Markus 15,1-41

Kreuzigung Jesu

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Markus 15
Gleich in der Frühe fassten die Hohepriester, die Ältesten und die Schriftgelehrten, also der ganze Hohe Rat, über Jesus einen Beschluss. Sie ließen ihn fesseln und abführen und lieferten ihn Pilatus aus. (Mk 15,1)

Die ganze Nacht hat die jüdische Führungselite über Jesus Gericht gehalten. Am Morgen ist das Urteil gefällt: Jesus soll an Pilatus ausgeliefert werden, damit dieser ihn zum Tod am Kreuz verurteilt. Der Grund der Verurteilung ist klar: Da Jesus sich als König der Juden ausgibt, ist er ein Hochverräter und dem römischen Staat gefährlich. Mit einer Anklage wegen Gotteslästerung und Verstoß gegen das jüdische Gesetz wären sie bei Pilatus wahrscheinlich nicht durchgekommen.

Pilatus fragte ihn: Bist du der König der Juden? Er antwortete ihm: Du sagst es. Die Hohenpriester brachten viele Anklagen gegen ihn vor. Da wandte sich Pilatus wieder an ihn und fragte: Willst du denn nichts dazu sagen? Sieh doch, wie viele Anklagen sie gegen dich vorbringen. Jesus aber gab keine Antwort mehr, sodass Pilatus sich wunderte. (Mk 15,2-5)

Jesus hat sich für schuldig bekannt. Dem hat er nichts mehr hinzuzufügen. Er weiß, dass alle Erklärungen hier vergeblich wären. Er hat bereits alles gesagt. Nun ist es Zeit zu Schweigen.

Jeweils zum Fest ließ Pilatus einen Gefangenen frei, den sie sich ausbitten durften. Damals saß gerade ein Mann namens Barabbas im Gefängnis, zusammen mit anderen Aufrührern, die bei einem Aufstand einen Mord begangen hatten. Die Volksmenge zog zu Pilatus hinauf und verlangte, ihnen die gleiche Gunst zu gewähren wie sonst. Pilatus fragte sie: Wollt ihr, dass ich euch den König der Juden freilasse? Er merkte nämlich, dass die Hohepriester Jesus nur aus Neid an ihn ausgeliefert hatten. Die Hohepriester aber wiegelten die Menge auf, lieber die Freilassung des Barabbas zu fordern.
Pilatus wandte sich von Neuem an sie und fragte: Was soll ich dann mit dem tun, den ihr den König der Juden nennt? Da schrien sie: Kreuzige ihn! Pilatus entgegnete: Was hat er denn für ein Verbrechen begangen? Sie aber schrien noch lauter: Kreuzige ihn! Darauf ließ Pilatus, um die Menge zufriedenzustellen, Barabbas frei. Jesus lieferte er, nachdem er ihn hatte geißeln lassen, zur Kreuzigung aus. (Mk 15,6-15)

Jesus wusste, warum es besser war, zu schweigen. Die Hohepriester hatten bereits die ganze Stadt gegen Jesus aufgewiegelt. Sicher wurden falsche Gerüchte gestreut, die Jesus in ein schlechtes Licht gerückt haben. Lieber will man den Barabbas in Freiheit haben, einen Aufrührer, der wirklich Gewalt gegen den römischen Staat angewendet hat. Pilatus gibt nach. Jesus soll gegeißelt und dann gekreuzigt werden.

Die Soldaten führten ihn ab, in den Hof hinein, der Prätorium heißt, und riefen die ganze Kohorte zusammen. Dann legten sie ihm einen Purpurmantel um und flochten einen Dornenkranz; den setzten sie ihm auf und grüßten ihn: Sei gegrüßt, König der Juden! Sie schlugen ihm mit einem Stock auf den Kopf und spuckten ihn an, beugten die Knie und huldigten ihm. Nachdem sie so ihren Spott mit ihm getrieben hatten, nahmen sie ihm den Purpurmantel ab und zogen ihm seine eigenen Kleider wieder an. (Mk 15,16-20a)

Gemäß seiner Anklage wird Jesus von den Soldaten als König verspottet. Sie können mit ihm tun, was ihnen gefällt. Jesus lässt ihren Spott schweigend über sich ergehen.

