1 Korinther 8,1-10,13

Christliche Freiheit

.
Nun zur Frage des Götzenopferfleisches. Gewiss, wir alle haben Erkenntnis. Doch die Erkenntnis macht aufgeblasen, die Liebe dagegen baut auf. Wenn einer meint, er sei zur Erkenntnis gelangt, hat er noch nicht so erkannt, wie man erkennen muss. Wer aber Gott liebt, der ist von ihm erkannt. (1Kor 8,1-3)

In den Kapiteln 8 bis 10 geht Paulus der Frage nach, wie sich christliche Freiheit in Bezug auf Speisevorschriften verhält. Nach christlichem Glauben gibt es keine an sich unreinen Speisen. Das hat Jesus Christus schon gelehrt. Für die Juden und andere Religionen sind Speisevorschriften sehr wichtig. Sie stiften Identität und sind ein wichtiger Bestandteil, um kultische Reinheit zu definieren.
Wie aber verhält es sich, wenn Speisen wissentlich durch rituelle Schlachtungen den Göttern geopfert wurden? Darf ich als Christ solche Speisen essen? Der Christ weiß, dass es keine anderen Götter gibt außer Gott. Also sind diese Opfer reines Menschenwerk und haben eigentlich nichts mit Gott zu tun. Aber doch gibt es Menschen, die Skrupel haben, solches Opferfleisch bedenkenlos zu essen.
Hier versucht Paulus zu vermitteln. Einerseits gibt er denen Recht, die in dem vermeintlichen Götzenopferfleisch keine Gefahr für ihren Glauben sehen, andererseits sollen aber gerade diese Menschen Rücksicht nehmen auf andere, bei denen das Essen von Götzenopferfleisch Anstoß erregt. Nicht der anderen Götter wegen, die es ja nicht gibt, sollen Christen auf das Essen von Götzenopferfleisch verzichten, sondern um anderen keinen Anstoß zu geben. Die Rücksicht gegenüber anderen muss immer das erste Entscheidungskriterium sein.

Wenn darum eine Speise meinem Bruder zum Anstoß wird, will ich überhaupt kein Fleisch mehr essen, um meinem Bruder keinen Anstoß zu geben. (1Kor 8,13)

Um diese Handlungsweise zu rechtfertigen, führt Paulus wie so oft sich selbst als Beispiel an. Er hätte alles Recht der Welt, um sich alle möglichen Freiheiten herauszunehmen, die wahrscheinlich andere Missionare für sich eingefordert haben. Aber Paulus verzichtet auf sein Recht als Missionar, um bei der Gemeinde keinen Anstoß zu erregen.

.
Bekehrung Paulus
Bin ich nicht frei? Bin ich nicht ein Apostel? Habe ich nicht Jesus, unseren Herrn, gesehen? Seid ihr nicht mein Werk im Herrn? (1Kor 9,1)

Paulus verweist hier auf seine Berufung durch Jesus Christus. Obwohl er nicht wie die anderen Apostel Jesus Christus während seines irdischen Lebens begegnet ist, hat er doch seine Gegenwart real erfahren. Vor Damaskus hatte er eine Vision, er sah ein helles Licht und hörte eine Stimme, die zu ihm sprach. Für ihn war von nun an sicher, dass Jesus Christus selbst zu ihm gesprochen und ihn zum Apostel berufen hat, zum Verkünder des Glaubens an Jesus Christus in der ganzen Welt. Für Paulus war die Begegnung mit Jesus Christus vor Damaskus Bekehrung und Berufung in einem. Jesus Christus hat sich ihm offenbart, er hat sich ihm persönlich gezeigt und ihm seine Lehre anvertraut. Paulus hat somit das, was die Zwölf Apostel von Jesus gesehen und gelernt haben, in einem Augenblick vermittelt bekommen.
Paulus ist somit auch Vorbild für uns, die wir 2000 Jahre nach Christus leben. Auch wenn uns so viele Jahre vom Leben Jesu auf Erden trennen, ist seine Gegenwart für uns heute noch genauso real erfahrbar, wie für die Menschen damals. Oft beneiden wir die Menschen, von denen wir im Neuen Testament lesen. Wenn ich selbst Jesus sehen könnte, dann würde es mir leichter fallen zu glauben! Wirklich? Viele Menschen waren zwar begeistert, als sie Jesus begegnet sind und ein Wunder erleben durften, aber nach einiger Zeit scheint ihnen das doch alles wieder egal gewesen zu sein, denn als Jesus stirbt, sind nur noch ganz wenige bei ihm.
Ja, aber wenn ich so etwas erleben könnte, dann würde ich ... Ich glaube, dass Jesus jedem von uns seine Zeichen schenkt. Wir müssen sie nur wahrnehmen. Nehme ich das, was mir widerfährt, als Selbstverständliches oder Zufall hin, oder sehe ich in den Begegnungen und Ereignissen des Alltags Zeichen der Gegenwart Gottes, kleine Wunder, die Gott mir immer wieder schenkt? Wir brauchen nicht auf große Ereignisse zu warten, sondern es kommt auf die Treue zum Glauben im Alltag an. Auch wenn uns kein Blitz vom Himmel trifft, sendet Gott dennoch in unser Leben immer wieder Strahlen seiner Gnade, die uns dazu rufen, seinen Weg zu gehen. Halten wir Augen und Ohren offen, um Gottes Ruf nicht zu überhören und seien wir gewiss: Gott wird uns auch helfen, das zu tun, was er von uns möchte.
Ein solcher Ruf Gottes und die Entscheidung, ihm zu folgen, ist kein Ereignis, auf dem man sich ausruhen könnte. Es setzt viel mehr ständige Anstrengung voraus, der einmal getroffenen Entscheidung für Jesus Christus treu zu bleiben. Wie ein Wettkämpfer, der eine Medaille erlangen will, muss sich auch der Christ täglich im christlichen Leben üben.

