Micha 1,2-3,12

Drohreden

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Hört, ihr Völker alle, merke auf, Erde, und alles, was sie erfüllt: Gott, der Herr, tritt als Zeuge gegen euch auf, der Herr von seinem heiligen Palast aus. (Mi 1,2)

Nach der Überschrift folgt ein Aufruf zum Hören an alle Völker. Ähnliche Mahnungen, auf die Worte des Propheten und somit auf Gott zu hören, finden wir immer wieder in den Prophetenschriften. Aus einer Zeit stammend, in der nur wenige Menschen Lesen und Schreiben konnten, sind die Bücher des Alten Testamentes konzipiert, als Hörbücher vorgelesen werden. Dieser erste Höraufruf des Propheten Micha richtet sich an alle Völker. Auch wenn die Völker als Adressaten im folgenden Abschnitt zurücktreten, da sich die Worte zunächst an Samaria und dann an Juda und Jerusalem richten, werden wir sehen, dass das Verhältnis Israels zu den anderen Völkern ein wichtiges Thema des Propheten ist. Mit Mi 1,2 wird ein weiter Bogen gespannt bis nach Mi 5,14 wo es dann heißen wird: "Ich übe Vergeltung in Zorn und Grimm an den Nationen, die nicht gehört haben."

Denn siehe: Der Herr geht heraus aus seinem Ort und steigt herab und schreitet dahin über die Höhen der Erde. Und es zerschmelzen die Berge unter ihm und die Täler spalten sich - wie Wachs vor dem Feuer; wie Wasser, das einen Abhang herabgegossen wird. (Mi 1,3-4)

Die Verse Mi 1,3-4 schildern eine Theophanie, eine Gotteserscheinung, wie sie im Alten Testament häufig geschieht, so beispielsweise bei anderen Propheten oder in den Psalmen. Gott erscheint, er tritt auf die Höhen, so dass die Berge wie Wachs schmelzen und die Täler sich spalten. Vers 5 benennt den Grund für diese furchtbare Gotteserscheinung: wegen der Vergehen Jakobs und der Sünden des Hauses Israel.

Das alles geschieht wegen Jakobs Vergehen und wegen der Sünden des Hauses Israel. Was ist Jakobs Vergehen? Ist es nicht Samaria? Und was ist die Sünde des Hauses Juda? Ist es nicht Jerusalem? Darum mache ich Samaria zu einem Trümmerhaufen auf dem Feld, zu einem Acker, auf dem man Reben pflanzt. Ich stürze seine Steine zu Tal und lege seine Grundmauern bloß. Alle seine geschnitzten Bilder werden zerschlagen, alle seine Weihegaben im Feuer verbrannt, alle seine Götzenbilder verwüste ich. Denn mit Hurenlohn hat Samaria sie angesammelt und zu Hurenlohn werden sie wieder. (Mi 1,5-7)

Was genau die hier erwähnten Sünden sind, wird in den Kapiteln 2 und 3 ausführlich beschrieben. In den Versen 6 und 7 kommt Samaria in den Blick und zwar zum letzten Mal bei Micha und im gesamten Zwölfprophetenbuch. Samaria wird wegen seiner Vergehen total zerstört, es fällt heraus aus der Erwählung durch Gott. Allein Juda bleibt übrig als das auserwählte Volk Gottes. Auch wenn Samaria wieder aufgebaut wird, es bleibt eine Stadt, die nicht mehr zum Volk Gottes gehört. Die Abneigung der Juden gegen die Samariter ist ein bekanntes Thema in den Schriften Neuen Testamentes.

