2.Timotheus 3,10-4,22

Beweis der Treue

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Heilige Schrift
Du aber bist mir gefolgt in der Lehre, im Leben und Streben, im Glauben, in der Langmut, der Liebe und der Ausdauer, in den Verfolgungen und Leiden, denen ich in Antiochia, Ikonion und Lystra ausgesetzt war. Welche Verfolgungen habe ich erduldet! Und aus allen hat der Herr mich errettet. Aber auch alle, die in der Gemeinschaft mit Christus Jesus ein frommes Leben führen wollen, werden verfolgt werden. Böse Menschen und Schwindler dagegen werden immer mehr in das Böse hineingeraten; sie sind betrogene Betrüger. (2Tim 3,10-13)

Glaube bedeutet immer auch Verfolgung und Anfechtung, denn er steht stets im Gegensatz zum Mainstream der Gesellschaft. Wenn der Glaube sich zu sehr dem Zeitgeist anpasst, verliert er seine Kraft, wird beliebig und austauschbar. Gerade das erleben wir heute. Der Gläubige wird zum Gutmenschen, der sich die an sich guten Eigenschaften der Toleranz und Mitmenschlichkeit zu Eigen macht, die viele in unserer Gesellschaft teilen. Aber wozu muss der Mensch dann noch Christ sein? Genügt es nicht einfach, ein gutes Leben zu führen? Sind nicht die unterschiedlichen Religionen schuld daran, dass die Menschen nicht zusammen finden?
Wir erleben aber immer stärker, dass die "guten" Bewegungen selbst zu Doktrinen werden. Es werden Regeln aufgestellt, wer dazu gehört und wer nicht. Wer die Ansichten dieser Bewegungen nicht teilt, wird ausgegrenzt und niedergebrüllt. Das, was man anderen, insbesondere auch der Kirche, vorgeworfen hat, praktiziert man nun selbst in einem immer stärkeren Ausmaß. Vielleicht entsteht hier gerade eine neue Volksreligion des Gutmenschentums, eine vermeintlich zeitgemäße Religion, die ganz ohne Gott auskommt. Hier gilt es vorsichtig zu sein und sich nicht täuschen zu lassen von den vermeintlich guten Absichten der neuen selbsternannten Propheten.

Du aber bleibe bei dem, was du gelernt und wovon du dich überzeugt hast. Du weißt, von wem du es gelernt hast; denn du kennst von Kindheit an die Heiligen Schriften, die dich weise machen können zum Heil durch den Glauben an Christus Jesus. Jede Schrift ist, als von Gott eingegeben, auch nützlich zur Belehrung, zur Widerlegung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, damit der Mensch Gottes gerüstet ist, ausgerüstet zu jedem guten Werk. (2Tim 3,14-17)

