1Samuel 8-15

König Saul

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Saul
Das Volk sagte zu Samuel: Ein König soll über uns herrschen. Auch wir wollen wie alle anderen Völker sein. Unser König soll uns Recht sprechen, er soll vor uns herziehen und soll unsere Kriege führen. Samuel hörte alles an, was das Volk sagte, und trug es dem Herrn vor. Und der Herr sagte zu Samuel: Hör auf ihre Stimme und setz ihnen einen König ein! Da sagte Samuel zu den Israeliten: Geht heim, jeder in seine Stadt! (1Sam 8,19-22)

Wenn wir die Bücher der Geschichte Israels lesen, dann erscheint uns diese Geschichte als ein linearer und geordneter Ablauf von dem Auszug aus Ägypten über die Landnahme bis hin zu König David und schließlich über die Königszeit weiter bis zum Babylonischen Exil. Die Zeit des Königs David stellt dabei einen Höhepunkt dar. Dieses Geschichtsbild ist aber ein Konstrukt der Verfasser dieser Bücher. Jede Geschichtsschreibung ist zugleich eine Deutung der Geschichte und der Geschichtsschreiber trifft eine Auswahl aus der Vielzahl der Quellen.
Geschichte selbst aber ist immer viel komplexer, als sie uns die Geschichtsbücher schildern. Im Rückblick erscheinen viele Ereignisse logisch und folgerichtig, während im aktuellen Zeitgeschehen der Ausgang stets offen ist. Wenn dann noch eine ideologische Deutung hinzukommt, erscheinen viele Ereignisse in einem ganz anderen Licht.
Auch die Geschichte Israels ist sehr komplex. Die moderne Archäologie hat zuverlässige Beweise geliefert, dass sie keineswegs so linear verlaufen ist, wie es uns die Bücher der Bibel schildern. Das bedeutet keinesfalls, dass die Geschichtsbücher der Bibel wertlos und in großen Stücken frei erfunden wären. In jeder Erzählung der Bibel lebt mit Sicherheit die Erinnerung an ein tatsächliches historisches Geschehen weiter. Aber manchmal haben die Verfasser der biblischen Geschichtsbücher diese Ereignisse in einen anderen Kontext eingeordnet. sie wollten ja auch keine historische Forschung im modernen Sinn betreiben, sondern die Geschichte Israels im Lichte Gottes deuten und verständlich machen. Dabei kam es durchaus dazu, dass mehrere zueinander widersprüchliche Quellen nebeneinandergestellt wurden, wenn diese als überliefernswert erachtet wurden. Das zeigt deutlich, dass man auch damals großen Respekt vor den Quellen hatte und diese nicht einfach umgeschrieben hat.
Die Geschichte von Saul und David ist eine sehr turbulente Geschichte. Das macht schon deren Bericht im ersten Buch Samuel deutlich. Um wieviel turbulenter mag es damals in Wirklichkeit zugegangen sein. Dem aufmerksamen Leser werden leicht einige Brüche in der Darstellung auffallen, die sich rein logisch nur schwer erklären lassen, wenn man das oben gesagte jedoch beachtet nicht mehr verwunderlich sind.
So gibt es drei Berichte darüber, wie Saul zum König wurde. Am Anfang steht die Forderung des Volkes nach einem König. Alle Völker haben einen König, also will Israel auch einen haben. Die charismatischen Führungsgestalten der Richter sind nicht mehr zeitgemäß. Samuel weist das Volk darauf hin, dass Gott allein König des Volkes Israel ist und die Forderung nach einem König sich letztlich gegen Gott richtet. Dann aber gibt Samuel doch nach, nicht ohne aber das Volk darauf hinzuweisen, was die Einsetzung eines Königs für Folgen hat. Der König hat das Recht, das Volk zu verschiedenen Diensten heranzuziehen, Steuern zu erheben und Soldaten auszuheben. Das schreckt das Volk nicht, sie wollen einen König. Das Königtum in Israel - ein Segen oder Fluch für das Volk? Der aufmerksame Leser wird feststellen, dass immer wieder königskritische Passagen neben königsfreundlichen stehen.

