Lukas 4,14-44

Erstes Auftreten Jesu

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Hl. Schrift
Jesus kehrte, erfüllt von der Kraft des Geistes, nach Galiläa zurück. Und die Kunde von ihm verbreitete sich in der ganzen Gegend. Er lehrte in den Synagogen und wurde von allen gepriesen.
So kam er auch nach Nazaret, wo er aufgewachsen war, und ging, wie gewohnt, am Sabbat in die Synagoge. Als er aufstand, um aus der Schrift vorzulesen, reichte man ihm das Buch des Propheten Jesaja. Er schlug das Buch auf und fand die Stelle, wo es heißt:
Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe... (Lk 4,14-18a)

Nach seiner Taufe durch Johannes und den Tagen der Versuchung in der Wüste ist Jesus nach Galiläa zurückgekehrt. Anders als Markus und Matthäus, die das erste Auftreten Jesu am See von Galiläa und in Kafarnaum lokalisieren, lässt Lukas Jesus seine erste öffentliche Rede in der Synagoge seiner Heimatstadt Nazaret halten.
Versuchen wir uns die Situation in Nazaret vorzustellen. Die Leute dort kannten Jesus gut, er scheint aber bisher nicht sonderlich aufgefallen zu sein. Sicher ist es nicht das erste Mal, dass Jesus in der Synagoge dort vorliest, denn dies kommt jüdischen Jungen ab dem 13. Lebensjahr zu und es ist anzunehmen, dass Jesus wie jeder andere jüdische Junge aufgewachsen ist.
Doch an diesem Tag ist es anders. In den Wochen vorher hat Jesus erkannt, dass nun die Zeit dafür gekommen ist, das zu tun, wozu er gesandt ist. Wenn Jesus früher in der Synagoge einen Text vorgetragen hat, so wird er ihn nach den geltenden Regeln ausgelegt haben, so wie er es als Kind im Tora-Unterricht gelernt hat. Jetzt ist es anders:
Heute hat sich das Schriftwort erfüllt - ich bin der, von dem Jesaja spricht. In den Worten des Propheten erkennt Jesus seine eigene Berufung und Sendung:

Der Herr hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe. (Jes 61,1-2)
Jesus wird gesandt, den Armen eine frohe Botschaft zu verkünden, indem er ihnen nämlich sagt:
Selig ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes. (Beda Venerabilis)
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Hl. Schrift

In der Feldrede des Lukasevangeliums (Lk 6,20) wird Jesus ganz gezielt die Armen als Adressaten der Botschaft vom Reich Gottes ansprechen. Gerade diejenigen, die sonst keine Chance haben, werden von Gott bevorzugt behandelt. Wir müssen auch heute unsere Verkündigung des Evangeliums immer wieder daran messen, welchen Platz bei uns die Armen haben. Sehen wir sie nur als Almosenempfänger oder als vollwertige Glieder der Kirche?

... damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde ... (Lk 4,18b)
Schlimm ist die leibliche Gefangenschaft, die von einem körperlichen Feind kommt. Schlimmer noch ist eine geistige Gefangenschaft, von der aber wird hier gesprochen: Die Sünde nämlich übt eine Gewaltherrschaft der übelsten Sorte aus, indem sie gebietet, Schlechtes zu tun, und die, die ihr gehorchen, ins Verderben stürzt. Aus diesem geistigen Gefängnis aber hat uns Christus befreit. (Johannes Chrysostomus)

Wir dürfen aber die Gefangenschaft nicht nur im übertragenen Sinne sehen, sondern auch ganz konkret. Gerade in totalitären Regimen gibt es viele Menschen, die unschuldig in Gefängnissen sitzen, die wegen ihrer Überzeugung oder ihres Andersseins eingesperrt sind - auch in unserer Zeit. Wenn wir den Auftrag Christi erfüllen wollen, müssen wir uns für die Freiheit dieser Menschen besonders einsetzen.

