Markus 13,1-37

Endzeit

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Gottes Wort
Als Jesus den Tempel verließ, sagte einer von seinen Jüngern zu ihm: Meister, sieh, was für Steine und was für Bauten! Jesus sagte zu ihm: Siehst du diese großen Bauten? Kein Stein wird auf dem andern bleiben, alles wird niedergerissen. (Mk 13,1-2)

Viele Menschen suchen nach Verlässlichkeit. Wir brauchen etwas oder jemanden, woran wir uns orientieren können, einen Grund, der uns trägt. Dabei schauen wir gerne auf große Persönlichkeiten und auf äußere Pracht, die Zeichen von Macht und Einfluss ist.
Auch in der Religion ist es oft so, dass die Menschen die Größe ihres Gottes durch mächtige Tempel zum Ausdruck bringen wollen. So war auch der Tempel in Jerusalem imposant und wenn wir an der Klagemauer stehen, die noch Zeugnis gibt vom einstigen Tempel, können wir uns seine gewaltigen Dimensionen ausmalen. Wir können die vier Jünger verstehen, die Jesus auf die Mächtigkeit des Tempels hingewiesen haben: "Schau, was für Steine und was für Bauten!"

Ist nicht diese Religion, die ein solches Fundament hat, die wahre Religion, die auf die Größe des einen Gottes hinweist? Was können die ersten Christen dagegen bieten? Eine kleine Schar meist einfacher Menschen, die sich in Wohnhäusern versammelt und deren Anführer am Kreuz gestorben ist.
Doch die Dinge sind meist nicht so, wie sie auf den ersten Blick erscheinen. Auch das mächtigste von Menschenhand errichtete Bauwerk überdauert nicht die Jahrhunderte. Was heute noch groß und mächtig erscheint, liegt morgen in Trümmern.
Aber was bleibt? Worauf können wir bauen?