Dann führten sie Jesus hinaus, um ihn zu kreuzigen. Einen Mann, der gerade vom Feld kam, Simon von Kyrene, den Vater des Alexander und des Rufus, zwangen sie, sein Kreuz zu tragen. Und sie brachten Jesus an einen Ort namens Golgota, das heißt übersetzt: Schädelhöhe. (Mk 15,20b-22)

An der fünften Station des Kreuzwegs sehen wir Simon von Kyrene. Ein Mann wie du und ich. Er kam von der Arbeit und war auf dem Weg nach Hause. In den Gassen der Stadt begegnet er dem Trupp, der Jesus hinaus nach Golgota führt. Solche Szenen waren nichts Ungewöhnliches. Immer wieder wurden irgendwelche Verbrecher zum Tod am Kreuz verurteilt. Wie so viele wird Simon kurz stehen geblieben sein, sei es aus Neugier oder um dem Trupp in der engen Gasse Platz zu machen.
Da werden die Soldaten auf ihn aufmerksam. Sicher machte Simon einen kräftigen Eindruck, einen solchen Mann brauchten sie, um dem durch die Geißelung geschwächten Jesus dabei zu helfen, das Kreuz zu tragen. Jesus ist bereits einmal unter der Last des Kreuzes zusammengebrochen und der Weg nach Golgota ist noch weit. Selbst machen die Soldaten natürlich keinen Finger krumm, um einem Verurteilten zu helfen.
Plötzlich ist Simon mitten im Geschehen. Er wollte schnell nach Hause, aber nun muss er mit den Soldaten und den Verurteilten mitgehen. Er muss das Kreuz tragen, eine Schande für einen ehrbaren Bürger. Sicher haben ihn einige erkannt. Was werden sie wohl von ihm denken? Noch wusste Simon nicht, wem er da hilft, das Kreuz zu tragen.
So schnell kann es gehen und plötzlich ist alles anders im Leben. Eine Unachtsamkeit, ein Unfall, eine Blamage und nichts ist mehr wie es war. Wir würden am liebsten im Erdboden versinken, die Zeit zurückdrehen und das Geschehene ungeschehen machen, aber das geht nicht. Wir müssen ab sofort damit leben, dass es so gekommen ist.

Und nun käme es darauf an, dass wir verstehen, dass Gott zwei Arten von Gnaden hat: helle und dunkle. - Die hellen sind Sonnenstrahlen, Trost, Freude, wohltuende Erlebnisse. Die dunklen sehen gar nicht wie Gnaden aus. Es sind belastende Ereignisse, die sich wie Regiefehler in der Weltregierung ausnehmen. Und mit dem Tragen und Ertragen kommen wir darauf, dass uns diese Dinge Christus nähergebracht haben als alle hellen Gnaden zusammen. (Reinhold Stecher)

So können wir wie Simon von Kyrene in den Dienst gerufen werden, am Kreuz Christi mitzutragen. Vielleicht erkennen auch wir zunächst nicht, wessen Kreuz es ist, das uns da aufgebürdet wird. Sicher sehen auch wir oft zunächst nichts als die Schande, in die wir geraten sind, und spüren nichts als den Schmerz, den uns das Kreuz bereitet. Es drückt und wir würden es am liebsten abwerfen und stehenlassen, aber das geht nicht. Wir müssen es ein Stück tragen, mal weiter, mal nicht so weit.
Irgendwann aber können wir aufatmen und aus der Distanz zurücksehen auf den Weg, den wir gegangen sind. Vielleicht erkennen wir, dass das, was uns widerfahren ist, auch etwas Gutes hatte. Wie Simon von Kyrene. Als nach einigen Tagen die Nachricht von der Auferstehung Jesu die Runde machte, da hat er erkannt, wessen Kreuz er da getragen hat. Und plötzlich ist er der große Held, dessen Name wir nach zweitausend Jahren noch kennen. Der Evangelist Markus nennt auch die Namen seiner Söhne. So nimmt man an, dass Simon sich zusammen mit seiner Familie der Christengemeinde angeschlossen hat - und das Ereignis am Kreuzweg nahm den Ehrenplatz in der Familienchronik ein.

Dort reichten sie ihm Wein, der mit Myrrhe gewürzt war; er aber nahm ihn nicht. Dann kreuzigten sie ihn. Sie verteilten seine Kleider, indem sie das Los über sie warfen, wer was bekommen sollte. Es war die dritte Stunde, als sie ihn kreuzigten. Und eine Aufschrift (auf einer Tafel) gab seine Schuld an: Der König der Juden. Zusammen mit ihm kreuzigten sie zwei Räuber, den einen rechts von ihm, den andern links. (Mk 15,23-28)

Auf Golgota angekommen läuft es ab, wie bei jeder anderen Kreuzigung auch. Routine für die Soldaten. Doch Jesus will den mit Myrrhe gemischten Wein nicht, ein Gnadentrunk, der die Schmerzen verringern soll. Jesus will bewusst erleben, was hier geschieht. Dann werfen die Soldaten das Los um die Kleider Jesu und es erfüllt sich, was bereits in den Psalmen (Ps 22,19) über das Leiden des Gerechten gesagt wurde. Schon stehen die drei Kreuze aufgerichtet und Jesus hängt in der Mitte zwischen zwei Verbrechern. So entblößt und zur Schau gestellt wird Jesus zum Spottobjekt der Menge, die bereits vorher schon gegen ihn aufgehetzt wurde.