... und den Blinden das Augenlicht ... (Lk 4,18c)

Mehrere Blindenheilungen werden von Jesus berichtet. Der Blinde steht am Rand der Gesellschaft, ist abhängig von einem, der ihn führt und von den Almosen der Menschen. Jesus ruft diese Menschen wieder in die Gesellschaft zurück.
Der Blinde steht aber auch symbolisch für den Menschen, der Gott nicht erkennt, der mit den Augen des Leibes zwar sehen kann, aber nicht mit den Augen des Herzens. Besonders Markus positioniert die beiden Blindenheilungen Jesu an zentralen Schnittstellen seines Evangeliums und zeigt damit, dass Jesus Worte und Taten uns zu einem tieferen Sehen führen wollen.
Johannes schildert im 9. Kapitel seines Evangeliums sehr ausführlich eine Blindenheilung. Die Pharisäer wollen dieses Wunder Jesu nicht anerkennen und stoßen den Geheilten aus der Synagoge aus. Als sie mit Jesus darüber streiten fragen einige von ihnen: Sind etwa auch wir blind? Und Jesus antwortet: Wenn ihr blind wärt, hättet ihr keine Sünde. Jetzt aber sagt ihr: Wir sehen. Darum bleibt eure Sünde.
Auch wir sind oft blind, obwohl wir alles klar und deutlich zu sehen meinen. Herr, heile du die Blindheit unseres Herzens und lass uns erkennen, was wirklich wichtig ist.

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Hl. Schrift
... damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe.
Dann schloss er das Buch, gab es dem Synagogendiener und setzte sich. Die Augen aller in der Synagoge waren auf ihn gerichtet. Da begann er, ihnen darzulegen: Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt. (Lk 4,19-21)

Die Lehre der Christen ist nicht eine abstrakte Lehre über eine ferne Gottheit, sondern ganz nah, im Heil des Alltags, zeigt sich das Wirken Gottes. Dass sich all dies wirklich in diesem Jesus erfüllt hat, davon kündet uns das Evangelium.

Dieses Heute der Erfüllung ist nicht auf das Auftreten Jesu Christi beschränkt. Dieses Heute bleibt nach der Auferstehung Jesu Christi dauernde Wirklichkeit auf Erden. Im Glauben an Jesus Christus sind die Menschen zu allen Zeiten aufgerufen, das Heil Gottes in dieser Welt erfahrbar zu machen.
Das Handeln Jesu Christi im Heute gegenwärtig zu setzen, das ist der Auftrag an alle Christen. Sie können sich darauf verlassen, dass Jesus Christus wirklich der Sohn Gottes ist, in dem Gott den Menschen die Erfüllung seiner Verheissungen gebracht hat und der bleibend unter den Menschen gegenwärtig ist.

Folgendes Gebet habe ich gefunden. Es zeigt, was die Aufgabe von uns Christen heute ist:

Was keiner wagt, das sollt ihr wagen.
Was keiner sagt, das sagt heraus.
Was keiner denkt, das wagt zu denken.
Was keiner anfängt, das führt aus.

Wenn keiner ja sagt, sollt ihrs sagen.
Wenn keiner nein sagt, sagt doch nein.
Wenn alle zweifeln, wagt zu glauben.
Wenn alle mittun, steht allein.

Wo alle loben, habt Bedenken.
Wo alle spotten, spottet nicht.
Wo alle geizen, wagt zu schenken.
Wo alles dunkel ist, macht Licht.
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Hl. Schrift
Seine Rede fand bei allen Beifall; sie staunten darüber, wie begnadet er redete, und sagten: Ist das nicht der Sohn Josefs? Da entgegnete er ihnen: Sicher werdet ihr mir das Sprichwort vorhalten: Arzt, heile dich selbst! Wenn du in Kafarnaum so große Dinge getan hast, wie wir gehört haben, dann tu sie auch hier in deiner Heimat! Und er setzte hinzu: Amen, das sage ich euch: Kein Prophet wird in seiner Heimat anerkannt. Wahrhaftig, das sage ich euch: In Israel gab es viele Witwen in den Tagen des Elija, als der Himmel für drei Jahre und sechs Monate verschlossen war und eine große Hungersnot über das ganze Land kam. Aber zu keiner von ihnen wurde Elija gesandt, nur zu einer Witwe in Sarepta bei Sidon. Und viele Aussätzige gab es in Israel zur Zeit des Propheten Elischa. Aber keiner von ihnen wurde geheilt, nur der Syrer Naaman.
Als die Leute in der Synagoge das hörten, gerieten sie alle in Wut. Sie sprangen auf und trieben Jesus zur Stadt hinaus; sie brachten ihn an den Abhang des Berges, auf dem ihre Stadt erbaut war, und wollten ihn hinabstürzen. Er aber schritt mitten durch die Menge hindurch und ging weg. (Lk 4,22-30)