Und als er auf dem Ölberg saß, dem Tempel gegenüber, fragten ihn Petrus, Jakobus, Johannes und Andreas, die mit ihm allein waren: Sag uns, wann wird das geschehen, und an welchem Zeichen wird man erkennen, dass das Ende von all dem bevorsteht?
Jesus sagte zu ihnen: Gebt Acht, dass euch niemand irreführt! Viele werden unter meinem Namen auftreten und sagen: Ich bin es! Und sie werden viele irreführen. Wenn ihr dann von Kriegen hört und Nachrichten über Kriege euch beunruhigen, lasst euch nicht erschrecken! Das muss geschehen. Es ist aber noch nicht das Ende. Denn ein Volk wird sich gegen das andere erheben und ein Reich gegen das andere. Und an vielen Orten wird es Erdbeben und Hungersnöte geben. Doch das ist erst der Anfang der Wehen. Ihr aber, macht euch darauf gefasst: Man wird euch um meinetwillen vor die Gerichte bringen, in den Synagogen misshandeln und vor Statthalter und Könige stellen, damit ihr vor ihnen Zeugnis ablegt. Vor dem Ende aber muss allen Völkern das Evangelium verkündet werden. Und wenn man euch abführt und vor Gericht stellt, dann macht euch nicht im voraus Sorgen, was ihr sagen sollt; sondern was euch in jener Stunde eingegeben wird, das sagt! Denn nicht ihr werdet dann reden, sondern der Heilige Geist. Brüder werden einander dem Tod ausliefern und Väter ihre Kinder, und die Kinder werden sich gegen ihre Eltern auflehnen und sie in den Tod schicken. Und ihr werdet um meines Namens willen von allen gehasst werden; wer aber bis zum Ende standhaft bleibt, der wird gerettet.
Wenn ihr aber den unheilvollen Gräuel an dem Ort seht, wo er nicht stehen darf - der Leser begreife -, dann sollen die Bewohner von Judäa in die Berge fliehen; wer gerade auf dem Dach ist, soll nicht hinabsteigen und ins Haus gehen, um etwas mitzunehmen; wer auf dem Feld ist, soll nicht zurückkehren, um seinen Mantel zu holen. Weh aber den Frauen, die in jenen Tagen schwanger sind oder ein Kind stillen. Betet darum, dass dies alles nicht im Winter eintritt. Denn jene Tage werden eine Not bringen, wie es noch nie eine gegeben hat, seit Gott die Welt erschuf, und wie es auch keine mehr geben wird. Und wenn der Herr diese Zeit nicht verkürzen würde, dann würde kein Mensch gerettet; aber um seiner Auserwählten willen hat er diese Zeit verkürzt.
Wenn dann jemand zu euch sagt: Seht, hier ist der Messias!, oder: Seht, dort ist er!, so glaubt es nicht! Denn es wird mancher falsche Messias und mancher falsche Prophet auftreten und sie werden Zeichen und Wunder tun, um, wenn möglich, die Auserwählten irrezuführen. Ihr aber, seht euch vor! Ich habe euch alles vorausgesagt.
Aber in jenen Tagen, nach der großen Not, wird sich die Sonne verfinstern und der Mond wird nicht mehr scheinen; die Sterne werden vom Himmel fallen und die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden. Dann wird man den Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit auf den Wolken kommen sehen. Und er wird die Engel aussenden und die von ihm Auserwählten aus allen vier Windrichtungen zusammenführen, vom Ende der Erde bis zum Ende des Himmels.
Lernt etwas aus dem Vergleich mit dem Feigenbaum! Sobald seine Zweige saftig werden und Blätter treiben, wisst ihr, dass der Sommer nahe ist. Genauso sollt ihr erkennen, wenn ihr (all) das geschehen seht, dass das Ende vor der Tür steht. Amen, ich sage euch: Diese Generation wird nicht vergehen, bis das alles eintrifft. Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen. Doch jenen Tag und jene Stunde kennt niemand, auch nicht die Engel im Himmel, nicht einmal der Sohn, sondern nur der Vater. Seht euch also vor und bleibt wach! Denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist.
Es ist wie mit einem Mann, der sein Haus verließ, um auf Reisen zu gehen: Er übertrug alle Verantwortung seinen Dienern, jedem eine bestimmte Aufgabe; dem Türhüter befahl er, wachsam zu sein. Seid also wachsam! Denn ihr wisst nicht, wann der Hausherr kommt, ob am Abend oder um Mitternacht, ob beim Hahnenschrei oder erst am Morgen. Er soll euch, wenn er plötzlich kommt, nicht schlafend antreffen. Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Seid wachsam! (Mk 13,3-37)

Unvergänglich sind nicht die äußeren Zeichen der Religion, Tempel, Kirchen, glänzende Kultgegenstände. Unvergänglich ist das Wort Gottes, es bleibt lebendig, auch wenn die Steine tot sind und schweigen. Von Fridolin Stier stammt der bedenkenswerte Satz:

Das Wort Gottes, des Schöpfers, durchwest das All. Mächtig waltet es, als Geheiß und Verheißung ergehend, in Israels und der Völker Geschichte. Zuletzt erscheint es - dem Menschen, der es besinnt, die Sprache verschlagend - leibhaftig in Menschengestalt, mitten unter uns.
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Gottes Wort

Was könnte beständiger sein, als das Wort, durch welches das All geschaffen wurde? Dieses Wort hat unter den Menschen als Mensch gelebt - wenn wir bedenken, was dies bedeutet, ein unfassbares Mysterium.
Einmal gesprochen, kann keine Gewalt mehr dieses Wort zum Schweigen bringen. Viele haben ihr Zeugnis für dieses Wort mit dem Leben bezahlt, doch das Wort hat Bestand durch alle Zeiten und über die Grenzen der Völker hinweg.
Wer auf Gottes Wort baut, der braucht sich nicht zu fürchten, auch dann nicht, wenn die ganze Welt aus den Fugen gerät - ist es doch dieses Wort, das allem, was ist, das Dasein gibt. Auch wenn die Menschen anderswo immer wieder neuen Halt suchen - der kann uns retten, hier ist fester Grund - all dies wird sich als schwach erweisen gegenüber Gottes Wort, das bleibt.
Wer auf Gottes Wort baut, der braucht sich nicht zu fürchten, der braucht nicht jedem Gerücht und jeder neuen Meinung hinterherlaufen. Der kann gelassen bleiben, denn er weiß: nicht die Mächte des Chaos haben die Oberhand, sondern der Messias wird kommen und die Seinen nach Hause führen.