Wisst ihr nicht, dass die Läufer im Stadion zwar alle laufen, aber dass nur einer den Siegespreis gewinnt? Lauft so, dass ihr ihn gewinnt. Jeder Wettkämpfer lebt aber völlig enthaltsam; jene tun dies, um einen vergänglichen, wir aber, um einen unvergänglichen Siegeskranz zu gewinnen. Darum laufe ich nicht wie einer, der ziellos läuft, und kämpfe mit der Faust nicht wie einer, der in die Luft schlägt; vielmehr züchtige und unterwerfe ich meinen Leib, damit ich nicht anderen predige und selbst verworfen werde. (1Kor 9,24-27)

So mahnt auch Paulus die Korinther, sich nicht auf ihrer Erkenntnis und ihren Gnadengaben auszuruhen, sondern ständig neu ihr Leben am Beispiel Jesu Christi zu messen. Als warnendes Beispiel führt er die Geschichte des Volkes Gottes an.

Ihr sollt wissen, Brüder, dass unsere Väter alle unter der Wolke waren, alle durch das Meer zogen und alle auf Mose getauft wurden in der Wolke und im Meer. Alle aßen auch die gleiche gottgeschenkte Speise und alle tranken den gleichen gottgeschenkten Trank; denn sie tranken aus dem Leben spendenden Felsen, der mit ihnen zog. Und dieser Fels war Christus. (1Kor 10,1-4)

Paulus mahnt die Korinther dazu, sich nicht in falscher Selbstsicherheit zu wiegen. Als mahnendes Beispiel führt er die Geschichte Israels an. Der Exodus, der Auszug aus Ägypten, ist das Schlüsselerlebnis in der Geschichte Israels. Das ganze Volk machte dir Erfahrung von Gottes rettender Tat der Befreiung aus der Sklaverei Ägyptens.
Paulus sieht den Exodus als Vorausbild dessen, was die christliche Gemeinde heute erfährt. Wie Gott durch Mose das Volk durch das Rote Meer in die Freiheit führte, so sind die Christen durch die Taufe von der Sklaverei der Sünde befreit worden. Wie Gott das Volk Israel in der Wüste wunderbar versorgt hat, durch Wasser aus dem Felsen und Manna, so ist die Eucharistie die wunderbare Speise des neuen Gottesvolkes. Alle Christen haben Teil an Christi Leib und Blut, der Speise ewigen Lebens.
Und doch ist die Erfahrung dieser Wohltaten keine Garantie für das ewige Heil. Im Volk gab es solche, die aus Gier mehr Manna sammelten, als sie benötigten, und dafür bestraft wurden. Als Mose am Sinai war, machte sich das Volk ein Goldenes Kalb und trieb Götzendienst. Viele murrten und wollten lieber wieder in die Sklaverei zurück, als den beschwerlichen Weg durch die Wüste zu gehen. Nicht das große Ziel war ihnen wichtig, sondern einfach nur die Bequemlichkeit des Alltags. Auf dem Zug durch die Wüste kamen viele um, Mose musste immer wieder den Herrn um Verzeihung für das Volk anrufen. Diejenigen, die aus Ägypten ausgezogen waren, durften das gelobte Land nicht sehen, sondern erst der folgenden Generation wurde der Einzug gewährt.
So dürfen sich auch die Christen angesichts der Sakramente nicht in falscher Sicherheit wiegen. Gott will das Heil aller Menschen, er schenkt seine Gnade umsonst, aber der Mensch kann sein Heil auch verwirken. Gott sorgt sich um uns, wie der Gärtner im Gleichnis, der den fruchtlosen Baum nicht umhaut, sondern jahrelang weiter pflegt, dass er doch noch Früchte trägt. Aber es gibt keine Garantie für das Heil. Das sollen wir immer wieder bedenken.

