Römerbrief 13,1-7

Christ und Staat

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Jeder ordne sich den Trägern der staatlichen Gewalt unter. Denn es gibt keine staatliche Gewalt außer von Gott; die jetzt bestehen, sind von Gott eingesetzt. (Röm 13,1)

Das Thema Christ und Staat ist sehr weitläufig und kann hier nur in einem sehr begrenzten Umfang behandelt werden. Paulus sieht jede staatliche Gewalt letztlich von Gott legitimiert. Es gehört zur göttlichen Ordnung, dass sich die Menschen in Staaten organisieren und dass diese Staaten eine Regierung haben, die Steuern und Gehorsam einfordern kann.
Paulus setzt hier eine Situation voraus, in der bereits das Diaspora-Judentum lange gelebt hat. Wenn wir die biblische Geschichte ansehen, so hat es nur eine relativ kurze Zeit gegeben, in der jüdische Religion und jüdischer Staat weitgehend identisch waren. Die Stammväter Abraham, Isaak und Jakob lebten ihren Glauben an den einen Gott als Fremde in einem Land, das von anderen Herrschern regiert wurde. In Ägypten waren die Israeliten Fremde. Erst mit der auf den Auszug aus Ägypten folgenden Landnahme eroberten die Israeliten das ihnen von Gott zugesagte Land.
Hier sind biblische Erzählung und historische Wirklichkeit teilweise kontrovers. Während die Verfasser der Bibel den gelebten Glauben an den einen Gott in dem einen israelitischen Staat betonen und den weiterhin bestehenden Götterkult und die Trennung in zwei Königreiche nach Salomos Tod als Folge menschlicher Schuld betrachten, war die historische Entwicklung vermutlich komplexer. Viele Historiker vertreten die These, dass zur Entwicklung des Königreichs Israel keine gerade Linie vom Exodus über die Landnahme hin zu David führt. Es gab verschiedene Gruppen, die sich durch die Identität als Israeliten und den Glauben an den Gott Israels als Einheit sahen. Nordreich und Südreich hatten ihre jeweils eigenen Traditionen und waren schon immer weitgehend eigenständig, auch in der Gottesverehrung. Erst nach dem Untergang des Nordreiches wurde die biblische Geschichte auf Jerusalem als Zentrum von Königtum und Glauben hin gedeutet.
Beide jüdischen Reiche wurden erobert und seither lebt ein Großteil der Juden verstreut unter den Völkern. Daran änderte sich auch durch die Wiedererrichtung des Tempels nach dem babylonischen Exil nichts. Jerusalem blieb zwar ideologisches Zentrum des Judentums, es war Ziel von Wallfahrten, aber die Juden lebten in den multikulturellen Städten der hellenistischen und später römischen Welt. Sie lebten ihren Glauben und unterschieden sich durch ihr Festhalten an der Tradition der Väter von allen anderen Menschen.
Die Andersheit der Juden hat immer wieder zu Verfolgungen geführt, doch meistens war es eine friedliche Koexistenz. Auch das Verhalten der Regierungen gegenüber den Juden war von dieser Wechselhaftigkeit geprägt. Die Juden waren es gewohnt, sich an unterschiedliche Herrschaftsformen anzupassen. Bei all dem aber vergaßen sie nie das Zentrum ihres Glaubens und hielten an Gesetz und Gewohnheiten fest.
Auch Paulus kam aus der Diaspora. Er war es gewohnt, sich in einer andersgläubigen Umgebung mit seinem Glauben heimisch zu fühlen. Äußere Anpassung an die Forderungen des Staates war für ihn die beste Lösung, um den Glauben in einer möglichst großen Freiheit leben zu können. Er kannte die Risiken, dir dadurch entstanden, wenn die Juden sich gegen die staatliche Macht erhoben. Wenige Jahre vor der Entstehung des Römerbriefs wurden die Juden aus Rom vertrieben und durften gerade erst wieder dorthin zurückkehren.
Wir müssen die für unsere Ohren vielleicht zu staatsfreundlichen Worte vor diesem Hintergrund lesen. Das Römische Reich zur Zeit des Paulus hatte ja eine weitgehend gerechte Regierung. Natürlich dürfen wir daran nicht die Maßstäbe einer heutigen Demokratie anlegen. Es gab große Unterschiede zwischen Römern und Nichtrömern, Freien und Sklaven, Männern und Frauen. Aber es gab Gesetz und Recht und wer sich daran hielt, konnte relativ frei sein Leben gestalten. Nur wenn die relativ kleine Gruppe der Juden und nun die der Christen friedlich ihren Pflichten als Staatsbürger nachkam und sich an die geltenden Gesetze hielt, konnte sie ungestört ihren Glauben leben und weiter verkünden.
Paulus denkt hier nicht an einen offensichtlich ungerechten Staat wie wir ihn beispielsweise vom Dritten Reich her kennen. Die Worte des Paulus dürfen nicht als biblische Legitimation für einen bedingungslosen Gehorsam gegenüber ungerechten Gesetzen und die Verletzung der Würde des Menschen verstanden werden. Wir lesen in anderen Büchern der Bibel, insbesondere der Offenbarung des Johannes, sehr wohl davon, dass es auch ungerechte Regierungen gibt, deren Ziel die Ausbreitung des Bösen ist und die im Kampf stehen mit Gott. Hier muss auch der Christ aufstehen und für Gerechtigkeit und Glauben kämpfen, wenn nötig bis zum Tod, wie es die Märtyrer getan haben.
Doch solange sich der Staat an Grundregeln der Gerechtigkeit hält, ist es Aufgabe des Christen, diesem Staat den schuldigen Gehorsam entgegenzubringen, sich an die Gesetze zu halten und Steuern zu zahlen. Das Christentum ist von seinem Ursprung her keine politische Religion. Darin unterscheidet es sich grundlegend vom Islam. Dort ist von Anfang an die religiöse Ausbreitung mit der politischen Herrschaft verbunden. Ein Staat, in dem Muslime leben, hat früher oder später auch ein muslimischer Staat zu sein. Darin sehe ich die größte Herausforderung der derzeitigen Flüchtlingskrise. Werden die Moslems bereit sein, sich in die westliche Zivilisation zu integrieren, oder werden sie stets danach streben, diese auch politisch gemäß den Ansichten ihrer Religion umzugestalten? Gerade auf diesen Aspekt sollte von unseren Regierungen das Hauptaugenmerk gerichtet werden, und es ist kritisch zu hinterfragen, ob es im Islam relevante Lehrmeinungen gibt, die eine friedliche Koexistenz von Muslimen und Nichtmuslimen in einem religiös neutralen Staat fördern.

