Johannes 1,35-51

Die ersten Jünger

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Taufe des Herrn
Am Tag darauf stand Johannes wieder dort, und zwei seiner Jünger standen bei ihm.
Als Jesus vorüberging, richtete Johannes seinen Blick auf ihn und sagte: Seht das Lamm Gottes! (Joh 1,35-36)

Wieder spricht Johannes diesen Satz: Seht das Lamm Gottes! Diesmal ganz konkret zu zwei seiner Jünger. Johannes weiß, dass nun die Zeit, auf die er die Menschen vorbereitet hat gekommen ist, dass der da ist, für den er den Weg bereitet hat. Sein Dienst der Vorbereitung ist erfüllt. Nun ist der Messias, der Meister, selber da. Jetzt braucht er den Menschen nicht mehr unbestimmt zu sagen: "Nach mir kommt einer...", sondern er kann direkt auf Jesus hinweisen: "Seht, das Lamm Gottes!" - Seht, hier ist euer Erlöser. Ich kann euch nur mit Wasser taufen, aber er nimmt selbst eure Sünden auf sich, er befreit euch von euren Lasten und schenkt euch das Heil, nach dem ihr sucht.
Suchen, das ist das entscheidende Stichwort, wenn es um Gott geht. Wenn ich Gott begegnen möchte, muss ich mich auf die Suche nach ihm machen. Das bedeutet nicht, dass Gott sich vor uns verstecken möchte, nein, Gott ist immer da und zeigt sich uns. Aber wir können ihn nicht sehen, wenn wir nicht nach ihm suchen. Wir müssen bereit sein, den Schritt zu tun, der uns aus dem Alltäglichen dieser Welt hinführt zu der Begegnung mit dem lebendigen Gott.
Da ist es gut, wenn man Wegweiser hat, Hinweise, wo und wie zu suchen ist. Johannes der Täufer war ein solcher Wegweiser, für seine beiden Jünger, von denen einer Andreas, der spätere Apostel Jesu und Bruder des Simon Petrus war, und sicher auch für viele andere Ungenannte. Sie hatten sich schon von sich aus auf die Suche gemacht. Hatten in Johannes einen gefunden, der als geistgeführter Mensch in dieser Nähe zu Gott lebte, zu der sie selbst finden wollten. Johannes führt sie aber von sich weg, zu dem hin, der nicht nur ein Mensch ist, der in der Nähe Gottes lebt, sondern der selbst Gott ist, Jesus Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch.

Die beiden Jünger hörten, was er sagte, und folgten Jesus. Jesus aber wandte sich um, und als er sah, dass sie ihm folgten, fragte er sie: Was wollt ihr? Sie sagten zu ihm: Rabbi - das heißt übersetzt: Meister , wo wohnst du? Er antwortete: Kommt und seht! Da gingen sie mit und sahen, wo er wohnte, und blieben jenen Tag bei ihm; es war um die zehnte Stunde. (Joh 1,37-39)

