Wer ist jener, der aus Edom kommt, aus Bozra in rot gefärbten Gewändern? Er schreitet in prächtigen Kleidern daher in seiner gewaltigen Kraft. Ich bin es, ich verkünde Gerechtigkeit, ich bin der mächtige Helfer. Warum aber ist dein Gewand so rot, ist dein Kleid wie das eines Mannes, der die Kelter tritt? Ich allein trat die Kelter; von den Völkern war niemand dabei. Da zertrat ich sie voll Zorn, zerstampfte sie in meinem Grimm. Ihr Blut spritzte auf mein Gewand und befleckte meine Kleider. Denn ein Tag der Rache lag mir im Sinn und das Jahr der Erlösung war gekommen. Ich sah mich um, doch niemand wollte mir helfen; ich war bestürzt, weil keiner mir beistand. Da half mir mein eigener Arm, mein Zorn war meine Stütze. Ich zertrat die Völker in meinem Zorn, ich zerschmetterte sie in meinem Grimm und ihr Blut ließ ich zur Erde rinnen. (Jes 63,1-6)
Die letzten Kapitel des Jesajabuches tragen in der Einheitsübersetzung die Überschrift Völkergericht und endzeitliches Heil. Sie sprechen vom Gericht über die Völker und der Heilszeit, die Gott nach dem Gericht schenken wird. Kapitel 63 beginnt mit der Schilderung des "Keltertreters". Gemeint ist ein feindliches Reich, das Israel bedroht. Seit jeher werden die Feinde Israels als Vollstrecker des Zornes Gottes gesehen (aber auch des Heiles, wie z.B. der Perserkönig Kyros). Dem folgt das Gebet des Volkes um Gottes Erscheinen. Das Volk erinnert sich an Gottes Güte und bereut seine Schuld.
Die Huld des Herrn will ich preisen, die ruhmreichen Taten des Herrn, alles, was der Herr für uns tat, seine große Güte, die er dem Haus Israel erwies in seiner Barmherzigkeit und seiner großen Huld. Er sagte: Sie sind doch mein Volk, meine Söhne, die nicht enttäuschen. Er wurde ihr Retter in jeder Not. Nicht ein Bote oder ein Engel, sondern sein Angesicht hat sie gerettet. In seiner Liebe und seinem Mitleid hat er selbst sie erlöst. Er hat sie emporgehoben und sie getragen in all den Tagen der Vorzeit.
Sie aber lehnten sich gegen ihn auf und betrübten seinen heiligen Geist. Da wandelte er sich und wurde ihr Feind, ja, er führte Krieg gegen sie. Nun dachten sie an die Tage der Vorzeit, die Zeit seines Knechtes Mose: Wo ist der, der den Hirten seiner Schafe aus dem Meer herausgeführt hat? Wo ist der, der seinen heiligen Geist in ihn gelegt hat, der an der rechten Seite des Mose ging und ihm half mit mächtigem Arm, der das Wasser vor ihnen zerteilte, um sich ewigen Ruhm zu verschaffen, der sie durch die Fluten führte wie Pferde durch die Steppe, ohne dass sie strauchelten? Der Geist des Herrn ließ sie zur Ruhe kommen, wie das Vieh, das ins Tal hinabzieht. So führtest du einst dein Volk, um dir herrlichen Ruhm zu verschaffen.
Blick vom Himmel herab und sieh her von deiner heiligen, herrlichen Wohnung! Wo ist dein leidenschaftlicher Eifer und deine Macht, dein großes Mitleid und dein Erbarmen? Halte dich nicht von uns fern! Du bist doch unser Vater; denn Abraham weiß nichts von uns, Israel will uns nicht kennen. Du, Herr, bist unser Vater, «Unser Erlöser von jeher» wirst du genannt. Warum lässt du uns, Herr, von deinen Wegen abirren und machst unser Herz hart, sodass wir dich nicht mehr fürchten? Kehre zurück um deiner Knechte willen, um der Stämme willen, die dein Eigentum sind. Erst vor kurzem haben unsere Feinde dein heiliges Volk vertrieben; dein Heiligtum haben sie zertreten. Uns geht es, als wärest du nie unser Herrscher gewesen, als wären wir nicht nach deinem Namen benannt. Reiß doch den Himmel auf und komm herab, sodass die Berge zittern vor dir.
