1 Korinther 10,14-11,1

Toleranz

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Darum, liebe Brüder, meidet den Götzendienst! Ich rede doch zu verständigen Menschen; urteilt selbst über das, was ich sage. Ist der Kelch des Segens, über den wir den Segen sprechen, nicht Teilhabe am Blut Christi? Ist das Brot, das wir brechen, nicht Teilhabe am Leib Christi? Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib; denn wir alle haben teil an dem einen Brot. Schaut auf das irdische Israel: Haben die, welche von den Opfern essen, nicht teil am Altar? Was meine ich damit? Ist denn Götzenopferfleisch wirklich etwas? Oder ist ein Götze wirklich etwas? Nein, aber was man dort opfert, opfert man nicht Gott, sondern den Dämonen. Ich will jedoch nicht, dass ihr euch mit Dämonen einlasst. Ihr könnt nicht den Kelch des Herrn trinken und den Kelch der Dämonen. Ihr könnt nicht Gäste sein am Tisch des Herrn und am Tisch der Dämonen. Oder wollen wir die Eifersucht des Herrn wecken ? Sind wir stärker als er?
"Alles ist erlaubt" - aber nicht alles nützt. "Alles ist erlaubt" - aber nicht alles baut auf. Denkt dabei nicht an euch selbst, sondern an die anderen. Alles, was auf dem Fleischmarkt verkauft wird, das esst, ohne aus Gewissenhaftigkeit nachzuforschen. Denn dem Herrn gehört die Erde und was sie erfüllt. Wenn ein Ungläubiger euch einlädt und ihr hingehen möchtet, dann esst, was euch vorgesetzt wird, ohne aus Gewissensgründen nachzuforschen. Wenn euch aber jemand darauf hinweist: Das ist Opferfleisch!, dann esst nicht davon, mit Rücksicht auf den, der euch aufmerksam macht, und auf das Gewissen; ich meine das Gewissen des anderen, nicht das eigene; denn (an sich gilt): Warum soll meine Freiheit vom Gewissensurteil eines anderen abhängig sein? Wenn ich in Dankbarkeit mitesse, soll ich dann getadelt werden, dass ich etwas esse, wofür ich Dank sage? (1Kor 10,14-30)
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Toleranz
Ob ihr esst oder trinkt oder etwas anderes tut: tut alles zur Verherrlichung Gottes! (1Kor 10,31)

Diser Ausschnitt aus dem Ersten Korintherbrief hat mich dazu ermuntert, über das Thema Toleranz nachzudenken. Irgendwie scheint es zum Wesen des Menschen zu gehören, dass er seine Überzeugungen über die der anderen stellt. Das mag als persönliche Haltung noch nicht so sehr ins Gewicht fallen, wenn jedoch immer größere Gruppen eine gewisse Überzeugung teilen und diese nach außen hin propagieren, kann das schnell zur Ausgrenzung und Unterdrückung Andersdenkender führen. Ich denke, Beispiele dafür kennt jeder genug. Es hat vielleicht noch nie eine wirklich tolerante Gesellschaft gegeben.
Was aber meint Toleranz? Wirkliche Toleranz bedeutet nicht, dass man seine eigenen Überzeugungen aufgibt, und sich in einer diffusen Masse eines "alles ist erlaubt" auflöst. Tolerant kann nur sein, wer selbst Überzeugungen hat. Andernfalls wird er einem Menschen mit Überzeugungen eher mit Unverständnis als mit Toleranz begegnen.
Toleranz bedeutet, Respekt zu haben vor der Überzeugung des anderen, auch wenn ich selbst anderer Ansicht bin. Auch wenn die Überzeugung des anderen nicht meine eigene ist, begegne ich dieser doch mit Achtung und vielleicht auch Interesse.
Im religiösen Sinn kann das beispielsweise bedeuten, dass ich mich an Orten, die einer Religion heilig sind, die nicht meine eigene ist, respektvoll verhalte. Ich nehme Rücksicht auf das religiöse Empfinden anderer, mehr noch, ich begegne diesem mit Achtung. Das bedeutet keineswegs, dass ich dadurch meinen eigenen Glauben verleugne. Vielmehr bringe ich den heiligen Orten anderer Religionen den Respekt entgegen, den ich aus eigener Überzeugung auch für die heiligen Orte meiner eigenen Religion erwarte.
So ähnlich muss Paulus es gemeint haben, als er schrieb:

Gebt weder Juden noch Griechen, noch der Kirche Gottes Anlass zu einem Vorwurf! (1Kor 10,32)

Die Christen haben sich von den strengen rituellen Vorschriften der Juden gelöst. Sie haben ihre eigenen Rituale entwickelt. Auch wenn sie nicht mehr wie Juden lebten, unterschieden sich die Christen doch grundlegend von den Heiden. Wer in der jungen Kirche als Christ leben wollte, musste zwar nicht nach Art der Juden leben, sich aber dennoch deutlich von der Lebensweise der Heiden distanzieren. Wenn aber alle diese Gruppen im Alltag friedlich zusammen leben wollten, mussten sie einander mit Respekt begegnen.
Nur selten hat in der Geschichte die Koexistenz verschiedener religiöser Gruppen auf engstem Raum wirklich funktioniert. Wir erleben es heute wieder, welch negative Energien religiöser Fanatismus freisetzen kann. Wir spüren es aber vielleicht in uns selbst, wie schwer es uns fällt, hier zu differenzieren, wie sich unsere Wut über solchen Fanatismus nicht nur auf die Fanatiker, sondern auch auf die Religion an sich, in der dieser Fanatismus geschieht, richtet. Hier werden leicht immer unüberwindlichere Mauern von Vorurteilen aufgebaut.