Ohne zu zögern folgen die beiden dem Wink des Johannes. Sie gehen hinter Jesus her. Sie hängen sich nicht aufdringlich an ihn, sondern bleiben in geziemender Distanz, bis Jesus selbst sich ihnen zuwendet. "Was sucht ihr?" Das ist die entscheidende Frage. Was will ich? Wozu bin ich gekommen? Wenn ich Gott suchen möchte, muss ich mir vorher im Klaren darüber sein, was ich möchte. Suche ich Gott nur, um mal was anderes auszuprobieren, um ihn neben allem möglichen anderen in den Baukasten meiner eigenen Religion einzubauen, oder suche ich Gott, weil er Gott ist, weil er der Eine und Einzige ist, weil er die Wahrheit ist, weil er das Leben ist, weil er allem einen Sinn gibt? Natürlich wird sich Gott immer als der ganz andere erweisen, als den ich ihn mir vorstelle, aber doch muss ich mir zunächst einmal selbst darüber im Klaren sein, was ich möchte.
Die beiden antworten: "Meister, wo wohnst du?" Das ist nicht so ungewöhnlich, wie es auf den ersten Blick scheint. Zu Zeit Jesu war es üblich, dass ein Rabbi, ein Meister, ein geistlicher Lehrer, Schüler um sich sammelte, die sich im Haus des Meisters trafen. Die beiden wollen zu den Jüngern Jesu gehören. Sie wollen bei dem Meister in die Lehre gehen und von ihm lernen, wie sie den Weg zu Gott, den sie suchen, gehen können.
"Kommt und seht!" Jesus lässt sich auf die beiden ein. Er will sie lehren. Sie sollen kommen und sehen. In dieses Lernen der Jünger treten auch wir jetzt ein, wenn wir das Evangelium weiterlesen. Was die Jünger damals "live" gesehen haben, wurde für uns aufgeschrieben, damit wir heute wie die Jünger damals sehen können, wer dieser Jesus ist. Wir lesen von den Zeichen, die er getan hat, wir hören die Worte, die er gesprochen hat. Bei unserem Lernen sind wir nicht allein. Der Heilige Geist, der in Jesus gewirkt hat, der auf die Jünger Jesu herabgekommen ist, er wirkt auch heute in uns und öffnet unser Herz für das Verständnis der Heiligen Schrift. Wir sind auch heute nicht allein auf der Suche nach Jesus. Wir müssen uns nur auf den Weg machen und unsere Herzen dafür offen halten, was Gott uns sagen möchte.
Dann können auch wir vielleicht einmal wie Andreas sagen: "Wir haben den Messias gefunden." Andreas ist sich sicher, dass er in Jesus den gefunden hat, den er schon immer gesucht hat. Das kann er natürlich nicht für sich selber behalten. Zuerst trifft er seinen Bruder Simon, den er gleich zu Jesus mitnimmt. Jesus sieht Simon und gibt ihm den Namen Petrus. Wie glücklich müssen sie gewesen sein, dass ihre Suche nicht vergebens war.

Was sucht ihr?

Was sucht ihr? Im Johannesevangelium ist dies das erste Wort aus dem Mund Jesu und Johannes hat dieses Wort sicher bewusst gewählt. Dem lebendigen Gott kann nur der Mensch begegnen, der nach ihm sucht.
Andreas und der andere Jünger - wahrscheinlich ist es der Evangelist Johannes selbst - sind auf der Suche. Sie haben gespürt, dass im Auftreten des Täufers sich Gottes Wirken offenbart. Johannes hat sie gelehrt, dass er nur der Vorläufer ist, der auf einen anderen hinweist. Und nun ist dieser andere, Jesus Christus da. Seht das Lamm Gottes. - Ihm müsst ihr folgen.

Wo wohnst du? - Kommt und seht

Die beiden folgen Jesus. Er bemerkt es und fragt sie nach dem, was sie suchen. Ihre Antwort ist einfach und doch von einer ungeheueren Tiefe: "Meister, wo wohnst du?" Und Jesus antwortet: "Kommt und seht."
Wir können sehen, wo Gott wohnt, weil er uns in Jesus Christus nahe gekommen ist. "Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt." So hat es Johannes im Prolog formuliert. Gott hat Wohnung genommen unter den Menschen, wir sind gerufen, zu ihm zu kommen und bei ihm zu wohnen und ihn so immer tiefer kennen zu lernen.

Jesus, in dem die Fülle der Gottheit wohnt, ist unsere Wohnung geworden. Indem er in uns Wohnung nimmt, können auch wir in ihm Wohnung nehmen. Indem er sich in unserem innersten niederlässt, eröffnet er uns die Möglichkeit, an seiner eigenen Nähe zu Gott teilzuhaben. Indem er uns als seinen bevorzugten Wohnort wählt, lädt er uns ein, ihn als unseren bevorzugten Wohnort zu wählen. Das ist das Geheimnis der Inkarnation, der Menschwerdung Gottes. (Henri Nouwen)
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Hl. Schrift
Andreas, der Bruder des Simon Petrus, war einer der beiden, die das Wort des Johannes gehört hatten und Jesus gefolgt waren. Dieser traf zuerst seinen Bruder Simon und sagte zu ihm: Wir haben den Messias gefunden. Messias heißt übersetzt: der Gesalbte (Christus). Er führte ihn zu Jesus. Jesus blickte ihn an und sagte: Du bist Simon, der Sohn des Johannes, du sollst Kephas heißen. Kephas bedeutet: Fels (Petrus).
Am Tag darauf wollte Jesus nach Galiläa aufbrechen; da traf er Philippus. Und Jesus sagte zu ihm: Folge mir nach! Philippus war aus Betsaida, dem Heimatort des Andreas und Petrus. Philippus traf Natanaël und sagte zu ihm: Wir haben den gefunden, über den Mose im Gesetz und auch die Propheten geschrieben haben: Jesus aus Nazaret, den Sohn Josefs. Da sagte Natanaël zu ihm: Aus Nazaret? Kann von dort etwas Gutes kommen? Philippus antwortete: Komm und sieh! Jesus sah Natanaël auf sich zukommen und sagte über ihn: Da kommt ein echter Israelit, ein Mann ohne Falschheit. Natanaël fragte ihn: Woher kennst du mich? Jesus antwortete ihm: Schon bevor dich Philippus rief, habe ich dich unter dem Feigenbaum gesehen. Natanaël antwortete ihm: Rabbi, du bist der Sohn Gottes, du bist der König von Israel! Jesus antwortete ihm: Du glaubst, weil ich dir sagte, dass ich dich unter dem Feigenbaum sah? Du wirst noch Größeres sehen. Und er sprach zu ihm: Amen, amen, ich sage euch: Ihr werdet den Himmel geöffnet und die Engel Gottes auf- und niedersteigen sehen über dem Menschensohn. (Joh 1,40-51)
Wir haben gefunden ...