Darüber muss ich klagen und jammern, barfuß und nackt gehe ich umher; ich erhebe Klage wie die Schakale, Trauerklage wie die Strauße. Denn unheilbar ist seine Wunde; denn sie reicht bis nach Juda, bis zum Tor meines Volkes, bis hin nach Jerusalem.
Meldet es nicht in Gat! Weint nur ja nicht! In Bet-Leafra wälzt euch im Staub! Zieht hinaus, ihr Bewohner von Schafir, in schändlicher Entblößung! Nicht ziehen hinaus die Bewohner von Zaanan. Es klagt Bet-Haezel. Man nimmt euch jede Stütze weg. Ja, um ihr Wohl bangen die Bewohner von Marot; denn vom Herrn kam Unheil herab auf Jerusalems Tore. Spannt die Pferde vor die Wagen, ihr Bewohner von Lachisch! Das war der Anfang der Sünde für die Tochter Zion; denn in euch finden sich die Vergehen Israels.
Darum werdet ihr Abschiedsgaben an Moreschet-Gat geben. Die Häuser von Achsib werden zum Trugbach für Israels Könige. Wieder wird der Eroberer über euch herfallen, ihr Bewohner von Marescha; bis nach Adullam bringt man die Herrlichkeit Israels. Schere dich kahl wegen der Kinder deiner Wonne! Mach deine Glatze so kahl wie die des Geiers; denn sie ziehen in die Verbannung von dir weg. (Mi 2,8-16)

Mögen sich die Bewohner Jerusalems bei den Worten gegen Samaria noch in Sicherheit gefühlt haben, so machen diese Verse nun eine ungeheuerliche Aussage: nicht nur Samaria wird von Gott bestraft, nein das Unheil kommt sogar bis an das Tor Jerusalems heran. Wir müssen uns vorstellen, dass Jerusalem mit dem Tempel Gottes für den gläubigen Juden damals wie heute das Größte überhaupt ist. Jerusalem mit dem Tempel als Wohnung Gottes galt als uneinnehmbar, weil Gott, Herr über die ganze Welt, sich diesen Ort erwählt hat und keiner mächtiger ist als dieser Gott. Und da wagt es Micha zu sagen: Gott kann auch über diesen von Gott auserwählten Ort Unheil kommen lassen, wenn seine Bewohner durch ihr ungerechtes und sündhaftes Verhalten diesen Ort entweihen.
Es bleibt aber zugleich die Heilszusage bestehen. Jerusalem wird niemals vollkommen verworfen werden, wie Samaria. Auch wenn Gott jetzt das Unheil über Jerusalem zulässt, so wird er es doch wiedererstehen lassen, wenn das Volk umkehrt. Interessant ist, dass Micha im Folgenden, wenn er verächtlich von dem Volk spricht, nur die ungerechte und korrupte Führungsschicht anspricht. Demgegenüber gelten die, die unter dieser Ungerechtigkeit zu leiden haben, weiterhin als Volk Gottes benennt, Israel wird also nie als Ganzes verworfen.
In den Verse Mi 1,10-16 nennt der Prophet insgesamt zwölf Städte, stellvertretend für das Zwölf-Stämme-Volk Israel, die alle in der weiteren Umgebung Jerusalems liegen. Sie alle werden mit etwas Negativem verbunden. Gat und Adullam spielen auf Tiefpunkte der Königsgeschichte an (2Sam 1, 1Sam 22), Bet-Leafra (= Staubhausen) soll sich im Staub wälzen, Schafir (= Schönau) geht in hässlicher Entblößung, um nur einige Beispiele zu nennen. Ganz besonders wird Lachisch kritisiert, denn dieses war eine bedeutende Festungsstadt und gerade durch die maßlose Rüstungspolitik für Micha ein Zeichen unheilvoller, gottloser Zustände. Das Zentrum dieses Abschnittes bildet Mi 1,12: "Denn Unheil ist herabgefahren vom Herrn." Der Grund für dieses Unheil sind, wie wir bereits gesehen haben, die Sünden der Bewohner des Landes. Daher kann man sagen, dass das Volk selbst für die unheilvollen Zustände in den Städten selbst ist, wegen des ungerechten Verhaltens vor allem der Führungsschicht. Und wie massiv ungerecht diese Zustände gewesen sein müssen, wird durch die drastischen Worte des Propheten in den nächsten beiden Kapiteln deutlich.

