Jesaja 11,1-16

Messianisches Reich

.
Jesaja
Doch aus dem Baumstumpf Isais wächst ein Reis hervor, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht. (Jes 11,1)

Isai ist der Vater von König David. Wir kennen die Geschichte, als der Prophet Samuel zu ihm kommt, weil Gott ihn dazu beauftragt hat, einen seiner Söhne zum König zu salben. Es ist nicht der älteste und stärkste unter ihnen, sondern der jüngste, der draußen ist, um die Schafe zu hüten. Doch David zeichnet sich aus durch Talent und Ideenreichtum. Er besitzt die Weisheit, mit der es ihm gelingt, ein Königreich aufzubauen, von dem bis heute gesprochen wird.
Zur Zeit des Jesaja ist der Glanz dieses Königreiches verblasst. Die Nachkommen Davids reichen nicht an ihren Ahnherren heran. Das Land ist von äußeren Feinden bedroht und bald wird es ganz vernichtet werden, wenn Israel in die Verbannung nach Babylon ziehen muss. Grund dafür ist auch die innere Schwäche, die Bequemlichkeit, die Ungerechtigkeit, auf die das Reich gebaut ist. Der König und die Vornehmen kümmern sich nicht um das Elend der Armen sondern schauen nur auf ihren eigenen Gewinn.
Das Königshaus sollte dastehen wie ein großer Baum, doch der Baum wurde umgehauen, nur ein Baumstumpf ist geblieben. Aber aus diesem Stumpf wächst ein neuer Trieb hervor. Aus dem kleinen Reis wird wieder ein starker Baum werden. Aber er unterscheidet sich vom alten durch seine Frische.
Jesaja und mit ihm ganz Israel hat die Hoffnung, dass nach dem Untergang etwas Neues entsteht, das nicht wie das Alte wieder umgehauen wird, sondern Bestand hat und vor allem stets seine Lebenskraft aus der Verbindung mit Gott schöpft.
Es gibt Zeiten des Vergehens und Zeiten des Neuanfangs, Zeiten des Schmerzes und Zeiten der Freude, in der Geschichte der Völker und im Leben jedes einzelnen Menschen. Dass wir die Hoffnung nie verlieren, dass aus jedem Baumstumpf ein neuer Trieb hervor wachsen kann, hilft uns das folgende irische Segensgebet:

Vergiss die Träume nicht, wenn die Nacht wieder über dich hereinbricht und die Dunkelheit dich wieder gefangen zu nehmen droht. Noch ist nicht alles verloren. Deine Träume und deine Sehnsüchte tragen Bilder der Hoffnung in sich. Deine Seele weiß, dass in der Tiefe Heilung schlummert und bald in dir ein neuer Tag erwacht.
Ich wünsche dir, dass du die Zeiten der Einsamkeit nicht als versäumtes Leben erfährst, sondern dass du beim Hineinhorchen in dich selbst noch Unerschlossenes in dir entdeckst.
Ich wünsche dir, dass dich all das Unerfüllte in deinem Leben nicht erdrückt, sondern dass du dankbar sein kannst für das, was dir an Schönem gelingt.
Ich wünsche dir, dass all deine Traurigkeiten nicht vergeblich sind, sondern dass du aus der Berührung mit deinen Tiefen auch Freude wieder neu erleben kannst.
Der Geist des Herrn lässt sich nieder auf ihm: der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Gottesfurcht. [Er erfüllt ihn mit dem Geist der Gottesfurcht.] (Jes 11,2-3a)

