Römerbrief 13,8-14

Wachsam in der Liebe

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Hl. Schrift
Niemandem bleibt etwas schuldig, außer der gegenseitigen Liebe! (Röm 13,8a)

Im vorangegangenen Abschnitt hat Paulus von dem gesprochen, was alle Menschen und somit auch die Christen dem Staat schuldig sind. Es ging dabei um die Anerkennung der staatlichen Ordnung, um das Zahlen von Steuern und um den Erweis der den Vertretern des Staates gebührenden Ehre. Hier spricht Paulus nun von einer anderen Schuldigkeit, einer Schuldigkeit, die nicht so leicht bemessen werden kann wie die Steuer und die nicht nur äußerlich gezeigt werden kann wie Anerkennung staatlicher Gewalt, sondern die im Herz des Menschen ruht und unbegrenzt ist: die Liebe.
Vielleicht erkennen wir erst beim zweiten Hinsehen den Gegensatz zwischen den beiden Abschnitten. Es ist ja viel darüber diskutiert worden, was die Worte des Paulus bezüglich der Anerkennung der staatlichen Gewalt bedeuten und wie diese gerade auch im Hinblick auf die Unrechtsregime des 20. Jahrhunderts gelesen werden sollen. Vielleicht gibt uns gerade dieser Vers hierauf eine Antwort.
Staatliche Gewalt muss es geben und oft sind Christen eine Minderheit in dem Staat in dem sie leben. Wir sind durch die Jahrhunderte christlicher Herrschaft in Europa etwas verwöhnt, was das Verhältnis zwischen Christ und Staat angeht, aber selbst in christlichen Staaten gab es immer Konfliktpotential zwischen staatlicher Herrschaft und gelebtem Christentum. Die Aufspaltung der Christenheit in verschiedene Konfessionen ist nicht zuletzt auch Folge der Einflussnahme christlicher Herrscher auf die Form des Glaubens.br /> Paulus lehrt mit seiner Aufforderung zur Unterordnung unter staatliche Herrschaft also keineswegs den Kadavergehorsam gegenüber einem Unrechtsregime und verbietet auch nicht den Widerstand gegen ungerechte Willkürherrschaft des Staates. Paulus macht deutlich, dass über allem Handeln des Christen die Liebe stehen muss. Die Liebe ist die Kraft, die Menschen untereinander verbindet und wenn sie gelebt wird, ist sie die wirksamste Waffe gegen alles Böse und alle Ungerechtigkeit.
Dies mag vielleicht auf den ersten Blick naiv erscheinen, aber vielleicht auch nur deshalb, weil wir mit Liebe oft eine naive Gefühlsduselei verbinden. Die Liebe, von der Jesus und mit ihm auch Paulus spricht ist keine Schwäche, sondern vielmehr eine Kraft, die stärker ist als alles andere, die das Unrecht verdrängen und Berge versetzen kann. Diese Liebe zu leben bedeutet eine tägliche Herausforderung und wir werden immer wieder erfahren, dass wir dabei versagen. Es fängt schon damit an, dass wir uns schwer tun damit, diese Liebe zu verstehen. Ja wir können sie gar nicht verstehen, wenn wir sie nur mit unserem Verstand erfassen wollen.

Wer den andern liebt, hat das Gesetz erfüllt. Denn die Gebote: Du sollst nicht die Ehe brechen, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht begehren! und alle anderen Gebote sind in dem einen Satz zusammengefasst: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. (Röm 13,8b-9)

