Am Ende der Tage wird es geschehen: Der Berg des Hauses des Herrn steht fest gegründet als höchster der Berge; er überragt alle Hügel. Zu ihm strömen Völker. Viele Nationen gehen und sagen: Auf, wir ziehen hinauf zum Berg des Herrn und zum Haus des Gottes Jakobs. Er unterweise uns in seinen Wegen, auf seinen Pfaden wollen wir gehen. Denn von Zion zieht Weisung aus und das Wort des Herrn von Jerusalem. (Mi 4,1-2)
Micha blickt in eine strahlende Zukunft: Es werden Tage kommen, da wird das Haus Gottes auf Erden wieder feststehen auf einem Berg, erhaben in der Höhe. Er wird nicht nur ein Gottesberg sein, wie es vielleicht noch viele geben mag (auch heidnische Heiligtümer wurden gerne auf Bergen errichtet), sondern nun wird sich zeigen, dass Gott über alle anderen Götter erhaben ist. Man muss sich hierbei vor Augen halten, dass das damalige Israel durchaus anerkennen konnte, dass andere Völker andere Götter verehren, für Israel selbst durfte es aber nur den einen Gott geben. Und es wird sich nun zeigen, dass dieser Gott größer ist als alle Götzen der anderen Völker. Alle Nationen sind darauf aus, hinzuziehen zu diesem Gott Israels.
Gott wird aber seine Größe nicht durch militärische Erfolge demonstrieren, sondern durch seine Weisung, seine Gebote, die so gerecht und gut sind, wie sie nirgendwo anderes zu finden sind. Deshalb wenden sich die Völker an den Gott Israels, weil nur durch das Befolgen seiner Gebote Frieden herrschen kann. Und dieser Friede ist es, wonach die Völker sich sehnen, dass jeder auf seinem Besitz leben kann und ausreichend versorgt ist durch dessen Ertrag, dass die Menschen sich nicht mehr fürchten müssen vor den raffgierigen Umtrieben der ungerechten Oberschicht und vor dem Einfall fremder Mächte. Nur durch das Hören auf die Weisung Gottes kann ein solcher Friede gewährt werden und bestand haben.
Er wird Recht schaffen zwischen vielen Völkern und mächtige Nationen zurechtweisen bis in die Ferne. Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden und ihre Lanzen zu Winzermessern. Sie erheben nicht mehr das Schwert, Nation gegen Nation, und sie erlernen nicht mehr den Krieg. (Mi 4,3)
"Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden und ihre Lanzen zu Winzermessern." Dieser Vers aus Micha 4,3 gehört wohl zu den bekanntesten des ganzen Buches und hat seine Wirkungsgeschichte auch außerhalb des religiösen Bereiches entfaltet. Wie könnte man deutlicher die Sehnsucht nach Frieden zum Ausdruck bringen, die in den kriegerischen Zeiten des Propheten als Hoffnung keimt?
Und ein jeder sitzt unter seinem Weinstock und unter seinem Feigenbaum und niemand schreckt ihn auf. Ja, der Mund des Herrn der Heerscharen hat gesprochen. Auch wenn alle Völker ihren Weg gehen, ein jedes im Namen seines Gottes, so gehen wir schon jetzt im Namen des Herrn, unseres Gottes, für immer und ewig. (Mi 4,4-5)
Das Sitzen unter dem eigenen Weinstock und Feigenbaum ist ein Bild für gute Zeiten. Sie sind möglich, wenn das ganze Volk festhält an der Weisung des Herrn. So wird Israel zum Vorbild für alle Völker der Welt, denen Gott seinen Segen schenken will.
An jenem Tag - Spruch des Herrn - will ich versammeln, was hinkt, und was versprengt ist, zusammenführen, die, über die ich Unheil gebracht habe. Ich mache das Hinkende zum Rest und das Erschöpfte zu einem mächtigen Volk. Und der Herr ist ihr König auf dem Berg Zion von jetzt an auf ewig. Und du, schützender Turm für die Herde, Felssporn der Tochter Zion, zu dir wird sie gelangen und sie kommt wirklich, die frühere Herrschaft, das Königtum zur Tochter Jerusalem.
Jetzt aber, warum schreist du so laut? Ist denn kein König bei dir? Ist dein Berater zugrunde gegangen, dass dich Wehen gepackt haben wie eine Gebärende? Winde dich und brich in Geschrei aus, Tochter Zion, wie eine Gebärende! Denn jetzt wirst du hinausgehen aus der Stadt und auf freiem Feld wohnen. Du kommst nach Babel. Dort wirst du gerettet, dort wird der Herr dich loskaufen aus der Hand deiner Feinde.
