
Als Jesus seine Reden beendet hatte, sagte er zu seinen Jüngern: Ihr wisst, dass in zwei Tagen das Paschafest beginnt; da wird der Menschensohn ausgeliefert und gekreuzigt werden. (Mt 16,1-2)
Jesus hat vor seinen Jüngern eine lange Rede gehalten. In ihr ging es um die Endzeit, die kommende Not, die der Wiederkunft des Menschensohnes voraus gehen wird. Nur wer wachsam ist, wird gerettet. Das macht Jesus an mehreren Gleichnissen deutlich. Am Ende der Rede steht das Gleichnis vom Weltgericht.
Jesus bereitet seine Jünger auf die Zeit vor, in der er nicht mehr bei ihnen sein wird, und diese Zeit steht nahe bevor. Nur noch zwei Tage sind es bis zum Beginn des Paschafestes. An diesem Fest wird der Herr sein Leben hingeben als Opferlamm, das die Sünde der Welt hinwegnimmt.
Um die gleiche Zeit versammelten sich die Hohenpriester und die Ältesten des Volkes im Palast des Hohenpriesters, der Kajaphas hieß, und beschlossen, Jesus mit List in ihre Gewalt zu bringen und ihn zu töten. Sie sagten aber: Ja nicht am Fest, damit kein Aufruhr im Volk entsteht. (Mt 26,3-5)
Während Jesus mit seinen Jüngern im vertrauten Gespräch ist, werden andernorts heimliche Gespräche geführt. Die Hohenpriester und Ältesten halten eine Versammlung ab, in der sie den Tod Jesu beschließen. Jetzt ist Jesus in Jerusalem, jetzt müssen sie zugreifen, bevor er wieder nach Galiläa geht und ihren Machtbereich verlässt. Doch wie sollen sie Jesus verhaften? Ihn einfach während seiner Reden abzuführen, würde einen Aufruhr im Volk auslösen. Das wollen sie verhindern. Die Stimmung in Jerusalem ist sowieso zum Paschafest schon aufgeheizt wegen all der Pilger, die in der Stadt sind. Doch es wird sich eine Lösung finden.
Als Jesus in Betanien im Haus Simons des Aussätzigen bei Tisch war, kam eine Frau mit einem Alabastergefäß voll kostbarem, wohlriechendem Öl zu ihm und goss es über sein Haar. Die Jünger wurden unwillig, als sie das sahen, und sagten: Wozu diese Verschwendung? Man hätte das Öl teuer verkaufen und das Geld den Armen geben können. Jesus bemerkte ihren Unwillen und sagte zu ihnen: Warum lasst ihr die Frau nicht in Ruhe? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. Denn die Armen habt ihr immer bei euch, mich aber habt ihr nicht immer. Als sie das Öl über mich goss, hat sie meinen Leib für das Begräbnis gesalbt. Amen, ich sage euch: Überall auf der Welt, wo dieses Evangelium verkündet wird, wird man sich an sie erinnern und erzählen, was sie getan hat. (Mt 26,6-13)
Von der Versammlung, auf der Jesu Tod beschlossen wird, wechselt der Evangelist die Perspektive wieder hin zu Jesus. Er hat mittlerweile mit seinen Jüngern die Stadt verlassen und ist im nahen Betanien bei Freunden eingekehrt. Der Gastgebet, Simon der Aussätzige, ist uns nicht weiter bekannt. Vielleicht aber war er den Menschen zur Zeit des Matthäus noch vertraut, weshalb er hier mit Namen genannt wird. Sein Beiname "der Aussätzige" rührt möglicherweise daher, dass er durch Jesus vom Aussatz geheilt worden ist und das Andenken daran bewahren und zugleich Zeugnis geben möchte von Jesu Wundertaten.
Wenn wir die Evangelien miteinander vergleichen, so merken wir, dass hier verschiedene Traditionen vorliegen. Matthäus benutzt die Markus-Vorlage, nach der Jesus in Betanien im Haus Simons des Aussätzigen einkehrt, wo ihm eine nicht namentlich genannte Frau salbt. Nach dem Johannesevangelium begibt sich Jesus auch nach Betanien, kehrt dort aber bei seinen Freunden Marta, Maria und Lazarus ein, und es ist Maria, die ihn salbt. Lukas berichtet von der Salbung Jesu nicht im Zusammenhang mit der Passion sondern weit früher, während Jesu wirken in Galiläa. Auch dort geschieht die Salbung im Haus eines Simon, der aber als Pharisäer gekennzeichnet wird.
