Das ist die Geschichte der Entstehung von Himmel und Erde, als sie erschaffen wurden. (Gen 2,4a)
Dieser Satz kann entweder als Abschluss des sogenannten ersten Schöpfungsberichtes gesehen werde, oder als Überschrift über den zweiten. Der erste Schöpfungsbericht enthält das bekannte Sieben-Tage-Werk der Schöpfung. Die sieben Tage der Woche bilden den Rahmen für das Schöpfungswerk Gottes mit dem Sabbat als Höhepunkt und Ruhetag zu Ehren Gottes. Die Reihenfolge der sieben Tage bildet lediglich den symbolischen Rahmen für die Schöpfung und darf keineswegs wörtlich genommen werden. Das zeigt sich auch darin, dass uns die Heilige Schrift selbst in unmittelbarem Anschluss an das Sieben-Tage-Werk einen anderen Schöpfungsbericht überliefert, der eine weitere, ergänzende Deutung der Schöpfung bietet und mit dem ersten nicht harmonisiert werden kann.
Der zweite Schöpfungsbericht ist nach heutigen Erkenntnissen sehr wahrscheinlich früher entstanden als der erste. Er ist von einem bäuerlichen Milieu geprägt und stellt den Menschen in den Mittelpunkt, nicht so sehr den ganzen Kosmos. Ohne Ackerboden kann der Mensch nicht leben, genauso wenig wie der Mann ohne die Frau. Wir finden in diesem Bericht auch viele Anklänge an uns bekannte alte Schöpfungsmythen aus Babylon, die den Juden zur Zeit der Entstehung dieses Textes sicher bekannt waren, dann aber in Vergessenheit geraten sind und erst durch die moderne Archäologie wieder entdeckt worden sind.
Zur Zeit, als Gott, der Herr, Erde und Himmel machte, gab es auf der Erde noch keine Feldsträucher und wuchsen noch keine Feldpflanzen, denn Gott, der Herr, hatte es auf die Erde noch nicht regnen lassen und es gab noch keinen Menschen, der den Erdboden bearbeitete, aber Feuchtigkeit stieg aus der Erde auf und tränkte die ganze Fläche des Erdbodens. (Gen 3,4b-6)
Der feuchte Ackerboden ist die Grundlage allen Lebens. Die Heilige Schrift sieht ihn hier als Grundstoff der Erde. Aus ihm formt Gott den Menschen und bläst ihm seinen Lebensatem ein. Somit wird deutlich, dass der Mensch von seinem Leib her aus irdischem Material gebildet ist, von seinem Geist her aber mit Gott verbunden ist. Es lässt uns staunen, wenn wir beobachten, wie Pflanzen, Tiere und auch Menschen nach ihrem Tod zu Erde zerfallen, und wie aus der fruchtbaren Erde wieder neues Leben wächst, wenn ein Same hineinfällt. Die Menschen glauben aber seit unvordenklicher Zeit, dass es in ihnen etwas gibt, das nach dem Tod nicht zerfällt, sondern bleibt. Das Göttliche im Menschen wird wieder zu Gott zurückkehren.
Da formte Gott, der Herr, den Menschen, Staub vom Erdboden, und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen. Dann pflanzte Gott, der Herr, in Eden, im Osten, einen Garten und setzte dorthin den Menschen, den er geformt hatte. Gott, der Herr, ließ aus dem Erdboden allerlei Bäume wachsen, begehrenswert anzusehen und köstlich zu essen, in der Mitte des Gartens aber den Baum des Lebens und den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse.