Jetzt versammeln sich gegen dich viele Nationen, die sagen: Sie soll entweiht werden! Und unsere Augen sollen herabschauen auf Zion. Aber sie haben nicht erkannt die Pläne des Herrn und seine Absicht nicht verstanden: dass er sie gesammelt hat wie Garben auf einer Tenne. Steh auf und drisch, Tochter Zion! Denn ich mache dein Horn zu Eisen und mache deine Hufe aus Erz und du wirst viele Völker zermalmen und ihren ungerechten Besitz zum Banngut für den Herrn machen, für den Herrn der ganzen Erde ihr Vermögen. (Mi 4,6-13)
Hier kommt die Sammlung des auserwählten Restes in den Blick, die Rettung der Hinkenden und Versprengten. Wurde in den Kapiteln 1-3 aufgezeigt, welches Unheil über Israel kommt wegen seines Fehlverhaltens, so wird eine Zeit kommen, in der Gott dieses Unheil wieder hinwegnehmen wird. Und dann leitet der Text über zu dem Thema, das im Folgenden ausführlich behandelt wird, nämlich die Wiederherstellung eines gerechten Königtums in Jerusalem.
Jetzt aber bricht erst einmal das Unheil über Israel herein. Die Völker versammeln sich, Israel muss ins Exil. Der König wird gedemütigt und auf die Wange geschlagen. Aber die Völker begreifen nicht den Plan Gottes. Sie sind gekommen, um Israel zu vernichten, Gott aber möchte sein Volk nicht vernichten, sondern nur läutern. Deshalb wird Israel am Ende doch über die Völker triumphieren, weil es Gott auf seiner Seite hat. Und an die Stelle des unwürdigen und gefangenen Königs wird Gott einen neuen Herrscher bestimmen, der Israel gerecht regieren wird und dessen Königtum, weil er Gottes Weisung beachtet, auch Bestand haben wird.
Jetzt ritze dich wund, Tochter der Trauer! Einen Belagerungswall hat man gegen uns errichtet; sie schlagen mit dem Stock ins Gesicht dem Richter Israels.
Aber du, Betlehem-Efrata, bist zwar klein unter den Sippen Judas, aus dir wird mir einer hervorgehen, der über Israel herrschen soll. Seine Ursprünge liegen in ferner Vorzeit, in längst vergangenen Tagen.
Darum gibt er sie preis, bis zu der Zeit, da die Gebärende geboren hat. Dann wird der Rest seiner Brüder zurückkehren zu den Söhnen Israels. Er wird auftreten und ihr Hirt sein in der Kraft des Herrn, in der Hoheit des Namens des Herrn, seines Gottes. Sie werden in Sicherheit wohnen; denn nun wird er groß sein bis an die Grenzen der Erde. (Mi 4,14-5,3)
Einen neuen Herrscher sagt der Prophet Micha voraus. Zuvor hat er die Bedrängnis geschildert, in die Israel geraten ist und auch in diesen Versen klingt es an: Gott scheint Israel preiszugeben, seinem Schicksal zu überlassen. Doch es ist wie bei einer Gebärenden: Sie schreit und windet sich in ihren Wehen, doch die Freude über die Geburt lässt dann den Schmerz vergessen. Diese Wendung zeigt sich am Text, der mit "du aber ..." zu einer Verheißung anhebt und einen Friedensherrscher ankündigt.
Traditionsgemäß stammt der dem Volk Israel verheißene Herrscher aus dem Haus David. Auch wenn König David in diesem Text nicht erwähnt wird, so denkt doch jeder bibelkundige Leser bei der Erwähnung von Betlehem-Efrata sofort an David: "David war der Sohn eines efratitischen Mannes, der aus Betlehem in Juda war." (1Sam 17,12)
Wenn von "klein" die Rede ist, dann ist ebenso die Davidgeschichte präsent, wie etwa die Erzählung von David und Goliath oder dass Samuel gerade den jüngsten der Söhne Isais zum König salbte. Der neue Herrscher wird ganz nach Gottes Willen sein, was in dem Ausdruck "aus dir wird MIR einer hervorgehen" deutlich wird. Hier spricht Gott selbst, der stets in die Geschichte eingreift, indem er Menschen erwählt, die bereit sind, seinen Willen zu tun.
Vieles aus der Geschichte versteht man erst hinterher und was zunächst wie eine vernichtende Katastrophe aussieht, kann sich doch zum Guten kehren. So weckt der Prophet die Hoffnung, dass die schmerzhafte Verbannung in das Exil nach Babylon, das den Hintergrund des Textes bildet, zu einer umso herrlicheren Wiederkehr in das gelobte Land führen wird.