Wir sehen hier deutlich, wie die einzelnen Evangelisten mündlich überlieferte oder bereits schon schriftlich fixierte Berichte über Jesus verwenden, und in ihre Evangelien einbauen. Die Salbung in Betanien im Rahmen der Passion als Vorausbild der Totensalbung Jesu zu sehen ist sinnvoll. Zugleich könnte der Streit um das vermeintlich sinnlos vergeudete Öl der Anlass dafür gewesen sein, dass Judas Iskariot endgültig entscheidet, dass es so nicht mehr weiter gehen kann. Johannes stellt diese These auf, während bei den anderen Evangelisten alle Jünger ihr Unverständnis über die Verschwendung des Öls äußern.
Sorge für die Armen oder sinnfreies Opfer, was ist wichtiger? Ich denke, diese Frage ist falsch gestellt, ebenso wie manche Kritik am Reichtum der Kirche unangebracht ist. Oft hört man Menschen sagen, die Kirche solle doch mehr den Armen geben, anstatt prächtige Kirchen zu bauen oder wertvolle Kelche und Gewänder für den Gottesdienst anzuschaffen. Ich denke, beides hat seine Bedeutung. Verschwenderischer Reichtum steht der Kirche nicht zu, das stimmt. Aber zur Ehre Gottes ist es angebracht, dass das Gotteshaus und die liturgischen Gewänder auch einen gewissen künstlerischen Wert haben. Hilfe für die Armen und liturgischer Schmuck haben beide eine wesentliche Bedeutung für die Kirche. Das eine geht nicht ohne das andere. Aber dennoch gilt bis heute der Satz des heiligen Diakons Laurentius: "Die Armen sind der wahre Schatz der Kirche."
Darauf ging einer der Zwölf namens Judas Iskariot zu den Hohenpriestern und sagte: Was wollt ihr mir geben, wenn ich euch Jesus ausliefere? Und sie zahlten ihm dreißig Silberstücke. Von da an suchte er nach einer Gelegenheit, ihn auszuliefern. (Mt 26,14-16)
Eben haben die Jünger noch über das Geld diskutiert, dass durch die Verwendung des kostbaren Öls für Jesu Salbung scheinbar verloren gegangen ist, nun geht es wieder um Geld, genauer gesagt um Kopfgeld. Hat die Frau Jesu Kopf mit kostbarem Öl gesalbt und so geehrt, will Judas nun im schroffen Gegensatz dazu Kopfgeld dafür, dass er den Hohenpriestern einen günstigen Ort für die Festnahme Jesu verrät. Dreißig Silberstücke, eine nicht unbedeutende Summe. Doch das Geld wird Judas nicht glücklich machen. Das für Jesu Salbung scheinbar verlorene Geld aber wird einen unschätzbaren Wert bekommen.
Nach seinem Deal mit den Hohenpriestern kehrt Judas wieder zu den anderen zurück. Keiner der übrigen Jünger ahnt, was geschehen ist und in den nächsten Stunden geschehen wird. Nur Jesus weiß es. Meine Zeit ist da, so lässt er dem Besitzer des Hauses ausrichten, der für ihn und seine Jünger den Raum für das letzte Abendmahl zur Verfügung stellt.
Am ersten Tag des Festes der Ungesäuerten Brote gingen die Jünger zu Jesus und fragten: Wo sollen wir das Paschamahl für dich vorbereiten? Er antwortete: Geht in die Stadt zu dem und dem und sagt zu ihm: Der Meister lässt dir sagen: Meine Zeit ist da; bei dir will ich mit meinen Jüngern das Paschamahl feiern. Die Jünger taten, was Jesus ihnen aufgetragen hatte, und bereiteten das Paschamahl vor. (Mt 26,17-19)
Jesus sendet seine Jünger, um bei einem nicht namentlich genannten Bewohner Jerusalems einen Raum für ein Mahl zu organisieren. Der Evangelist spricht vom Paschamahl. Der Vorlage des Markus folgend geht er wie auch Lukas davon aus, dass das letzte Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern ein Paschamahl war. Bis heute versammeln sich die Juden, um im Gedenken des Auszuges aus Ägypten dieses Mahl nach einem festen Ritus zu feiern. Dabei wird ungesäuertes Brot gegessen, dazu Bitterkräuter und ein Lamm. Dieses wurde solange der Tempel bestand und wenn das Fest in Jerusalem gefeiert wurde, im Tempel geschlachtet. Während des Mahles wird vom Gastgeber nach einem festen Ritus ein Becher mit Wein herumgereicht und es werden bestimmte Gebete gesprochen und Lieder gesungen. Der Jüngste in der Familie stellt festgelegte Fragen über den Sinn des Festes, die vom Gastgebet beantwortet werden.
