Micha 4,1-5,14

Heilsweissagungen

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Micha
Am Ende der Tage wird es geschehen: Der Berg des Hauses des Herrn steht fest gegründet als höchster der Berge; er überragt alle Hügel. Zu ihm strömen Völker. Viele Nationen gehen und sagen: Auf, wir ziehen hinauf zum Berg des Herrn und zum Haus des Gottes Jakobs. Er unterweise uns in seinen Wegen, auf seinen Pfaden wollen wir gehen. Denn von Zion zieht Weisung aus und das Wort des Herrn von Jerusalem. (Mi 4,1-2)

Micha blickt in eine strahlende Zukunft: Es werden Tage kommen, da wird das Haus Gottes auf Erden wieder feststehen auf einem Berg, erhaben in der Höhe. Er wird nicht nur ein Gottesberg sein, wie es vielleicht noch viele geben mag (auch heidnische Heiligtümer wurden gerne auf Bergen errichtet), sondern nun wird sich zeigen, dass Gott über alle anderen Götter erhaben ist. Man muss sich hierbei vor Augen halten, dass das damalige Israel durchaus anerkennen konnte, dass andere Völker andere Götter verehren, für Israel selbst durfte es aber nur den einen Gott geben. Und es wird sich nun zeigen, dass dieser Gott größer ist als alle Götzen der anderen Völker. Alle Nationen sind darauf aus, hinzuziehen zu diesem Gott Israels.
Gott wird aber seine Größe nicht durch militärische Erfolge demonstrieren, sondern durch seine Weisung, seine Gebote, die so gerecht und gut sind, wie sie nirgendwo anderes zu finden sind. Deshalb wenden sich die Völker an den Gott Israels, weil nur durch das Befolgen seiner Gebote Frieden herrschen kann. Und dieser Friede ist es, wonach die Völker sich sehnen, dass jeder auf seinem Besitz leben kann und ausreichend versorgt ist durch dessen Ertrag, dass die Menschen sich nicht mehr fürchten müssen vor den raffgierigen Umtrieben der ungerechten Oberschicht und vor dem Einfall fremder Mächte. Nur durch das Hören auf die Weisung Gottes kann ein solcher Friede gewährt werden und bestand haben.

Er wird Recht schaffen zwischen vielen Völkern und mächtige Nationen zurechtweisen bis in die Ferne. Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden und ihre Lanzen zu Winzermessern. Sie erheben nicht mehr das Schwert, Nation gegen Nation, und sie erlernen nicht mehr den Krieg. (Mi 4,3)

"Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden und ihre Lanzen zu Winzermessern." Dieser Vers aus Micha 4,3 gehört wohl zu den bekanntesten des ganzen Buches und hat seine Wirkungsgeschichte auch außerhalb des religiösen Bereiches entfaltet. Wie könnte man deutlicher die Sehnsucht nach Frieden zum Ausdruck bringen, die in den kriegerischen Zeiten des Propheten als Hoffnung keimt?

Und ein jeder sitzt unter seinem Weinstock und unter seinem Feigenbaum und niemand schreckt ihn auf. Ja, der Mund des Herrn der Heerscharen hat gesprochen. Auch wenn alle Völker ihren Weg gehen, ein jedes im Namen seines Gottes, so gehen wir schon jetzt im Namen des Herrn, unseres Gottes, für immer und ewig. (Mi 4,4-5)

Das Sitzen unter dem eigenen Weinstock und Feigenbaum ist ein Bild für gute Zeiten. Sie sind möglich, wenn das ganze Volk festhält an der Weisung des Herrn. So wird Israel zum Vorbild für alle Völker der Welt, denen Gott seinen Segen schenken will.

An jenem Tag - Spruch des Herrn - will ich versammeln, was hinkt, und was versprengt ist, zusammenführen, die, über die ich Unheil gebracht habe. Ich mache das Hinkende zum Rest und das Erschöpfte zu einem mächtigen Volk. Und der Herr ist ihr König auf dem Berg Zion von jetzt an auf ewig. Und du, schützender Turm für die Herde, Felssporn der Tochter Zion, zu dir wird sie gelangen und sie kommt wirklich, die frühere Herrschaft, das Königtum zur Tochter Jerusalem.
Jetzt aber, warum schreist du so laut? Ist denn kein König bei dir? Ist dein Berater zugrunde gegangen, dass dich Wehen gepackt haben wie eine Gebärende? Winde dich und brich in Geschrei aus, Tochter Zion, wie eine Gebärende! Denn jetzt wirst du hinausgehen aus der Stadt und auf freiem Feld wohnen. Du kommst nach Babel. Dort wirst du gerettet, dort wird der Herr dich loskaufen aus der Hand deiner Feinde.
Jetzt versammeln sich gegen dich viele Nationen, die sagen: Sie soll entweiht werden! Und unsere Augen sollen herabschauen auf Zion. Aber sie haben nicht erkannt die Pläne des Herrn und seine Absicht nicht verstanden: dass er sie gesammelt hat wie Garben auf einer Tenne. Steh auf und drisch, Tochter Zion! Denn ich mache dein Horn zu Eisen und mache deine Hufe aus Erz und du wirst viele Völker zermalmen und ihren ungerechten Besitz zum Banngut für den Herrn machen, für den Herrn der ganzen Erde ihr Vermögen. (Mi 4,6-13)

