Markus 14,1-31

Jesu Abschied

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Es war zwei Tage vor dem Pascha und dem Fest der Ungesäuerten Brote. (Mk 14,1a)

Der Ereignisse verdichten sich, das Evangelium kommt dem Bericht vom Tod Jesu immer näher. Dabei will Markus den Zeitpunkt dieser Ereignisse möglichst genau angeben. Der ganze erste Satz ist dieser genauen Zeitangabe gewidmet. Das große Wallfahrtsfest beginnt mit der Paschafeier zur Erinnerung an den Auszug aus Ägypten in der Vollmondnacht vom 14. zum 15. Tag des Frühlingsmonats Nisan und wird nach sieben Tagen, am 21. Nisan, mit dem Fest der ungesäuerten Brote, das ein neues Erntejahr eröffnet, abgeschlossen. Während dieser Zeit isst man kein mit Sauerteig gebackenes Brot.

Die Hohepriester und die Schriftgelehrten suchten nach einer Möglichkeit, Jesus mit List in ihre Gewalt zu bringen. Sie sagten aber: Ja nicht am Fest, damit es im Volk keine Aufruhr gibt. (Mk 14,1b-2)

Drei Ereignisse sind es, die in unmittelbarer Nähe zueinander stehen, und auf Jesu Tod hinführen. Das ist zunächst der Beschluss der Hohepriester und Schriftgelehrten Jesus zu ergreifen, und zu töten. Intensiv überlegen sie, wie sie Jesus in die Hand bekommen können. Dabei stellt sich ihnen das bevorstehende Fest, an dem eine ungeheure Menschenmenge in Jerusalem sein wird, als Problem dar. Die Menge ist unberechenbar. Es ist nicht abzusehen, wie viele Anhänger Jesus im Volk hat. Die Römer sind in Alarmbereitschaft und jederzeit zum Eingreifen bereit, wenn sie einen Volksaufstand vermuten. Daher sollen die Festbesucher möglichst nichts mitbekommen von dem, was mit Jesus geschieht. Ein ungeschicktes Vorgehen könnte unberechenbare Folgen haben. Doch ein unerwartetes Angebot aus Jesu engstem Jüngerkreis wird ihnen hier sehr hilfreich sein. Bevor aber Markus davon berichtet, wie die Pläne seiner Gegner zusammenkommen, zeigt er, wie Jesus und seine Jünger sich auf das vorbereiten, was unmittelbar bevorsteht.

Als Jesus in Betanien im Haus Simons des Aussätzigen zu Tisch war, kam eine Frau mit einem Alabastergefäß voll echtem, kostbarem Nardenöl, zerbrach es und goss das Öl über sein Haupt. (Mk 14,3)

Betanien ist der bereits bekannte Ort des Nachtquartiers Jesu und seiner Jünger während ihres Aufenthalts in Jerusalem. An diesem Tag scheint Jesus mit seinen Jüngern nicht nach Jerusalem gezogen zu sein. Sie statten stattdessen einem "alten Bekannten" einen Besuch ab. Es könnte sich bei Simon um den Aussätzigen handeln, von dessen Heilung Markus in 1,40-45 berichtet.
Während die Männer zu Tisch liegen, kommt plötzlich eine von Markus nicht näher benannte Frau in ihre Gesellschaft, die ein ohnehin schon teures Alabastergefäß zerbricht und dessen außerordentlich kostbaren Inhalt über das Haupt Jesu gießt. Nardenöl wird aus Pistazien gewonnen. Der Wert des Öls entspricht in etwa dem Jahreseinkommen eines Tagelöhners. Das Tun der Frau ist ein Zeichen überschwänglicher Verehrung für Jesus. Wir sehen hier, wie sich auch gerade Frauen aus der begüterten Oberschicht mit Jesus verbunden wissen.

