Lukas 6,17-49

Die Feldrede

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Hl. Schrift
Jesus stieg mit ihnen den Berg hinab. In der Ebene blieb er mit einer großen Schar seiner Jünger stehen und viele Menschen aus ganz Judäa und Jerusalem und dem Küstengebiet von Tyrus und Sidon waren gekommen, um ihn zu hören und von ihren Krankheiten geheilt zu werden. Und die von unreinen Geistern Geplagten wurden geheilt. Alle Leute versuchten, ihn zu berühren; denn es ging eine Kraft von ihm aus, die alle heilte. (Lk 6,17-19)

Nachdem Jesus die Zwölf erwählt hat, steigt er vom Berg hinab und trifft auf eine große Menschenmenge, das neue Volk Gottes, das sich erwartungsvoll nach Gottes Heil und Lehre sehnt. Nachdem Jesus sich der Krankheiten und Nöte der Menschen angenommen hat, beginnt er, sie zu lehren. Da Jesus hier nicht wie bei Matthäus von einem Berg herab redet, sondern mitten unter den Menschen steht, wird seine Rede im Gegensatz zur Bergpredigt des Matthäus bei Lukas Feldrede genannt. Bei Lukas fällt die Rede Jesu kürzer aus als bei Matthäus und Lukas setzt einige eigene Akzente, es gibt jedoch auch viele Übereinstimmungen, weshalb ich für die Auslegung auf die Parallelstellen aus der Bergpredigt verweisen möchte.

Er richtete seine Augen auf seine Jünger und sagte: Selig, ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes. (Lk 6,20)

"Selig ihr Armen!" - Bei Lukas spricht Jesus sehr konkret. Doch wer sind die - die Armen? Ist automatisch schon jeder, der sehr wenig besitzt, ein Armer - und jeder, der ein gewisses Vermögen hat, reich?
Sind die Worte Jesu nur eine Vertröstung auf das Jenseits und gar eine Einladung zum Nichtstun? Das mit Sicherheit nicht. Man muss immer das Evangelium als Ganzes sehen und da erkennen wir, dass Jesus immer wieder die Menschen dazu aufruft, ihre Begabungen für andere einzusetzen.
Also sich mit allen Kräften abrackern und es doch zu nichts bringen? Wenn man als Gewinn seiner Anstrengungen Reichtum und Macht erhofft, dann ist man sicher nicht auf dem Weg, den Jesus uns hier weist. Der Lohn wird nicht in irdischer Währung ausgezahlt. Wenn wir mit unseren Talenten wuchern, wird der Gewinn uns auf einem anderen Konto gutgeschrieben.
Der Glaube ist kein Mittel dazu, hier auf Erden die Freuden des Luxus zu genießen. Die Gläubigen brauchen nicht daran zu verzweifeln, wenn sie trotz ihres Glaubens arm sind, hungern, weinen und von den Menschen gemieden werden. Hat nicht Jesus all das selbst an sich erfahren?
Ein solcher Weg der Nachfolge kann hart sein - aber er lässt uns dem Herrn nahe sein und das allein ist es, was uns Glück und Seligkeit verleiht.

Selig, die ihr jetzt hungert, denn ihr werdet gesättigt werden. Selig, die ihr jetzt weint, denn ihr werdet lachen. Selig seid ihr, wenn euch die Menschen hassen und wenn sie euch ausstoßen und schmähen und euren Namen in Verruf bringen um des Menschensohnes willen. Freut euch und jauchzt an jenem Tag; denn siehe, euer Lohn im Himmel wird groß sein. Denn ebenso haben es ihre Väter mit den Propheten gemacht.
Doch weh euch, ihr Reichen; denn ihr habt euren Trost schon empfangen. Weh euch, die ihr jetzt satt seid; denn ihr werdet hungern. Weh, die ihr jetzt lacht; denn ihr werdet klagen und weinen. Weh, wenn euch alle Menschen loben. Denn ebenso haben es ihre Väter mit den falschen Propheten gemacht. (Lk 6,21-26)

Jesus macht deutlich, dass seine Jünger nicht erwarten dürfen, dass sie hier auf der Welt von Nöten und Verfolgungen frei sein werden. Im Gegenteil, sie werden arm sein und verfolgt werden, und doch gehört ihnen das Reich Gottes. Sorgen sollen sich die Jünger eher dann, wenn sie reich sind und von allen gelobt werden, denn dann stimmt irgendetwas nicht mit ihrem Glauben. In allen Nöten aber sollen die Gläubigen voll Zuversicht sein. Gott ist mit ihnen und sie haben Teil an seinem Heil.