Die Leute, die vorbeikamen, verhöhnten ihn, schüttelten den Kopf und riefen: Ach, du willst den Tempel niederreißen und in drei Tagen wieder aufbauen? Rette dich selbst und steig herab vom Kreuz! Ebenso verhöhnten ihn auch die Hohepriester und die Schriftgelehrten und sagten untereinander: Andere hat er gerettet, sich selbst kann er nicht retten. Der Christus, der König von Israel! Er soll jetzt von seinem Kreuz herabsteigen, damit wir sehen und glauben. Auch die beiden Männer, die mit ihm zusammen gekreuzigt wurden, beschimpften ihn. (Mk 15,29-32)

Die Führer der Juden haben auch dieses Ziel erreicht: Jesus wird am Kreuz von den Leuten verspottet. Im Spott auf ihn sind sich alle einig. Sein schmachvolles Hängen am Kreuz macht den Menschen deutlich, dass der angebliche Messias versagt hat. Jesus wird offenbar als falscher Prophet und Lügner entlarvt.
Erneut taucht hier der Satz auf, der schon bei der Verhandlung vor dem Hohen Rat eine Rolle gespielt hat, den Markus aber anders als Johannes 2,19 nicht Jesus selbst in den Mund legt, dass nämlich Jesus gesagt haben soll, er werde den Tempel niederreißen und in drei Tagen wieder aufbauen. Mit Sicherheit waren die deutlichen Worte Jesu gegen den Tempelkult, die Ankündigung der Zerstörung des Tempels und die Tempelreinigung das, was die religiösen Führer der Juden, besonders die Sadduzäer, am meisten gegen ihn aufgebracht hat. Das war ein Angriff an die Grundlage ihrer Macht. Hier zeigt sich, wie recht Jesus mit dem Gleichnis von den Bösen Winzern hatte. Sie haben den Weinberg zur Pflege bekommen und sollten den Ertrag abliefern, sollten das Heiligtum zur Ehre Gottes und zum Heil der ganzen Erde verwalten. Doch sie haben den Tempel Gottes zu ihren eigenen Zwecken missbraucht und anstatt Gott die Ehre zu geben, sehen sie ihn als Grundlage ihrer eigenen Macht an. Als nun Gottes Sohn den Anteil einfordert, der Gott gebührt, bringen sie den Sohn um, in der Hoffnung, nun selbst ungestört ihre Macht ausüben zu können. Doch so lässt Gott nicht mit sich umgehen. Die jetzt noch in scheinbarem Triumph über Gott spotten, werden erkennen müssen, dass sie die eigentlichen Verlierer sind.
Wieder fordern sie ein Zeichen von Jesus. Er, der so vielen geholfen hat, soll sich doch nun selbst helfen, soll herabsteigen vom Kreuz, damit die Menschen durch dieses Wunder zum Glauben an ihn kommen. Gott könnte in seiner Macht natürlich seinen Sohn vom Kreuz herabholen. Doch damit würde er sein eigenes Werk zunichtemachen. Der Sohn Gottes kam ja nicht in die Welt, um gemäß den Wünschen der Menschen zu leben und um dem Denken dieser Welt zu entsprechen, sondern um zu zeigen, was wirklich der Wille Gottes ist und wie gegensätzlich die Gedanken Gottes zum Denken dieser Welt sind.
Wer nicht bereit ist, sein Denken zu ändern und sich auf Gott einzulassen, der wird in Jesus nur den erfolglosen Betrüger sehen, dessen Ohnmacht sich am Kreuz offenbart. Wer aber bereit ist, sich auf Gott einzulassen, der wird die Macht Gottes erkennen, der im Tod den Tod besiegt und aus dem Grab neues Leben erstehen lässt und dessen scheinbare Ohnmacht sich als grenzenlose Macht erweisen wird.

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Markus 15
Als die sechste Stunde kam, brach eine Finsternis über das ganze Land herein - bis zur neunten Stunde. Und in der neunten Stunde rief Jesus mit lauter Stimme: Eloï, Eloï, lema sabachtani?, das heißt übersetzt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? (Mk 15,33-34)