Einige aber wurden unwillig und sagten zueinander: Wozu diese Verschwendung? Man hätte das Öl um mehr als dreihundert Denare verkaufen und das Geld den Armen geben können. Und sie fuhren die Frau heftig an. Jesus aber sagte: Hört auf! Warum lasst ihr sie nicht in Ruhe? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. Denn die Armen habt ihr immer bei euch und ihr könnt ihnen Gutes tun, so oft ihr wollt; mich aber habt ihr nicht immer. Sie hat getan, was sie konnte. Sie hat im Voraus meinen Leib für das Begräbnis gesalbt. Amen, ich sage euch: Auf der ganzen Welt, wo das Evangelium verkündet wird, wird man auch erzählen, was sie getan hat, zu ihrem Gedächtnis. (Mk 14,3-9)

Das Verhalten der Frau erregt den Unwillen einiger Jünger. Sie hätten lieber das Öl verkauft und das Geld den Armen gegeben. Jesus kritisiert ihren Unwillen. Grundsätzlich steht Jesus zu der von ihnen hervorgehobenen "Option für die Armen". Arme wird es immer und überall, wo das Evangelium verkündet wird, geben und es ist die Pflicht der Jünger Jesu zu allen Zeiten und überall, diesen Armen zu helfen. Dennoch gilt es zu unterscheiden, wie diese "Option für die Armen" in rechter Weise gelebt wird. Jetzt, in diesem Moment, hat die Salbung Jesu Priorität. Das, was jetzt geschieht, ist ein Ereignis von so enormer Wichtigkeit, dass es vor aller Sorge für die Armen steht und zugleich wert ist, durch alle Zeiten hindurch überliefert zu werden.
Johannes wird in seinem Evangelium diese falsche Sorge für die Armen als reinen Eigennutz entlarven, denn für ihn ist der Unwillige kein anderer als Judas Iskariot, der das Geld in die eigene Tasche wirtschaften möchte. Die Kritik Jesu gilt zu allen Zeiten und zu allen Zeiten ist die rechte Einstellung zu Reichtum und Prunk in der Kirche zu prüfen. Prunkvolle liturgische Geräte können der Verherrlichung Christi dienen, dessen Ehre man dadurch bezeugt, sie können aber auch zu einer falschen Zurschaustellung von Macht pervertiert werden. Genauso kann aber auch ein angeblicher Verzicht auf jeden Reichtum und Prunk zur Farce werden, wenn man beispielsweise in der Liturgie auf Schlichtheit größten Wert legt, aber im privaten Bereich sich dann doch so manchen Luxus gönnt. Eine allgemeingültige Handlungsanweisung kann es hier nicht geben. Jeder muss sich und sein Handeln hier nach bestem Wissen und Gewissen prüfen. Beides wird uns Jesus immer vor Augen stellen - die Armen vor unserer Tür, die auf unsere helfende Hand warten, und das Tun dieser Frau, die den größten Prunk walten lässt zur Ehre des Herrn.
Jesus selbst deutet die Salbung der Frau auf die Salbung seines Leibes zum Begräbnis. Die Salbung der Toten war ein wichtiger Brauch unter den Juden und auch sonst im Orient weit verbreitet. Am Ende des Evangeliums werden wir sehen, dass ob des überraschenden Endes Jesu - selbst nach den soeben gesprochenen Worten Jesu wird es wohl niemand der Zuhörer für möglich gehalten haben, dass Jesus schon zwei Tage später tot sein wird - dieser Dienst dem Leichnam nicht erwiesen werden kann. Erst etwa 40 Stunden nach Jesu Tod machen sich die Frauen auf den Weg, um Salböl zu kaufen. Doch Jesus werden sie dann im Grab nicht mehr finden.
Die Salbung des Hauptes weist aber auch hin auf die Königssalbung. Mit der Salbung nimmt die Inthronisation des neuen Königs ihren Anfang, die Geißelung wird der Akt der Huldigung vor diesem König sein und seinen Thron besteigt er am Kreuz. Christus ist der König auf dem Kreuzesthron, wie ihn auch die Kirche besingt. Auf diesem Weg zum Kreuz ist Jesus nun fast ans Ende gekommen. Einer seiner engsten Vertrauten wird seinen Gegnern dabei helfen, ihm diesen Weg zu bereiten.

