Und als er wieder nach Kafarnaum hineinkam, einige Tage später, wurde bekannt, dass er im Haus ist. Und es versammelten sich viele, so dass kein Platz mehr war, nicht einmal an der Tür. Und er sagte ihnen das Wort. (Mk 2,1-2)
Nachdem sich Jesus längere Zeit in einsamen Gegenden aufgehalten hat, kehrt er wieder nach Kafarnaum zurück. Die Menschen strömen zu Jesus. Wir kennen diese Situation schon vom letzten Aufenthalt Jesu in Kafarnaum. Das Haus ist wohl auch diesmal wieder das Haus der Familien von Simon Petrus und Andreas. Dass Jesus dorthin zurück gekehrt ist, bleibt nicht verborgen. Die Menschen strömen herbei, das Haus ist voll und an der Tür drängeln sich die Menschen, um einen Blick auf Jesus zu erhaschen und seine Worte verstehen zu können. Das Wort, das Jesus zu ihnen spricht, ist das Evangelium von der angekommenen Gottesherrschaft. Unter der Volksmenge, die ins Haus strömt, sind auch, wie wir später erfahren, die offiziellen Vertreter der jüdischen Religion vor Ort, die Schriftgelehrten. Sie haben, wie es ihnen zukommt, die besten Plätze bei Jesus bekommen, haben sogar einen Sitzplatz und brauchen nicht wie die Menge im Gedränge zu stehen. All diese Menschen werden nun Zeugen eines einmalig-wunderbaren Ereignisses, das ihnen noch lange in Erinnerung bleiben wird.
Und sie kommen und bringen zu ihm einen Gelähmten, getragen von Vieren. Und weil sie ihn wegen der Menge nicht zu ihm bringen konnten, deckten sie das Dach ab, wo er war, gruben es auf und ließen die Pritsche herunter, auf der der Gelähmte lag. (Mk 2,3-4)
Neben der Volksmenge kommt nun eine kleine Gruppe ins Blickfeld. Vier Männer tragen einen Gelähmten herbei. Er liegt auf einer Pritsche, womit ein einfaches Bett, wie es bei den armen Leuten üblich war, gemeint ist. Die Rede Jesu scheint länger zu dauern und die Umstehenden, die sich ihren Platz erkämpft haben, sind nicht bereit, ihnen Platz zu machen. Da kommt ihnen die geniale Idee, den Gelähmten durch das Dach direkt vor Jesus hinunter zu lassen. Auf das Dach zu kommen, war nicht schwer, denn die Häuser hatten damals eine Treppe, die auf das Flachdach führte. Das Dach bestand gewöhnlich aus Balken, deren Zwischenräume mit einem Geflecht aus Zweigen, Schilf und Heu ausgefüllt waren und das dann mit einem gewalzten Lehm-Estrich überzogen war. Daher passt die Bezeichnung ganz gut, dass die Vier das Dach aufgruben. Dieser Vorgang blieb sicher im darunter liegenden Raum nicht unbemerkt und die Rede Jesu dürfte bereits von dem Lärm und den herunterfallenden Brocken empfindlich gestört worden sein, bis dann schließlich die vier Männer auf dem Dach und der Gelähmte auf seiner Pritsche durch das Loch hindurch sichtbar wurden.
Und als Jesus ihren Glauben sah, sagt er dem Gelähmten: Kind, erlassen werden deine Sünden. (Mk 2,5)
Entscheidend ist der Glaube des Gelähmten und seiner vier Begleiter. Kennen sie das, wenn man etwas wirklich will, wenn man sich von nichts und niemand von etwas abbringen lassen will und voll und ganz überzeugt ist, dass man das richtige tut und irgendwie weiß, dass es auch gelingen wird? So ähnlich muss es da gewesen sein. Als Jesus ihren Glauben sah ... heißt es. Sie haben nicht an ihrem Erfolg gezweifelt, ihren kranken Freund zu Jesus bringen zu können. Sie haben nicht daran gezweifelt, dass Jesus ihn heilen wird.
Ist das nicht ein eindrucksvolles Beispiel für den Glauben, der Berge versetzten kann, von dem Jesus später (11,23) sprechen wird? Das sehnliche Verlangen nach Heilung und die Zuversicht, bei Jesus Hilfe zu finden, sind so stark, dass der Kranke und seine Helfer sich auch durch das Hindernis, zu ihm zu gelangen, nicht abschrecken lassen, sondern einen sonst unüblichen Weg finden, um vor ihn zu kommen. Glaube, der Berge versetzen kann, meint also nicht eine wunderbare Zurschaustellung des Glaubens an Hand der Überwindung von Naturgesetzen, sondern das findige Überschreiten einer unüberwindbar erscheinenden von Menschen gesetzten Grenze. Der Glaubende bahnt sich seinen Weg durch alle Hindernisse hindurch. Diesen Glauben sieht und bewundert Jesus. An anderen Stellen sagt Jesus ausdrücklich: Dein Glaube hat dir geholfen. Hier ist dies implizit mitzudenken. Wer im Glauben zu Jesus kommt findet bei ihm Hilfe und Heilung.
Der Glaubende bleibt aber nicht Singulär, sondern tritt ein in die Gemeinschaft der Glaubenden. Dies macht Jesus deutlich, indem er den Gelähmten als Kind anredet. Die Glaubenden gehören als Kinder Gottes zur Familie Jesu.
"Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben!"
Sünde ist das, was einen Menschen lähmt, sie steht zwischen ihm und seinen Mitmenschen, zwischen ihm und seinem Gott.
Die Sünde hält den Menschen in sich gefangen und stört seine Beziehungen nach außen.
Sünde ist der Schatten über dem Licht der Liebe.
Die Befreiung von der Sünde befreit den Menschen aus seinem Kerker und lässt das Licht der Liebe wieder neu zu ihm dringen.
Erlösung macht frei für Begegnung mit Gott und dem Mitmenschen.
Jesus schenkt uns diese Befreiung, er spricht uns die Erlösung zu - kostenlos und unverdient.
Er wartet auf uns, dass wir zu ihm kommen - vielleicht über manche Umwege und über Hindernisse hinweg.
Er sehnt sich danach, uns das Wort der Erlösung zu sagen:
"Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben."
Aus der Heilungsgeschichte heraus entwickelt sich nun eine Diskussion um die Vollmacht Jesu. Jesus nimmt nämlich nicht einfach den Gelähmten bei der Hand, heilt ihn und lässt ihn dann gehen, sondern er sagt zunächst einmal: Deine Sünden werden erlassen. Darüber empören sich die anwesenden Schriftgelehrten und über den noch vor Jesu Füßen liegenden Gelähmten hinweg wird das Streitgespräch zwischen Jesus und den Schriftgelehrten geführt.