Vor allem, meine Brüder, freut euch im Herrn! Euch immer das Gleiche zu schreiben wird mir nicht lästig, euch aber macht es sicher. (Phil 3,1)
Das Thema Freude durchzieht den gesamten Philipperbrief. Zu Beginn des Briefes macht Paulus deutlich, wie sehr er sich über die Gemeinde freut. In der Gemeinde herrscht Einigkeit, und diese gibt die Kraft, den Glauben in der Welt zu bezeugen. In Philippi gibt es nicht wie in manch anderen Gemeinden innere Streitigkeiten um Macht und Rechtgläubigkeit. Solche Kämpfe zerstören den Frieden der Gemeinde, bringen das Evangelium in Verruf und lassen keine Freude aufkommen.
Wir kennen das ja auch im Alltag. Wenn am Arbeitsplatz eine gute Stimmung herrscht, gehen wir viel lieber dorthin. Ein nörgelnder Chef oder griesgrämige Kollegen können uns den Alltag zur Qual werden lassen. Oder in der Verwandtschaft, wie viele Geschichten gibt es da zum Thema böse Schwiegermutter oder anstrengende Familienfeiern. Ich denke jeder von uns weiß, was es bedeutet, wenn er immer wieder Menschen begegnen muss, mit denen scheinbar kein Frieden möglich ist.
Aber warum ist das so? Schwierig ist es, wenn wirklich eine böse Absicht, krankhafte Machtsucht oder tiefgehende Antipathie die Ursache des Unfriedens ist. Da kann man sich wohl nur aus dem Weg gehen oder kämpfen oder muss versuchen, einander irgendwie zu ertragen. Es ist jedoch sehr wichtig, nicht gleich jedem, mit dem wir nicht so gut können, eine böse Absicht zu unterstellen. Ein offenes Gespräch, der Versuch, einander besser zu verstehen, der gute Wille auf beiden Seiten können hier helfen. Und auch wenn die Fronten schon verhärtet sind, kann es immer wieder passieren, dass meinst durch ein besonderes Ereignis zwei verfeindete Menschen wieder zusammen finden.
Vielleicht merken viele Menschen nicht, wie sie nach außen hin wirken und es ist auch niemand da, der sie ehrlich aber behutsam darauf hinweist, womit sie andere verärgern. Ich denke, viel Unfriede entsteht nicht aus einer bösen Absicht heraus, sondern aus Unverständnis. Dann schaukelt sich die gegenseitige Abneigung hoch und dann ist es schwer, etwas zu ändern. Hier können wir ansetzen, indem wir nicht von anderen erwarten, dass sie genau so sind und denken wie wir. Es gibt unterschiedliche Menschentypen, die einfach von ihrer Art her ganz verschieden sind. Wenn wir verstehen, warum jemand so reagiert und nicht anders oder sich in gewissen Situationen einfach so verhält, macht das den Umgang miteinander leichter.
Johannes Chrysostomus schreibt:
Wenn Traurigkeit und Sorge die Seele übermäßig in Anspruch nehmen, so berauben sie diese ihrer Kraft. Deshalb richtet Paulus die Philipper, die tief bekümmert waren, auf. Sie waren aber bekümmert, weil sie nicht wussten, wie es um Paulus steht, sie waren bekümmert, weil sie ihn bereits tot glaubten, sie waren bekümmert wegen der Predigt des Evangeliums, sie waren bekümmert wegen des Epaphroditus. Über alle diese Punkte nun verschafft er ihnen volle Beruhigung und Gewissheit, indem er sagt: "Freut euch!" Ihr habt, will er sagen, keinerlei Ursache mehr zur Traurigkeit: Ihr habt den Epaphroditus, um dessentwillen ihr betrübt wart, ihr habt den Timotheus, auch ich komme, das Evangelium macht Fortschritte. Was fehlt euch noch? Freut euch!