Es fällt den Menschen immer leichter, sich an Regeln und Gebote zu halten. Hier kann man wenigstens genau messen, was man richtig gemacht hat und was nicht. Aber bei der Liebe? Da scheint der Willkür doch Tür und Tor geöffnet, dass jeder machen kann, was er will. Aber diese Liebe meinen Jesus und Paulus nicht. Liebe kann nur das sein, was dem anderen keinen Schaden zufügt, was dem anderen nichts Böses antut, und damit fällt schon vieles weg, was unter dem Deckmantel der Liebe vielleicht fälschlicherweise postuliert wird.
Liebe bedeutet immer ein "Mehr". Liebe ist mehr, als "nur" das Gesetz zu erfüllen, auch wenn das Gesetz noch so umfangreich und gut ist. Liebe ist mehr, als dem anderen nur das zu geben, was er nötig hat. Dass man niemanden etwas schuldig bleiben soll, war auch eine ethische Forderung in der antiken Welt. "Eine Hand wäscht die andere", heißt es, und "wie du mir, so ich dir". In der antiken Gesellschaft war ein Gleichgewicht von Geben und Nehmen weit verbreitet. In der Nachbarschaft half man sich gegenseitig aus und wer einem anderen etwas borgte, der sollte sicher sein können, dass er es wieder zurück bekam und in einer ähnlichen Situation selbst Hilfe erhielt. Das Geben hatte also in gewisser Weise immer auch ein Selbstzweck.
Aber es gibt etwas, das man nicht nach dieser Formel begleichen kann. Die Liebe gehorcht nicht dem Gesetzt des "do ut des", ich gebe, damit auch du mir gibst. Die Liebe kennt kein Maß. Man kann nicht sagen, man hat genug geliebt. Die Liebe verschenkt sich stets, auch da, wo sie nichts dafür zurückerwarten kann. Das macht die Liebe verletzlich. Kein Mensch kann gänzlich selbstlos lieben. Wir sind immer darauf angewiesen, dass auch wir Liebe erfahren, sonst verkümmern wir.
Der Mensch kann aber umso selbstloser Liebe schenken, je mehr er sich am Ursprung aller Liebe festmacht, an Gott. All unsere Liebe kommt letztlich von ihm, und er schenkt seine Liebe unbegrenzt. Wenn wir aus seiner Liebe leben, werden wir wie ein Brunnen, der immer überfließt, weil er von einer nie versiegenden Quelle gespeist wird.

Jesus, Quell der Liebe,
lass mich mit dir verbunden sein,
und mit offenen Händen schenken.
Mach mein Herz weit,
und lass mich keine Furcht davor haben,
dass meine Hände leer sind.
Denn nur wenn meine Hände leer sind,
kannst du sie füllen.
Hilf mir, ohne Grenzen zu schenken,
weil du selbst dich uns ganz schenkst.
Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. Also ist die Liebe die Erfüllung des Gesetzes. (Röm 13,10)

Wer liebt, hat das Gesetz erfüllt. So hat auch Jesus gehandelt, als der die Heilung eines Menschen über das Sabbatgebot oder die Reinheitsvorschriften der Juden stellte. Eine Tat aus Liebe hat immer Vorrang vor anderen Vorschriften. Aber dennoch muss die Liebe mit diesen Vorschriften im Einklang stehen. Liebe ist die Erfüllung des Gesetzes. Liebe bedeutet nicht, alle Gesetze außer Kraft zu setzen. Liebe hält sich an Regeln, ohne die jede Liebe zugrunde gehen würde. Liebe ist nicht Willkür, sie orientiert sich stets am Guten und somit an dem einen, der der Gute ist, an Gott.

Lasst uns also Gott lieben, wie er es will! Er hält dies für eine hochwichtige Sache. Wenn wir uns von ihm abwenden, so fährt er doch fort, uns zu rufen, wenn wir uns trotzdem nicht zu ihm wenden wollen, so straft er uns aus lauter Liebe, nicht um sich an uns zu rächen. ... Gott tut ja alles Mögliche, um von uns geliebt zu werden. Er hat deswegen nicht einmal seinen Sohn verschont. Aber wir sind gefühllos und hart. Aber lasst uns einmal weich werden, lasst uns Gott lieben, wie wir ihn lieben sollen, damit wir zugleich auch verkosten, wie süß diese Tugend ist! Denn wenn schon jemand, der eine geliebte Frau hat, die Widerwärtigkeiten des täglichen Lebens für nichts achtet, bedenke, welch süße Freude der genießen mag, den die reine Gottesliebe beseelt! Sie ist ja das Himmelreich, sie ist wahrer Genuss, sie ist süße Wonne, sie ist Frohsinn, sie ist Freude, sie ist Glückseligkeit, ja, was ich auch immer sagen mag, ich bin nicht imstande, einen rechten Begriff von ihr zu geben. Die eigene Erfahrung allein kann uns ihre Schönheit verstehen lassen.
Lasst uns also dieser Einladung folgen und schwelgen in der Liebe Gottes! So werden wir das Himmelreich schon hier auf Erden schauen, ein Leben nach Art der Engel führen, noch auf der Erde weilend nicht weniger haben als die Himmelsbewohner, nach unserem Tod herrlicher als alle vor dem Richterstuhl Christi stehen und unsägliche Herrlichkeit genießen. Diese möge uns allen zuteilwerden durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, dem Ehre sei in alle Ewigkeit. Amen. (Johannes Chrysostomus)
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Hl. Schrift
Und das tut im Wissen um die gegenwärtige Zeit: Die Stunde ist gekommen, aufzustehen vom Schlaf. Denn jetzt ist das Heil uns näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden. (Röm 13,11)

