Hört also, ihr Könige, und seid verständig, lernt, ihr Gebieter der ganzen Welt!
Horcht, ihr Herrscher der Massen, die ihr stolz seid auf Völkerscharen! (Weish 6,1-2)
Wie schon zu Beginn des Buches wendet sich der Sprecher an die Könige und Herrscher. Sie sollen die Weisheit lernen, damit sie gerecht regieren können. Von Gott kommt ihre Gewalt. Umso größer wird ihre Strafe sein, wenn sie ihm nicht gefolgt sind. Er wird die Mächtigen nach strengeren Maßstäben beurteilen als das einfache Volk.
Der Herr hat euch die Gewalt gegeben, der Höchste die Herrschaft, er, der eure Taten prüft und eure Pläne durchforscht. Ihr seid Diener seines Reichs, aber ihr habt kein gerechtes Urteil gefällt, das Gesetz nicht bewahrt und die Weisung Gottes nicht befolgt. Schnell und furchtbar wird er kommen und euch bestrafen; denn über die Großen ergeht ein strenges Gericht.
Der Geringe erfährt Nachsicht und Erbarmen, doch die Mächtigen werden gerichtet mit Macht. Denn der Herrscher des Alls scheut niemand und weicht vor keiner Größe zurück. Er hat Klein und Groß erschaffen und trägt gleiche Sorge für alle; den Mächtigen aber droht strenge Untersuchung.
An euch also, ihr Herrscher, richten sich meine Worte, damit ihr Weisheit lernt und nicht sündigt. Wer das Heilige heilig hält, wird geheiligt, und wer sich darin unterweisen lässt, findet Schutz. Verlangt also nach meinen Worten; sehnt euch danach und ihr werdet gute Belehrung empfangen. (Weis 6,3-11)
Die Mächtigen haben eine besondere Verantwortung. Gott wird sie zur Rechenschaft ziehen. Sie vor allem sollen sich um Weisheit mühen. Auch von Jesus kennen wir die Warnung, dass sich niemand von seinen Jüngern Meister oder Lehrer nennen lassen soll. Zu leicht lassen sich Menschen von der Macht blenden und haben doch nicht die Weisheit, andere zu unterweisen und zu führen. Gott aber wird sie zur Verantwortung ziehen.
Strahlend und unvergänglich ist die Weisheit; wer sie liebt, erblickt sie schnell, und wer sie sucht, findet sie. Denen, die nach ihr verlangen, gibt sie sich sogleich zu erkennen. (Weish 6,12-13)
Die Weisheitsliteratur des Alten Testaments erscheint uns oft fremd. Was ist das überhaupt, Weisheit? Die Weisheitsschriften stammen aus den ersten vorchristlichen Jahrhunderten, jener Zeit, in der in Griechenland die Philosophenschulen blühten und die griechische Kultur auf den Mittelmeerraum prägend gewirkt hat. Auch die Juden sind mit den griechischen Weisheitslehren in Kontakt gekommen. Sie waren sich sicher, dass es die Weisheit des Gottes Israels leicht mit der Weisheit der großen Philosophen aufnehmen kann.
Israel sah sich als ein weises Volk, weil gerade die Gebote Gottes, die Israel anvertraut sind, Ausdruck höchster Weisheit sind. In dieser Zeit hat man dann die Weisheit personalisiert zu einer von Gott gesandten Führerin seines Volkes.
Die Weisheit ist nicht verborgen. Sie zeigt sich, geht strahlend hervor wie die Sonne. Doch wer ihr begegnen will, muss dennoch nach ihr suchen. Wer der Weisheit begegnen will, muss ein tiefes Verlangen nach ihr haben, jedem, der sie sucht, wird sie sich zeigen. Wer am Morgen nach ihr sucht, der findet sie vor seine Tür, wer in der Nacht an sie denkt, den bewahrt sie vor sorgenvoller Schlaflosigkeit.
Wer sie am frühen Morgen sucht, braucht keine Mühe, er findet sie vor seiner Türe sitzen. Über sie nachzusinnen ist vollkommene Klugheit; wer ihretwegen wacht, wird schnell von Sorge frei. Sie geht selbst umher, um die zu suchen, die ihrer würdig sind; freundlich erscheint sie ihnen auf allen Wegen und kommt jenen entgegen, die an sie denken. (Weish 6,14-16)
Die Weisheit selbst kommt denen entgegen, die ihrer würdig sind. Jener, der Weisheit sucht und die Weisheit selbst machen sich gegenseitig auf dem Weg zueinander. Sie finden einander, weil sie einander suchen. Diese Worte sollen uns Mut machen. Ein Leben nach der Weisheit ist nicht schwer, jeder, der danach strebt, kann es erreichen.
Der Anfang des Weges zu Weisheit ist das Verlangen nach Bildung. Sich wirklich in etwas zu vertiefen bedeutet Liebe. Es solches Denken mag uns heute fremd erscheinen. Bis an die Schwelle der Neuzeit aber stand jegliche Bildung in engstem Zusammenhang mit der Religion. Erst die Aufklärung hat die Trennung zwischen religiösem und weltlichem Wissen vollzogen. Nur wenn wir begreifen, wie eng Religion und Wissenschaft zusammen gingen, können wir verstehen, warum die Kirche so heftig gegen das moderne Weltbild vorgegangen ist.
Aus heutiger Sicht ist die Trennung zwischen Religion und Wissenschaft eine gute Entwicklung gewesen. Nur so waren die enormen Fortschritte der Naturwissenschaften möglich geworden. Doch wir sehen heute auch eine Gefahr in dem, wozu eine gottlose Wissenschaft fähig ist. So kommt es auch heute darauf an, bei allem Streben nach Bildung die Weisheit Gottes nicht zu übersehen.
Ihr Anfang ist aufrichtiges Verlangen nach Bildung; das eifrige Bemühen um Bildung aber ist Liebe. Liebe ist Halten ihrer Gebote; Erfüllen der Gebote sichert Unvergänglichkeit, und Unvergänglichkeit bringt in Gottes Nähe. So führt das Verlangen nach Weisheit zur Herrschaft hinauf.
Ihr Herrscher der Völker, wenn ihr Gefallen an Thronen und Zeptern habt, dann ehrt die Weisheit, damit ihr ewig herrscht. (Weish 6,17-21)