Diese Worte, die Paulus an Timotheus schreibt, lösen in mir positive und negative Empfindungen aus. Zum einen ist das "Bleiben" bei dem Überlieferten und Gelernten gut und wichtig, zum anderen aber hat jede Zeit, und ich denke besonders auch die heutige mit ihren raschen globalen Veränderungen, ihre ganz eigenen neuen Herausforderungen und Fragen, die wir nicht allein mit den Argumenten aus früheren Zeiten beantworten können.
Blicken wir zunächst kurz auf den historischen Kontext, in dem die Pastoralbriefe, zu denen auch der Zweite Timotheusbrief gehört, entstanden sind. Der Brief nennt den Apostel Paulus als Verfasser und Timotheus, einen an vielen Stellen des Neuen Testaments erwähnten engen Mitarbeiter des Paulus, als Adressaten. In der modernen Exegese geht man davon aus, dass dieses Konstrukt eine Fiktion ist. Der Name des Paulus wird verwendet, um dem Schreiben eines anonymen Autors, der in der Tradition des Paulus steht, eine größere Bedeutung zu verleihen. Diese Praxis war in der Antike nicht ungewöhnlich. Wahrscheinlich ist der Brief erst an der Wende vom 1. zum 2. Jahrhundert entstanden.
Ein Indiz für den pseudepigraphischen Charakter des Briefes, wie man diese Fiktion in der Fachsprache nennt, sind die von den "echten" Paulusbriefen stark abweichenden Formulierungen und Schwerpunkte. Während man bei den "echten" Paulusbriefen die Lebendigkeit des Anfangs spüren kann und Paulus sich vor allem damit auseinandersetzt, was Gnade und Erlösung für uns bedeuten, oft im Vergleich mit dem "Gesetz" der Juden, mit dem auch Paulus aufgewachsen ist, geht es in den Pastoralbriefen um die Auseinandersetzung mit Irrlehrern aus dem Bereich der Gnosis, um Endzeiterwartungen und den Ausbau einer hierarchischen Gemeindestruktur. Der Glaube ist nicht mehr neu in den Gemeinden, wie bei der Mission des Paulus, sondern kann bereits auf eine gewisse Tradition zurückblicken.
Die Heiligen Schriften, von denen hier die Rede ist, sind in erster Linie die Schriften des Alten Testaments. Sie weisen hin auf Jesus Christus. Für die ersten Christen war es besonders wichtig zu zeigen, dass Jesus Christus der Messias ist, in dem die Verheißungen der Propheten ihre Erfüllung finden. Wer die Heiligen Schriften studiert, findet in ihnen den Beleg dafür, dass das, was Paulus und die anderen Apostel über Jesus Christus lehren, der Wahrheit entspricht, und er findet in ihnen auch die Argumente dafür, dass die verschiedenen Irrlehrer, sei es aus dem Bereich des Judentums oder der Gnosis, nicht in der Tradition der Wahrheit stehen.
Somit muss das "Bleiben" in der Tradition nicht unbedingt rückständig sein. Nur wer das Alte gelernt hat, kann dem Neuen begegnen. Es gibt eine Wahrheit, die durch alle Veränderungen der Geschichte hindurch feststeht. Sie zeigt uns den Menschen als von Gott geschaffenes und auf Gott hin ausgerichtetes Wesen und sie zeigt uns Gott als den Menschen zugewandt, so sehr, dass er in Jesus Christus Mensch wird, um uns zu begegnen und uns den Weg zum wahren Menschsein zu zeigen.
Aber wie können wir heute an einen Gott glauben, der den Menschen erschaffen hat? Wir wissen heute, dass die Schöpfungsberichte der Bibel nur Mythen sind. Wir wissen heute, dass die Welt nicht in sechs Tagen erschaffen worden ist, sondern dass es Milliarden von Jahren gedauert hat, bis die Erde zu einem bewohnbaren Planeten geworden ist. Wir wissen, dass die Erde im Universum keinerlei Sonderstellung hat. Wir sind nicht der Mittelpunkt der Welt, wie es bis vor nicht allzu langer Zeit allgemeiner Konsens war. Warum sollte gerade der Mensch, ein kleines Lebewesen auf einem im Nirgendwo eines riesigen Universums gelegenen Planeten solch eine Bedeutung haben, dass er Gottes Ebenbild ist? Und noch drängender die Frage: Gibt es überhaupt so etwas wie einen Gott im Universum?
Können wir solche Fragen einfach wegwischen mit dem Hinweis, dass die Heiligen Schriften es uns doch so lehren, dass es diesen Gott gibt? Nicht allein der Hinweis auf das Alter dieser Schriften ist Beleg für ihren Wahrheitsgehalt. Ich glaube vielmehr, dass es darauf ankommt, diese Schriften immer wieder neu mit Leben zu füllen. Wichtigstes Argument für Gott ist meiner Ansicht nach die Erfahrung jedes Menschen, der sich wirklich auf ein Leben mit Gott einlässt, dass dieser Gott zu allen Zeiten hält, was er verheißen hat. Gott schafft auch heute Leben, schenkt uns erfülltes Leben, wenn wir ihn zum Herrn unseres Lebens machen.
Die Heiligen Schriften, die Überlieferung der Kirche, das Zeugnis der Heiligen, all das zeigt uns den Weg, wie wir Gott finden, ihm begegnen können, wie es uns gelingt, mit ihm zu leben. Wir können glauben, dass Gott nicht existiert und so leben, als gäbe es ihm nicht. Aber wir können auch daran glauben, dass Gott existiert und so leben, dass er der Herr unseres Lebens ist. Nur wer sich auf das Abenteuer des Glaubens einlässt, kann Gott begegnen und die Erfahrung machen, dass es sich lohnt, den Weg mit ihm zu gehen.
Nur wer selbst lernt, Erfahrungen macht und so zu einer Überzeugung kommt, kann anderen Zeugnis geben. Verbinden wir das Alte mit dem Neuen, vor allem machen wir uns selbst auf den Weg mit diesem Gott, damit wir auch heute Zeugnis geben können vom Heil, das dieser Gott den Menschen schenken möchte. Die Zeit drängt und an jeden von uns ist der Aufruf aus dem Zweiten Timotheusbrief gerichtet:

Ich beschwöre dich bei Gott und bei Christus Jesus, dem kommenden Richter der Lebenden und der Toten, bei seinem Erscheinen und bei seinem Reich: Verkünde das Wort, tritt auf, ob gelegen oder ungelegen, überführe, weise zurecht, ermahne, in aller Geduld und Belehrung! (2Tim 4,1-2)
Verloren im Universum
oder geborgen bei Gott?
Für alles offen
oder auf der Suche nach dem einen Weg?
Verirrt
oder von Gott gefunden?
Nur Menschenworte
oder Gottes Wort, das lebendig ist?
Ich will leben
um zu erfahren
ich will erfahren
um Zeugnis zu geben
für das Leben
und den Gott des Lebens.
Amen.