Matthäus 18,21-35

Vergebung

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Vergebung
In jener Zeit trat Petrus zu Jesus und fragte: Herr, wie oft muss ich meinem Bruder vergeben, wenn er sich gegen mich versündigt? Siebenmal? Jesus sagte zu ihm: Nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal. (Mt 18,21-22)

Unsere Mitmenschen können oft ganz schön nervig sein, mehr noch, sie können durch ihre Fehler anderen großen Schaden zufügen. Jesus hat von der Verantwortung gesprochen, die der einzelne und die Gemeinschaft für jeden hat, der einen Fehler begeht. Keiner soll ausgeschlossen werden, der bereit ist, seinen Fehler einzusehen und wieder gutzumachen. Doch oft fallen Menschen wieder in ihre Fehler zurück. Gibt es da nicht eine Grenze, an der endgültig Schluss ist und an der man sagen kann, jetzt ist unsere Geduld mit dir vorbei?
Jesus fordert von seinen Jüngern die Bereitschaft, immer wieder zu vergeben. Nicht nur siebenmal. Sieben ist die Zahl der Fülle und meint an sich schon, dass die Vergebung oft gewährt wird. Aber das genügt nicht, sondern Jesus fordert 7 mal 7 oder 77 Mal zu vergeben, das heißt nicht nur oft, sondern unbegrenzt.

Vergeben und Verzeihen kennt keine Zahl noch ein Ende. Vergebung ist ohne Anfang und ohne Ende. Sie geschieht täglich unaufhörlich, denn sie kommt von Gott. (Dietrich Bonhoeffer)

Wir müssen immer wieder bereit sein, anderen zu verzeihen, weil Gott auch mit uns so große Nachsicht übt. Kein Mensch ist vollkommen, jeder hat seine Fehler. Gott schenkt uns stets seine Vergebung. Und wenn Gott uns so viel vergeben hat, dürfen auch wir anderen gegenüber nicht kleinlich sein. Um dies zu verdeutlichen, erzählt Jesus ein Gleichnis:

Mit dem Himmelreich ist es deshalb wie mit einem König, der beschloss, von seinen Dienern Rechenschaft zu verlangen. Als er nun mit der Abrechnung begann, brachte man einen zu ihm, der ihm zehntausend Talente schuldig war. Weil er aber das Geld nicht zurückzahlen konnte, befahl der Herr, ihn mit Frau und Kindern und allem, was er besaß, zu verkaufen und so die Schuld zu begleichen. Da fiel der Diener vor ihm auf die Knie und bat: Hab Geduld mit mir! Ich werde dir alles zurückzahlen. Der Herr hatte Mitleid mit dem Diener, ließ ihn gehen und schenkte ihm die Schuld.
Als nun der Diener hinausging, traf er einen anderen Diener seines Herrn, der ihm hundert Denare schuldig war. Er packte ihn, würgte ihn und rief: Bezahl, was du mir schuldig bist! Da fiel der andere vor ihm nieder und flehte: Hab Geduld mit mir! Ich werde es dir zurückzahlen. Er aber wollte nicht, sondern ging weg und ließ ihn ins Gefängnis werfen, bis er die Schuld bezahlt habe.
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Gleichnis
Als die übrigen Diener das sahen, waren sie sehr betrübt; sie gingen zu ihrem Herrn und berichteten ihm alles, was geschehen war. Da ließ ihn sein Herr rufen und sagte zu ihm: Du elender Diener! Deine ganze Schuld habe ich dir erlassen, weil du mich so angefleht hast. Hättest nicht auch du mit jenem, der gemeinsam mit dir in meinem Dienst steht, Erbarmen haben müssen, so wie ich mit dir Erbarmen hatte? Und in seinem Zorn übergab ihn der Herr den Folterknechten, bis er die ganze Schuld bezahlt habe. (Mt 18,23-34)

Wie alle Gleichnisse Jesu können wir auch dieses sofort mit unserer Alltagserfahrung in Verbindung setzen. Da hat ein Beamter Misswirtschaft im großen Stil betrieben, vielleicht Unsummen in die eigene Tasche gewirtschaftet. Der Schaden für seinen Herrn ist immens. Die Sache fliegt auf und er muss sich rechtfertigen. Der König will ihn zunächst in die Sklaverei verkaufen, dann wäre es vorbei mit dem schönen Leben des Beamten. Er würde auf die unterste Stufe der Gesellschaft fallen und müsste für den Rest seines Lebens hart arbeiten. Er bittet inständig um Erbarmen und tatsächlich, der König ist ihm gnädig und der Beamte kommt sozusagen mit einem blauen Auge davon. Seine ganze Schuld wird ihm erlassen.

