Jesaja 58,1-14

Leben n. Gottes Willen

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So spricht Gott, der Herr: Rufe aus voller Kehle, halte dich nicht zurück! Lass deine Stimme ertönen wie eine Posaune! Halt meinem Volk seine Vergehen vor und dem Haus Jakob seine Sünden! Sie suchen mich Tag für Tag; denn sie wollen meine Wege erkennen. Wie ein Volk, das Gerechtigkeit übt und das vom Recht seines Gottes nicht ablässt, so fordern sie von mir ein gerechtes Urteil und möchten, dass Gott ihnen nah ist. (Jes 58,1-2)

Gerechtigkeit ist das entscheidende Stichwort von Tritojesaja. Es meint die Gerechtigkeit, die Gott fordert. Die Menschen aber haben oft eine andere Vorstellung als Gott von dem, was Gerechtigkeit bedeutet. Das ist wirklich zum Schreien und im Namen von Gottes Gerechtigkeit tun Menschen bis heute einander viel Unrecht an. Der Prophet soll diese Ungerechtigkeit, die eine Perversion der Gerechtigkeit Gottes ist, lauthals anprangern. Die Menschen denken, sie sind gerecht, wenn sie nach ihrer eigenen Gerechtigkeit leben. Aber Gerechtigkeit entsteht nur dort, wo Menschen sich bereit sind, an Gottes Wort zu orientieren. Gottes Gerechtigkeit ist nicht selten genau das Gegenteil von dem, was Menschen für Gerecht halten. Das bringt am deutlichsten Jesus in der Bergpredigt zum Ausdruck.
Gerechtigkeit besteht nicht in einem äußeren Schein, das ist reine Heuchelei. Nicht die äußere Erfüllung der Gebote macht einen Menschen gerecht. Gerecht wird der Mensch viel mehr, wenn er in seinem Innersten wirklich rein und gut ist. Ein Beispiel dafür ist das Fasten. Man kann Fasten allein im Verzicht auf Nahrung sehen. Das ist messbar. Ich kann sagen, ich habe heute gefastet, indem ich den ganzen Tag nichts gegessen habe, ich kann eine Woche lang fasten, indem ich nichts esse, oder nur Wasser und Brot zu mir nehme. Aber wer allein so fastet, hat den Sinn des Fastens weit verfehlt. Der Verzicht auf Speise soll uns hinführen zur Reinheit des Herzens, zu Lauterkeit und wahrer Gerechtigkeit.

Warum fasten wir, und du siehst es nicht? Warum tun wir Buße, und du merkst es nicht? Seht, an euren Fasttagen macht ihr Geschäfte und treibt alle eure Arbeiter zur Arbeit an. Obwohl ihr fastet, gibt es Streit und Zank, und ihr schlagt zu mit roher Gewalt. So wie ihr jetzt fastet, verschafft ihr eurer Stimme droben kein Gehör. Ist das ein Fasten, wie ich es liebe, ein Tag, an dem man sich der Buße unterzieht: wenn man den Kopf hängen lässt, so wie eine Binse sich neigt, wenn man sich mit Sack und Asche bedeckt? Nennst du das ein Fasten und einen Tag, der dem Herrn gefällt? (Jes 58,3-5)