Hier kommt die Sammlung des auserwählten Restes in den Blick, die Rettung der Hinkenden und Versprengten. Wurde in den Kapiteln 1-3 aufgezeigt, welches Unheil über Israel kommt wegen seines Fehlverhaltens, so wird eine Zeit kommen, in der Gott dieses Unheil wieder hinwegnehmen wird. Und dann leitet der Text über zu dem Thema, das im Folgenden ausführlich behandelt wird, nämlich die Wiederherstellung eines gerechten Königtums in Jerusalem.
Jetzt aber bricht erst einmal das Unheil über Israel herein. Die Völker versammeln sich, Israel muss ins Exil. Der König wird gedemütigt und auf die Wange geschlagen. Aber die Völker begreifen nicht den Plan Gottes. Sie sind gekommen, um Israel zu vernichten, Gott aber möchte sein Volk nicht vernichten, sondern nur läutern. Deshalb wird Israel am Ende doch über die Völker triumphieren, weil es Gott auf seiner Seite hat. Und an die Stelle des unwürdigen und gefangenen Königs wird Gott einen neuen Herrscher bestimmen, der Israel gerecht regieren wird und dessen Königtum, weil er Gottes Weisung beachtet, auch Bestand haben wird.

Jetzt ritze dich wund, Tochter der Trauer! Einen Belagerungswall hat man gegen uns errichtet; sie schlagen mit dem Stock ins Gesicht dem Richter Israels.
Aber du, Betlehem-Efrata, bist zwar klein unter den Sippen Judas, aus dir wird mir einer hervorgehen, der über Israel herrschen soll. Seine Ursprünge liegen in ferner Vorzeit, in längst vergangenen Tagen.
Darum gibt er sie preis, bis zu der Zeit, da die Gebärende geboren hat. Dann wird der Rest seiner Brüder zurückkehren zu den Söhnen Israels. Er wird auftreten und ihr Hirt sein in der Kraft des Herrn, in der Hoheit des Namens des Herrn, seines Gottes. Sie werden in Sicherheit wohnen; denn nun wird er groß sein bis an die Grenzen der Erde. (Mi 4,14-5,3)

Einen neuen Herrscher sagt der Prophet Micha voraus. Zuvor hat er die Bedrängnis geschildert, in die Israel geraten ist und auch in diesen Versen klingt es an: Gott scheint Israel preiszugeben, seinem Schicksal zu überlassen. Doch es ist wie bei einer Gebärenden: Sie schreit und windet sich in ihren Wehen, doch die Freude über die Geburt lässt dann den Schmerz vergessen. Diese Wendung zeigt sich am Text, der mit "du aber ..." zu einer Verheißung anhebt und einen Friedensherrscher ankündigt.
Traditionsgemäß stammt der dem Volk Israel verheißene Herrscher aus dem Haus David. Auch wenn König David in diesem Text nicht erwähnt wird, so denkt doch jeder bibelkundige Leser bei der Erwähnung von Betlehem-Efrata sofort an David: "David war der Sohn eines efratitischen Mannes, der aus Betlehem in Juda war." (1Sam 17,12)
Wenn von "klein" die Rede ist, dann ist ebenso die Davidgeschichte präsent, wie etwa die Erzählung von David und Goliath oder dass Samuel gerade den jüngsten der Söhne Isais zum König salbte. Der neue Herrscher wird ganz nach Gottes Willen sein, was in dem Ausdruck "aus dir wird MIR einer hervorgehen" deutlich wird. Hier spricht Gott selbst, der stets in die Geschichte eingreift, indem er Menschen erwählt, die bereit sind, seinen Willen zu tun.
Vieles aus der Geschichte versteht man erst hinterher und was zunächst wie eine vernichtende Katastrophe aussieht, kann sich doch zum Guten kehren. So weckt der Prophet die Hoffnung, dass die schmerzhafte Verbannung in das Exil nach Babylon, das den Hintergrund des Textes bildet, zu einer umso herrlicheren Wiederkehr in das gelobte Land führen wird.