Dieser Text des Propheten Jesaja bildet die biblische Grundlage für die Lehre von den sieben Gaben des Heiligen Geistes. Er spricht vom Messias und wir kennen ihn eher von Weihnachten her. Er zeigt uns den Messias aus Isais Stamm, was bedeutet, dass der Messias ein Nachkomme aus dem Haus Davids ist, dessen Vater Isai war. Seine Legitimation erfährt er durch die Gaben des Geistes Gottes.
Die Gabe der Gottesfurcht, die in den letzten Versen doppelt genannt wird, ist im lateinischen und griechischen Text einmal ersetzt durch die Gabe der Frömmigkeit. So gelangt man zur klassischen Siebenzahl der Gaben des Heiligen Geistes. Diese hat in der christlichen Frömmigkeit große Bedeutung erlangt.
Die erste Gabe des Heiligen Geistes ist die Weisheit. Der Heilige Geist, der Geist der Weisheit, belehrt unsere Herzen, damit wir den Willen Gottes erkennen und unser letztes Ziel immer vor Augen haben. Er lässt und die himmlischen Güter allen irdischen vorziehen und den Weg erkennen, der zum ewigen Leben führt.
Der Glaube an Gott gründet nicht auf irgendwelchen Fabeln und Wundergeschichten, sondern ist mit der Vernunft des Menschen einsehbar. Der Heilige Geist, der Geist des Verstandes, erleuchtet unseren Geist, damit wir die Geheimnisse des Heils recht verstehen und unser Leben im Licht des Glaubens führen.
Der Heilige Geist, der Geist des Rates, steht uns bei in allen Schwierigkeiten und Zweifeln. Er hilft uns, die rechten Entscheidungen im Leben zu treffen, bewahrt uns vor Irrwegen und leitet uns sicher auf den rechten Pfad der Gebote Gottes.
Der Heilige Geist, der Geist der Stärke, lässt uns den als gut und richtig erkannten Willen Gottes auch in die Tat umsetzen. Er steht uns bei in den Versuchungen und Leiden des Lebens und hilft uns, alle Menschenfurcht abzulegen, damit wir den Glauben mutig bekennen, in der Trübsal geduldig ausharren und den Nachstellungen des Teufels standhaft widerstehen.
Der Mensch strebt danach, die Geheimnisse der Schöpfung zu ergründen. Glaube und Wissenschaft widersprechen sich nicht. Der Heilige Geist, der Geist der Wissenschaft, lehrt uns, in den Wunderwerken der Schöpfung die Allmacht, Weisheit und Liebe Gottes zu erkennen, damit wir in den Werken der Schöpfung den Schöpfer preisen.
Wir erfahren uns als Geschöpfe Gottes. Durch unser Leben sollen wir das Lob des Schöpfers verkünden. Der Heilige Geist, der Geist der Frömmigkeit, gibt uns die Gesinnung der Hingabe und des Vertrauens zu Gott und lässt uns Gott anbeten und preisen.
So soll unser ganzes Leben von Gottesfurcht durchdrungen sein. In allem erkennen wir den Gott der Liebe, vor dessen Angesicht wir unser Leben führen. Der Heilige Geist, der Geist der Furcht des Herrn, durchdringt unsere Herzen mit heiliger Ehrfurcht, die der Anfang der Weisheit ist.
Man kann die sieben Gaben des Geistes auch in entgegengesetzter Reihenfolge betrachten als Weg der Erhebung zu Gott, wie es Gregor der Große tut:

Durch die Furcht erheben wir uns nämlich zur Frömmigkeit, von der Frömmigkeit zur Lehre, aus der Lehre erlangen wir Stärke, aus der Stärke den Rat, mit dem Rat schreiten wir voran zur Einsicht und mit der Einsicht zur Weisheit, und so wird uns durch die siebenfältige Gnade des Geistes am Ende der Aufstiege der Eingang ins himmlische Leben geöffnet.

Jesaja zeigt uns den mit Gottes Geist begabten Messias und schildert bildhaft den Frieden, den dessen Herrschaft hervor bringt:

.
Jesaja
Er richtet nicht nach dem Augenschein und nicht nur nach dem Hörensagen entscheidet er, sondern er richtet die Hilflosen gerecht und entscheidet für die Armen des Landes, wie es recht ist. Er schlägt den Gewalttätigen mit dem Stock seines Wortes und tötet den Schuldigen mit dem Hauch seines Mundes. Gerechtigkeit ist der Gürtel um seine Hüften, Treue der Gürtel um seinen Leib.
Dann wohnt der Wolf beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, / ein kleiner Knabe kann sie hüten. Kuh und Bärin freunden sich an, ihre Jungen liegen beieinander. Der Löwe frisst Stroh wie das Rind. Der Säugling spielt vor dem Schlupfloch der Natter, das Kind streckt seine Hand in die Höhle der Schlange. Man tut nichts Böses mehr und begeht kein Verbrechen auf meinem ganzen heiligen Berg; denn das Land ist erfüllt von der Erkenntnis des Herrn, so wie das Meer mit Wasser gefüllt ist. (Jes 11,3b-9)