Der Prophet kritisiert die im Volk verbreitete Auffassung vom Fasten. Auch bei uns gibt es mit der Österlichen Bußzeit eine institutionalisierte Form des Fastens. Grund genug dafür, einmal darüber nachzudenken, was Fasten für uns bedeutet.
Wir beginnen die Fastenzeit am Aschermittwoch mit der Auflegung des Aschenkreuzes. Die Asche will uns hin weisen auf die Vergänglichkeit unseres Lebens. Die Kirche will uns deutlich machen, dass es nicht egal ist, wie wir die Jahre unseres Lebens verbringen. Das Fasten ist ein Mittel, um uns in die Haltung der Besinnung und Umkehrbereitschaft zu versetzen. Der Prophet Jesaja wirft den Menschen vor, dass sie nicht in rechter Weise fasten. Was machen sie falsch? Wie können wir in rechter Weise Fasten?
Mit dem Wort Fasten verbinden wir zunächst den materiellen Verzicht. Viele nehmen sich vor, in der Fastenzeit auf gutes Essen, Naschereien, Alkohol und dergleichen zu verzichten. Das ist gut so, denn wir brauchen für das Fasten einen äußeren Rahmen, wenn es etwas Besonderes sein soll. Dazu sind die Zeiteinteilung der Kirche und der persönliche Vorsatz wichtig. Dass dies allein aber noch nicht genügt, ist meines Erachtens die Aussage des Propheten Jesaja. Es genügt nicht, ein rein äußerliches Fastenpensum zu erfüllen, um zu meinen, man sei ein besonders frommer Mensch.
Wenn wir vom Fasten reden, müssen wir auch vom Essen reden. Hunger ist ein erzwungener Verzicht auf Nahrung. Fasten hingegen ist ein bewusster Verzicht, der einem höheren Zweck dient. Dieser ist meist entweder gesundheitlicher oder spiritueller Natur. In einer ganzheitlichen Sicht des Menschen sind diese beiden Pole nicht getrennt zu betrachten. Zwar gab es immer wieder Asketen, auch Heilige, die durch das Fasten ihre Gesundheit ruiniert haben, aber das muss nicht Vorbild unseres Fastens sein.
Wir leben in einer Gesellschaft der Verschwendung. Alles gibt es praktisch immer und überall. Aber zu welchem Preis? Unsere Lebensmittel werden immer synthetischer. Eine Vielfalt an unterschiedlichen Obst- und Gemüsesorten wird billigen Einheitsprodukten geopfert. Der größte Teil unseres Fleisches kommt vom Einheitsvieh der Tierfabriken. In unserer Gesellschaft greift immer mehr die Haltung um sich, sich einfach zu bedienen. Warum soll ich verzichten, wenn sich dann ein anderer das nimmt, worauf ich verzichtet habe? Dann lange ich doch besser gleich mit beiden Händen zu, bevor ich als einziger mit leeren Händen dastehe. Unsere Gesellschaft ist auf den Konsum aufgebaut. Unsere Wirtschaft funktioniert nur, wenn wir das mühsam erworbene Geld wieder ausgeben.
Auch wenn die globale Entwicklung durch den Einzelnen nicht zu stoppen ist, gibt es doch viele Möglichkeiten der Einflussnahme. Wenn ich bewusst einkaufe und bereit bin, etwas mehr zu zahlen, bekomme ich Produkte aus nachhaltiger Landwirtschaft. Es ist nicht viel aufwändiger, gesund zu kochen, anstatt auf Industrieprodukte zurückzugreifen.
Fasten ist ein bewusster Umgang mit Nahrung, aber auch anderen Konsumgütern oder Medien. In einer Welt, in der uns alles in Fülle zur Verfügung steht, müssen wir lernen, dies alles in rechter Weise zu gebrauchen. Vor allem kommt es darauf an, der Verschwendung entgegen zu steuern, dort nicht mitzumachen, wo billiger Konsum offensichtlich auf Kosten anderer geht.
Ich will mich in dieser Fastenzeit bewusst ernähren. Weniger ist mehr. Ich esse bewusst weniger Fleisch und mehr Gemüse und achte bei meinen Einkäufen darauf, welche Produkte in den Einkaufskorb kommen.
Fasten ist immer auch geben. Ich gebe etwas von meinem Überfluss, vielleicht sogar einen empfindlichen Teil davon, für andere. Doch zugegeben, es ist nicht leicht, heute großherzig den Mitmenschen gegenüber zu leben. Uns geht es gut, aber die globale Not ist groß. Was kann ich tun? An jeder Ecke steht ein Bettler - gehört er zu einer kriminellen Bande oder ist er wirklich bedürftig? Zigtausende Flüchtlinge strömen in unser Land. Eine Bedrohung für unsere Gesellschaft oder eine Herausforderung, unsere Großherzigkeit zu zeigen?
Jeder Reichtum geht auf Kosten anderer. Unser Wohlstand ist nur durch die Armut in anderen Ländern möglich. Oft sind es Großkonzerne und korrupte Politiker, die Geld in die eigene Tasche stecken und eine gerechte Verteilung verhindern. Was kann ich da tun?
Ich kann versuchen, differenziert zu denken, mir umfassende Informationen holen. Ich kann versuchen, Hintergründe zu verstehen, anstatt mich mit billigen Parolen zufrieden zu geben. Unser freies Denken ist heute wieder mehr und mehr bedroht. Das liegt aber auch daran, dass sich immer weniger Menschen die Mühe machen, wirklich nachzudenken. Seien wir kritisch, mit dem, was uns von allen Seiten entgegenschallt. Hören wir auf die leisen Töne, die leicht überhört werden. Haben wir den Mut, uns einzusetzen und unsere Stimme zu erheben, dort wo es nötig ist.