Judas Iskariot, einer der Zwölf, ging zu den Hohepriestern. Er wollte Jesus an sie ausliefern. Als sie das hörten, freuten sie sich und versprachen, ihm Geld dafür zu geben. Von da an suchte er nach einer günstigen Gelegenheit, ihn auszuliefern. (Mk 14,10-11)

Für die Hohepriester und Schriftgelehrten bietet sich nun eine Lösung, Jesus unauffällig aus dem Weg zu räumen, mit der sie bisher nicht gerechnet hatten. Einer von den engsten Anhängern Jesu will mit ihnen gemeinsame Sache machen. Warum Judas Iskariot diesen Schritt tut, davon berichtet Markus nicht. Im Johannesevangelium lesen wir, dass es eben dieser Judas Iskariot war, der bei der Salbung Jesu in Betanien unwillig wurde ob der scheinbaren Verschwendung. Der Evangelist unterstellt ihm, dass er das Geld für das Öl, das man nach seinen Worten besser den Armen gegeben hätte, lieber in die eigene Tasche gesteckt hätte. Somit ist es in Betanien zu einem Streit zwischen Judas und Jesus gekommen und Judas wäre dann im Zorn über Jesus zu den Hohenpriestern gegangen. Nachher, als der Zorn gewissermaßen verraucht war und er merkte, was er angerichtet hatte, fand er keinen Weg zur Umkehr, sondern hat sich, wie Matthäus berichtet, erhängt. Vielleicht fühlte sich Judas auch in seinen Erwartungen an den Messias enttäuscht und konnte nicht verstehen, dass Jesus nun nach seinem glorreichen Einzug in Jerusalem von Tod und Begräbnis und nicht von Königsherrschaft sprach.
Es bleiben nur Vermutungen. Tatsache ist, dass die Hohepriester nun jemanden haben, der genau über das Verhalten Jesu Bescheid weiß. Sie brauchen ihn so nicht mehr bei Tag inmitten der Volksmenge gefangen nehmen, sondern können sich darüber informieren, wohin sich Jesus mit seinen Jüngern bei Nacht zurückzieht. Dort können sie dann zu gegebener Zeit unbemerkt von der Menge im Stillen zuschlagen und Jesus ergreifen.

Am ersten Tag des Festes der Ungesäuerten Brote, an dem man das Paschalamm zu schlachten pflegte, sagten die Jünger zu Jesus: Wo sollen wir das Paschamahl für dich vorbereiten? Da schickte er zwei seiner Jünger voraus und sagte zu ihnen: Geht in die Stadt; dort wird euch ein Mensch begegnen, der einen Wasserkrug trägt. Folgt ihm, bis er in ein Haus hineingeht; dann sagt zu dem Herrn des Hauses: Der Meister lässt dich fragen: Wo ist der Raum, in dem ich mit meinen Jüngern das Paschalamm essen kann? Und der Hausherr wird euch einen großen Raum im Obergeschoss zeigen, der schon für das Festmahl hergerichtet und mit Polstern ausgestattet ist. Dort bereitet alles für uns vor! Die Jünger machten sich auf den Weg und kamen in die Stadt. Sie fanden alles so, wie er es ihnen gesagt hatte, und bereiteten das Paschamahl vor. (Mk 14,12-16)

Das Paschamahl steht unmittelbar bevor und die Jünger Jesu möchten dieses Fest mit Jesus zusammen feiern. Doch wo soll das geschehen? Erstaunlicherweise ist schon alles vorbereitet. Sie brauchen sich nur an das von Jesus vorgegebene Erkennungszeichen halten und werden zu dem Haus geführt, in dem schon ein Raum für das Fest hergerichtet ist. Handelt es sich bei dem Hausherrn um einen Jünger Jesu, der vorab schon alles mit Jesus abgesprochen hat? Markus lässt das offen. Am Abend trifft dann Jesus mit den Zwölf dort ein und das gemeinsame Fest beginnt.
Nach den synoptischen Evangelien war das letzte Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern ein Paschamahl. Das Paschafest wurde traditionell im Kreis der (erweiterten) Familie gefeiert und so feiert es Jesus mit seinen Jüngern, die zu einer Familie geworden sind. Das Mahl wird in der Nacht, am Vorabend des Paschafestes, am 14. Nisan, gefeiert. Die Kreuzigung Jesu fand dann am Paschafest selbst statt.
Johannes hat eine davon abweichende Chronologie. Nach Johannes fand die Kreuzigung Jesu am Rüsttag des Paschafestes, also am 14. Nisan, statt und zwar zu der Zeit, als an diesem Tag traditionell die Lämmer im Tempel geschlachtet wurden. Das letzte Abendmahl Jesu war demnach kein Paschamahl. Vielleicht ist das einer der Gründe dafür, warum Johannes von diesem Mahl nur die Fußwaschung berichtet und nicht die Worte Jesu über Brot und Wein.