Bei aller Freude, sieht Paulus aber dennoch den Frieden in der Gemeinde von Philippi bedroht. Frieden ist nicht etwas, das uns ein für alle Mal geschenkt wird, sondern wir müssen ihn sorgfältig hüten. Ständig ändert sich die äußere und innere Situation. Neue Menschen tauchen auf, neue Gedanken. Es gilt, alles Neue zu prüfen, achtsam zu sein, und dem, was den Frieden stört, möglichst schon in seinen Anfängen zu wehren.
Gebt Acht auf diese Hunde, gebt Acht auf die falschen Lehrer, gebt Acht auf die Verschnittenen! Denn die Beschnittenen sind wir, die wir im Geist Gottes dienen und uns in Christus Jesus rühmen und nicht auf irdische Vorzüge vertrauen, obwohl ich mein Vertrauen auch auf irdische Vorzüge setzen könnte. Wenn ein anderer meint, er könne auf irdische Vorzüge vertrauen, so könnte ich es noch mehr. Ich wurde am achten Tag beschnitten, bin aus dem Volk Israel, vom Stamm Benjamin, ein Hebräer von Hebräern, lebte als Pharisäer nach dem Gesetz, verfolgte voll Eifer die Kirche und war untadelig in der Gerechtigkeit, wie sie das Gesetz vorschreibt. (Phil 3,2-6)
Mit drastischen Worten benennt Paulus die Stifter des Unfriedens. Hunde und Verschnittene waren Schimpfwörter mit religiösem Kontext, Hunde ein Schimpfwort für Heiden, Verschnittene ein Schimpfwort für Juden, das die Ehre der Beschneidung umdeutet zur Schande der Entmannung. Dennoch kritisiert Paulus hier nicht die Beschneidung an sich, sondern jene, die Beschneidung und jüdisches Gesetz für die höchsten Dinge halten. Für Paulus sind diese Dinge zwar gut, verblassen aber angesichts des Bedeutenderen, das Jesus Christus gebracht hat.
Johannes Chrysostomus schreibt:
Er bezeichnet die Beschneidung nicht als etwas Böses, erklärt sie nicht für etwas Überflüssiges, um jene Männer nicht vor den Kopf zu stoßen, sondern er fasst es geschickter an, indem er sie zwar von der Sache abzubringen sucht, mit dem Namen aber, ja auch mit der Sache selbst absichtlich schonend verfährt. ... Er sagt nicht: Wir wollen untersuchen, welche Beschneidung besser sei, die ihrige oder die unsrige, ja er erkennt ihr nicht einmal diesen Namen zu, sondern was sagt er? Jene Beschneidung ist eine "Zerschneidung". Warum? Sie tun ja nichts anderes, als dass sie das Fleisch zerschneiden. Denn wenn bei diesem Akt die gesetzliche Vorschrift wegfällt, so bleibt nichts anderes übrig als ein Abschneiden und Zerschneiden des Fleisches.
Entweder also aus diesem Grunde, oder weil jene die kirchliche Einheit zu zerschneiden versuchten ist ihre Beschneidung wertlos. ... Nicht aber das Gesetz an sich bringt Schaden, sondern der Umstand, dass man von Christus abstehen muss, wenn man zum Gesetze steht. ... Denn das wäre so, wie wenn einer am hellsten Tage bei Lampenlicht sitzen bliebe.
Die Feinde des Friedens sind religiöse Fanatiker. Wir kennen das aus anderen Paulusbriefen und wir sehen, wie sehr Paulus sich über diese ärgert. Er selbst war ein solcher Fanatiker, hatte die Christen verfolgt, ja war sogar eine der treibenden Kräfte bei der Hinrichtung des ersten christlichen Märtyrers Stephanus. Paulus weiß, wovon er redet. Er hat eingesehen, dass dieser Fanatismus nicht Gottes Wille ist. Er hat erkannt, dass alle religiösen Vorschriften, die das Alltagsleben bis ins kleinste Detail regeln, letztlich nichts mit Gott und seiner Liebe zu tun haben. Gott ist es egal, was wir essen, wenn wir es nur in Dankbarkeit genießen. Gott ist es egal, wie wir uns waschen und pflegen, wenn wir nur in unserem Inneren rein sind. All diese Äußerlichkeiten haben nichts mit dem Glauben zu tun. Die Fanatiker verwechseln das und machen den Glauben an solchen Äußerlichkeiten fest. Dagegen wehrt sich Paulus aus tiefster Überzeugung heraus.