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Frieden
Und er wird der Friede sein. (Mi 5,4a)

Der Prophet Micha und diejenigen, die seine Worte aufgeschrieben und ergänzt haben, hätten sich wohl nie denken können, dass sich diese Worte einmal in der Geburt des Gottessohnes im Stall von Betlehem erfüllen werden. Auch wenn aus alttestamentlicher Sicht hier zunächst einmal an einen Friedensherrscher aus dem Geschlecht Davids gedacht werden muss, so zeigt doch die Geschichte Israels, dass keiner seiner Könige in der Lage war, diese hohen Ideale zu erfüllen. Allein Gottes Sohn konnte ein wahrer Repräsentant dieses Königtums sein, und Friede kann nur dann sein, wenn Gott herrscht über alles und in allem.
Damals wie heute ist Israel ein bedrohtes Land. Immer ist es von Feinden umgeben, die sich seiner bemächtigen wollen, und ist mit seiner außergewöhnlichen religiösen Tradition so etwas wie ein Fremdkörper im Nahen Osten. Diese Situation prägt das Volk und es wünscht sich nichts sehnlicher als den Frieden. Endlich einmal ohne ständige Bedrohung in Ruhe und Sicherheit leben zu können, das wünschten sich die Juden damals sicher ebenso wie heute.
Endlich Frieden. Das ist auch unser Wunsch. Warum schaffen die Völker es nicht, in Frieden miteinander zu leben? Warum schaffen es die Regierenden oft nicht, auf diesen Frieden hinzuwirken? Doch wie sollen die Völker in Frieden zusammenleben, wenn wir als einzelne Menschen das schon nicht schaffen. Soviel Streit in den Familien, in der Nachbarschaft, zwischen einzelnen Gruppen ... Weihnachten, das Fest des Friedens. Beten wir in diesen Tagen vor Weihnachten besonders darum, dass es friedlicher wird auf unserer Erde - und erwarten wir diesen Frieden nicht nur von anderswo her, sondern fangen wir selbst damit an, Friedensbringer zu sein.
Gott wird die ausschalten, die Unfrieden bringen. Zunächst ist das Assur, das mit seiner Macht das Nordreich vernichtet und Juda bedroht hat. Vor dieser Bedrohung wird der neue Herrscher das Land retten.

Wenn Assur in unser Land einfällt und in unsere Paläste eindringt, dann stellen wir ihm sieben Hirten entgegen und acht fürstliche Männer. Sie werden das Land Assur mit dem Schwert weiden, Nimrods Land an seinen Zugängen. Er wird uns vor Assur retten, wenn es in unser Land kommt und in unser Gebiet eindringt. (Mi 5,4b-5)

Gottes neues Volk wird der heilige Rest sein, der in Frieden, Gottesfurcht und Gerechtigkeit im Land lebt.

Und der Rest Jakobs wird sein inmitten vieler Völker wie Tau, der vom Herrn kommt, wie Regen, der auf die Pflanzen fällt, der auf niemand angewiesen ist und auf keinen Menschen zu warten braucht.
Und der Rest Jakobs wird sein unter den Nationen, inmitten vieler Völker, wie ein Löwe unter den Tieren des Waldes, wie ein junger Löwe inmitten von Schafherden: Wenn er vorübergeht, tritt er nieder und zerreißt und niemand ist da, der rettet. Du wirst die Hand gegen deine Feinde erheben und alle deine Gegner werden ausgerottet.
An jenem Tag - Spruch des Herrn - werde ich deine Pferde in deiner Mitte vernichten und deine Kriegswagen zerstören. Ich vernichte die Städte in deinem Land und reiße alle deine Festungen nieder. Ich vernichte die Zaubermittel in deiner Hand und es wird bei dir keine Zeichendeuter mehr geben. Ich vernichte deine Götterbilder und deine Steinmale aus deiner Mitte und du wirst dich nicht mehr niederwerfen vor dem Werk deiner Hände. Ich reiße aus die Kultpfähle aus deiner Mitte und zerstöre deine Städte. Ich übe Vergeltung in Zorn und Grimm an den Nationen, die nicht gehört haben. (Mi 5,6-14)

Die Kapitel 6 und 7 bestehen aus einem Wechsel zwischen Drohreden und Verheißungen. Auf diese Kapitel möchte ich hier nun nicht weiter eingehen.