Die Leute sind unvernünftig, unlogisch und selbstbezogen,
liebe sie trotzdem.
Wenn du Gutes tust, werden sie dir egoistische Motive und Hintergedanken vorwerden,
tue trotzdem Gutes.
Wenn du erfolgreich bist, gewinnst du falsche Freunde und echte Feinde,
sei trotzdem erfolgreich.
Das Gute, das du tust, wird morgen vergessen sein,
tue trotzdem Gutes.
Ehrlichkeit und Offenheit machen dich verwundbar,
sei trotzdem ehrlich und offen.
Was du in jahrelanger Arbeit aufgebaut hast, kann über Nacht zerstört werden,
baue trotzdem.
Deine Hilfe wird wirklich gebraucht, aber die Leute greifen dich vielleicht an, wenn du ihnen hilfst,
hilf ihnen trotzdem.
Gib der Welt dein Bestes, und sie schlagen dir die Zähne aus,
gib der Welt trotzdem dein Bestes.
Mutter Teresa

Diese Worte von Mutter Teresa können uns helfen, besser zu verstehen, worin das wahre Fasten liegt, von dem der Prophet spricht, wenn er sagt:

Nein, das ist ein Fasten, wie ich es liebe: die Fesseln des Unrechts zu lösen, die Stricke des Jochs zu entfernen, die Versklavten freizulassen, jedes Joch zu zerbrechen, an die Hungrigen dein Brot auszuteilen, die obdachlosen Armen ins Haus aufzunehmen, wenn du einen Nackten siehst, ihn zu bekleiden und dich deinen Verwandten nicht zu entziehen. (Jes 58,6-7)

Das ist eine lange Liste, an Hand derer der Prophet hier zeigt, wie Fasten konkret werden kann. Was kann ich davon tun? Damals waren doch ganz andere Verhältnisse. Da hatte man selbst vielleicht einen Sklaven, den man freilassen konnte, da kam ab und zu mal ein Vagabund vorbei, dem man etwas geben konnte. Aber heute... Wir haben die Fürsorge an verschiedene Institutionen delegiert. Der Staat hat für das Wohlergehen seiner Bürger zu sorgen. Ich spende ab und zu etwas und zahle meine Steuern. Es ist doch alles geregelt. Also, was soll ich heute mit dieser Liste.
Sicher ist die Hilfe durch Spenden sehr wichtig und gehört zum Fasten. Aber doch können wir uns mit Spenden nicht loskaufen von der eigentlichen Verantwortung, in der wir stehen.

Fasten ist mehr.

Das Teilen mit den anderen kann auch vor meiner Haustüre geschehen, indem ich einem Menschen, den ich in Not sehe, etwas abgebe. Dann kommt es beim Teilen auch zu einer persönlichen Begegnung und darin kann ich schon etwas erfahren von dem, was Fasten wirklich ist. Fasten bedeutet, dass ich mein Herz öffne für die Menschen um mich herum. Was kann ich mit ihnen teilen? Nicht nur Materielles, auch Zeit und vor allem Freundlichkeit. Es gibt sicher in meinem Umfeld Menschen, denen gegenüber ich eine gewisse Abneigung habe, seien es mir nahestehende Menschen, mit denen ich im Streit bin, seien es mir fernstehende, die sich über ein gutes Wort von mir freuen würden, das ich ihnen aber nie sage.

Fasten ist mehr.

Äußeren Verzicht können wir aufrechnen, Spenden können wir zählen, was aber geschieht, wenn wir auf einen anderen Menschen zugehen, das ist nicht vorhersehbar. Wir könnten Ablehnung erfahren. Was denkt der andere? Will er das überhaupt? Ich bin doch nicht schuld, dass er sonst niemand hat. Es gibt so vieles, was eine wirkliche Begegnung schwer erscheinen lässt. Aber doch sollten wir es einmal versuchen. Vielleicht gelingt die Begegnung und wir machen die Erfahrung, dass die Verheißung des Jesaja sich wirklich erfüllt, dass dann unser Licht hervorbricht wie die Morgenröte. Das Licht, das wir anderen bringen, strahlt auch auf uns zurück.

Fasten ist mehr.

Wenn wir mit einer solchen Haltung unseren Mitmenschen begegnen, dann werden wir auch offen für eine ganz neue Begegnung mit Gott. Die Begegnung mit Gott spielt sich nicht nur im stillen Kämmerlein ab, sondern auch auf der Straße. Unser Gebet soll nach außen hin Früchte tragen und diese Früchte werden dann auch wieder Nahrung sein für unser Gebet.
Fasten ist ohne Gebet nicht möglich, denn Fasten hat in Gott seinen Ursprung und sein Ziel. Die Begegnung mit Gott ist das Ziel unseres Lebens. Der Prophet Jesaja verheißt, dass Gott den Menschen nahe ist, die so fasten, wie er es liebt.

