualität negativ zu gebrauchen. Und das geht heute so leicht. Ein Klick im Internet, den scheinbar kein anderer mitbekommt, der rasche Gang in ein Geschäft, dessen Türen immer offen stehen ... Wir dürfen uns nichts vormachen, der Versucher freut sich über jeden Fehltritt, er merkt sich alles und wird es im entscheidenden Moment gegen uns verwenden. Doch wir dürfen auch darauf vertrauen, dass Gottes Barmherzigkeit uns immer wieder Vergebung schenkt.
Zu gerne hätte der Widersacher auch Jesus eine Verfehlung vorgehalten. Doch es gibt keine. Da bleibt ihm nichts, als Jesus mit dem Titel Heiliger Gottes zu beschimpfen, was ja in Wahrheit eine Auszeichnung für Jesus ist. Der Teufel findet nichts, was er sagen könnte, um Jesus unsicher zu machen, oder um ihn vor den Menschen schlecht zu machen. Jesus behält seine volle Kraft, und die ist stärker als die Macht der Dämonen. Auf Jesu Befehl hin, muss der Dämon den Rückzug antreten. Er tut das zwar ganz theatralisch, indem er den armen Mann noch etwas beutelt, aber das ist nur ein unbedeutendes Rückzugsgefecht und dass er so etwas nötig hat, ist eher ein Zeichen von Schwäche denn von Stärke.

Und alle erschraken, so dass sie untereinander stritten und sagten: Was ist das? Eine neue Lehre mit Vollmacht; sogar den unreinen Geistern gebietet er, und sie gehorchen ihm. Und die Kunde von ihm verbreitete sich sofort überall hin in das ganze Umland Galiläas. (Mk 1,27-28)

Was da geschehen ist, hat seine Wirkung auf die Umstehenden nicht verfehlt. Anstatt Jesus lächerlich zu machen, haben die Dämonen Jesus ungewollt vor den Augen aller Menschen groß gemacht. Doch das hat Jesus nicht nötig, er braucht keine, wenn auch indirekte, Unterstützung der Dämonen. Daher lässt er sie auch nie richtig zu Wort kommen.
Doch was geschehen ist, hat ausgereicht, um den Menschen deutlich zu machen, dass hinter den Worten Jesu eine Vollmacht steht. Dass Jesus die Dämonen bezwingt zeigt, dass er kein Schwätzer ist. Wie viele falsche Propheten sind den Versuchungen des Teufels erlegen und haben so sich selbst und auch ihre Worte letztendlich unglaubwürdig gemacht. Der Sieg über den Dämon macht Jesus und seine Worte glaubhaft. Da redet einer nicht nur, sondern da ist wirklich was dahinter. Es bleibt spannend, wie es mit diesem Jesus weitergeht.