1Könige 3,1-5,14

Salomos Weisheit

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Heilige Schrift
Salomo verschwägerte sich mit dem Pharao, dem König von Ägypten. Er nahm eine Tochter des Pharao zur Frau und brachte sie in die Davidstadt, bis er sein Haus, das Haus des Herrn und die Mauern rings um Jerusalem vollendet hatte.
Das Volk opferte zu jener Zeit auf den Kulthöhen, weil dem Namen des Herrn noch kein Haus gebaut war. Salomo aber liebte den Herrn und befolgte die Gebote seines Vaters David; nur brachte er auf den Kulthöhen Schlachtopfer und Rauchopfer dar. So ging der König nach Gibeon, um dort zu opfern; denn hier war die angesehenste Kulthöhe. Tausend Brandopfer legte Salomo auf ihren Altar. In Gibeon erschien der Herr dem Salomo nachts im Traum und forderte ihn auf: Sprich eine Bitte aus, die ich dir gewähren soll. (1Kön 3,1-5)

König Salomo entwickelt sich zu einem mächtigen Herrscher. Sogar der mächtige Pharao von Ägypten gibt ihm eine seiner Töchter zur Frau, was dessen Respekt für Salomo zum Ausdruck bringt. Obwohl sie andere Götter verehrt, finden wir hier keine Kritik an diesem Verhalten des Königs. Salomo bleibt dem Herrn treu. Erst gegen Ende seines Lebens werden ihn die ausländischen Frauen zum Götzendienst verführen.
In Israel gab es zu Beginn der Herrschaft Salomos noch kein zentrales Heiligtum. König David war es verwehrt, dem Herrn in Jerusalem einen Tempel zu bauen. Erst sein Sohn und Nachfolger Salomo wird den Tempel in Jerusalem errichten. Noch verehrt das Volk seinen Gott an verschiedenen heiligen Orten. Einer dieser Kultorte ist in Gibeon. Dorthin geht auch Salomo, um dem Herrn sein Opfer darzubringen. Dort erscheint der Herr dem König, der ganz am Beginn seiner Regierungszeit steht, im Traum. Träume sind seit alters her eine Form, wie Gott sich den Menschen offenbart.
Salomo hatte sich vorbereitet. Frisch gewaschen, kein einziger Fleck auf seiner Kleidung, ein Wohlgeruch umströmte ihn. So näherte er sich dem besonderen Ort. Was dann geschah, übertraf alle seine Erwartungen. Es kam zu einem traumhaften Gespräch zwischen ihm und Gott im Dunkel der Nacht. Ein unsichtbares Band zwischen Bitten und Erfüllen, ein Bund, zu Gottes Bedingungen, der gibt, worum du nicht gebeten hast, der aber erwartet, dass du das erbittest, was er als erstes geben will, das was hinter dem Vordergründigen steht und dieses übertrifft.

Salomo antwortete: Du hast deinem Knecht David, meinem Vater, große Huld erwiesen; denn er lebte vor dir in Treue, in Gerechtigkeit und mit aufrichtigem Herzen. Du hast ihm diese große Huld bewahrt und ihm einen Sohn geschenkt, der heute auf seinem Thron sitzt. So hast du jetzt, Herr, mein Gott, deinen Knecht anstelle meines Vaters David zum König gemacht. Doch ich bin noch sehr jung und weiß nicht, wie ich mich als König verhalten soll. Dein Knecht steht aber mitten in deinem Volk, das du erwählt hast: einem großen Volk, das man wegen seiner Menge nicht zählen und nicht schätzen kann. Verleih daher deinem Knecht ein hörendes Herz, damit er dein Volk zu regieren und das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht. Wer könnte sonst dieses mächtige Volk regieren? (1Kön 3,6-9)