Auch ich suche allen in allem entgegenzukommen; ich suche nicht meinen Nutzen, sondern den Nutzen aller, damit sie gerettet werden. (1Kor 10,33)

Dieses Wort des Apostels sollte uns leiten. Hinter jedem Fanatismus steckt Eigennutz. Oft dient hier die Religion nur als Vorwand für rein weltliches Streben nach Macht. Gewalt und Hass können nie Inhalt einer wahren Religion sein. Gottesdienst führt nicht in die Versklavung, sondern dient der Freiheit des Menschen. Unterdrückung entspringt nicht dem Willen Gottes, sondern der Machtgier der Menschen, die Gott für ihre Ziele missbrauchen.
Nicht Eigennutz, sondern Nutzen aller. Das Wohl der Gesellschaft wächst, je mehr es allen gut geht. Wo Menschen aus Eigennutz handeln, entsteht eine Schieflage. Schließlich meint jeder, nur auf sich schauen zu müssen, um zu seinem Recht zu kommen. Das Misstrauen wächst und es wird kälter.
Den Mut haben, zu schenken, wo alle nur haben wollen, den Mut haben, zu verzeihen, wo alle nur ihr Recht einfordern, den Mut haben, zu verzichten, wo alle nur ihren Spaß haben wollen. Unsere Gesellschaft braucht Menschen mit Überzeugungen. Nur sie sind auch zu wahrer Toleranz fähig.

Wer bin ich, dass ich einen Platz in deinem Herzen,
in deinem Haus, in deinem Reich verdiente?
Wer bin ich, dass ich auf deine Vergebung,
deine Freundschaft, deine Umarmung hoffen darf?
Dennoch erwarte ich es, sehne mich danach, zähle darauf.
Nicht wegen meiner eigenen Verdienste,
sondern allein wegen deiner unendlichen Barmherzigkeit.
O Herr, du bist der Gerechte, der Gesegnete,
der Geliebte, der Rechtschaffene, der Gnadenreiche.
Hilf mir, dir zu folgen, mein Leben mit deinem Leben
zu vereinen und ein Spiegel deiner Liebe zu werden.
(Henri J. M. Nouwen)
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Vorbild
Nehmt mich zum Vorbild, wie ich Christus zum Vorbild nehme. (1Kor 11,1)

Vorbilder, gibt es die heute noch?
Wenn wir Kinder und Jugendliche fragen, wen sie sich als Vorbild ausgesucht haben, welche Antworten werden wir bekommen?
Wie viele von ihnen werden einen bestimmten Heiligen nennen, den sie als Vorbild betrachten?
Wer ist für mich Vorbild?
Und eine andere Frage an jeden von uns: lebe ich selbst so, dass ich Vorbild bin?
Vorbilder müssen ansprechend sein.
Wer Vorbild sein will, muss sich selbst auch immer wieder hinterfragen.
Wenn wir Vorbild im Glauben sein wollen, müssen wir uns an dem einzigen Bild orientieren, das uns Gott gegeben hat: seinen Sohn. Er hat uns gezeigt, wie Gott ist.
Jesus Christus, wie ihn uns die Evangelien zeigen, wie ihn uns die Kirche verstehen lehrt, ist das Bild Gottes, an dem wir uns immer wieder neu orientieren müssen.
Das können wir, weil Jesus, der Sohn Gottes, zugleich das vollkommene Bild von einem Menschen ist, einem Menschen, der nach dem Bild Gottes geschaffen ist.
Wir tragen Gottes Bild in uns und sind berufen, dieses Bild rein und heilig zu halten.
Es ist ein hoher Anspruch, der in dem Satz des Paulus steckt. Prüfen wir uns selbst immer wieder und fragen wir in jeder Situation: Was hätte Christus getan? Ist mein Handeln so, dass es für andere nachahmenswert ist? Täuschen wir uns nicht: jede noch so unscheinbare Begebenheit in unserem Leben ist bedeutsam und es gilt immer aufmerksam zu sein. Doch wie oft denken wir: ach, es ist doch nicht so schlimm, wenn ich es mal nicht so wichtig mit diesem oder jenem nehme, das nächste Mal kann ich mir ja wieder mehr Mühe geben. Es erfordert ein ständiges Ringen mit unserer Trägheit, um nicht in eine unchristliche Lauheit zu verfallen, die unser Leben für niemanden nachahmenswert macht.
Für viele große Heilige stand diese Überwindung innerer und äußerer Grenzen am Beginn ihres Weges zur Heiligkeit in der Nachfolge Jesu. Der Heilige Martin teilt mit dem verachteten Bettler am Stadttor seinen Mantel, Franziskus überwindet seinen inneren Ekel und küsst den Leprakranken. Sie sind dadurch frei geworden, dass sie ihre inneren Grenzen gesprengt haben, sie haben anderen Hoffnung und Zuversicht gegeben und sie sind in dem ausgestoßenen Menschen Jesus Christus selbst begegnet.
Vielleicht haben wir es selbst schon erlebt, dass wir in Situationen waren, wo wir auf einen solchen ausgegrenzten Menschen hätten zugehen können, aber unsere inneren Grenzen und Hemmungen nicht überwinden konnten. Neben unserem Gebet für Menschen in Not und Leid wollen wir daher auch für uns selbst beten, dass es uns gelingt, auf andere zuzugehen, wie Jesus es getan hat.
Herr Jesus, hilf mir, so wie du die Not der Menschen zu sehen und mich ganz auf die Seite der Ausgestoßenen und Hilfsbedürftigen zu stellen.