Wenn wir die Nähe Gottes suchen, so nimmt er selbst Wohnung in uns. Wenn wir zu Jesus kommen und mit ihm Umgang haben, so nimmt er in uns immer mehr Gestalt an und wir können selbst zu Christusträgern werden, zu Menschen, die anderen von der Nähe Gottes Zeugnis geben.

Die Begegnung mit Jesus blieb den Jüngern unvergesslich und hat sich ihren Herzen unauslöschlich eingeprägt. Wir alle sind zu dieser Begegnung eingeladen. Jesus will uns Heimat geben, einen Ort, an dem wir Wohnung finden, Geborgenheit, Ruhe, Entspannung, Sicherheit, Friede, einen Ort des Essens und der Erquickung, eine Quelle der Freude und der Liebe. Wer einmal dort gewesen ist, der hat eine neue Heimat, eine neue Wohnung gefunden, der kehrt immer wieder dahin zurück, der geht hinaus und ruft es anderen zu: "Wir haben den Verheißenen gefunden!"

Im Glauben geht es um die immer tiefere Erkenntnis Christi. Wie aber erkennt man Christus? Wie erkennt man überhaupt einen Menschen? Letztlich nicht von außen, vom Hörensagen, vom Beobachten, sondern dadurch, daß man mit ihm umgeht, mit ihm ißt und trinkt und zusammen wohnt, in einen inneren Austausch mit ihm tritt, sich ihm anvertraut, seine Geheimnisse erfährt, seine Freude und seine Not mit ihm teilt. Einen Menschen erkennen heißt ihn zuvor erproben, ihn in der Wirklichkeit des täglichen Lebens erfahren, seine Treue oder auch Treulosigkeit, seine Liebe und seine Selbstsucht, seine Geduld, seine Keuschheit, seine Demut, seine Wahrhaftigkeit, seine Charakterfestigkeit, seine Tragfähigkeit oder auch das Gegenteil von all dem. Je inniger und umgreifender die Lebensgemeinschaft von Menschen ist, um so ganzheitlicher und eigentlicher kann ihre gegenseitige Erkenntnis sein. Die tiefste Erkenntnis ist darum notwendig an die selbstlose, dienende, vollkommene Liebe geknüpft.
Später werden die Jünger es wissen: Ihm gehört die ganze Welt. Er ist überall zu Hause, und alles wird durch seine Gegenwart zum Haus des Vaters, das er den Menschen aufgeschlossen hat. (Friedrich Wulf SJ)

Andreas erzählt aus seinem Leben

Ich will stets ein Suchender sein
und erwarten was Gott uns beschert
ich will nicht feste Phrasen dreschen
die einmal für immer gelehrt

Ich will den neuen Stern entdecken
den keiner noch sah am Firmament
und wenn alle sagen es bleibt wie es ist
dann wag ich das Experiment

Fischer am See von Galiläa war damals ein solider Beruf. Wir hatten unser Auskommen. Es war ein schönes Leben, draußen auf dem See, aber auch harte Arbeit. Wir freuten uns, wenn Gott uns einen reichen Fang beschert hatte, aber waren auch dankbar, wenn die Netzte mal nicht so voll waren.
Wir mochten diese Arbeit, doch sie war nicht alles. Wir waren Suchende. Wir sahen uns Gott ganz nahe. Am Morgen, wenn die Sonne aufging über dem See, dankten wir ihm für die Schönheit der Schöpfung, ebenso am Abend, wenn die Sonne wieder niedersank.
Gott, du bist deinem Volke nah! Wo ist ein Gott, so groß wie unser Gott, wo ist ein Gott, der so gut zu den Menschen ist, wie du!