Als es Abend wurde, kam Jesus mit den Zwölf. Während sie nun bei Tisch waren und aßen, sagte Jesus: Amen, ich sage euch: Einer von euch wird mich ausliefern, einer, der mit mir isst. Da wurden sie traurig und einer nach dem andern fragte ihn: Doch nicht etwa ich? Er sagte zu ihnen: Einer von euch Zwölf, der mit mir in derselbe Schüssel eintunkt. Der Menschensohn muss zwar seinen Weg gehen, wie die Schrift über ihn sagt. Doch weh dem Menschen, durch den der Menschensohn ausgeliefert wird! Für ihn wäre es besser, wenn er nie geboren wäre. (Mk 14,17-21)

Zu Beginn des Mahls weist Jesus auf den Verräter hin. er ist mitten unter ihnen, ist mit Jesus so vertraut, dass er sogar sein Brot in die gleiche Schüssel tunkt. Wer aber mag dieser Verräter sein? Keiner der Zwölf vermutet, dass Judas dies sein könnte, Jesus aber weiß es. Aber er lässt ihn gewähren.

Während des Mahls nahm er das Brot und sprach den Lobpreis; dann brach er das Brot, reichte es ihnen und sagte: Nehmt, das ist mein Leib. Dann nahm er den Kelch, sprach das Dankgebet, gab ihn den Jüngern und sie tranken alle daraus. Und er sagte zu ihnen: Das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird. Amen, ich sage euch: Ich werde nicht mehr von der Frucht des Weinstocks trinken bis zu dem Tag, an dem ich von Neuem davon trinke im Reich Gottes. (Mk 14,22-25)

Das Pascha-Mahl Jesu mit seinen Jüngern ist kein gewöhnliches Pascha-Mahl. Hier geschieht nicht die Erinnerung an den Auszug aus Ägypten, nicht die Erinnerung an den alten Bund, den Gott mit seinem Volk geschlossen hat, sondern es wird ein neuer Bund gestiftet, der mit Jesu Blut besiegelt wird. Von nun an werden sich seine Jünger vereinen zur Feier der Eucharistie, in der Jesus in den Zeichen von Brot und Wein durch alle Zeiten hindurch gegenwärtig bleiben wird.

Nach dem Lobgesang gingen sie zum Ölberg hinaus. Da sagte Jesus zu ihnen: Ihr werdet alle Anstoß nehmen; denn in der Schrift steht: Ich werde den Hirten erschlagen, dann werden sich die Schafe zerstreuen. Aber nach meiner Auferstehung werde ich euch nach Galiläa vorausgehen. Da sagte Petrus zu ihm: Auch wenn alle Anstoß nehmen - ich nicht! Jesus sagte ihm: Amen, ich sage dir: Heute, in dieser Nacht, ehe der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Petrus aber beteuerte: Und wenn ich mit dir sterben müsste - ich werde dich nie verleugnen. Das gleiche sagten auch alle anderen. (Mk 14,26-31)

Nach dem Mahl gehen sie zum Ölberg hinaus. Die Festvorschriften verbieten es, dass sich Jesus mit seinen Jüngern wie sonst nach Betanien zurückzieht. Wer in Jerusalem das Paschafest feiert, darf den näheren Umkreis der Stadt nicht verlassen. Der weiteste erlaubte Weg ist der zum Ölberg. Jesus weiß, was nun geschehen wird.