Kohelet 1,2-8

Windhauch

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Windhauch
Windhauch, Windhauch, sagte Kohelet, Windhauch, Windhauch, das ist alles Windhauch. (Koh 1,2)

Das hebräische Wort "häbäl", das übrigens auch in dem Namen Abel steckt, kommt 37 Mal im Buch Kohelet vor, genauso oft wie das Wort „Gott“. Es ist nicht leicht, es im Deutschen angemessen wiederzugeben. Wörtlich übersetzt heißt es "(vergänglicher) Hauch, Windhauch, Nichtigkeit". Die Einheitsübersetzung hat sich für diese wörtliche Wiedergabe entschieden und lässt so dem Leser den Raum zur eigenen Interpretation. Dies entspricht wohl auch der Absicht Kohelets, der sicher dieses Wort bewusst verwendet hat, um zu provozieren und seine Schüler zum Nachdenken anzuregen. Denn in seinem Buch entlarvt er viele Lehrsätze, die angeblich eine für alle Zeiten unumstößliche Weisheit vermitteln, als unbrauchbar.
Der Wind weht, du spürst seinen Hauch, aber dann ist er vorbei und hinterlässt nichts Bleibendes. Also gibt es nichts, woran der Mensch sich halten kann, weil alles so flüchtig und ungreifbar ist wie der Wind? Ist das ganze Leben des Menschen sinnlos, wie einige diesen Vers übersetzen: "Völlig sinnlos ist alles ... es hat alles keinen Sinn"? Wenn dem so wäre, müsste Kohelet sich ja nicht die Mühe machen, seine Schüler zu lehren, denn wenn alles sinnlos wäre, was bliebe dann zu lernen? Es gibt sehr wohl einen Sinn, aber um diesen zu entdecken, muss man über all das Flüchtige, und ist es noch so fest in Stein gemeißelt, hinausgehen.
In der Vulgata heißt es: "O vanitas vanitatum vanitas". Das lateinische Wort Vanitas hat einen stark melancholischen Beigeschmack, den man so bei Kohelet nicht findet. Im Gegenteil, seine Sprüche sind spritzig, sie sind originell und ansprechend formuliert. Er lässt sich nicht treiben auf einer Welle der Resignation, sondern packt die Themen beim Schopf, zieht sie mit der Wurzel heraus und betrachtet sie von allen Seiten.
Luther übersetzt den Vers folgendermaßen: "Es ist alles ganz eitel, sprach der Prediger, es ist alles ganz eitel." Das deutsche Wort eitel gibt wohl am ehesten wieder, was Windhauch meint. Der Duden gibt für dieses Wort drei Bedeutungsfelder an: "(1) (abwertend) viel Wert auf die eigene äußere Erscheinung legend; bestrebt, als schön (und klug) zu gelten, (2) (gehoben veraltend) nichtig, vergeblich, (3) (veraltend, noch scherzhaft) rein, lauter". Wir verwenden hauptsächlich nur noch die erste Bedeutung dieses Wortes. Von seinem Ursprung her ist aber die zweite Bedeutung die gewichtigere, und diese hatte auch Luther im Sinn bei seiner Übersetzung.
Mag alles auch nichtig und vergänglich sein, so ist das Leben für Kohelet keineswegs sinnlos. Das Leben hat durchaus einen Sinn, den es zu entdecken gilt. Doch was bleibt vom Leben angesichts des Todes? Weisheit, Nachkommen, Reichtum, all das, womit Menschen ihren Nachruhm sichern wollen, hat keinen Bestand. Wer kann wirklich sagen, dass er weise ist, und dass auch nach seinem Tod Menschen an seine Weisheit denken? Wer kann sicher sein, dass seine Nachkommen sein Andenken bewahren? Was geschieht mit dem Reichtum, den einer mühsam angehäuft hat? Kohelet ist hier sehr realistisch und gibt zu bedenken, dass der angehäufte Reichtum leicht in falsche Hände gerät und von den Nachkommen verprasst wird. Und was das Wissen betrifft, so haben es nur sehr wenige Gelehrte geschafft, dass ihr Name über Generationen hinweg im Gedächtnis der Menschheit geblieben ist.
Auch heute können wir oft erleben, dass einer, der Wissen und Erfolg hat, mit Erfindergeist und unter größter persönlicher Anstrengung ein Unternehmen aufbaut, seinen Kindern und Enkeln eine solide finanzielle Grundlage hinterlässt, doch diese nicht den Ehrgeiz haben, das Familienunternehmen weiterzuführen. Sie profitieren vom Gewinn und geben das Geld mit vollen Händen aus. Und so ist der Traum des Gründers, dass sein Name über Generationen hinweg in stolzen Lettern über dem Fabrikgebäude leuchtet, bald dahin. Und so bleibt die Frage:

Welchen Vorteil hat der Mensch von all seinem Besitz, für den er sich anstrengt unter der Sonne? (Koh 1,3)