Am Kreuz betet Jesus den Psalm 22. Er beginnt mit den Worten: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" (Ps 22,2)
Immer hatte Jesus eine ganz enge Verbindung zu seinem Vater im Himmel. Stunden des Gebetes hat er mit dem Vater zugebracht. Immer war das, was er tat, auch der Wille des Vaters. Wie konnte der Vater nun zulassen, dass sein Sohn so sterben muss?
Auch wenn wir es nicht begreifen können, der Tod Jesu geschah zu unserem Heil und durch diesen Tod konnte der Vater machtvoll die Auferstehung wirken. Er wird den Sohn aus dem Tod holen und damit die Macht des Todes, die über die Menschen herrscht, ein für alle Mal brechen. Durch die Auferstehung Jesu steht auch uns der Weg offen zum ewigen Leben bei Gott. Der Schmerz des Todes ist der Weg zur Freude des Heils.
Wenn wir den ganzen Psalm 22 beten, so sehen wir, dass er sich von einem Klageruf in ein Gebet der Hoffnung und Zuversicht wandelt. Jesus hat qualvoll unter den Schmerzen des Kreuzes gelitten. Das lässt ihn aufschreien. Aber er hat nicht daran gezweifelt, dass auch hier der Vater bei ihm ist und ihn erretten wird.

Einige von denen, die dabeistanden und es hörten, sagten: Hört, er ruft nach Elija! Einer lief hin, tauchte einen Schwamm in Essig, steckte ihn auf ein Rohr und gab Jesus zu trinken. Dabei sagte er: Lasst, wir wollen sehen, ob Elija kommt und ihn herabnimmt. Jesus aber schrie mit lauter Stimme. Dann hauchte er den Geist aus. (Mk 15,35-37)

Nachdem Jesus im Gebet des Psalms 22 dem Vater seinen Schmerz und seine Hoffnung hingelegt hat, schreit er mit lauter Stimme. Es ist der Schrei, der durch die Welt hallt überall dort, wo Menschen misshandelt und getötet werden. Es ist der Schrei des Gottes der Liebe über seine Geschöpfe, die sich von dieser Liebe abwenden. Vielleicht ein Schrei der Verzweiflung eines Gottes, der sich selbst auferlegt hat, die Freiheit seiner Geschöpfe nicht anzutasten. Dieser Schrei geht bis heute durch die Welt und wir sind gerufen, ihn zu hören und dort Hilfe zu bringen, wo Menschen ihn ausrufen.
Tod und Leben gehen zusammen bei Jesu Tod. Auch wenn der Tod scheinbar siegt, wird doch das Leben triumphieren.

Jesus stirbt. Die Mächte des Todes zerschmetterten ihn. Das waren nicht nur der um seine Macht bangende Pilatus mit seinem Fehlurteil, nicht nur die römischen Soldaten, die ihn blutig quälten, und nicht nur die, die ihn grausam ans Kreuz nagelten, sondern das waren auch die Mächte und Gewalten dieser Welt.
Wenn wir sagen "Christus ist gestorben", bringen wir die Wahrheit zum Ausdruck, dass alles menschliche Leiden aller Zeiten und Räume vom Sohn Gottes erlitten und damit ins innerste Leben Gottes aufgehoben wurde. Es gibt kein Leiden, das Gott nicht erlitten hätte.
Wir müssen zum innersten Wissen gelangen, dass der Todeskampf der Welt der Todeskampf Gottes ist. Der Todeskampf all der Frauen, Männer und Kinder aller Zeiten offenbart uns die unauslotbaren Tiefen des Todeskampfes Gottes, von dem uns ein Schimmer im Garten von Getsemani aufgegangen ist. Der tiefste Sinn der Menschheitsgeschichte liegt darin, die Leiden Christi Stufe um Stufe zu entfalten. Solange es noch eine Menschheitsgeschichte gibt, ist die Geschichte des Leidens Christi noch nicht vollständig erzählt. Je mehr wir versuchen, in dieses Geheimnis einzutreten, desto deutlicher geht uns auf, dass die leidende Welt eine in Gott verborgene Welt ist. Außerhalb von Gott ist das Leiden der Menschen nicht nur unerträglich, sondern man kann es nicht einmal voll ins Auge fassen. Aber wenn uns der innere Zusammenhang zwischen dem Leiden der Welt und Gottes Leiden aufgeht, wird alles radikal anders. Dann sehen wir, dass Gott in und durch Jesus Christus alle Last der Menschen in sein Innerstes aufgehoben und sie zum Weg verwandelt hat, auf dem wir seine unermessliche Liebe erkennen. (Henri Nouwen)
Da riss der Vorhang im Tempel in zwei Teile von oben bis unten. Als der Hauptmann, der Jesus gegenüberstand, ihn auf diese Weise sterben sah, sagte er: Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn. Auch einige Frauen sahen von Weitem zu, darunter Maria aus Magdala, Maria, die Mutter von Jakobus dem Kleinen und Joses, sowie Salome; sie waren Jesus schon in Galiläa nachgefolgt und hatten ihm gedient. Noch viele andere Frauen waren dabei, die mit ihm nach Jerusalem hinaufgezogen waren. (Mk 15,33-41)