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Jesaja
Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Wunden werden schnell vernarben. Deine Gerechtigkeit geht dir voran, die Herrlichkeit des Herrn folgt dir nach. Wenn du dann rufst, wird der Herr dir Antwort geben, und wenn du um Hilfe schreist, wird er sagen: Hier bin ich.
Wenn du der Unterdrückung bei dir ein Ende machst, auf keinen mit dem Finger zeigst und niemand verleumdest, dem Hungrigen dein Brot reichst und den Darbenden satt machst, dann geht im Dunkel dein Licht auf, und deine Finsternis wird hell wie der Mittag. (Jes 58,8-10)

Gottes Gerechtigkeit ist seine Barmherzigkeit, das hat Gott uns nicht erst in Jesus Christus offenbart. Gerechtigkeit bedeutet nicht menschliche Selbstgerechtigkeit und Heuchelei, die nur äußerer Schein sind, der das ungerechte Herz verbirgt. Gerecht ist der Mensch, der anderen zu ihrem Recht verhilft. Der ungerecht Gefangene hat ein Recht auf Befreiung, der Versklavte hat ein Recht auf Freiheit, der Hungrige hat ein Recht auf Nahrung, der Obdachlose hat ein Recht auf eine menschenwürdige Wohnung, der Nackte hat ein Recht auf Kleidung und der Verwandte hat ein Recht darauf, dass seine Familie ihn in einer Notlage unterstützt.
Auch nach der Formulierung der Menschenrechte besteht in unserer Welt noch enormer Handlungsbedarf, damit wirklich Gerechtigkeit herrscht. Wir erleben vielmehr, wie die Ungerechtigkeit immer weiter zunimmt, wie reiche und mächtige Staaten auf Kosten armer Länder leben, wie Reiche immer mehr Reichtum anhäufen, während die Armen immer ärmer werden. Die Finsternis nimmt zu auf unserer Welt.
Doch Resignation ist keine Lösung. Werden wir zu Lichtbringern in der Welt, indem wir für die Gerechtigkeit eintreten. Nicht mit großen Parolen und Programmen, sondern konkret in unserem Alltag. Nicht auf andere mit dem Finger zeigen, dem Hungrigen Brot schenken und dem, der unsere Hilfe braucht, liebevoll begegnen, das sind kleine Schritte auf dem Weg zur Gerechtigkeit, kleine Lichter, die aber ein helles Licht ergeben, wenn viele sie entzünden.
Es heißt, dass weniger als zehn Prozent der Bevölkerung mehr als neunzig Prozent des Reichtums besitzen. Das mag uns wütend und deprimiert machen. Aber wir können uns einmal überlegen, was geschehen würde, wenn die große Masse der neunzig Prozent sich zusammen tun würde, und jeder von ihnen ein Licht der Gerechtigkeit entzünden würde. Wie hell würde dieser Schein die Welt erleuchten und über all die Ungerechtigkeit triumphieren.
Vertrauen wir darauf, dass Gott mit denen ist, die für seine Gerechtigkeit eintreten.

Der Herr wird dich immer führen, auch im dürren Land macht er dich satt und stärkt deine Glieder. Du gleichst einem bewässerten Garten, einer Quelle, deren Wasser niemals versiegt. Deine Leute bauen die uralten Trümmerstätten wieder auf, die Grundmauern aus der Zeit vergangener Generationen stellst du wieder her. Man nennt dich den Maurer, der die Risse ausbessert, den, der die Ruinen wieder bewohnbar macht.
Wenn du am Sabbat nicht aus dem Haus gehst und an meinem heiligen Tag keine Geschäfte machst, wenn du den Sabbat (den Tag der) Wonne nennst, einen Ehrentag den heiligen Tag des Herrn, wenn du ihn ehrst, indem du keine Gänge machst, keine Geschäfte betreibst und keine Verhandlungen führst, dann wirst du am Herrn deine Wonne haben, dann lasse ich dich über die Höhen der Erde dahinfahren und das Erbe deines Vaters Jakob genießen. Ja, der Mund des Herrn hat gesprochen. (Jes 58,11-14)
Ich bat Gott um ein Licht,
damit ich sicheren Fußes
der Ungewissheit entgegen gehen kann.
Aber Gott antwortete mir:
gehe nur in die Dunkelheit
und lege deine Hand
in meine Hand.
Das ist besser als ein Licht
und sicherer als ein bekannter Weg.