Was bleibt von all dem, wofür einer sich anstrengt, seine Zeit opfert? Was bleibt davon, wenn einer tagelang auf Dienstreise ist, um die ganze Welt zu wichtigen Geschäftsterminen reist, ständig am Handy erreichbar und immer für die Firma da ist? Selbst wenn wir die horrenden Gehälter von Top-Managern betrachten, bedeutet dieser Reichtum Glück und erfülltes Leben? Ist das der Sinn des Lebens? Oder ist doch alles sinnlos?
Auch Kohelet weiß auf all diese Fragen keine einfache Antwort. Er weiß nur: mit einfachen frommen Sprüchen kommen wir da nicht weiter. Kohelet bietet verschiedene Antworten zur Auswahl an, die sich teilweise widersprechen. Die Antworten auf die großen Fragen des Lebens sind nicht vorgegeben, jeder soll die Möglichkeit haben, selbst seine Antworten zu finden. Dazu braucht es Hilfestellungen, Vorbilder, Texte, Menschen die zuhören, die nicht mit ihren vorgefertigten Antworten kommen oder ihre eigenen Antworten als alleinverbindlich betrachten. Es braucht Menschen, die Mut geben zum Weiterdenken und so anderen helfen, ihre eigenen Antworten auf die großen Fragen des Lebens zu finden.

Eine Generation geht, eine andere kommt. Die Erde steht in Ewigkeit. Die Sonne, die aufging und wieder unterging, atemlos jagt sie zurück an den Ort, wo sie wieder aufgeht. Er weht nach Süden, dreht nach Norden, dreht, dreht, weht, der Wind. Weil er sich immerzu dreht, kehrt er zurück, der Wind. Alle Flüsse fließen ins Meer, das Meer wird nicht voll. Zu dem Ort, wo die Flüsse entspringen, kehren sie zurück, um wieder zu entspringen. Alle Dinge sind rastlos tätig, kein Mensch kann alles ausdrücken, nie wird ein Auge satt, wenn es beobachtet, nie wird ein Ohr vom Hören voll. (Koh 1,4-8)

Kohelet spielt auf den Kreislauf aller Dinge an. Das erinnert uns an fernöstliche Religionen, an das ewige Rad der Wiedergeburt. Doch anders als diese Religionen sieht Kohelet den Tod als eine klare Zäsur. Es geht eben nicht weiter nach dem Tod mit einem neuen Leben, in dem die Seele erneut die Möglichkeit hat, es besser zu machen, dem Nirwana ein Stück näher zu kommen. Wir haben nur dieses eine Leben, und genau das sollen wir nutzen, nicht für sinnlose Dinge vergeuden, sondern für das, was bleibt.
Wir haben gesehen, Macht ist vergänglich, Reichtum ist vergänglich, Wissen ist vergänglich. All das ist Windhauch. Wenn wir uns darum mühen, laufen wir nur im Rad der Tretmühle herum, das sich einfach nur dreht, aber nicht vorwärts kommt, so wie in der Natur alles "rund läuft", die Sonne läuft jeden Tag ihre Bahn (damals sah man die Erde noch als Mittelpunkt der Welt und mit dem Satz "Die Erde steht in Ewigkeit" versuchte die Kirche dieses Weltbild noch bis zuletzt zu untermauern, wobei hier Kohelet mit Sicherheit keine unfehlbare kosmologische Wahrheit verkünden wollte), der Wind weht und muss ja irgendwie zu seinem Ausgangspunkt zurück, ähnlich wie der Kreislauf des Wassers. Kohelet wusste damals nichts über die Entstehung von Wind und Wetter oder den Kreislauf des Wassers über Verdunstung und Niederschlag, genauso wenig wie er die Laufbahn der Sonne kannte. Er sieht einfach nur, dass diese Abläufe regelmäßig wiederkehren, die Sonne geht jeden Tag von neuem auf, Wind und Wasser sind immer wieder neu da. Das bedeutet eine rastlose Tätigkeit der Natur, die aber nichts Neues hervorbringt, sondern sich immer wieder widerholt.
Wir würden heute sagen, es muss ja diese ganzen Kreisläufe geben, dass das Leben erhalten bleibt. Nur dadurch, dass sich die Erde genau in ihrer Bahn um die Sonne dreht befindet sie sich in einer Zone, in der Leben, wie wir es kennen, möglich ist. Genauso braucht es auch Menschen, die durch ihre einfache Tätigkeit das gesellschaftliche Leben in Gang halten. Wären alle Menschen Philosophen, dann würden wir bald verhungern. Kohelet richtet sich an die Gebildeten und Reichen, die nicht in diesen Kreislauf eingebunden sind, aber von ihm profitieren. Gerade sie haben die Möglichkeit, etwas Außergewöhnliches zu tun, aber stattdessen vergeuden sie ihr Leben mit dem Streben nach nutzlosen Dingen.