Gott aber hatte an den meisten von ihnen kein Gefallen; denn er ließ sie in der Wüste umkommen. Das aber geschah als warnendes Beispiel für uns: damit wir uns nicht von der Gier nach dem Bösen beherrschen lassen, wie jene sich von der Gier beherrschen ließen. Werdet nicht Götzendiener wie einige von ihnen; denn es steht in der Schrift: Das Volk setzte sich zum Essen und Trinken; dann standen sie auf, um sich zu vergnügen. Lasst uns nicht Unzucht treiben, wie einige von ihnen Unzucht trieben. Damals kamen an einem einzigen Tag dreiundzwanzigtausend Menschen um. Wir wollen auch nicht den Herrn auf die Probe stellen, wie es einige von ihnen taten, die dann von Schlangen getötet wurden. Murrt auch nicht, wie einige von ihnen murrten; sie wurden vom Verderber umgebracht. Das aber geschah an ihnen, damit es uns als Beispiel dient; uns zur Warnung wurde es aufgeschrieben, uns, die das Ende der Zeiten erreicht hat. (1Kor 10,5-11)
Wer also zu stehen meint, der gebe Acht, dass er nicht fällt. (1Kor 10,12)

Hochmut kommt vor dem Fall, so lautet ein bekanntes Sprichwort. Wer meint, der beste zu sein, alles richtig zu machen und über den anderen zu stehen, für den kommt oft ein böses Erwachen. Selbst wenn wir etwas Tolles gemacht haben und viel Lob erhalten, kann uns im nächsten Augenblick ein Missgeschick passieren und alles ist dahin.
Das bedeutet nicht, dass wir mit negativen Gedanken durchs Leben gehen sollen und uns über nichts mehr freuen dürfen. Aber wir sollen wachsam sein. Wir dürfen dankbar sein für das, was uns gelingt, sicher auch ein wenig stolz, aber wir sollen das immer auch als ein Geschenk sehen und nicht übermütig werden.
Wir dürfen stolz darauf sein, Christen zu sein. Heute machen wir eher die andere Erfahrung, dass Christsein eben nichts Besonderes ist, dass wir die Sakramente nicht mehr Wunder des Heils erfahren, wie beispielsweise Israel den Exodus. Auch das ist eine Versuchung, die Versuchung zur Gleichgültigkeit. Machen wir uns immer neu bewusst, welche Großtaten Gott an uns erwiesen hat. Wir sind Kinder Gotts. Gott ist unser Vater, der auf uns schaut und für uns Sorge trägt.
Wir dürfen und sollen ein gesundes Selbstbewusstsein haben, müssen uns aber auch vor falscher Selbstsicherheit in Acht nehmen. In den Beispielen, die Paulus aufgezählt hat, zeigt sich, wie verhängnisvoll diese sein kann. Johannes Chrysostomus sagt:

Wenn nämlich jene, die so große Wohltaten genossen, solches leiden mussten, wenn andere, bloß weil sie gemurrt haben, und wieder andere, weil sie Gott versucht haben, so hart gestraft wurden, und wenn jenes Volk nach so großen Dingen Gott nicht fürchtete, so wird uns dieses Schicksal, wenn wir nicht vorsichtig wandeln, umso mehr treffen. Paulus sagt treffend: "Wer zu stehen meint", denn ein solches Stehen ist nicht das rechte, sondern es ist ein Vertrauen auf die eigene Kraft und wer so steht, wird bald fallen.