Salomo darf vor Gott eine Bitte aussprechen. Zunächst aber dankt er Gott für das, was er an ihm getan hat. Gott hat seinem Vater David seine Huld erwiesen und ein Zeichen dieser Huld ist es, dass nun Davids Sohn Salomo auf dem Thron Israels sitzen darf. David galt als weiser und vorbildlicher Herrscher, der zwar nicht ohne Fehler war, aber doch immer wieder zu Reue und Umkehr bereit war. Die von der Tradition dem König David zugeschriebenen Psalmen geben Einblick in dessen tiefen Glauben an den Gott Israels.
Salomo will seinem Vater ähnlich sein. Er ist noch sehr jung, ihm fehlt es an Erfahrung. Er weiß, dass er nur dann vor Gott und für das Volk ein guter Herrscher sein kann, wenn er Weisheit besitzt, wenn er das Gute vom Bösen zu unterscheiden vermag. Um diese Weisheit zu erlangen, benötig er ein hörendes Herz. Er muss dazu bereit sein, zu lernen, darf sich nicht gleich mit seinem jugendlichen Elan und Tatendrang in die Regierungsgeschäfte stürzen. Er muss den Rat erfahrener Männer prüfen und er muss bereit sein, auf das zu hören, was Gott zu ihm sagt.
Salomo hat ein offenes Ohr und Herz für Gott, das zeigt sich bereits darin, dass Gott zu ihm im Traum sprechen kann. Diese Offenheit für Gott muss er sich bewahren und sie vertiefen. Er darf sich nicht von Macht, Reichtum und Erfolg blenden lassen. Er muss sich immer dessen bewusst sein, dass er dies nicht durch eigene Kraft erwerben und bewahren kann, sondern dass alles ein Geschenk Gottes ist, das er auch im Namen Gottes verwalten soll.
König Salomo wird hier zu einem idealen Herrscher stilisiert, zugleich aber zeigt die Bibel von Salomo ein ambivalentes Bild. Er macht Israel mächtig, aber nach seinem Tod zerfällt das Reich, der unermessliche Reichtum Salomos, von dem die Bibel berichtet, war nicht nur durch Weisheit, sondern zu einem großen Teil auch durch Ausbeutung erworben. Salomo besaß eine Autorität und Machtfülle, an die seine Nachfolger nie mehr herankamen.
Sicher wussten die Verfasser dieses Textes um diese Ambivalenz. Vielleicht sind die Worte, die sie Salomo in den Mund legen, eher Wunsch als Wirklichkeit, ein Wunsch an spätere Könige, dass sie so handeln mögen, wie es hier von Salomo heißt. Doch nicht nur Könige, sondern jeder Mensch sollte so vor Gott sein, wie dieser idealisierte König Salomo.
In Märchen und anderen Geschichten begegnet uns oft das Bild vom einen freien Wunsch oder den drei freien Wünschen. Nicht immer können die Menschen damit klug umgehen. Manche Wünsche erweisen sich, wenn sie in Erfüllung gehen, eher als Fluch denn als Segen. So wäre König Midas fast verhungert, weil sein Wunsch in Erfüllung ging, dass alles, was er berührt, zu Gold wird. Wenn wir wirklich sehnsüchtige Wünsche haben, gilt es tiefer zu blicken und die Folgen zu bedenken. Was kann uns wirklich glücklich machen?
Das hörende Herz, das sich König Salomo wünscht, kann ihn glücklich machen. Ein hörendes Herz, das bedeutet, dass er nicht von Anfang an alles weiß. Aber wenn er hören kann, zeigt ihm Gott durch seine innere Stimme stets das, was in einer Situation wichtig ist. Wir kennen diese innere Stimme. Plötzlich haben wir einen Geistesblitz und entdecken, wonach wir lange gesucht haben, oder wir werden vor einer Gefahr gewarnt, oder bei einer Entscheidung zeigt sich ein Weg. Doch da sind noch die vielen anderen Stimmen. Die Weisheit besteht darin, aus den vielen Stimmen die eine richtige zu hören und auch zu verstehen, was diese Stimme uns sagen will.
Ein hörendes Herz, das bezieht sich nicht nur auf unseren Umgang mit Gott, sondern auf den Umgang mit der Wirklichkeit überhaupt und mit anderen Menschen. Ein hörendes Herz heißt im Umgang mit anderen Menschen achtsame Liebe. Das bedeutet, die Andersheit des Anderen wirklich wahrzunehmen und ihn so zu verstehen, wie er ist. Nicht einfach nur gute Ratschläge zu erteilen, sondern zu erkennen, was ein anderer Mensch wirklich braucht. Ein hörendes Herz sieht die Welt nicht als Ziel der Ausbeutung des Menschen, sondern als Gottes gute Schöpfung, die es zu pflegen und zu bewahren gilt.