Und dann trat dieser neue Prophet auf, Johannes der Täufer. Er sah wüst aus mit seinem Gewand aus Kamelhaar. Von Heuschrecken und wildem Honig hat er gelebt. Sein ungeschnittenes Haar war lang und zerzaust. Das Leben da draußen in der Wüste hatte tiefe Spuren in ihn gezeichnet.
Ein Mann Gottes, wie er schon lange nicht mehr aufgetreten ist. Auf so jemanden hatten wir immer gehofft, aber wir dachten schon, die Zeit der Propheten wäre Geschichte. Doch Gott wirkt immer wieder Neues in seinem Volk. Er sendet seine Heiligen zu allen Zeiten, wir müssen nur Augen und Ohren offen halten, um sie zu entdecken.
Johannes hatte für jeden einen Spruch und war nicht zimperlich mit seinen Worten. Dem Volk rief er zu: "Schlangenbrut! Wer hat euch gelehrt, dass ihr dem Gericht entgehen könnt? Zeigt eure Umkehr und lasst sie Früchte tragen! Sonst werdet ihr wie ein Baum umgehauen und ins Feuer geworfen!"
Ja, umkehren sollten die Menschen, immer wieder darüber nachdenken, wie sie eigentlich leben und wie Gott will, dass sie leben. All diese Gleichgültigkeit, die unter den Menschen herrscht, war ihm ein Gräuel. Er wollte Entschiedenheit.
Viele kamen und ließen sich von Johannes taufen als Zeichen der Umkehr, dass sie bereit waren, zu einem neuen Leben. Auch ich ließ mich taufen. Wir waren einige junge Männer, die sich öfter um Johannes versammelten, mit ihm redeten, mit ihm zusammen nach dem Willen Gottes für unser Leben suchten.
Doch Johannes hat die Menschen immer von seiner Person weggelenkt. Er wollte nicht im Mittelpunkt stehen. Er war nur ein Bote Gottes. Ich bin nicht der Messias, auf den ihr wartet, hat er oft gesagt. Aber der Messias kommt bald. Ich bereite ihm den Weg.

An jenem denkwürdigen Tag geschah es am Jordan. Da kam dieser Jesus. Bisher kannte ihn noch niemand. Er stammte aus einem kleinen Dorf in Galiläa, Nazaret, wohin keiner freiwillig ging. Ein armseliges, verschlafenes Nest, fernab der Zivilisation. Von dort sollte der Messias kommen? Es hieß doch, aus Betlehem, der Stadt Davids. Später erfuhren wir, dass Jesus tatsächlich in Betlehem geboren worden war, dann aber hat es seine Familie irgendwie in den Norden verschlagen.
Jesus stand in der langen Schlange der Täuflinge. Doch Johannes hat ihn gleich erkannt. Als Jesus dann an der Reihe war, haben die beiden lange miteinander geredet. Dann endlich tauchte Johannes Jesus in das Wasser des Jordan und taufte ihn. Johannes hat uns danach erzählt, was er gesehen hat: Als Jesus ins Wasser stieg, öffnete sich der Himmel und der Geist Gottes kam wie eine Taube auf ihn herab.
Jetzt war er da, für den Johannes den Weg bereiten sollte. Auch uns, die wir öfter bei ihm waren, hat er sofort zu Jesus geschickt. "Seht, das ist er, von dem ich euch erzählt habe und auf den ich gewartet habe. Er ist das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt."

Nun war Johannes Geschichte. Dieser Jesus aber faszinierte mich. Ich wollte ihn kennenlernen, mit ihm in Kontakt kommen. Komm mit Johannes, sagte ich zu meinem Kumpel, der wie ich bei Johannes dem Täufer war. Beide gingen wir Jesus nach, wollten sehen, wohin er geht. Jesus bemerkte, dass wir ihm folgten. Er drehte sich um:
"Was sucht ihr?" - Wir antworteten: "Meister, wo wohnst du?"
Jesus lud uns zu sich ein. Wir lernten einander kennen. Jesus erzählte uns viel von sich. Auch wir erzählten von unserem Leben, von unserer Suche nach Gott. Jesus sagte uns: "Folgt mir nach, dann werdet ihr lernen, wer Gott ist."
Bis in die Nacht hinein blieben wir bei Jesus. Am anderen Morgen konnten wir nicht wieder an unsere Arbeit gehen. Etwas Neues war geschehen. Wir hatten nun eine wichtigere Aufgabe. Wir wollten mit Jesus gehen, von ihm lernen, und mit ihm am Reich Gottes bauen.
Simon, mein Bruder, hatte sich bereits gewundert, dass ich am Abend so spät nach Hause gekommen war. Jetzt, als ich ihn am Morgen sah, musste ich ihm sofort von der Begegnung mit Jesus berichten:

"Wir haben den Messias gefunden!"

Sagte ich freudestrahlend. Das, worüber wir so lange nachgedacht haben, ist nun geschehen. Gott ist mitten unter uns und er will, dass wir mit ihm sind. Komm, jetzt ist die Zeit da, in der das Neue Wirklichkeit wird!
Ich musste nicht lange reden. Simon brannte darauf, Jesus zu sehen. Wir liefen hin. Jesus freute sich, als ich mit Simon kam. "Du bist Petrus, der Fels", sagte Jesus sogleich, als er Simon sah, so als würde er ihn schon längst kennen.
Ja, Simon war schon immer der Stärkere von uns beiden, er hatte ein besonderes Talent, war der geborene Anführer, der die Mannschaft zusammenhalten konnte. Dabei aber nicht überheblich, man hörte gerne auf ihn. Auch wenn ich sozusagen der Erstberufene bin, sollte doch Petrus der Erste von uns werden.
Der Erste von uns - den zwölf Aposteln, die Jesus nun um sich beruft als Bild für das neue Volk Gottes. So wie Israel einst aus zwölf Stämmen bestand, so soll das neue Volk Gottes auf die zwölf Säulen der Apostel gegründet sein.
Säule, auf die das Reich Gottes gegründet ist. Wenn mir das damals jemand gesagt hätte, hätte ich ihm gesagt, du spinnst. Ich und eine Säule ... Wir mussten noch viel lernen von Jesus. Immer wieder mussten wir erkennen, dass wir nicht verstanden, was er uns so ausführlich erklärt hat. Die Liebe Gottes, die Gott allen Menschen schenken will, gerade denen, die sie nach menschlicher Einschätzung nicht zu verdienen scheinen.
Wir waren überrascht, als Jesus uns in die Häuser der Zöllner mitnahm, in die wir niemals freiwillig einen Fuß gesetzt hätten, schämten uns anfangs, als Jesus plötzlich eine Dirne in unsere Mitte holte und mit ihr über die Liebe Gottes sprach, mit solchen Leuten hätte ich nie gesprochen. Aber diejenigen, die als die Angesehenen galten, die Schriftgelehrten und die Pharisäer, die stieß Jesus immer wieder vor den Kopf. Immer stärker spürten wir ihre Feindschaft.
Wir mussten auch lernen, auf Gottes Vorsehung zu vertrauen, ihm Wunder zuzutrauen. Als einmal mehrere tausend Menschen Jesus gefolgt sind und eine lange Rede von ihm angehört hatten, da wollte er plötzlich allen noch etwas zu Essen geben, bevor er die Menschen nach Hause schickte. Woher hätten wir das Geld nehmen sollen, um für so viele Menschen Brot zu kaufen? Zufällig sah ich einen kleinen Jungen mit fünf Broten und zwei Fischen. Ich weiß nicht, wie es geschah, aber plötzlich nahm ich diesen Jungen an der Hand und brachte ihn zu Jesus. Aber fünf Brote und zwei Fische, was ist das schon für so viele.
Doch Jesus schien das nicht zu bekümmern. Die Leute sollten sich setzen. Er sprach ein Dankgebet und wir sollten von den fünf Broten und zwei Fischen an die Leute austeilen. Und wir teilten aus, hatten immer die Hände voll, um allen zu geben, bis zum letzten Mann in der hintersten Reihe. Jeder konnte bekommen, soviel er wollte, und alle wurden satt.
Diese schöne Zeit mit Jesus war bald vorbei. Ich erinnere mich noch an den letzten Weg nach Jerusalem. Jesus trug schwer an der Last dessen, was auf ihn zukommen sollte. Er hatte es uns mehrmals erklärt, aber wir konnten - wollten es nicht verstehen. Jesus am Kreuz, wie ein Verbrecher hingerichtet. "Das darf nicht geschehen!" hatte Petrus einmal gesagt und damit uns allem aus dem Herzen gesprochen - aber Jesus hat ihn danach ordentlich zurechtgewiesen. Es geht nicht darum, was wir wollen und was uns gefällt, sondern darum, was der Wille Gottes ist. Jesus musste sterben, um der Welt das Heil zu bringen. Ich erinnerte mich an die Worte, die der Täufer damals, als alles begann, gesagt hat: Seht das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt.