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Hl. Schrift
Euch aber, die ihr zuhört, sage ich: Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen! Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch beschimpfen! (Lk 6,27-28)

Das Gebot der Feindesliebe übersteigt die Fassungskraft des menschlichen Verstandes. Es widerspricht dem menschlichen Impuls, sich zu rächen. Wenn uns Unrecht geschieht, wollen wir lieber sehen, wie unsere Feinde jämmerlich krepieren, anstatt dass es ihnen gut geht. Wir wollen ihnen lieber Schaden zufügen, als ihnen Gutes tun und für sie beten. Bei Jesus aber ist kein Platz für Hass und Gewalt. Er predigt die Liebe, und diese Liebe steht über allem.
Dennoch besagt das Gebot der Feindesliebe nicht, dass wir uns wie Feiglinge alles gefallen lassen sollen. Gerade nur dann, wenn wir wirklich stark sind, können wir unsere Feinde lieben, wenn unsere Liebe stärker ist, als Hass und Gewalt. Wer seinen Feind liebt, weicht nicht ängstlich vor ihm zurück, sondern schaut ihm mutig in die Augen. Das Entscheidende dabei ist, dass wir uns nicht auf das Niveau der Feinde begeben und Hass mit Hass und Gewalt mit Gewalt beantworten, sondern standhaft in der Liebe bleiben. So sind wir zwar auf den ersten Blick wehrlos, zeigen aber zugleich eine Stärke, die alle Macht der Gewalt übersteigt.
Feindesliebe besagt auch nicht, dass wir alles gutheißen sollen, was geschieht, weil wir ja alle Menschen lieben. Die Liebe steht sehr wohl auf gegen Gewalt und alles Böse. Die Liebe zieht auch diejenigen zur Rechenschaft, die gegen die Liebe verstoßen. Feindesliebe bedeutet nicht, dass wir uns mehr mit den Tätern solidarisieren als mit den Opfern, wie es das heutige Gutmenschentum propagiert. Wenn Kriminelle geschützt werden, weil sie ja so arme Menschen sind, die auf die falsche Bahn geraten sind, dann stimmt in unserer Welt irgendetwas nicht. Das Böse muss sehr wohl beim Namen genannt und zurückgedrängt werden zum Schutz der Guten.
Feindesliebe bedeutet, mit anderen Mitteln zu Kämpfen als mit Hinterlist und Gewalt. Das Böse ist nur stark, weil andere sich entweder unterdrücken oder kaufen lassen. Wer standhaft in der Liebe ist, lässt sich aber nicht kaufen oder unterdrücken. Er begibt sich nicht auf das niedrige Niveau des Bösen, er steht fest im Guten. Daher kann er auch dem tobenden Feind noch Guten tun und für ihn beten. Er zeigt wahre Größe und das bringt ihm den Respekt der Feinde ein und Ansehen bei allen, die davon hören.
Feindesliebe bedeutet, die Spirale von Hass und Gewalt zu durchbrechen, sich nicht daran zu beteiligen, wenn Pläne geschmiedet werden, wie anderen Unrecht zugefügt werden kann. Oftmals kommt das Böse ja unter dem Deckmantel des Guten. Man erkennt erst auf den zweiten Blick wo sich hinter einem scheinbar guten Angebot üble Abzocke versteckt. Bei uns kämpfen die Feinde ja nicht so sehr mit Waffengewalt, sondern Ausbeutung und Unterdrückung geschieht mit anderen Methoden und die Digitalisierung hat da ganz neue Möglichkeiten eröffnet. Die Strategie der Feindesliebe bleibt aber die gleiche.
Wer sich gegen die Liebe stellt, muss mit den Waffen der Liebe bekämpft werden. Oftmals kann schon der Blick der Liebe die Herzen von Menschen verändern, die in die Fänge des Bösen geraten sind. Als Christen müssen wir der Welt zeigen, dass sich nicht alle Menschen bestimmen lassen von der Gier nach Geld und Macht, die den Menschen und die Welt kaputt machen. Es gibt Menschen, die von selbstloser Liebe bestimmt lieber geben als nehmen, lieber verzeihen, als nachtragen, lieber Frieden schließen als Gewalt zu verbreiten.
Das kann letztlich nur, wer die Endlichkeit der irdischen Güter erkannt hat. Das will uns Jesus in der Feldrede und in seinen anderen Reden deutlich machen. Es lohnt sich nicht, sein Leben von der Gier nach Macht und Reichtum bestimmen zu lassen. Ein solches Leben ist ein verlorenes leben. Gewinn macht nur, wer schenkt und worauf es wirklich ankommt ist, ein Netz der Liebe um die ganze Erde zu spannen.