Komm wie ein Feuer, das Reisig entzündet, wie ein Feuer, das Wasser zum Sieden bringt. Mach deinen Feinden deinen Namen bekannt, sodass die Völker zittern vor dir, wenn du schreckliche und nie erwartete Taten vollbringst. [Komm herab, sodass die Berge zittern vor dir.] Seit Menschengedenken hat man noch nie vernommen, kein Ohr hat gehört, kein Auge gesehen, dass es einen Gott gibt außer dir, der denen Gutes tut, die auf ihn hoffen. Ach, kämst du doch denen entgegen, die tun, was recht ist, und nachdenken über deine Wege. Ja, du warst zornig; denn wir haben gegen dich gesündigt, von Urzeit an sind wir treulos geworden. Wie unreine (Menschen) sind wir alle geworden, unsere ganze Gerechtigkeit ist wie ein schmutziges Kleid. Wie Laub sind wir alle verwelkt, unsere Schuld trägt uns fort wie der Wind. Niemand ruft deinen Namen an, keiner rafft sich dazu auf, fest zu halten an dir. Denn du hast dein Angesicht vor uns verborgen und hast uns der Gewalt unserer Schuld überlassen.
Und doch bist du, Herr, unser Vater. Wir sind der Ton und du bist unser Töpfer, wir alle sind das Werk deiner Hände. Herr, zürne uns doch nicht allzu sehr, denk nicht für immer an unsere Schuld! Sieh doch her: Wir alle sind dein Volk. Deine heiligen Städte sind zur Wüste geworden. Zion ist eine Wüste, Jerusalem eine Öde. Unser heiliger, herrlicher Tempel, wo unsere Väter dich priesen, ist ein Raub der Flammen geworden; alles, was uns lieb war, liegt nun in Trümmern. Kannst du dich bei all dem zurückhalten, Herr, kannst du schweigen und uns so sehr erniedrigen? (Jes 63,7-64,11)
Das Volk erkennt seine Schuld. Oft kam es vor, dass in Zeiten des Wohlstandes Gott in Vergessenheit geriet. Man fühlte sich sicher, meinte Gott nicht mehr zu brauchen. So rückten auch seine Gebote in den Hintergrund, ein Zustand den Jesaja mit den Worten beschreibt: "wir haben gegen dich gesündigt, ... niemand ruft deinen Namen an."
Doch dann sind die guten Zeiten plötzlich vorbei. Das Land ist in höchster Gefahr, und droht von den Feinden verwüstet zu werden. Nun denkt das Volk wieder an die rettenden Taten Gottes, die es im Laufe der Geschichte erfahren durfte, besonders beim Auszug aus Ägypten, aber auch immer dann, wenn Feinde, in das Land eingefallen sind. Die Menschen erfahren, dass sie sich selbst nicht retten können. Nur wenn Gott eingreift, wird das Heil Wirklichkeit.
Immer wieder gibt es solche Unheilssituationen in der Menschheitsgeschichte, nicht nur in Israel. Die Lage erscheint aussichtslos, doch dann wendet sich das Schicksal. Plötzlich kommt Hilfe, wo man es nicht mehr für möglich gehalten hätte. Auch wenn Gott mit seinem Eingreifen zögert und das Volk sich verlassen fühlt, irgendwann ist der Moment da, in dem sich Gott ihm wieder zukehrt.
Kehre zurück um deiner Knechte willen ... Reiß den Himmel auf und komm herab!
Voller Sehnsucht erschallt dieser Ruf in der tiefsten Not. Dahinter steht die Gewissheit:
Gott, du bist unser Vater.
Die Worte des Propheten Jesaja machen deutlich: Auch wenn wir Gott vergessen, auch wenn wir noch so viel sündigen, Gott bleibt unser Vater, er enterbt uns nicht als seine Kinder.
Ein neues geistliches Lied greift diesen Gedanken auf. Dort heißt es:
Solang es Menschen gibt auf Erden, solang die Erde Früchte trägt, solang bist du uns allen Vater, wir danken Dir für das, was lebt.