Wer sich daher der staatlichen Gewalt widersetzt, stellt sich gegen die Ordnung Gottes, und wer sich ihm entgegenstellt, wird dem Gericht verfallen. Vor den Trägern der Macht hat sich nicht die gute, sondern die böse Tat zu fürchten; willst du also ohne Furcht vor der staatlichen Gewalt leben, dann tue das Gute, sodass du ihre Anerkennung findest! Denn sie steht im Dienst Gottes für dich zum Guten. Wenn du aber das Böse tust, fürchte dich! Denn nicht ohne Grund trägt sie das Schwert. Sie steht nämlich im Dienst Gottes und vollstreckt das Urteil an dem, der das Böse tut. Deshalb ist es notwendig, sich unterzuordnen, nicht allein um der Strafe, sondern auch um des Gewissens willen. Das ist auch der Grund, weshalb ihr Steuern zahlt; denn in Gottes Auftrag handeln jene, die Steuern einzuziehen haben. Gebt allen, was ihr ihnen schuldig seid, Steuer, wem ihr Steuer schuldet, Zoll, wem ihr Zoll schuldet, Furcht, wem ihr Furcht schuldet, Ehre, wem ihr Ehre schuldet! (Röm 13,2-7)

Hier wird nochmals deutlich, dass Paulus hier eine Form des Rechtsstaates und keinen Unrechtsstaat vor Augen hat. Wer Gutes tut, hat von staatlicher Seite keine Strafe zu fürchten, wer aber Böses tut, muss mit Konsequenzen rechnen. Das Gute, dessen Einhaltung der Rechtsstaat fordert, steht im Einklang mit den Geboten Gottes, weshalb das Böse, das er ahndet, zugleich eine Verletzung der Gebote Gottes ist. Das macht der Hinweis des Paulus auf das Gewissen deutlich, das ja die Instanz im Menschen ist, die zwischen Gut und Böse zu unterscheiden vermag.
Vielleicht wird im letzten Vers dann aber doch noch eine Kritik des Staates deutlich. Steuer und Zoll mag der Bürger dem Staat schuldig sein, aber Furcht und Ehre? In gewisser Weise muss den regierenden der nötige Respekt dargebracht werden. Wo aber ein Herrscher sich als Gott sieht, wie es beispielsweise im römischen Kaiserkult, der erst nach dem Tod des Paulus zu seiner vollen Blüte erwachte, geschah, dort hört die Gefolgschaft des Christen auf. Furcht und Ehre gebühren letztlich allein Gott und wenn ein Mensch diese einfordert, darf der Christ sie ihm guten Gewissens verweigern.
"Ehre, wem Ehre gebührt." Dieses Zitat geht auf Paulus zurück, auch wenn es im Laufe der Geschichte oft missbraucht wurde. Was bedeutet Ehre? Der Begriff der Ehre bleibt stets subjektiv eingefärbt, solange er auf weltliche Menschen und Dinge bezogen wird. Wer für einen Herrscher oder ein Land ehrenvoll kämpft, der fügt den Menschen auf der anderen Seite Schaden zu. Wer sind die Guten und wer sind die Bösen? Es fällt schwer, hier klare Linien zu ziehen. Auch im Bereich des Religiösen gibt es verschiedene Seiten, die den ehrenvollen Kämpfer für sich beanspruchen.
Gebührt nicht Gott allein die Ehre? Dürfen wir überhaupt Menschen ehren? Müssen auch Christen, weil sie sich in die staatliche Ordnung einfügen sollen, weltliche Herrscher ehren? Paulus will mit seinen Worten bewusst zum Weiterdenken anregen, wie sich auch im folgenden Abschnitt zeigen wird.