Mit Jesu Tod schien alles zu Ende, aber eigentlich fing nun alles erst so richtig an. Jetzt waren wir gefragt. Jetzt war es an uns, das umzusetzen, was wir von Jesus gelernt hatten. Doch Jesus ließ uns nicht allein. Er war ja auferstanden, er lebte, er war immer bei uns. Er hat uns den Heiligen Geist gesandt, der uns Dinge eingab, auf die wir selbst nicht gekommen wären, der uns den Mut gab, das zu tun, was uns selbst unmöglich schien.
Zunächst waren wir in Jerusalem, dann aber gingen wir hinaus in die weite Welt, in Länder, die wir nicht kannten, von denen wir noch nicht einmal gehört hatten. Überall verkündeten wir den Menschen Jesus Christus. Wir sprachen von der Liebe Gottes, die so groß ist, dass Gott seinen Sohn am Kreuz geopfert hat für unser Leben. Wir brauchen nicht mehr die vielen Schlachtopfer, die überall auf den Altären dargebracht wurden. Nicht immer neue Opfer. Gott will, dass wir leben, dass wir in ihm das Leben haben. Wir haben die Menschen getauft auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, so wie Jesus es uns aufgetragen hat und sie so zu Kindern des Reiches Gottes gemacht.
Doch es gab auch Neider. Die Priester der alten Götter sahen ihre Macht bedroht. Überall stieß unsere Verkündigung auf Widerstand, doch wir haben weitergemacht, haben uns nicht schrecken lassen. Denn was sollte uns ängstigen, wussten wir doch, dass Jesus bei uns ist und dass sein Reich, das nicht von dieser Welt ist, auch nicht durch Menschenkraft zerstört werden konnte.

Es war um das Jahr 60, etwa 30 Jahre nach Jesu Tod, da kam ich nach Griechenland in die Stadt Patras, um das Evangelium zu verkünden. Viele waren schon gläubig geworden und haben sich taufen lassen, unter ihnen auch die Frau des römischen Statthalters. Der tobte vor Wut, dass der neue Glaube nun bis in seine Familie gedrungen war. Er ließ mich ins Gefängnis werfen. Er spottete darüber, dass ich diesen Jesus verkündete, der am Kreuz gestorben ist. Das Kreuz war für ihn nichts als ein Zeichen der Schmach und er wollte auch mir zeigen, dass das Kreuz kein Heil bringt, sondern nur den Tod. Doch ich fürchtete mich nicht vor dem Kreuz und sagte:
"Wenn ich mich vor der Pein des Kreuzes fürchten würde, so würde ich nicht das Lob des Kreuzes verkündigen. Ich will aber, dass du das Mysterium des Kreuzes erkennst, damit du glaubst und gerettet wirst."
Doch der Statthalter sah im Kreuz kein Geheimnis. Seine Wut wurde nur noch größer und es kam der Tag, an dem ich mein Kreuz zu nehmen hatte, so wie es Jesus einmal gelehrt hat: "Wer mir nachfolgen will, nehme sein Kreuz auf sich." Dies war für mich nun Wirklichkeit geworden. Doch nicht wie unser Herr wollte ich am Kreuz hängen, das erbat ich mir. So machte man mir ein X-förmiges Kreuz, bis heute als Andreaskreuz bekannt.
Zwei lange Tage hing ich am Kreuz. Der Herr gab mir die Kraft, die Schmerzen zu ertragen. Viele Menschen kamen, um dieses Schauspiel zu sehen. Ich redete unaufhörlich vom Geheimnis des Kreuzes, von Jesus, der für die Menschen am Kreuz gestorben ist, der allen Heil und Leben schenken möchte und viele wurden gläubig. Nach zwei Tagen wir meine Qual zu Ende und Gottes Herrlichkeit umfing mich. Nun bin ich immer bei Jesus, den meine Seele liebt, aber auch mitten unter euch, nicht nur als Statue, sondern als lebendiger Stein.