Du bist das Licht, schenkst uns das Leben. Du holst die Welt aus ihrem Tod, gibst Deinen Sohn in unsre Hände, Er ist das Brot, das uns vereint.
Gott ist der liebende Vater, den Jesus uns im Gleichnis schildert, und der stets bereit ist, den verlorenen Sohn aufzunehmen. Seine Arme sind allezeit für uns offen. Es sind die Menschen, die Gottes Liebe ignorieren, seine offenen Arme verschmähen. Doch Gott wartet, ja er selbst kommt den Menschen entgegen, um sie in seine liebenden Arme zu rufen. Gott findet immer wieder Wege, um zu uns zu kommen, um unser Herz anzurühren, um uns zurückzuführen in unsere wahre Heimat, wo wir Liebe, Glück und Geborgenheit finden. Gott bleibt unser Vater, egal was geschieht.
Dem Bußgebet des Volkes folgt die Antwort Gottes in Jes 65. Nicht Gott ist es, der sich von seinem Volk entfernt hat, das Volk hat sich von ihm entfernt.
Ich wäre zu erreichen gewesen für die, die nicht nach mir fragten, ich wäre zu finden gewesen für die, die nicht nach mir suchten. Ich sagte zu einem Volk, das meinen Namen nicht anrief: Hier bin ich, hier bin ich. Den ganzen Tag streckte ich meine Hände aus nach einem abtrünnigen Volk, das einen Weg ging, der nicht gut war, nach seinen eigenen Plänen. (Jes 65,1-2)
Daher wird Gott kommen zum Gericht, aber er wird sein Volk nicht vernichten. Er macht einen Neuanfang mit denen, die ihm treu sind. Dieser Neuanfang ist die Zeit, in die diese Worte gesprochen sind, die Zeit der Rückkehr aus dem Exil in Babylon. Für die Rückkehrer gibt es eine neue Chance, es besser zu machen als ihre Vorfahren. Für sie gilt Gottes Heilszusage und der Prophet zeichnet erneut das Bild von Gottes Reich des Friedens in aus Jes 11.
Denn schon erschaffe ich einen neuen Himmel und eine neue Erde. Man wird nicht mehr an das Frühere denken, es kommt niemand mehr in den Sinn. Nein, ihr sollt euch ohne Ende freuen und jubeln über das, was ich erschaffe. Denn ich mache aus Jerusalem Jubel und aus seinen Einwohnern Freude. Ich will über Jerusalem jubeln und mich freuen über mein Volk. Nie mehr hört man dort lautes Weinen und lautes Klagen. Dort gibt es keinen Säugling mehr, der nur wenige Tage lebt, und keinen Greis, der nicht das volle Alter erreicht; wer als Hundertjähriger stirbt, gilt noch als jung, und wer nicht hundert Jahre alt wird, gilt als verflucht. Sie werden Häuser bauen und selbst darin wohnen, sie werden Reben pflanzen und selbst ihre Früchte genießen. Sie bauen nicht, damit ein anderer in ihrem Haus wohnt, und sie pflanzen nicht, damit ein anderer die Früchte genießt. In meinem Volk werden die Menschen so alt wie die Bäume. Was meine Auserwählten mit eigenen Händen erarbeitet haben, werden sie selber verbrauchen. Sie arbeiten nicht mehr vergebens, sie bringen nicht Kinder zur Welt für einen jähen Tod. Denn sie sind die Nachkommen der vom Herrn Gesegneten und ihre Sprösslinge zusammen mit ihnen. Schon ehe sie rufen, gebe ich Antwort, während sie noch reden, erhöre ich sie. Wolf und Lamm weiden zusammen, der Löwe frisst Stroh wie das Rind [doch die Schlange nährt sich von Staub]. Man tut nichts Böses mehr und begeht kein Verbrechen auf meinem ganzen heiligen Berg, spricht der Herr. (Jes 65,16-25)
Auch der Tempelkult wird in der neuen Heilszeit andere Formen annehmen. Der Tempel in Jerusalem ist Gott nicht genug. Er lässt sich nicht von Menschen in ein Haus sperren und dort nach ihrem Willen manipulieren. Gott will keinen Tempelkult, der dem Kult anderer Götzen ähnlich ist, der nur äußerer Schein ist und dem keine innere Haltung der Gerechtigkeit entspricht.