Kohelet 1,9-18

Nichts Neues

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Was geschehen ist, wird wieder geschehen, was getan wurde, wird man wieder tun: Es gibt nichts Neues unter der Sonne. Zwar gibt es bisweilen ein Ding, von dem es heißt: Sieh dir das an, das ist etwas Neues - aber auch das gab es schon in den Zeiten, die vor uns gewesen sind. Nur gibt es keine Erinnerung an die Früheren und auch an die Späteren, die erst kommen werden, auch an sie wird es keine Erinnerung geben bei denen, die noch später kommen werden. (Koh 1,9-11)

Es gibt nichts Neues unter der Sonne. Auf den ersten Blick erscheint uns diese Aussage Kohelets gerade im Hinblick auf unsere schnelllebige Zeit als unpassend. Unsere technische Entwicklung hat in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder neue Sprünge gemacht. Telefon, Handy, Internet, Raumfahrt, Satelliten, um nur einige wenige Beispiele zu nennen, haben unser Leben grundlegend verändert. Das modernste elektronische Gerät von heute ist in einigen Jahren bereits veraltet, ständig kommen neue Dinge auf den Markt. Wenn wir auf die Gesellschaft vor 100 oder gar 200 Jahren blicken kommt uns das Leben der Menschen damals ziemlich fremd vor.
Andererseits aber hat sich an der Grundstruktur menschlichen Lebens nicht viel verändert. Es gibt wie bereits vor Urzeiten Kriege unter den Menschen, gewiss, es gibt neue Waffen, aber bereits in der Antike hat die Menschheit immer wieder neue, wirkungsvollere Waffen erfunden. Was wir heute an Kriegsgerät haben, ist zwar technisch neu, aber vom Prinzip her genau wie früher etwas, um möglichst effektiv Krieg zu führen.
Heute wie damals ist unsere Gesellschaft in verschiedene Schichten aufgeteilt. Es gibt einige wenige Menschen, die großen Reichtum und viel Macht und Einfluss haben und eine große Anzahl von Menschen, die nichts von all dem haben. Zwar befinden wir uns in unseren westlichen Gesellschaften in der glücklichen Lage, dass es dazwischen eine breite Mittelschicht gibt, der es ganz gut geht, aber in vielen anderen Ländern und bereits vor unserer Haustüre blüht das System der Ausbeutung von Menschen, das bereits zu Zeiten Kohelets existiert hat.
Gewiss, die Menschheit hat sich in den vergangenen Jahrhunderten verändert, wir befinden uns heute auf einem höheren technischen Niveau, Menschen leben heute überwiegend in Industriestaaten und nicht mehr in einer agrarischen Gesellschaft. Es gibt andere Familienstrukturen, Frauen haben einen anderen Stellenwert in der Gesellschaft. Wir könnten hier viele Details nennen. Aber das menschliche Leben an sich ist weitgehend gleich geblieben. Wir können uns nur schwer vorstellen, wie Menschen früher gelebt haben, weil uns die Geschichte oft nur über Herrscher, Kriege und bedeutende Ereignisse informiert und nicht über den Alltag der Menschen, der oft auch kaum mehr rekonstruierbar ist und daher der Vergessenheit anheimgegeben.
Wir sollten uns nicht zu viel einbilden auf unsere momentane Gesellschaft. Wir sollten nicht vorschnell über die schlechten Zustände früherer Zeiten urteilen. Allein wenn ich im Supermarkt einkaufen gehe werde ich Teil eines brutalen Systems der Ausbeutung von Mensch, Tier und Umwelt, das dem Feudalsystem früherer Zeiten in nichts nachsteht. Wenn ich meine Elektrogeräte benutze profitiere ich vom brutalen System der Ausbeutung der Ärmsten der Armen, die unter härtesten Bedingungen die Rohstoffe für diese Geräte zu Tage fördern.
Machen wir unsere Augen auf und schauen wir hinter die glitzernden Fassaden. Dann werden wir mit Erschrecken feststellen, dass die Aussage Kohelets wahr ist. Nichts Neues unter der Sonne.

Ich, Kohelet, war in Jerusalem König über Israel. Ich hatte mir vorgenommen, das Wissen daraufhin zu untersuchen und zu erforschen, ob nicht alles, was unter dem Himmel getan wurde, ein schlechtes Geschäft war, für das die einzelnen Menschen durch Gottes Auftrag sich abgemüht haben. Ich beobachtete alle Taten, die unter der Sonne getan wurden. Das Ergebnis: Das ist alles Windhauch und Luftgespinst. Was krumm ist, kann man nicht gerade biegen; was nicht da ist, kann man nicht zählen. Ich überlegte mir Folgendes: Ich habe mein Wissen immerzu vergrößert, sodass ich jetzt darin jeden übertreffe, der vor mir über Jerusalem geherrscht hat. Oft konnte ich Wissen und Können beobachten. So habe ich mir vorgenommen zu erkennen, was Wissen wirklich ist, und zu erkennen, was Verblendung und Unwissen wirklich sind. Ich erkannte, dass auch dies ein Luftgespinst ist. Denn: Viel Wissen, viel Ärger, wer das Können mehrt, der mehrt die Sorge. (Koh 1,12-18)

Kohelet will das menschliche Leben kritisch hinterfragen. Welche Bedeutung haben Macht, Reichtum und Bildung, nach denen so viele streben? Machen sie allein uns zu glücklicheren Menschen? Er kommt zu dem Schluss, dass dadurch allein unser Leben nicht glücklicher wird. Menschen kämpfen um Macht, mühen sich ab nach Reichtümern, strengen sich an, Wissen zu erlangen, aber all dies ist vergänglich. Spätestens mit dem Tod verliert der Mensch all das. Was aber bleibt? Letztlich ist alles, was bleibt, ein Geschenk Gottes. Was wirklich zählt ist, für das offen zu sein, was Gott uns schenken will. Diese Wahrheit taucht im Buch Kohelet immer wieder auf, meist etwas versteckt, und gerade das macht Kohelet so interessant, weil er nicht mit frommen Sprüchen kommt, sondern uns durch kritisches Hinterfragen selbst auf die Sprünge helfen will, die tiefere Wahrheit und das Glück des Lebens zu entdecken. Lassen wir uns ein auf diese Entdeckungsreise. Das was er schreibt, ist heute noch genauso spannend wie damals, weil er über die Grundstrukturen menschlichen Lebens nachdenkt, die damals wie heute nahezu die gleichen sind.