Weh denen, die Unheil planen und böse Taten auf ihren Lagern! Wenn es Tag wird, führen sie es aus; denn sie haben die Macht dazu. (Mi 2,1)

Das zweite Kapitel des Michabuches beginnt mit einer Totenklage, Ach! Wehe! Bezeichnenderweise wird aber nicht über leiblich Tote geklagt, sondern über lebende, die wie tot sind vor Gott wegen ihrer Schlechtigkeit. Die folgenden Verse beinhalten einen Prophetenspruch, der eine sogenannte Spiegelstrafe ankündigt. Zunächst wird das ungerechte Verhalten geschildert, dem dann eine entsprechende Strafe folgt.

Sie wollen Felder haben und reißen sie an sich, sie wollen Häuser haben und bringen sie in ihren Besitz. Sie wenden Gewalt an gegen den Mann und sein Haus, gegen den Besitzer und sein Eigentum. Darum - so spricht der Herr: Seht, ich plane Unheil gegen diese Sippe, aus dem ihr nicht mehr herausziehen könnt eure Hälse; und ihr werdet den Kopf nicht mehr so hoch tragen; denn es wird eine böse Zeit sein.
An jenem Tag macht man über euch ein Sprichwort und man wird eine bittere Klage klagen. Man sagt: Vernichtet sind wir, vernichtet! Der Anteil meines Volkes wird veräußert. Ach, wie entzieht man ihn mir! Treulosen teilt man unsere Felder zu. Darum wird es keinen mehr für dich geben, der die Messschnur auf den Losanteil wirft in der Versammlung des Herrn. (Mi 2,2-5)