Doch was mir damals ein Gewinn war, das habe ich um Christi Willen als Verlust erkannt. Ja noch mehr: ich sehe alles als Verlust an, weil die Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, alles übertrifft. Seinetwegen habe ich alles aufgegeben und halte es für Unrat, um Christus zu gewinnen und in ihm zu sein. Nicht meine eigene Gerechtigkeit suche ich, die aus dem Gesetz hervorgeht, sondern jene, die durch den Glauben an Christus kommt, die Gerechtigkeit, die Gott aufgrund des Glaubens schenkt. (Phil 3,7-10)
Paulus könnte sich auch solcher Vorzüge rühmen, wie es seine Gegner tun. Vor seiner Bekehrung übertraf er sie in seinem Eifer für das Judentum. Doch Paulus hat eingesehen, dass dieser Eifer zu nichts dient. Vor Christus ist all das wertlos. Es sind zunächst irdische Vorzüge, die einem durch Geburt zukommen. Doch vor Christus gelten diese Vorzüge nichts. Vor Gott hat jeder Mensch die gleichen Voraussetzungen, um das Heil zu erlangen. Nicht auf angeborene Vorzüge, sondern auf die persönliche Entscheidung kommt es an.
Johannes Chrysostomus schreibt:
Er kommt nun auf das, was von seinem freien Willen abhing. Denn alles, was er vorher anführte, hat mit der freien Selbstbestimmung nichts zu tun; denn es war nicht sein Verdienst, dass er beschnitten wurde, dass er aus dem Volk Israel und dem Stamm Benjamin war. Er war ihnen also auch aus diesen Gründen überlegen. Er kommt nun auf das zu sprechen, was von seinem freien Willen abhing, worin hauptsächlich sein Vorzug liegt. ... Paulus hat einen so sorgfältig geordneten, von frühester Kindheit an begonnenen Wandel, einen so großen Adel, so viele Gefahren, so zahlreiche Nachstellungen, so schwere Mühen, ein so eifriges Streben weggeworfen und für Schaden gehalten, was ihm vorher Gewinn war, um Christus zu gewinnen. ...
Treffend sagt er: "nicht meine Gerechtigkeit", d.h. diejenige, die er sich durch Mühe und Schweiß erworben hat, sondern diejenige, die ihm durch die Gnade zu Teil wurde. Wenn also er, der so viel Gutes getan hat, nur durch die Gnade gerettet wird, so ist das noch viel mehr bei den anderen der Fall. Weil nämlich zu vermuten stand, dass sie dieser durch eigene Bemühung erworbenen Gerechtigkeit das größere Gewicht beilegen würden, so zeigt er, dass dieselbe im Vergleich mit jener andern nur Unrat ist. ... Die Gerechtigkeit, die Paulus hier meint ist jene, die aus dem Glauben an Gott kommt. Sie ist von Gott verliehen, ist Gottes Gnadengeschenk. Gottes Gnadengeschenke aber gehen über das bescheidene Maß der Tugendwerke, die wir durch unsere Bemühung zustande bringen, weit hinaus.
Jesus Christus ist für Paulus die Mitte des Glaubens. Er, der die Menschen durch seinen Tod und seine Auferstehung gerecht macht vor Gott. Durch ihn sind wir hinein genommen in Gottes liebendes Herz. Das bedeutet Friede und Freude, im Herzen Gottes zu ruhen. Aus dieser Liebe und der Gerechtigkeit des Glaubens heraus sollen wir leben in der Freiheit der Kinder Gottes, die nicht ängstlich auf irdische Regeln bedacht sind, sondern sich als Menschen wissen, die von Gottes Fülle beschenkt sind.