Es ist das Bild eines großen Friedens, das uns der Prophet Jesaja hier schildert. Wir fühlen uns erinnert an das Paradies und die Worte Gottes über seine Schöpfung: Und Gott sah alles, was er gemacht hatte, es war sehr gut.
Nach jüdisch-christlichem Glauben wurde diese gute Schöpfungsordnung durch die Sünde des Menschen in Unordnung gebracht. Sünde wird daher seit alters her als das Ungeordnete bezeichnet. Wer sündigt, muss wieder etwas in Ordnung bringen, muss sein Leben in Ordnung bringen.
Der Friede, von dem Jesaja spricht, entsteht dort, wo Menschen umkehren vom Bösen und das Gute tun, wo Menschen Gott erkennen und nach dieser Erkenntnis leben. Unsere Welt als Ganze ist noch weit von dieser Friedensordnung entfernt. Aber jeder einzelne kann dazu beitragen, dass dieser Friede zumindest im Kleinen Wirklichkeit wird.

Was die Einigkeit, die Eintracht und den Frieden unter den verschiedenartigen und ihrer Natur nach entgegengesetzten und untereinander feindlichen Tieren betrifft, so sagen darüber die Ältesten, dass es beim Wiederkommen Christi auch wirklich so sein wird, wenn er über alle herrschen wird. Denn somit deutet er in symbolischer Weise an, dass sich Menschen von ganz verschiedener Abstammung durch den Namen Christi in Einigkeit und Frieden versammeln.
Das ist die Versammlung der Gerechten, die mit den Rindern und den Lämmern und den Böcklein und den Kindern verglichen werden, weil sie niemandem Schaden zufügen, während sie in früherer Zeit durch ihre Erpressungen wie wilde Tiere waren, sowohl die Männer als auch die Frauen, so dass manche von ihnen den Wölfen und Löwen ähnlich wurden, da sie die Schwachen beraubten und mit ihresgleichen Krieg führten; die Frauen aber wurden ähnlich den Panthern und den Ottern, die durch tödliche Gifte oder durch ihre Begierden sogar ihre Lieben zu töten imstande waren.
In dem einen Namen versammelt, nehmen sie dank der Gnade Gottes rechte Sitten an, indem sie ihre wilde und rohe Natur ändern. Was auch jetzt geschehen ist; denn diejenigen, die früher Übeltäter waren, so dass sie kein frevelhaftes Werk unterlassen konnten, wurden, nachdem sie Christus kennen gelernt und an ihn geglaubt haben, ganz gläubig und änderten sich, so dass sie von der strengsten Gerechtigkeit nicht ließen. So viel Veränderung wirkt der Glaube an Christus, den Sohn Gottes, in denen, die an ihn glauben. (Irenäus von Lyon)

Friede kann nur entstehen, wenn die Feinde des Friedens im Zaum gehalten werden. Im Folgenden wird der Messias als Herrscher dargestellt, der Israel vereinigt und die Feinde bezwingt:

An jenem Tag wird es der Spross aus der Wurzel Isais sein, der dasteht als Zeichen für die Nationen; die Völker suchen ihn auf; sein Wohnsitz ist prächtig. An jenem Tag wird der Herr seine Hand von neuem erheben, um den übrig gebliebenen Rest seines Volkes zurückzugewinnen, von Assur und Ägypten, von Patros und Kusch, von Elam, Schinar und Hamat und von den Inseln des Meeres. Er stellt für die Völker ein Zeichen auf, um die Versprengten Israels wieder zu sammeln, um die Zerstreuten Judas zusammenzuführen von den vier Enden der Erde.
Dann hört der Neid Efraims auf, die Feinde Judas werden vernichtet. Efraim ist nicht mehr eifersüchtig auf Juda und Juda ist nicht mehr Efraims Feind. Sie stoßen nach Westen vor wie im Flug, den Philistern in die Flanke; vereint plündern sie die Völker des Ostens aus. Sie ergreifen Besitz von Edom und Moab, die Ammoniter müssen ihnen gehorchen. Der Herr trocknet die Bucht des ägyptischen Meeres aus; er schwingt in glühendem Zorn seine Faust gegen den Eufrat und zerschlägt ihn in sieben einzelne Bäche, sodass man in Sandalen hindurchgehen kann. So entsteht eine Straße für den Rest seines Volkes, der übrig gelassen wurde von Assur, eine Straße, wie es sie für Israel gab, als es aus Ägypten heraufzog. (Jes 11,10-16)