Die bösen Menschen sind Tag und Nacht mit dem Bösen beschäftigt, planen es in der Nacht und führen es dann am Tage aus. Sie haben es also nicht einmal nötig, wie gewöhnliche Diebe ihren Raub im Schutz der Nacht zu verüben, sondern können "ganz legal" am helllichten Tag den einfachen Menschen um sein Haus und seinen Erbbesitz bringen.
Hierzu ist zu sagen, dass der Erbbesitz in der agrarischen Gesellschaft Israels noch einen ganz anderen Stellenwert hatte, als man es sich in unserer Industriegesellschaft heute vorstellen kann (vielleicht kann man den Erbbesitz heute mit dem Arbeitsplatz vergleichen, denn bei uns ist ja die gesellschaftliche Stellung eines Menschen in hohem Maße, wenn freilich auch nicht nur, abhängig von seiner Arbeit; hier kann jeder für sich weiterdenken, ob man für die heutige Zeit die Parallele ziehen kann zu ungerechten Verhältnissen auf dem Arbeitsmarkt, wenn bei vielen, oft leider auch notwendigen, Einsparmaßnahmen nur das Geld im Mittelpunkt steht, und an die betroffenen Menschen nicht mehr gedacht wird). Wer seinen Grund und Boden verlor, verlor zugleich seinen Status als freier Bürger. Dem Raub folgt die totale Erniedrigung der Geschädigten. Dieses Tun ist umso frevelhafter, da es sich letztendlich gegen Gott richtet, denn er ist es, der jedem Israeliten seinen Erbbesitz zuweist und garantiert. Wer den Erbbesitz eines Menschen ungerechtfertigt wegnimmt, wird somit nicht nur an diesem Menschen schuldig, sondern versündigt sich zugleich auch schwer gegen Gott.
So fällt dann auch die Strafe für diese Menschen aus: das schon so oft benannte Unheil kommt über sie und besteht darin, dass es einen erneuten Besitzerwechsel gibt. Wie dieser stattfindet, wird hier nicht näher geschildert, ob direkt, oder erst nach einer fremden Eroberung und späterer Rückgabe des Landes an das Volk nach dem Exil, auf jeden Fall aber zugunsten der vorher Geschädigten, denn die ungerechten Landräuber werden dann klagen, dass für sie kein Stück Land mehr abgemessen wird. Das ist die Spiegelstrafe: auf ungerechten Landraub folgt die Wegnahme des geraubten Landes.
Die Bösen haben aber noch anderes im Sinn. Sie geben sich nicht damit zufrieden, den Erbbesitz zu rauben, sondern nehmen den Menschen auch noch das letzte, das sie haben, sie rauben den Mantel, ziehen dem Armen sozusagen das letzte Hemd aus. In Kapitel 3 geht der Prophet dann sogar so weit zu sagen, dass sie den Menschen auch noch die Haut abziehen bis auf die Knochen. Wie kann man drastischer schildern, dass durch diese Ausbeutung dem Menschen seine letzte Würde genommen wird. Der Mensch an sich kommt gar nicht mehr in den Blick, die Ausbeuter sehen nur noch das, was sie an sich reißen können. Sie sehen keinen Menschen mehr auf sich zukommen, sie sehen nur einen Mantel daher gehen als Objekt ihrer Begierde, um ihn an sich zu reißen. Der Mensch darunter ist ihnen vollkommen egal. Besonders deutlich wird die Sünde, die sich dadurch auch gegen Gott richtet, wenn man bedenkt, dass es im Gesetz des Mose verboten ist, einem Armen seinen Mantel über Nacht zu pfänden, weil dies das einzige ist, womit er sich zudecken und in der Nacht vor Kälte schützen kann. Neben dem Raub des von Gott garantierten Erbbesitzes nehmen sie auch noch den Mantel, der ebenso von Gott selbst dem Allerärmsten zugesichert wird.
Wurden bisher vor allem die Männer als Opfer genannt, so kommen in Mi 2,9 besonders Frauen und Kinder in den Blick. Somit wird deutlich, dass sich die Unterdrückung gegen die gesamte Bevölkerung richtet. "Weg mit euch! Ihr habt hier keine Ruhestätte." So werden Frauen und Kinder aus dem geraubten Haus getrieben. Wir werden später sehen, dass in der Verheißung des Propheten explizit gesagt wird, dass nach der Wiederherstellung des Landes jeder in Ruhe wohnen kann. Ein kleines Fünkchen dieser Hoffnung kommt schon in den Versen 12 und 13 zum Ausdruck, wo von einer Sammlung der so Vertriebenen die Rede ist.

Weissagt nicht!, weissagen sie. So soll man nicht weissagen: Diese Schmach wird nicht enden. Darf man das sagen, Haus Jakob? Hat der Geist des Herrn die Geduld verloren? Sind das seine Taten? Tun meine Worte nicht gut dem, der rechtschaffen wandelt? Gestern noch war es mein Volk, jetzt steht es da als Feind. Friedlichen Menschen reißt ihr den Mantel herunter, arglos Vorübergehende nehmt ihr gefangen, als wäre Krieg.
Die Frauen meines Volkes vertreibt ihr aus dem Haus, in dem sie glücklich sind, ihren Kindern nehmt ihr für immer mein prächtiges Land. Erhebt euch und geht! Denn dies ist kein Ort der Ruhe. Wegen der Unreinheit stürzt du ins Verderben; und dieses Verderben ist schmerzhaft. Wenn doch einer herkommen, Wind und Trug lügen würde: Ich weissage dir Wein und Bier! Genau das wäre ein Weissager für dieses Volk. (Mi 2,6-11)