Damals lebte in Benjamin ein Mann namens Kisch, ein Sohn Abiëls, des Sohnes Zerors, des Sohnes Bechorats, des Sohnes Afiachs, ein wohlhabender Benjaminiter. Er hatte einen Sohn namens Saul, der jung und schön war; kein anderer unter den Israeliten war so schön wie er; er überragte alle um Haupteslänge. (1Sam 9,1-2)

Die erste Geschichte von der Einsetzung Sauls zum König ähnelt sehr der späteren Geschichte von der Salbung Davids. Beide Male macht sich Samuel auf Geheiß Gottes hin auf den Weg, um einen König zu salben und beide Male gibt es dabei gewisse Hindernisse.
Saul war der schönste, größte und kräftigste unter den Israeliten. Einen solchen Mann, der auch nach außen hin eine gute Figur abgibt, erwählt Gott zum ersten König seines Volkes. Die nun folgende Geschichte ist sehr schön zusammengestellt. Die Eselinnen seines Vaters Kisch sind entlaufen und daraufhin macht sich Saul mit einigen Knechten auf den Weg, diese zu suchen. Dabei kommen sie auch bei Samuel vorbei, der Saul überraschend zum König salbt. Nach der Salbung aber versammelt Samuel das Volk in Mizpa, wo Saul nochmals durch Losentscheid zum König gewählt wird.
Im nächsten Kapitel (1Sam 11) wird davon berichtet, wie Saul das Volk im Kampf gegen die Ammoniter anführt. Nach dem siegreichen Ausgang der Schlacht wird Saul erneut als König bestätigt. Nun ist es Zeit für Samuel, von seinem Amt als Richter zurückzutreten, nicht ohne vorher das Volk noch einmal zu ermahnen, dem Herrn treu zu sein.
Saul ist als König erfolgreich. Zusammen mit seinem Sohn Jonatan führt er siegreiche Schlachten.

Als Saul die Königswürde über Israel erlangt hatte, führte er ringsum mit all seinen Feinden Krieg: mit Moab und den Ammonitern, mit Edom und den Königen von Zoba und mit den Philistern. Wohin er sich auch wandte, war er siegreich. Er vollbrachte tapfere Taten, schlug Amalek und befreite Israel aus der Gewalt derer, die es ausraubten. (1Sam 14,47-48)

Dann aber wendet sich plötzlich das Blatt. In 1Sam 15 wird von einem Kampf Israels gegen die Amalekiter berichtet. Hier tritt erneut Samuel in Erscheinung und fordert von Saul, dass er diesmal keine Kriegsbeute machen darf, sondern alles dem Untergang weihen soll. Auch diesmal ist Israel siegreich. Aber König und Volk sichern sich die besten Teile der Beute, lassen den König am Leben und vernichten nur die wertlosen eroberten Gegenstände. Daraufhin entbrennt der Zorn Gottes gegen Saul. Samuel verkündet Saul seine Verwerfung.

Samuel erwiderte Saul: Ich kehre nicht mit dir zurück; denn du hast das Wort des Herrn verworfen und nun hat der Herr dich verworfen, sodass du nicht mehr König von Israel sein kannst. Als Samuel sich umwandte, um wegzugehen, griff Saul nach dem Zipfel seines Mantels, doch der riss ab. Da sagte Samuel zu ihm: So entreißt dir heute der Herr die Herrschaft über Israel und gibt sie einem anderen, der besser ist als du. ... Samuel sah Saul vor dem Tag seines Todes nicht mehr. Samuel trauerte um Saul, weil es den Herrn reute, dass er Saul zum König über Israel gemacht hatte. (1Sam 15,26-28.35)