Die "gute Nachricht", die Jesus verkündet, ist keine populistisch aufgemachte reißerische Rede. Sie zielt nicht darauf ab, die Menschen mit rhetorischen Mitteln und die Rede begleitende Wundertaten zu täuschen. Es scheint so, als ob Jesus, nachdem er die Menschen begeistert hat, genau das Gegenteil von dem sagen würde, was die Menschen hören wollen, bis er die große Masse der Menschen gegen sich aufgebracht hat und nur wenige bleiben, die wirklich verstanden haben, was er will.
In Nazaret macht Jesus den Menschen klar, dass sie sich nichts darauf einzubilden haben, dass Jesus aus ihrer Stadt kommt. Er führt das Beispiel der großen Propheten Elija und Elischa an, die beide ein großes Wunder gerade an Fremden gewirkt haben. Wie könnte er die Menschen mehr beleidigen, als durch einen solchen Vergleich? Entsprechend heftig ist auch ihre Reaktion: Sie treiben Jesus zur Stadt hinaus und wollen ihn einen Abhang hinunter in den Tod stürzen. Jesus aber "schritt mitten durch die Menge hindurch und ging weg."
Die gute Nachricht für die Menschen ist nicht billig verpackt. Sie zeigt sich nicht in aufsehenerregenden Wundern und erschließt sich nicht der großen Masse. Nur wer bereit ist, ruhig und sorgfältig hinzuhören, wer sich für die Botschaft Gottes öffnet, sich auf sie einlässt und bereit ist, sein Leben zu ändern, der wird die Freude erfahren, von der diese gute Nachricht kündet.

Jesus ging hinab nach Kafarnaum, einer Stadt in Galiläa, und lehrte die Menschen am Sabbat. Sie waren sehr betroffen von seiner Lehre, denn er redete mit (göttlicher) Vollmacht. In der Synagoge saß ein Mann, der von einem Dämon, einem unreinen Geist, besessen war. Der begann laut zu schreien: Was haben wir mit dir zu tun, Jesus von Nazaret? Bist du gekommen, um uns ins Verderben zu stürzen? Ich weiß, wer du bist: der Heilige Gottes! Da befahl ihm Jesus: Schweig und verlass ihn! Der Dämon warf den Mann mitten in der Synagoge zu Boden und verließ ihn, ohne ihn jedoch zu verletzen. Da waren alle erstaunt und erschrocken und einer fragte den andern: Was ist das für ein Wort? Mit Vollmacht und Kraft befiehlt er den unreinen Geistern, und sie fliehen. Und sein Ruf verbreitete sich in der ganzen Gegend.
Jesus stand auf, verließ die Synagoge und ging in das Haus des Simon. Die Schwiegermutter des Simon hatte hohes Fieber und sie baten ihn ihr zu helfen. Er trat zu ihr hin, beugte sich über sie und befahl dem Fieber zu weichen. Da wich es von ihr und sie stand sofort auf und sorgte für sie.
Als die Sonne unterging, brachten die Leute ihre Kranken, die alle möglichen Leiden hatten, zu Jesus. Er legte jedem Kranken die Hände auf und heilte alle. Von vielen fuhren auch Dämonen aus und schrien: Du bist der Sohn Gottes! Da fuhr er sie schroff an und ließ sie nicht reden; denn sie wussten, dass er der Messias war.
Bei Tagesanbruch verließ er die Stadt und ging an einen einsamen Ort. Aber die Menschen suchten ihn, und als sie ihn fanden, wollten sie ihn daran hindern wegzugehen. Er sagte zu ihnen: Ich muss auch den anderen Städten das Evangelium vom Reich Gottes verkünden; denn dazu bin ich gesandt worden. Und er predigte in den Synagogen Judäas. (Lk 4,31-44)