Philemonbrief

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Heilige Schrift
1Paulus, Gefangener Christi Jesu, und der Bruder Timotheus an unseren geliebten Mitarbeiter Philemon, 2an die Schwester Aphia, an Archippus, unseren Mitstreiter, und an die Gemeinde in deinem Haus: 3Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus.

Der Philemonbrief ist der kürzeste Paulusbrief und zugleich der persönlichste. Dennoch handelt es sich nicht um einen Privatbrief, wie die Einleitung zeigt. Der Brief richtet sich in erster Linie an Philemon, der wohl ein bedeutendes Gemeindemitglied der Kirche von Kolossä ist, zugleich aber auch an Aphia, Archippus und dessen ganze Hausgemeinde. Auch im Schluss des Briefes übermittelt Paulus umfangreiche Grüße. Ein Vergleich von Phlm 23f mit Kol 4,10ff weist darauf hin, dass die Adressaten in der Stadt Kolossä leben. Beim Philemonbrief handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um einen echten Paulusbrief, den der Apostel um das Jahr 55 bei seiner Gefangenschaft in Ephesus verfasst hat.
Im Brief geht es um die wahrscheinlich der ganzen Gemeinde bekannte Flucht des Onesimus. Dieser war ein Sklave des Philemon, wurde durch Paulus zum Christentum bekehrt und hat nach seiner Flucht bei Paulus in Ephesus Zuflucht gesucht. Paulus möchte den jungen Mann, der ihm eine große Hilfe ist, ungern verlieren. Vielleicht bestand schon vorher eine enge Verbindung zu Paulus, die ihn zu seiner Flucht angespornt haben mag. Paulus befindet sich in einer prekären Situation. Nach römischem Recht gehört Onesimus als Sklave dem Philemon als Eigentum und Paulus erweist sich rechtlich als Dieb, wenn er Onesimus nicht an Philemon zurückgibt, und dies könnte auch nach außen hin ein schlechtes Licht auf Paulus werfen.
Paulus ist bemüht, die Situation in gegenseitigem Einvernehmen zu regeln. Er schickt Onesimus mit dem Brief im Gepäck zu Philemon zurück und bittet darum, ihn freizulassen und zu Paulus zurück zu schicken. Jedoch lässt er Philemon die Freiheit, selbst zu entscheiden, was er für richtig hält. Auch das Geld, das Onesimus dem Philemon für seine Flucht gestohlen hat, ist Paulus bereit, aus eigener Tasche zu zahlen.
Paulus versteht es, dem Philemon zu schmeicheln und zugleich leichten Druck auszuüben, indem er die Sache vor der ganzen Gemeinde publik macht. Wenn Paulus in der Gemeinde angesehen ist, wovon auszugehen ist, kann Philemon nicht anders, als den Wünschen des Paulus zu entsprechen, um nicht vor der Gemeinde sein Gesicht zu verlieren. Zudem macht sich Paulus von jedem Vorwurf frei, indem er Onesimus zu Philemon zurückschickt.
Auf die Begrüßung folgt ein Dankgebet des Paulus, das sich nun nicht an die Gemeinde, sondern explizit an Philemon richtet. Der Apostel bescheinigt Philemon einen tiefen Glauben und eine innige Liebe zu seinen Mitchristen. Paulus weiß, dass er damit rechnen kann, dass Philemon vor der Gemeinde ein gutes Beispiel gibt, und dazu gehört sicher auch, dass er Onesimus freilassen wird.

4Ich danke meinem Gott jedes Mal, wenn ich in meinen Gebeten an dich denke. 5Denn ich höre von deinem Glauben an Jesus, den Herrn, und von deiner Liebe zu allen Heiligen. 6Ich wünsche, dass unser gemeinsamer Glaube in dir wirkt und du all das Gute in uns erkennst, das auf Christus gerichtet ist. 7Es hat mir viel Freude und Trost bereitet, dass durch dich, Bruder, und durch deine Liebe die Heiligen ermutigt worden sind. (Phlm 4-7)
8Obwohl ich durch Christus volle Freiheit habe, dir zu befehlen, was du tun sollst, 9aziehe ich es um der Liebe willen vor, dich zu bitten. (Phlm 8-9a)

Im Hauptteil des Briefes geht es um die Fürsprache des Paulus für Onesimus. Paulus argumentiert sehr geschickt. Er könnte Philemon in seiner Funktion als Apostel befehlen, Onesimus freizulassen. Quasi unter Androhung der Exkommunikation, wie Kirchenvertreter früherer Zeiten oft ihren Willen durchgesetzt haben. Das aber will Paulus nicht, sondern er bittet Philemon in Liebe. Aber gerade diese Liebe ist ein starkes, wenn auch sanftes Druckmittel. Paulus hat Philemon im vorausgehenden Abschnitt diese Liebe bescheinigt. Nun hat er eine Möglichkeit, ein weiteres Zeichen dieser Liebe zu setzen.