Ein Strom entspringt in Eden, der den Garten bewässert; dort teilt er sich und wird zu vier Hauptflüssen. Der Name des ersten ist Pischon; er ist es, der das ganze Land Hawila umfließt, wo es Gold gibt. Das Gold jenes Landes ist gut; dort gibt es Bdelliumharz und Karneolsteine. Der Name des zweiten Stromes ist Gihon; er ist es, der das ganze Land Kusch umfließt. Der Name des dritten Stromes ist Tigris; er ist es, der östlich an Assur vorbeifließt. Der vierte Strom ist der Eufrat. Gott, der Herr, nahm den Menschen und gab ihm seinen Wohnsitz im Garten von Eden, damit er ihn bearbeite und hüte. (Gen 2,7-15)
Zu Beginn des Schöpfungsberichtes war vom fruchtbaren Ackerboden die Rede. Doch ist der Mensch von seinem Ursprung her nicht dazu von Gott erschaffen, dass er den Ackerboden in mühsamer Arbeit bebaut. Babylonische Schöpfungsmythen sehen beispielsweise genau darin den Grund, warum die Götter überhaupt Menschen erschaffen haben. Der Gott Israels aber arbeitet selbst, er macht für seinen Menschen einen Garten, ein Paradies. Gerade in den trockenen Ländern des Nahes Ostens weiß man seit jeher Gärten viel mehr zu schätzen als in den gemäßigten Breiten, in denen von Natur aus genügend Feuchtigkeit vorhanden ist, dass ständig neues Grün wächst.
Im Nahen Osten gelten Gärten seit jeher als Luxus. Es ist nicht leicht, ständig genug frisches Wasser zu haben, um den grünen Garten inmitten eines trockenen Landes am Leben zu erhalten. Gott aber macht für den Menschen den schönsten Garten, den man sich nur vorstellen kann und ein wasserreicher Strom entspringt inmitten des Gartens und bewässert das ganze Land. Die Deutung der vier Flüsse, die von diesem Strom ausgehen, bereitet bis heute Schwierigkeiten, da wir das damalige Weltbild nicht mehr zweifelsfrei rekonstruieren können - einmal ganz abgesehen davon, dass es schon sonderbar ist, dass ein Strom sich in vier Flüsse verzweigt, wo doch normalerweise Flüsse sich zu einem Strom vereinigen.
Euphrat und Tigris als Flüsse Mesopotamiens sind klar und bis heute bekannt, das Land Kusch ist Ägypten, wobei somit mit dem Gihon offensichtlich der Nil gemeint ist. Das Land Hawila meint wahrscheinlich Arabien. Wenn man bedenkt, dass die Quelle des Blauen Nils im 17. und die des Weißen Nils erst erst im 19. Jahrhundert entdeckt wurde, sollte man sich nicht darüber wundern, dass man im Alten Israel noch nicht genau wusste, wie die Welt jenseits der bekannten Gebiete aussah. So ist die Vorstellung gar nicht so abwegig, dass von dem "im Osten", also irgendwo jenseits von Mesopotamien vermuteten Garten Eden, vier Ströme ausgehen, die einerseits als Euphrat und Tigris nach Mesopotamien fließen, andererseits als Gihon und Pischon irgendwie östlich um Arabien herumfließen und sich dann in Ägypten zum bekannten Nil vereinigen. Das erklärt auch, warum der für Israel so bedeutsame Jordan-Fluss hier nicht auftaucht. Seine Quelle kannte man ja und sie konnte mit Eden nichts zu tun haben, denn der Zutritt zu dem Land, in dem die vier Ströme ihre Herkunft haben, ist den Menschen ja seit dem Sündenfall verschlossen.
In der Mitte des Gartens stehen exponiert zwei Bäume, der Baum des Lebens und der Baum der Erkenntnis. Während der Mensch den ganzen Garten zu seiner Verfügung erhält, sind diese beiden Bäume für ihn tabu. Aber wer den Menschen kennt, der weiß, dass ihn gerade das reizt, was verboten ist, und von dieser Eigenschaft des Menschen her nimmt das Unheil seinen Lauf. Doch zunächst schildert die Bibel noch die weitere Sorge Gottes für den Menschen. Seinetwegen schafft Gott alle Tiere und Vögel, und als er erkennt, dass diese ihm nicht ebenbürtig sind, schafft er aus der Rippe des Menschen die Frau und setzt so die Ehe als Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau ein.