Herr, schenke auch mir ein hörendes Herz, das auf deine Stimme achtet. Lass mich nicht auf die Stimmen hören, die mich dazu drängen, immer mehr zu besitzen, lass mich nicht auf die Stimmen hören, die über andere lästern, lass mich nicht auf die Stimmen hören, die mir Angst machen wollen, vor dem was kommt. Lass mich auf deine Stimme hören, die mir zeigt, was wirklich wichtig ist im Leben, lass mich mit deinem Blick der Liebe auf die Menschen schauen und gib mir die Zuversicht, dass du in allem, was geschieht, zu mir sprichst und du alles zum Guten führen wirst, wenn ich auf dich vertraue. Amen.
Es gefiel dem Herrn, dass Salomo diese Bitte aussprach. Daher antwortete ihm Gott: Weil du gerade diese Bitte ausgesprochen hast und nicht um langes Leben, Reichtum oder um den Tod deiner Feinde, sondern um Einsicht gebeten hast, um auf das Recht zu hören, werde ich deine Bitte erfüllen. Sieh, ich gebe dir ein so weises und verständiges Herz, dass keiner vor dir war und keiner nach dir kommen wird, der dir gleicht. Aber auch das, was du nicht erbeten hast, will ich dir geben: Reichtum und Ehre, sodass zu deinen Lebzeiten keiner unter den Königen dir gleicht. Wenn du auf meinen Wegen gehst, meine Gesetze und Gebote befolgst wie dein Vater David, dann schenke ich dir ein langes Leben. Da erwachte Salomo und merkte, dass es ein Traum war. Als er nach Jerusalem kam, trat er vor die Bundeslade des Herrn, brachte Brand- und Heilsopfer dar und gab ein Festmahl für alle seine Diener. (1Kön 3,10-15)

Gott gefällt es, dass Salomo diesen Wunsch geäußert hat. Er wird ihm die Weisheit, um die er gebeten hat, schenken. Doch Gott wird ihm auch all das andere geben, das er nicht erbeten hat, Reichtum und Ehre und die Macht, ein großes Reich zu regieren.
Die Weisheit Salomos ist sprichwörtlich geworden. Die Bücher Weisheit, Sprichwörter und Kohelet werden Salomo zugeschrieben, auch wenn man heute weiß, dass sie wahrscheinlich erst viel später entstanden sind. Die Wendung "salomonisches Urteil" meint bis heute ein "kluges, von viel Einsicht zeugendes, durch seine Ausgewogenheit verblüffendes Urteil".
Man brachte zwei Dirnen vor König Salomo. Beide lebten im gleichen Haus und gebaren zur gleichen Zeit ein Kind. Eines der Kinder aber starb und nun behauptete jede der beiden Frauen, dass das lebende Kind ihres ist. Da es keine Zeugen gab, war es schwierig zu entscheiden, welche Frau nun die Mutter des lebenden Kindes ist. König Salomo findet aber dennoch die rechtmäßige Mutter heraus:

Und der König fuhr fort: Holt mir ein Schwert! Man brachte es vor den König. Nun entschied er: Schneidet das lebende Kind entzwei und gebt eine Hälfte der einen und eine Hälfte der anderen! Doch nun bat die Mutter des lebenden Kindes den König - es regte sich nämlich in ihr die mütterliche Liebe zu ihrem Kind: Bitte, Herr, gebt ihr das lebende Kind und tötet es nicht! Doch die andere rief: Es soll weder mir noch dir gehören. Zerteilt es! Da befahl der König: Gebt jener das lebende Kind und tötet es nicht; denn sie ist seine Mutter.
Ganz Israel hörte von dem Urteil, das der König gefällt hatte, und sie schauten mit Ehrfurcht zu ihm auf; denn sie erkannten, dass die Weisheit Gottes in ihm war, wenn er Recht sprach. (1Kön 3,24-28)

Neben seiner Urteilsfähigkeit gehörte auch das Wissen um eine effektive Herrschaft zur Weisheit Salomos. Die Bibel übertrifft sich in Superlativen, um den Überfluss zu beschreiben, in dem das Land unter König Salomo lebte. Doch auch die schönen Künste verachtete er nicht. Er schrieb selbst Lieder und auch naturkundliches Wissen gehörte zu seiner Weisheit.

Gott gab Salomo Weisheit und Einsicht in hohem Maß und Weite des Herzens - wie Sand am Strand des Meeres. Die Weisheit Salomos war größer als die Weisheit aller Söhne des Ostens und alle Weisheit Ägyptens. Er war weiser als alle Menschen, weiser als Etan, der Esrachiter, als Heman, Kalkol und Darda, die Söhne Mahols. Sein Name war bekannt bei allen Völkern ringsum. Er verfasste dreitausend Sprichwörter und die Zahl seiner Lieder betrug tausendundfünf. Er redete über die Bäume, von der Zeder auf dem Libanon bis zum Ysop, der an der Mauer wächst. Er redete über das Vieh, die Vögel, das Gewürm und die Fische. Von allen Völkern kamen Leute, um die Weisheit Salomos zu hören, Abgesandte von allen Königen der Erde, die von seiner Weisheit vernommen hatten. (1Kön 5,9-14)