In den vorangegangenen Sätzen hat Paulus davon gesprochen, dass die Liebe die Erfüllung des Gesetzes ist und dass wir einander immer die Liebe schulden. Die Liebe muss das Maß all unseres Denkens und Handels sein. Nicht Macht und Reichtum, sondern allein die Liebe zählt. Das ist ganz besonders wichtig im Hinblick auf das nahe Kommen des Herrn.
Paulus ging noch davon aus, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis der Herr wiederkommt. Vielleicht hat ihn das dazu angetrieben, durch das halbe Römische Reich zu reisen und von Jesus Christus zu verkünden. Möglichst viele Menschen sollten von Jesus Christus erfahren, an ihn glauben, umkehren und sich taufen lassen, damit sie gerettet werden, wenn Jesus Christus wiederkommt.
Nur so können wir auch diesen Satz verstehen. Jetzt ist das Heil näher. Das Heil kommt jeden Tag näher, da wir jeden Tag ein Stück näher herankommen an die Wiederkunft des Herrn, oder anders betrachtet, der Tag des Herrn kommt immer näher auf uns zu. Ein wahrhaft adventlicher Gedanke.br /> Aber hätte Paulus das auch so geschrieben, wenn er gewusst hätte, dass wir nach fast Zweitausend Jahren diese Worte lesen und der Tag des Herrn immer noch nicht gekommen ist? Hätte er sich so beeilt mit seinen Missionsreisen, wenn er gewusst hätte, dass noch so viel Zeit bleibt und noch so viele Menschen das Evangelium verkünden werden?
Aber was wäre gewesen, wenn Paulus nicht so überzeugt gewesen wäre? Wenn er sich gesagt hätte, es reicht ja, wenn ich nach Antiochia gehe und dort predige, andere können dann weiterziehen? Ein anderer wird es schon tun, das denken wir oft und dann passiert lange nichts. Klar, unsere Möglichkeiten sind begrenzt, aber Hand aufs Herz, sind wir nicht oft auch etwas träge und könnten mehr tun?
Ich bewundere den Mut und den Tatendrang des Paulus. Auch wenn sich seine Überzeugung vom baldigen Kommen des Herrn nicht bewahrheitet hat, so ist er doch nicht umsonst gelaufen. Er hat vielen Menschen das Heil gebracht, seine Briefe sind Weltliteratur geworden. Seine Worte haben auch nach fast Zweitausend Jahren nichts von ihrer Bedeutung verloren. Und Jesus sagt uns ja selbst, dass wir stets wachsam sein sollen, weil wir nicht wissen, wann er wiederkommt.
Jesus kommt sicher und darauf müssen wir stets vorbereitet sein, indem wir so leben, wie er es uns gezeigt hat. Wir glauben an sein Kommen, sei es heute noch, morgen, nächste Woche oder erst in mehreren Tausend Jahren.

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Hl. Schrift
Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe. (Röm 13,12a)