Sieh aber das Überfließen der göttlichen Liebe: der Diener bittet allein um einen Aufschub, doch er gibt ihm mehr als er erbeten hat, er vergibt ihm und erlässt ihm die ganze Schuld. Das wollte er von Anfang an tun, aber er wollte nicht, dass es allein sein Geschenk sei, sondern auch, dass der andere darum bittet, so dass er nicht ohne Lohn davongeht. Darum hat er ihm die Schuld auch nicht nachgelassen, noch bevor er Rechenschaft verlangte, denn er wollte ihm bewusst machen, von wie vielen Schulden er ihn befreit hat, so dass er dadurch mit seinen Mitdienern sanftmütiger umgehe. Und bis hierher zeigte er sich auch dessen würdig, was ihm versprochen worden war, denn er gestand seine Schuld ein, versprach, sie zurückzuzahlen, und bat auf Knien um Erbarmen. Er erkannte also die Größe seiner Schuld. Doch, was er dann tat, war dieser ersten Taten nicht würdig. (Johannes Chrysostomus)

Der Beamte trifft einen anderen Diener, der ihm eine lächerlich kleine Summe schuldet. Hartnäckig fordert er die Rückzahlung dieser Schuld, und selbst als der Diener ihn mit den gleichen Worten anfleht, wie er selbst es gerade eben vor dem König getan hat, bleibt er harzherzig und lässt den Diener ins Gefängnis werfen. Obwohl ihm selbst so viel erlassen wurde, ist er nicht bereit, an dem anderen ebenso barmherzig zu handeln. Das Gleichnis endet "gerecht", wie wir sagen würden, der König bestraft den geizigen Beamten für seine Unbarmherzigkeit. Aber ist das nicht Utopie? Wie schaut es in der Realität aus?
Die Großen werden laufen gelassen, die Kleinen gefangen, so ist es doch bis heute. Wer als Manager Millionen in den Sand gesetzt hat, bekommt am Ende noch einen Bonus dazu, wenn Banken Milliarden vernichten, bekommen sie staatliche Hilfsprogramme, wenn aber eine einfache Kassiererin 25 Cent Flaschenpfand einsteckt, wird sie entlassen und wer einmal seine Handyrechnung zu spät zahlt bekommt einen Schufa-Eintrag. Während einige wenige immer reicher werden, leben immer mehr unter dem Existenzminimum.
Die Welt ist einfach ungerecht. Mit diesem Urteil könnten wir das Gleichnis Jesu beiseite legen. Aber halt. Da war noch was.

Ebenso wird mein himmlischer Vater jeden von euch behandeln, der seinem Bruder nicht von ganzem Herzen vergibt. (Mt 18,35)

Könnte ich vielleicht der geizige Beamte sein? Ich hab doch nicht so viel Geld. Naja, ich kaufe immer das billigste und frage nicht danach, wo es herkommt. Die Kleidung aus Bangladresch? Ich habe dort keine Fabrik gebaut, in der Frauen für einen Hungerlohn meine Hosen nähen. Da sind doch andere dafür verantwortlich. Für meine schicke Wohnung habe ich doch hart gearbeitet. Ich hab nichts übrig für die alleinerziehende Frau nebenan. Was sie kann die Miete nicht mehr zahlen? Da sieht man es wieder, diese Miethaie, ihnen sollte man an den Kragen gehen. Nur gut, dass ich noch genug verdiene ...
Jeder von uns ist irgendwie Nutznießer der Ungerechtigkeit in dieser Welt. Doch es geht im Gleichnis nicht nur um materielle Schulden. Jesus erwartet von uns, dass wir immer großzügig sind, wenn es darum geht, anderen etwas zu schenken, weil wir selbst von Gott unermesslich beschenkt worden sind. Vor allem aber sollen wir allezeit bereit sein, Vergebung zu schenken.
Wenn wir ehrlich mit uns sind, wissen wir, dass wir immer wieder Fehler machen. Gott will uns nicht diese Fehler immer wieder vorrechnen und uns am Ende unseres Lebens die große Abrechnung präsentieren. Gott will uns vergeben. Das setzt aber voraus, dass wir Gott um Vergebung bitten und dass auch wir selbst bereit sind, anderen zu vergeben, die an uns schuldig geworden sind.
Sicher, das ist nicht leicht. Viele Verletzungen, die andere uns zugefügt haben, gehen tief. Unrecht und Schuld belasten die Beziehungen von Menschen. Wie sollen wir den Berg der Schuld abtragen, damit sich die Menschen wieder in die Augen sehen können? Wie können wir verhindern, dass der Berg wächst und die Menschen unter sich begräbt? Unendlich viele Krankheiten und Leiden haben ihre Ursache in vergifteten zwischenmenschlichen Beziehungen.
Vergebung kann die Wunden heilen. Auch wenn das Unrecht dadurch nicht ungeschehen wird, auch wenn manche Wunde bleibt. Wir selbst sind es, die den größten Nutzen von der Vergebung haben, die wir gewähren. Wenn wir aber nicht vergeben, sind wir unsere eigenen Folterknechte. Wer aber vergeben kann, hört auf, an den Mauern seines eigenen Kerkers zu bauen und findet zur Freiheit zurück. Wagen wir Vergebung, auch wenn es schwer fällt, den ersten Schritt zu tun.

Herr, deine Liebe ist größer als das Meer und höher als die Berge. Deine Liebe lässt sich nicht messen. Sie wird nicht weniger, wenn du sie an die Menschen verschenkst.
Du kannst verzeihen und trotzdem bleibt die Gerechtigkeit. Wenn wir dich darum bitten, vergibst du uns und denkst nicht mehr an unsere Schuld.
Wir aber haben unsere eigene Gerechtigkeit, wir wollen wiegen und messen und jedem seinen Teil zukommen lassen. Wir haben Angst, es würde nicht für alle reichen. Du aber weißt: Je mehr wir schenken, umso größer wird unser Schatz.
Wenn wir schenken, dann gibst du uns aus deiner Fülle hinzu, doch wenn wir knausern, zerrinnt uns das wenige, das wir haben, zwischen den Fingern.
Wann werden wir begreifen, dass unser Rechnen nicht alles erfassen kann und nicht dazu taugt, das zu finden, worauf es wirklich ankommt im Leben.