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Hl. Schrift
Dem, der dich auf die eine Wange schlägt, halt auch die andere hin und dem, der dir den Mantel wegnimmt, lass auch das Hemd! Gib jedem, der dich bittet; und wenn dir jemand das Deine wegnimmt, verlang es nicht zurück! Und wie ihr wollt, dass euch die Menschen tun sollen, das tut auch ihr ihnen! Wenn ihr die liebt, die euch lieben, welchen Dank erwartet ihr dafür? Denn auch die Sünder lieben die, von denen sie geliebt werden. Und wenn ihr denen Gutes tut, die euch Gutes tun, welchen Dank erwartet ihr dafür? Das tun auch die Sünder. Und wenn ihr denen Geld leiht, von denen ihr es zurückzubekommen hofft, welchen Dank erwartet ihr dafür? Auch die Sünder leihen Sündern, um das Gleiche zurückzubekommen. Doch ihr sollt eure Feinde lieben und Gutes tun und leihen, wo ihr nichts zurückerhoffen könnt. Dann wird euer Lohn groß sein und ihr werdet Söhne des Höchsten sein; denn auch er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen.
Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist! (Lk 6,29-36)

Verlangt Jesus nicht etwas Unmögliches von uns? Zunächst verlangt er von uns die Feindesliebe. Was uns andere auch antun mögen, wir sollen stets gut zu ihnen sein. Ok, man kann seine Rachegelüste zähmen, versuchen, ruhig zu bleiben. Aber wenn im Herzen der Groll aufsteigt, dann wünscht man dem anderen doch leicht alles Mögliche nicht so gute. Stattdessen nicht nur im Stillen dem anderen nichts Böses wünschen, sondern etwas Gutes tun, übersteigt das nicht alle menschlichen Möglichkeiten? Und: wo kommen wir denn dann selbst hin, wenn alle auf uns rumtrampeln können, ohne dass wir uns wehren.
Genau hier müssen wir einlenken. Den Feinden Gutes tun ist eine aktive Handlung. Sie erfordert Größe. Das ist etwas ganz anderes, als auf sich herumtrampeln zu lassen. Wenn wir statt einem Blick voll Hass ein Geschenk der Liebe machen, dann ist der andere zunächst überrascht und vielleicht denkt er dann darüber nach, was er tut. Wer auf Feindschaft mit Hass antwortet, der vertieft den Graben zwischen den Menschen und wird selbst vom Sog des Hasses in die Tiefe gezogen. Wer aber mit einem Geschenk des Guten antwortet, nimmt dem Hass und der Feindschaft die Kraft und lässt die Möglichkeit des Friedens entstehen.
Jesus begründet seine Forderung nach Nächstenliebe und Feindesliebe mit der Barmherzigkeit des Vaters. Weil Gott an uns barmherzig gehandelt hat, sollen auch wir barmherzig sein. Gottes barmherziges Tun an uns geht all unserem Tun voraus. Gott handelt an uns barmherzig, noch bevor wir selbst etwas getan haben. Um Christ zu werden und das Heil zu empfangen, bedarf es keiner langen Jahre der Askese oder einer Reihe von Wiedergeburten durch mehrere Leben hindurch. Es braucht nur etwas Wasser und einen anderen Menschen, der die Taufformel spricht.

Wir sollen barmherzig sein, weil uns Barmherzigkeit zuteil wurde, nicht damit uns Barmherzigkeit zuteil wird. (Raniero Cantalamessa)

Gott bedarf unserer Barmherzigkeit nicht. Er handelt nicht gut an uns, damit wir uns ihm gegenüber als gut erweisen. Er lenkt unsere Barmherzigkeit hin auf unsere Mitmenschen. Ihnen gegenüber sollen wir das erfahrbar machen, was Gott uns hat erfahren lassen: dass wir bedingungslos geliebt und von Gott unendlich beschenkt sind.