Ein schönes Bild, das Paulus hier gebraucht. Die Zeit zwischen dem Ende der Nacht und dem Anbruch des Morgens ist für viele eine der schönsten Zeiten des Tages. In den letzten Stunden der Nacht ist die Welt um uns herum endlich zur Ruhe gekommen. Es ist still, die Luft ist rein. Die Abgase unserer hektischen Betriebsamkeit sind verflogen. Wenn es dann auch noch ein wolkenloser Morgen ist, können wir beobachten, wie das Licht der Sonne das Dunkel der Nacht zunächst langsam und dann immer schneller vertreibt und dabei den Himmel und die ganze Welt in den schönsten Farben erstrahlen lässt.
Morgenmuffel werden selten diese Stunde erleben, manche erleben sie unfreiwillig, weil ihr Beruf sie dazu zwingt, früh aufzustehen, manche stehen bewusst früh auf, um den Zauber dieser Stunde des Morgens zu erleben und vielleicht auch betend zu verbringen. Das aufgehende Licht wurde schon früh zum Symbol für Jesus Christus, insbesondere für seine Auferstehung, die wir am Ostermorgen feiern.
Die Nacht hat immer etwas Unsicheres und Gefahrvolles an sich. Heute können wir die Dunkelheit mit einem Klick auf den Lichtschalter leicht vertreiben und die bewohnten Gegenden werden die ganze Nacht mit Straßenlampen erleuchtet. Aber doch merken wir besonders in den langen und kalten Nächten im November und Dezember, dass das Leben weniger pulsiert als in den kurzen und warmen Sommernächten.
Der Glaube an Jesus Christus ist wie ein heller Morgen nach einer langen Winternacht. Er vertreibt Ängste der Dunkelheit. Das Licht dieses Morgens gibt uns Kraft und Mut zu neuem Leben. Es hilft uns auch, das zu überwinden, wozu wir vielleicht im Verborgenen der Nacht verführt worden sind. Christliches Leben soll tagestauglich sein, es soll nichts an sich haben, was man lieber vor anderen versteckt hält und von dem man fürchtet, dass es ans Licht kommen könnte. Nehmen wir uns die Stunde des Morgens zum Vorbild für unser Leben, die jenen Morgen, der immer wieder alles Neu und Schön im Glanz der aufgehenden Sonne erstrahlen lässt.

Darum lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts! Lasst uns ehrenhaft leben wie am Tag, ohne maßloses Essen und Trinken, ohne Unzucht und Ausschweifung, ohne Streit und Eifersucht! Vielmehr zieht den Herrn Jesus Christus an und sorgt nicht so für euren Leib, dass die Begierden erwachen. (Röm 13,12b-14)
Nachdem der Apostel, was notwendig war, anbefohlen hat, drängt er seine Zuhörer zur Ausführung des Guten durch den Hinweis, dass es höchste Zeit dazu sei. Vor der Tür, will er sagen, steht der Augenblick des Gerichts. ... Nahe ist die Auferstehung, nahe das schreckliche Gericht, nahe der Tag, der da glühend ist wie ein Feuerofen. Wir müssen uns darum in Zukunft freimachen von der Lässigkeit.
Siehst du, wie er seinen Zuhörern die Auferstehung als nahe bevorstehend darstellt? Die Zeit vergeht, will er sagen, das gegenwärtige Leben rinnt dahin, die Ewigkeit rückt näher. Bist du darauf vorbereitet, hast du alles getan, was dir geboten war, dann bedeutet für dich dieser Tag Heil; wenn aber das Gegenteil der Fall ist, dann nicht. Bisher bedient sich der Apostel zur Ermahnung nicht des Hinweises auf Leidvolles, sondern auf Tröstliches, um seine Zuhörer von der Anhänglichkeit an das Diesseits loszulösen.
Weil zu erwarten war, dass diese am Anfang in der ersten Zeit, so lange in ihnen die Liebe noch wirksam war, recht eifrig sein würden, im Laufe der Zeit aber ihr ganzer Eifer erkalten würde, so sagt der Apostel, dass sie das Gegenteil tun sollten, dass sie mit der fortschreitenden Zeit nicht nachlassen, sondern umso eifriger werden sollten.
Wenn die Nacht zu Ende geht, dann ist der Tag nahe. Lasset uns darum Werke des Tages vollbringen, nicht solche der Nacht! Das geschieht ja auch so im täglichen Leben. Wenn wir sehen, dass die Nacht ins Morgengrauen übergeht und wenn wir das Zwitschern der Schwalbe vernehmen, dann wecken wir ein jeder seinen Nachbar auf, obgleich es eigentlich noch Nacht ist. Wenn diese aber vollends geschwunden ist, dann sprechen wir zueinander, indem wir zur Arbeit drängen: "Es ist Tag geworden." Wir tun dann alles, was der Tag verlangt: wir kleiden uns an, verscheuchen die Traumbilder, reiben uns den Schlaf aus den Augen, damit uns der Tag zur Arbeit bereitfinde und wir nicht erst aufstehen und mit der Arbeit beginnen, wenn die Sonne schon hoch am Himmel steht. Was wir da leiblicher Weise tun, das wollen wir nun geistiger Weise vollbringen. Wir wollen die falschen Vorstellungen aufgeben, die Traumbilder des gegenwärtigen Lebens verscheuchen, den tiefen Schlaf abbrechen und das Kleid der Tugend anlegen. (Johannes Chrysostomus)