In Micha 2,6.7 und 12 kommt die Auseinandersetzung des Propheten mit den Hofpropheten, die auf Seiten der Unterdrücker stehen, klar zum Vorschein. Das Durcheinander von verschiedenen Prophetenreden und dazu ein teilweise nicht eindeutiger hebräischer Urtext machen diesen Abschnitt denn auch im Detail teilweise schwer verständlich. Die Hofpropheten werfen Micha vor, dass er zu Unrecht den Verlust des Landes für die Enteigner verkündigt, denn schließlich ist Gott doch langmütig und gütig und hat das Land auf ewig verheißen. Micha setzt dagegen, dass diejenigen, die sich in der extremen Weise wie oben geschildert gegen die Bevölkerung und gegen Gott versündigen, aufhören, zum Volk Gottes zu gehören, was auch durch den in Vers 8 in ironischer Weise gebrauchten Begriff "mein Volk" deutlich wird. Mögen die Hofpropheten auch weiterhin die ungerechte Oberschicht als Volk Gottes bezeichnen, für Micha sind diese Menschen aus dem Volk Gottes herausgefallen. Die Erwählung Gottes beschränkt sich auf den Rest derer, die Opfer dieser Ungerechtigkeiten wurden. Es scheint, dass die Hofpropheten sogar soweit mit den Unterdrückern unter einer Decke stecken, dass sie die Ausgebeuteten als unrein titulieren und damit das ungerechte Tun noch zusätzlich sanktionieren. Besonders deutlich kommt der Spott Michas über diese Hofpropheten in Vers 11 zum Ausdruck. Sollen sie doch gleich ohne Umschweife der ungerechten Oberschicht verkünden: Wein und Bier, Überfluss und Luxus für euch!

Sammeln, ja sammeln werde ich dich, Jakob, insgesamt. Zusammenbringen, ja zusammenbringen werde ich den Rest von Israel. Ich führe sie zusammen wie die Schafe im Pferch, wie die Herde mitten auf der Weide - eine tosende Menschenmenge. Der vor ihnen durchbricht, zieht vor ihnen hinauf, sie brechen durch, sie durchschreiten das Tor und ziehen durch dasselbe wieder hinaus. Ihr König schreitet vor ihnen her, der Herr schreitet an ihrer Spitze. (Mi 2,12-13)

In den Versen 12 und 13 kommt dann eine kleine Verheißung zum Ausdruck. Sie steht einsam in den ersten 3 Kapiteln des Michabuches, aber sie verweist schon voraus auf die Fülle der Verheißungen, die dann in den Kapiteln 4 und 5 verkündet werden. Auch wenn jetzt von allen Seiten Unheil hereinzubrechen droht, so ist bei Gott doch schon das Heil geplant.

Ich habe gesagt: Hört doch, ihr Häupter Jakobs und ihr Anführer des Hauses Israel! Ist es nicht eure Pflicht, das Recht zu kennen? Sie aber hassen das Gute und lieben das Böse. Sie ziehen ihnen die Haut ab und das Fleisch von den Knochen. Sie haben das Fleisch meines Volkes gefressen und ihnen die Haut abgezogen und ihre Knochen zerhackt; sie haben sie zerstückelt wie für den Kochtopf und wie Fleisch mitten im Kessel. Wenn sie dann zum Herrn schreien, wird er ihnen nicht antworten. Er wird sein Angesicht vor ihnen verbergen in jener Zeit, weil sie so böse gehandelt haben. (Mi 3,1-4)

Kapitel 3 setzt die Anklagen der Propheten fort. Zunächst kommt die Führungsschicht des Volkes in den Blick. Normalerweise sollten sie für Recht und Ordnung sorgen, aber sie kennen nur Unrecht und Böses. Dies wird in einem drastischen Bild geschildert. Sie sollten eigentlich die Herde des Volkes als gute Hirten weiden, stattdessen fressen sie sich satt am Fleisch der Herde. Dementsprechend wird auch ihre Strafe sein. Gott, auf den sie trotz allem ihre Hoffnung zu setzen wagen und in dessen Namen sie vielleicht sogar all das Böse verüben, er wird sein Angesicht vor ihnen verbergen, wodurch dann alle Bosheit auf sie zurückfällt.

