Da sagte der Teufel zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, so befiehl diesem Stein, zu Brot zu werden.
Jesus antwortete ihm: In der Schrift heißt es: Der Mensch lebt nicht nur von Brot. (Lk 4,3-4)
Geschickt spielt der Satan in der ersten Versuchung auf den Hunger Jesu an. Ein kleines Wunder nur, und aus den Steinen wird Brot und die Not des Fastens hat ein Ende. Doch was nützt es einem Wettkämpfer, wenn er kurz vor dem Ziel eine Pause einlegt? Jeder erkennt die Unsinnigkeit eines solchen Verhaltens. Erst den Wettkampf zu Ende bringen, dann ist es Zeit für eine Erfrischung - und vielleicht sogar ein Siegesfest.
Brot ist wichtig, Jesus wird später für hungernde Menschen Sättigungswunder wirken.
Was wäre es denn für Jesus, den Herrn, Großes gewesen, aus Steinen Brot zu machen? Mit fünf Broten kann er Tausende satt machen. Aus nichts machte er Brot ... der tagtäglich in der Erde aus wenigen Körnern unermessliche Ernten schafft. ... Warum tat er es nicht? Um dich zu lehren, dem Versucher zu antworten. (Augustinus)
Die Wunder Jesu sollen den Menschen die Güte und Liebe Gottes sichtbar vor Augen führen. Doch hier in der Wüste ist es nicht die Zeit für ein Brotwunder. Hier gilt es auszuhalten, die Ablenkung zu meiden und zu hören, auf das was Gott sagen möchte. Gottes Wort ist wertvoller als das lebensnotwendige Brot.
Der Mensch muss immer wieder lernen, dass es nicht nur auf Äußerlichkeiten ankommt, dass es im Leben nicht nur darum geht, die materiellen Bedürfnisse zu befriedigen. Der Sinn des Lebens geht tiefer. Schon das Volk Israel hat damals in der Wüste seine Lektion bekommen, die jeder Mensch in seinem Leben immer neu lernen muss, auch wenn uns das schwer fällt:
Du sollst an den ganzen Weg denken, den der Herr, dein Gott, dich während dieser vierzig Jahre in der Wüste geführt hat, um dich gefügig zu machen und dich zu prüfen.
Er wollte erkennen, wie du dich entscheiden würdest: ob du auf seine Gebote achtest oder nicht.
Durch Hunger hat er dich gefügig gemacht und hat dich dann mit dem Manna gespeist, das du nicht kanntest und das auch deine Väter nicht kannten.
Er wollte dich erkennen lassen, dass der Mensch nicht nur von Brot lebt, sondern dass der Mensch von allem lebt, was der Mund des Herrn spricht. (Dtn 8,2f)
Da führte ihn der Teufel auf einen Berg hinauf und zeigte ihm in einem einzigen Augenblick alle Reiche der Erde. Und er sagte zu ihm: All die Macht und Herrlichkeit dieser Reiche will ich dir geben; denn sie sind mir überlassen, und ich gebe sie, wem ich will. Wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest, wird dir alles gehören.
Jesus antwortete ihm: In der Schrift steht: Vor dem Herrn, deinem Gott, sollst du dich niederwerfen und ihm allein dienen. (Lk 4,5-8)
Jesus, weißt du denn nicht, dass du der König der Welt bist? Nun sitzt du hier elend in der Wüste, erbärmlicher als ein Bettler. Nur ein Wort, und ich kann dir einen Palast bauen, in dem du im allergrößten Luxus leben kannst. Und meinst du denn, die Menschen werden dir armseligen Bettler folgen? Nur wenn du Macht und Größe hast, werden sie zu dir aufschauen und dir dienen.
Mit solchen Worten mag der Versucher an Jesus herangetreten sein. Der Auftrag Jesu ist es, Gottes Reich auf Erden zu errichten. Aber wie soll das geschehen? Jesus geht als ein armer Wanderprophet unter die Menschen und es sind wenige, die ihm wirklich von ganzem Herzen nachfolgen. Aber ein Glaube, der allein auf die äußere Prachtentfaltung der Religion baut, was wäre das für ein Glaube?
Immer wieder ist die Kirche der Versuchung erlegen, die Menschen mehr mit Macht und Prunk für den Glauben zu gewinnen, als durch die Schlichtheit eines ungeheuchelten Glaubens. Der Mensch will gerne selbst Macht gewinnen und ausüben. Doch nur wenn der Mensch sich seiner eigenen Schwäche bewusst wird, schafft er Raum für das mächtige Wirken Gottes. Wird es uns gelingen, auf unsere eigene Stärke zu verzichten, um Gott durch uns wirken zu lassen? Nur so können wir wahrhaft Diener Gottes sein.
Gottes Wort an das Volk Israel ist heute aktueller denn je:
Ich bin Jahwe, dein Gott.
Du sollst neben mir keine anderen Götter haben.
Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen
und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen.