Johannes Chrysostomus sieht die Menschen aber in einer ganz anderen Situation. Vielen sind gefallen und liegen am Boden, auch in der Kirche. Viele mögen zwar nach außen hin kraftvoll wirken, "könnte man aber die Seelen nackt schauen, wie man in einem Heer nach der Schlacht die einen tot, die andern schwer verwundet erblickt, so würde man dasselbe auch hier in der Kirche erblicken." Er ruft daher dazu auf, einander die Hand zu reichen und einander zu helfen, aufzustehen:

Darum ermahne ich nicht nur dazu, dass wir uns vor dem Fall hüten, sondern den Gefallenen rufe ich zu, dass sie aufzustehen vermögen. Lasst uns also, Geliebte, wiewohl spät, erheben! Lasst uns aufstehen und tapfer dastehen! Wie lange wollen wir liegen bleiben? Wie lange wollen wir berauscht und von irdischen Begierden betäubt so fortleben? Ich bitte und ermahne: reichen wir einander die Hand und stehen wir auf!

Haben wir den Mut, ehrlich zu unseren Fehlern zu stehen und unsere Sünden zu bekennen. Haben wir die Demut, um Verzeihung und Hilfe zu bitten. Greifen wir nach der Hand, die uns entgegengestreckt ist, um uns aufzuhelfen. Der Heilige Johannes Chrysostomus sagt:

Auch ich gehöre zu den Verwundeten, die des heilenden Arztes bedürfen, aber darum sollt ihr den Mut nicht verlieren; denn sind die Wunden auch schwer, so sind sie doch heilbar. Wir haben nämlich einen Arzt, der uns, mag auch das Übel den äußersten Grad erreicht haben, viele Wege zur Besserung zeigt.

Christus ist unser Arzt, er kann uns Heilung verschaffen. Er zeigt uns verschiedene Therapien, wie wir Heilung erlangen können. Wenn wir anderen verzeihen, so wird auch uns verziehen, durch Gebet und Almosen werden Sünden getilgt.

Lasst uns also die Größe seiner Erbarmung erwägen und ihn versöhnen und vor ihm unsere Schuld bekennen, damit wir nicht beim Hinscheiden aus diesem Leben ohne Nachsicht der äußersten Strafe verfallen!

Chrysostomus mahnt aber auch, nicht mit Gottes Barmherzigkeit zu spielen. Es muss uns ernst sein mit unserer Umkehr. Gerade auch das Geld birgt eine Versuchung, die uns immer wieder blind werden lässt:

Wir vernachlässigen das Seelenheil aus Liebe zum Geld. Wie darfst du nun Gott bitten, dass er dich verschone, da du dich selbst nicht verschonst und das Geld der Seele vorziehst? Ich staune über den Zauber, der in dem Geld oder besser gesagt, in den Herzen der Verblendeten liegt. Doch gibt es auch sicherlich Menschen, welche dieses Blendwerk herzlich verlachen, denn was liegt wohl darin, das unsere Augen bezaubern könnte? Ist es nicht ein lebloses Wesen? Ist es nicht vergänglich? Ist sein Besitz nicht unsicher, verbunden mit Furcht und Gefahr, Mord und Nachstellungen, mit Feindschaft und Hass, mit Trägheit und allerlei Bosheit? Ist es nicht Staub und Asche? Welcher Wahnsinn! Welche Krankheit!

Wir können dieser Versuchung dadurch begegnen, dass wir uns Gott viel größer und Herrlicher vorstellen als alle Pracht dieser Welt und alles, was wir uns mit Geld kaufen können. Machen wir uns die Wunder bewusst, die Gott an uns gewirkt hat. Wir sind neu durch seine Gnade. Lassen wir uns immer wieder erneuern, lassen wir Gott an uns wirken, dass wir durch seine Gnade wachsen zu wahrer Größe.

Noch ist keine Versuchung über euch gekommen, die den Menschen überfordert. Gott ist treu; er wird nicht zulassen, dass ihr über eure Kraft hinaus versucht werdet. Er wird euch in der Versuchung einen Ausweg schaffen, sodass ihr sie bestehen könnt. (1Kor 10,13)

Nach der harten Ermahnung schließt Paulus das Kapitel ab mit einem tröstenden Wort. Auch wenn wir nie sicher sein können, dass wir nicht fallen, so wird Gott doch keine Versuchung zulassen, die uns überfordert. Gott will, dass wir stehen. Er will uns nicht mit Gewalt umwerfen. Wenn wir uns auf ihn verlassen, wird er uns die Kraft geben, stehen zu bleiben. In allem, was uns widerfährt, wird es einen Ausweg geben, so aussichtslos und schlimm ein Schicksal, die uns widerfährt, auch scheinen mag. Darauf dürfen wir immer vertrauen.