Der Nächste, der Mitmensch, ist für mich das sichtbare Antlitz Gottes. (Raniero Cantalamessa)

Wir vergessen leicht, was Gott für uns getan hat, gerade in der heutigen Zeit, wo die Erlösungsbedürftigkeit des Menschen in den Hintergrund gedrängt wurde. Unsere Leistung steht im Vordergrund und wenn es einer zu etwas bringen will, so muss er sich über andere behaupten, besser sein als andere. Wer sich umwendet, um einem anderen zu helfen, bleibt oft selbst zurück.
Das oberste Ziel unserer kapitalistischen Welt ist der Profit und dabei sind es einige wenige, die wirklich großen Profit machen. Noch hat ein relativ großer Teil unserer Gesellschaft teil an diesem Profit und kann sich mit Konsum und Unterhaltung vergnügen, aber immer deutlicher wird das Ausmaß der Zerstörung, die das kapitalistische Denken anrichtet. Die Menschen, die davon nicht profitieren, drängen sich immer stärker in unser Bewusstsein. Immer deutlicher wird das Ausmaß der Zerstörung der Erde.
Nur die Barmherzigkeit, die Barmherzigkeit Gottes zu den Menschen und der Menschen untereinander, kann die Welt retten.

Himmlischer Vater, durch die Verdienste deines Sohnes, der sich am Kreuz für uns „zur Sünde machte“, lösche aus den Herzen der Menschen, der Familien und der Völker die Rachsucht und gib, dass wir uns in die Barmherzigkeit verlieben. Gib, dass der Absicht des Heiligen Vaters beim Ausrufen dieses Heiligen Jahres der Barmherzigkeit eine konkrete Antwort unserer Herzen folgt, und dass allen die Freude zuteil wird, sich mit dir versöhnen zu lassen. Amen. (Raniero Cantalamessa)
Richtet nicht, dann werdet auch ihr nicht gerichtet werden! Verurteilt nicht, dann werdet auch ihr nicht verurteilt werden! Erlasst einander die Schuld, dann wird auch euch die Schuld erlassen werden! Gebt, dann wird auch euch gegeben werden! Ein gutes, volles, gehäuftes, überfließendes Maß wird man euch in den Schoß legen; denn nach dem Maß, mit dem ihr messt, wird auch euch zugemessen werden.
Er sprach aber auch in Gleichnissen zu ihnen: Kann etwa ein Blinder einen Blinden führen? Werden nicht beide in eine Grube fallen? Ein Jünger steht nicht über dem Meister; jeder aber, der alles gelernt hat, wird wie sein Meister sein. Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht? Wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Bruder, lass mich den Splitter aus deinem Auge herausziehen!, während du selbst den Balken in deinem Auge nicht siehst? Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; dann kannst du zusehen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen.
Es gibt keinen guten Baum, der schlechte Früchte bringt, noch einen schlechten Baum, der gute Früchte bringt. Denn jeden Baum erkennt man an seinen Früchten: Von den Disteln pflückt man keine Feigen und vom Dornstrauch erntet man keine Trauben. Der gute Mensch bringt aus dem guten Schatz seines Herzens das Gute hervor und der böse Mensch bringt aus dem bösen das Böse hervor. Denn wovon das Herz überfließt, davon spricht sein Mund. Was sagt ihr zu mir: Herr! Herr! und tut nicht, was ich sage?
Ich will euch zeigen, wem ein Mensch gleicht, der zu mir kommt und meine Worte hört und danach handelt. Er gleicht einem Mann, der ein Haus baute und dabei die Erde tief aushob und das Fundament auf einen Felsen stellte. Als ein Hochwasser kam und die Flutwelle gegen jenes Haus prallte, konnte sie es nicht erschüttern, weil es gut gebaut war. Wer aber hört und nicht danach handelt, gleicht einem Mann, der ein Haus ohne Fundament auf die Erde baute. Die Flutwelle prallte dagegen und sofort stürzte es ein; und der Einsturz jenes Hauses war gewaltig. (Lk 6,37-49)