Um der Liebe willen. - In vielen Situationen denke ich seither daran, wo es besser ist, um der Liebe willen nicht auf das eigene Recht zu pochen, wo es besser ist, um der Liebe willen einmal über den Fehler eines anderen hinweg zu sehen. Damit meine ich nicht, dass man andere nicht auf ihre Fehler aufmerksam machen sollte oder sich alles gefallen lassen sollte. Es kommt sicher immer auf die Situation an und bedarf einer weisen Unterscheidung.
Es gibt aber Situationen, wo man einen anderen Menschen kränken würde, wenn man ihm etwas vorhalten würde, das er falsch gemacht hat. Vielleicht wollte er einem sogar eine Freude machen und hat dann doch gerade das Falsche getan. Um der Liebe willen einfach einmal lächeln anstatt grimmig zu schauen. Kleinigkeiten können oft einen großen Streit hervorrufen über den man hinterher vielleicht selbst unglücklich ist. Da ist es gut, im entscheidenden Moment gelassen zu bleiben und so für alle ein angenehmeres Klima zu schaffen - um der Liebe willen.

9bIch, Paulus, ein alter Mann, der jetzt für Christus Jesus im Kerker liegt, 10ich bitte dich für mein Kind Onesimus, dem ich im Gefängnis zum Vater geworden bin. 11Früher konntest du ihn zu nichts gebrauchen, doch jetzt ist er dir und mir recht nützlich. 12Ich schicke ihn zu dir zurück, ihn, das bedeutet mein eigenes Herz. 13Ich würde ihn gern bei mir behalten, damit er mir an deiner Stelle dient, solange ich um des Evangeliums willen im Gefängnis bin. 14Aber ohne deine Zustimmung wollte ich nichts tun. Deine gute Tat soll nicht erzwungen, sondern freiwillig sein. 15Denn vielleicht wurde er nur deshalb eine Weile von dir getrennt, damit du ihn für ewig zurückerhältst, 16nicht mehr als Sklaven, sondern als weit mehr: als geliebten Bruder. Das ist er jedenfalls für mich, um wie viel mehr dann für dich, als Mensch und auch vor dem Herrn. 17Wenn du dich mir verbunden fühlst, dann nimm ihn also auf wie mich selbst! 18Wenn er dich aber geschädigt hat oder dir etwas schuldet, setz das auf meine Rechnung! 19Ich, Paulus, schreibe mit eigener Hand: Ich werde es bezahlen - um nicht davon zu reden, dass du dich selbst mir schuldest. 20Ja, Bruder, um des Herrn willen möchte ich von dir einen Nutzen haben. Erfreue mein Herz; wir gehören beide zu Christus. (Phlm 8-20)