So spricht der Herr gegen die Propheten: Sie verführen mein Volk. Haben sie etwas zu beißen, dann rufen sie: Friede! Wer ihnen aber nichts in den Mund steckt, dem sagen sie den Krieg an. Darum wird es Nacht für euch, ohne Schauung, und Finsternis für euch, ohne Wahrsager; die Sonne geht unter über den Propheten und es verfinstert sich über ihnen der Tag. Die Seher werden zuschanden, die Wahrsager müssen sich schämen. Sie müssen alle ihren Bart verhüllen; denn Gottes Antwort bleibt aus. Ich aber bin voller Kraft, ich habe den Geist des Herrn, Recht und Stärke, Jakob seine Vergehen vorzuhalten und Israel seine Sünden. (Mi 3,5-8)

In Micha 3,5-8 kommen erneut die Hofpropheten in den Blick. Wie die Oberschicht werden auch sie als verfressen dargestellt. Wer ihnen zu beißen gibt, bekommt ein Heilswort, alle anderen werden verflucht. Micha spricht diesen Propheten nicht ab, dass sie auch Visionen haben, aber sie missbrauchen diese zu ihrem eigenen Nutzen. Deshalb wird ihnen ihre prophetische Gabe genommen, so dass sie zuschanden werden. Micha aber ist ein getreuer Verkünder des Wortes Gottes und wird somit von Gott als Prophet beglaubigt.

Hört doch dies, ihr Häupter des Hauses Jakob und ihr Anführer des Hauses Israel, die ihr das Recht verabscheut und alles krumm macht, was gerade ist! Ihr erbaut Zion mit Blut und Jerusalem mit Unrecht. Seine Häupter sprechen Recht gegen Bestechung, ihre Priester lehren gegen Bezahlung. Ihre Propheten wahrsagen für Geld und sie berufen sich auf den Herrn und sagen: Ist nicht der Herr in unserer Mitte? Kein Unheil kann über uns kommen. (Mi 3,9-11)

In Micha 3,9-12 kommen die schlechte Oberschicht und der König in den Blick. Er ist es, der Jerusalem mit Blut und Unrecht erbaut. Man wird sich darunter ungerechte und grausame Zwangsarbeit vorstellen müssen, die wohl die leisten müssen, denen vorher alles genommen wurde. Aus einem Volk freier Bürger sind letztlich Fronknechte des Königs und seiner Großen geworden. Die Führungsschicht, Priester und Propheten haben sich versündigt, wagen es aber dennoch, sich als Auserwählte Gottes hinzustellen, denen kein Unheil geschehen kann. Daher geschieht das Unerhörte, das, was eigentlich nie geschehen dürfte: Jerusalem und der Tempel Gottes werden zerstört.

Darum wird um euretwegen Zion zum Acker, den man umpflügt, Jerusalem wird zu einem Trümmerhaufen, der Tempelberg zu überwucherten Höhen. (Mi 3,12)

Micha 3,12 stellt den Mittelpunkt des Zwölfprophetenbuches dar und ist sicherlich als der Kernsatz des Propheten zu verstehen. Und doch wird die Zerstörung Jerusalems bei weitem nicht so drastisch geschildert, wie diejenige von Samaria in Mi 1,6. Der Prophet will auch gar nicht bei dieser Zerstörung stehen bleiben. Das folgende Kapitel setzt sofort schlagartig damit ein, wie es weitergehen wird und wie Gott in seiner Güte geplant hat, Jerusalem und den Tempel neu erstehen zu lassen, noch größer und leuchtender als vorher. Nun erfüllt sich die Verheißung an Abraham, dass alle Völker in seinem Namen Segen erlangen werden. Gott wirkt von seinem Tempel aus an allen Völkern. Mag der Tempel des Herrn jetzt bedroht sein von den Feinden, ja sogar von ihnen zerstört werden, so ist dies nicht das Ende, sondern Gott wird ihn nach dem Untergang noch herrlicher erstehen lassen.