Wenn das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern ein Paschamahl am Vorabend des Festes war, wie es uns die Synoptiker überliefern, dann hat das zur Folge, dass Jesus am Tag des Festes gekreuzigt wurde. Johannes überliefert in seinem Evangelium eine andere Chronologie. Demnach wurde Jesus am Tag vor dem Paschafest gekreuzigt, genau zu der Zeit, als im Tempel die Lämmer geschlachtet wurden, die dann am Abend beim Paschamahl gegessen wurden. Jesus hat dieses Mahl demnach nicht mehr erlebt. Das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern ist demnach ein vorgezogenes Paschamahl, das Jesus im Wissen um seinen Tod mit seinen Jüngern gefeiert hat.
Alle Versuche, die Chronologie der Synoptiker mit der des Johannes in Einklang zu bringen, sind letztlich unbefriedigend. Wir müssen uns für eine Darstellung entscheiden. Ein wichtiges Argument gegen die Darstellung der Synoptiker ist die Tatsache, dass mitten am höchsten Festtag der Juden die Kreuzigung Jesu stattgefunden haben soll. Da diese in erster Linie von den Römern durchgeführt wurde, die mit dem Fest nichts zu tun hatten, wäre das nicht unmöglich. Fraglich bleibt aber doch, ob dies im Sinne der religiösen Führer der Juden gewesen wäre, die hauptsächlich diese Hinrichtung initiiert hatten.
Das letzte Abendmahl wird auch nicht präzise nach dem Ablauf des Paschamahles geschildert. Wichtig sind die Worte Jesu über Brot und Wein, die als Einsetzungsworte der Eucharistie verstanden werden. Jesus bringt etwas Neues. Aus dem Paschafest der Juden im Gedenken an den Auszug aus Ägypten wird das Osterfest der Christen als Feier von Jesu Tod und Auferstehen. Die Erlösung, die Jesus gebracht hat, überbietet die Befreiungstat Gottes beim Exodus. Das Geschehen um Jesu Tod und Auferstehung ist aufs engste mit dem jüdischen Paschafest verknüpft. Aber dazu um diese Verbindung herzustellen, ist es nicht nötig, im letzten Abendmahl zwingend ein Paschamahl zu sehen.
So schreibt auch Papst Benedikt XVI.:
Das Wesentliche dieses Abschiedsmahles war nicht das alte Pascha, sondern das Neue, das Jesus in diesem Zusammenhang vollzog. Auch wenn das Zusammensein Jesu mit den Zwölfen kein Paschamahl nach den rituellen Vorschriften des Judentums gewesen war, so wurde in der Rückschau der innere Zusammenhang des Ganzen mit Tod und Auferstehung Jesu sichtbar: Es war Jesu Pascha. Und in diesem Sinn hat er Pascha gefeiert und nicht gefeiert: Die alten Riten konnten nicht begangen werden; als ihre Stunde kam, war Jesus schon gestorben. Aber er hatte sich selbst gegeben und so wirklich gerade Pascha mit ihnen gefeiert. Das Alte war so nicht abgetan, sondern erst zu seinem vollen Sinn gebracht.
Als es Abend wurde, begab er sich mit den zwölf Jüngern zu Tisch. Und während sie aßen, sprach er: Amen, ich sage euch: Einer von euch wird mich verraten und ausliefern. Da waren sie sehr betroffen und einer nach dem andern fragte ihn: Bin ich es etwa, Herr? Er antwortete: Der, der die Hand mit mir in die Schüssel getaucht hat, wird mich verraten. Der Menschensohn muss zwar seinen Weg gehen, wie die Schrift über ihn sagt. Doch weh dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird. Für ihn wäre es besser, wenn er nie geboren wäre. Da fragte Judas, der ihn verriet: Bin ich es etwa, Rabbi? Jesus sagte zu ihm: Du sagst es. (Mt 26,20-25)
Deutlich weist Jesus auf seinen bevorstehenden Tod hin und zugleich auch auf den, der ihn verraten und ausliefern wird. Noch immer sind die Jünger ratlos, wen und was Jesus damit meint. Nur Judas weiß es. Sein ganzes Sinnen und Trachten ist bereits darauf hin gerichtet, Jesus so schnell wie möglich an die Juden auszuliefern und seinen Lohn dafür zu kassieren. Das muss geschehen. Aber trotzdem ist es keine gute Tat, die Judas leistet. Er hat sich dafür hergegeben, zum Erfüller des Bösen zu werden. Und er besitzt die Unverfrorenheit, weiterhin im vertrauten Kreis um Jesus zu verweilen. Nur Jesus weiß um die Abgründe, die sich in seinem Jünger auftun. Jesus liebt ihn, auch wenn er weiß, was geschehen wird. Er schließt ihn nicht vom Mahl aus. Judas hat noch die Möglichkeit, umzukehren. Aber er wird seine Chance nicht nutzen und stellt sich so gegen die Liebe seines Herrn.