Denn ich, der Herr, bin dein Gott. (Dtn 5,6-9)
Darauf führte ihn der Teufel nach Jerusalem, stellte ihn oben auf den Tempel und sagte zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, so stürz dich von hier hinab; denn es heißt in der Schrift: Seinen Engeln befiehlt er, dich zu behüten; und: Sie werden dich auf ihren Händen tragen, damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt.
Da antwortete ihm Jesus: Die Schrift sagt: Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht auf die Probe stellen.
Nach diesen Versuchungen ließ der Teufel für eine gewisse Zeit von ihm ab. (Lk 4,9-13)
Bei der dritten Versuchung kehrt der Satan den Spieß um. Nun ist er es, der aus der Schrift zitiert. Komm Jesus, stürz dich herab von der Spitze des Tempels. Gottes Arme warten doch nur darauf, dich aufzufangen, dir kann nichts passieren und alle werden darüber staunen und schon bist du der große, unverwundbare Held.
Was gäbe so ein Wunder heute für Schlagzeilen: Beweis für die Existenz Gottes - Prophet stürzt sich hundert Meter vom Turm des Doms in die Tiefe und bleibt unverletzt! Die Talkshows würden sich darum reißen, diesen Propheten einzuladen. Er würde über Gott sprechen, er könnte damit so viele Menschen erreichen.
Aber doch wäre was faul an der ganzen Sache. Wie tief würde der Glaube bei den Menschen gehen? Und vor allem: worauf würde dieser Glaube bauen? Gott will nicht die Wundersucht der Menschen stillen, denn bald ist das eine Wunder vergessen und es braucht ein noch größeres, um die Menschen bei Laune zu halten.
Gottes Größe zeigt sich in den kleinen Wundern des Alltags, darin, dass der Mensch auf Gott vertraut, auch wenn im Leben nicht alles glatt geht. Wir müssen auch einiges aushalten können. Der Glaube bewahrt uns nicht vor Schicksalsschlägen, aber er hilft uns, durch diese hindurchzugehen.
Der Versucher zitiert den Psalm 91:
Er befiehlt seinen Engeln, dich zu behüten.
Sie tragen dich auf ihren Händen, damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt. (Ps 91,11f)
Augustinus beginnt seine Erklärung dieses Psalms mit den Worten:
Dies ist der Psalm, aus dem der Teufel unseren Herrn Jesus Christus zu versuchen wagte. Hören wir ihn also, damit wir, unterrichtet, dem Versucher widerstehen können.
Psalm 91 ist ein Psalm der Zuversicht, der seinen festen Platz im Nachtgebet der Kirche hat. Gerade mit den Worten, die tiefste Nähe zwischen dem Beter und Gott zum Ausdruck bringen, will der Teufel einen Keil zwischen Gott und den Menschen treiben. Er macht aus den Worten tiefster Zuversicht ein Mittel, um Gott auf die Probe zu stellen. So hat er schon im Paradies Adam und Eva zur Übertretung von Gottes Gebot verführt, indem er Gottes Sorge für den Menschen in Frage stellte. "Gott weiß viel mehr ..." Er macht den Menschen glauben, dass Gottes Weisung nicht zum Wohl des Menschen ergangen ist, sondern nur, um ihn klein und dumm zu halten. Kommt uns eine solche Argumentation nicht bekannt vor?
Psalm 91 endet mit den folgenden Worten:
Wenn er mich anruft, dann will ich ihn erhören.
Ich bin bei ihm in der Not,
befreie ihn und bringe ihn zu Ehren.
Ich sättige ihn mit langem Leben
und lasse ihn mein Heil schauen. (Ps 91,15f)
Jesus hat diese Versuchung überwunden, aber der Versucher wird immer wieder an ihn herantreten. Henri Nouwen schreibt:
Ich bin fest davon überzeugt, dass das Schlüsselerlebnis für das öffentliche Wirken Jesu die Taufe im Jordan war, bei der Jesus die Bestätigung hörte: "Du bist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe." Das ist die Kernerfahrung Jesu. Er wird auf eine ganz tiefe Weise daran erinnert, wer er ist.
Die Versuchungen in der Wüste sind darauf angelegt, ihn von dieser spirituellen Identität abzubringen. Er wurde versucht, zu glauben, er sei ein anderer: Du bist doch einer, der Steine in Brot verwandeln kann. Du bist doch einer, der von der Zinne des Tempels springen kann. Du bist doch einer, der andere seiner Macht unterwerfen kann. Aber Jesus sagt dreimal Nein, aus der festen Überzeugung: "Ich bin Gottes geliebter Sohn."
Ich denke, dass sein ganzes Leben darin besteht, fortwährend diese Identität in Anspruch zu nehmen, bei allem, was auch immer geschieht. Es gibt Zeiten, in denen er gerühmt wird, und Zeiten, in denen er verachtet und abgelehnt wird, aber beharrlich sagt er immer: "Andere werden mich allein lassen, aber mein Vater wird das nie tun. Ich bin Gottes geliebter Sohn. Ich bin die leibhaftige Hoffnung, die in dieser Identität zu finden ist."