Mehrmals verwendet Paulus (Verse 11, 20) ein Wortspiel mit den Namen Onesimus, den man mit "der Nützliche" übersetzen kann. Früher war er ein eher unnützer Sklave, jetzt aber ist er als Mensch und als Gläubiger Paulus nützlich und kann es auch dem Philemon sein, sicher nicht deshalb, weil er jetzt als Sklave besser arbeiten würde, sondern weil Paulus seine geistig-geistlichen Fähigkeiten erkannt hat. Paulus sieht in Onesimus nicht den Sklaven, sondern den Menschen mit seinen besonderen Eigenschaften und Fähigkeiten, eine für die damalige Zeit sicher nicht selbstverständliche Sichtweise.
Paulus weist auf die innige Beziehung hin, die ihn mit Onesimus verbindet. Onesimus ist für ihn wie ein Sohn geworden, der ihn, den alten Mann, in seinen Strapazen Hilfe gibt. Paulus, selbst ein Gefangener, in Ketten um Christi Willen, bittet für Onesimus, der ein Gefangener des Systems der Sklaverei ist. Auch wenn Paulus dieses System an sich nicht abschaffen kann, so kann er doch Philemon, den Besitzer des Onesimus, dazu ermuntern, im Kleinen etwas zu ändern. Onesimus kann frei werden. Und wenn immer mehr Menschen nach dem Beispiel des Philemon handeln und ihre Sklaven frei lassen, dann wird sich auch das System der Sklaverei ändern.
Was sagt uns dieser Brief heute? Es gibt bei uns keine Sklaven mehr, werden wir sagen, und das ist gut so. Dennoch gibt es aber auch bei uns Systeme der Unfreiheit und Unterdrückung. Wir merken es vielleicht nicht, weil die Unterdrückten nicht vor unserer Haustüre leben, sondern am anderen Ende der Welt. Auch die Unterdrückung ist global geworden. Aber wenn nahezu jedes Kleidungsstück, das wir tragen, von Menschen hergestellt worden ist, die kaum das Nötigste zum Leben haben, wenn die Rohstoffe vieler unserer Technikprodukte unter menschenunwürdigen Bedingungen gefördert werden, sind wir die Nutznießer eines Systems der Unterdrückung und moderner Sklaverei.
Wir können dieses System nicht ändern. Aber wir können unseren Beitrag leisten, dass wir nicht von dieser Ausbeutung profitieren, sondern von unserem Überfluss denen ihren gerechten Lohn zahlen, die das produzieren, was wir kaufen. Dazu müssen wir genau hinsehen, uns nicht von Schnäppchenangeboten verführen lassen. Weniger, dafür besser einkaufen, von kleinen Herstellern, aus regionaler Produktion. Wenn immer mehr Menschen genau darauf achten, wo das her kommt, was sie einkaufen, kann sich Schritt für Schritt dieses System ändern.
Der Brief sagt uns aber auch, dass wie jeden Menschen egal welcher Schicht und Klasse als Menschen sehen sollen. Nicht als Arbeitsmittel, wie es heute auch immer mehr üblich wird, wenn in der Wirtschaft nicht der einzelne als Mensch mit seinen Fähigkeiten gesehen wird, sondern als auswechselbares Arbeitsinstrument. Weitgehend unbemerkt schleicht macht sich bei uns dieses Denken wieder breit, das wir durch unsere zivilisierte Gesellschaft ein für alle Mal überwunden geglaubt haben. Versuchen wir mit den Augen auf Menschen zu schauen, mit denen Paulus den Onesimus angeschaut hat und machen wir uns für die Unterdrückten und Ausgegrenzten stark, wie es Paulus dem Philemon gegenüber getan hat.

21Ich schreibe dir im Vertrauen auf deinen Gehorsam und weiß, dass du noch mehr tun wirst, als ich gesagt habe. 22Bereite zugleich eine Unterkunft für mich vor! Denn ich hoffe, dass ich euch durch eure Gebete wiedergeschenkt werde. 23Es grüßen dich Epaphras, der mit mir um Christi Jesu willen im Gefängnis ist, 24sowie Markus, Aristarch, Demas und Lukas, meine Mitarbeiter. 25Die Gnade Jesu Christi, des Herrn, sei mit eurem Geist! (21-25)

Am Schluss des Briefes kündigt Paulus seinen baldigen Besuch an, was seiner Bitte sicher Nachdruck verleihen sollte. Wenn Philemon sich nicht durch den Brief des Paulus zur Freilassung des Onesimus bewegen lassen würde, dann sicherlich bei dessen persönlichem Erscheinen. Wir wissen nicht exakt, wie die Sache ausgegangen ist, aber wahrscheinlich hat Philemon den Onesimus freigelassen. In Kol 4,9 wird ausdrücklich ein Gruß des Onesimus an die Gemeinde von Kolossä erwähnt. Der Legende nach soll Onesimus später Bischof von Ephesus geworden sein und schließlich in Rom den Märtyrertod erlitten haben.
Es folgen Grüße von Epaphras, Markus, Aristarch, Demas und Lukas, die Mitarbeiter des Paulus sind und auch im Kolosserbrief erwähnt werden. Der Brief schließt mit dem üblichen Gnadenwunsch des Paulus.