Ähnlich dem Bild Jesu vom Feigenbaum gebraucht Papst Klemens I. in seinem Brief an die Korinther das Bild des Weinstocks für das Kommen des Herrn:

"Nehmt einen Weinstock: zuerst verliert er die alten Blätter, dann wächst eine Knospe, dann ein Blatt, dann eine Blüte, hernach eine saure Traube, und dann erst ist die reife Traube da. Ihr seht, dass in kurzer Zeit die Frucht des Baumes zur Reife gelangt. Wahrhaftig, schnell und plötzlich wird sein Wille Vollendung finden, da ja auch die Schrift selbst hierfür Zeugnis gibt: Schnell wird er kommen und nicht zögern, und plötzlich wird einziehen der Herr in seinen Tempel und der Heilige, den ihr erwartet."

Gott wartet mit seinem Kommen, bis die Früchte reif sind. Die Gläubigen brauchen sich darüber nicht zu beunruhigen, denn Gott selbst hat verheißen, ihnen die Auferstehung zu schenken. Doch diese Hoffnung soll zugleich der Ansporn zu einem Leben sein, das der Auferstehung würdig ist:

"Durch diese Hoffnung sollen unsere Seelen fest gekettet sein an den, der treu ist in seinen Verheißungen und gerecht in seinen Gerichten. Der verboten hat zu lügen, wird viel weniger selber lügen; denn bei Gott ist nichts unmöglich außer die Lüge. Entzünden soll sich daher in uns der Glaube an ihn, und wir wollen beherzigen, dass ihm alles nahe ist. In seinem mächtigen Wort hat er das All aufgebaut, und in seinem Wort kann er es niederreißen."

Endzeit - Zeit der Vollendung. Gott wird die reife Frucht unseres Lebens ernten. Dazu kam mir ein Wort von Rilke in den Sinn. In seinem "Stundenbuch" schreibt er:

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Gottes Wort
Ich bin auf der Welt zu allein
und doch nicht allein genug,
um jede Stunde zu weihn.
Ich bin auf der Welt zu gering
und doch nicht klein genug,
um vor dir zu sein wie ein Ding,
dunkel und klug.
Ich will meinen Willen und
will meinen Willen begleiten
die Wege zur Tat;
und will in stillen,
irgendwie zögernden Zeiten,
wenn etwas naht,
unter den Wissenden sein
oder allein.

Ich will dich immer spiegeln
in ganzer Gestalt,
und will niemals blind sein
oder zu alt
um dein schweres schwankendes
Bild zu halten.
Ich will mich entfalten.
Nirgends will ich gebogen
bleiben, denn dort bin ich
gelogen, wo ich gebogen bin.
Und ich will meinen Sinn
wahr vor dir.
Ich will mich beschreiben
wie ein Bild das ich sah,
lange und nah,
wie ein Wort, das ich begriff,
wie meinen täglichen Krug,
wie meiner Mutter Gesicht,
wie ein Schiff,
das mich trug
durch den tödlichsten Sturm.
Rainer Maria Rilke

"Ich will, wenn etwas naht, unter des Wissenden sein - oder allein." - Ich denke hier an die Menge des Ahnungslosen, die über jedes Gerücht bestürzt, mal hierhin, mal dorthin rennt und doch nirgends Zuflucht findet. Der Wissende aber lässt sich nicht beunruhigen. Er steht in sich, weil er feststeht in Gott.
Ich denke, man tut Rilke kein Unrecht, wenn man diese seine Worte auch auf das Kommen des Herrn anwendet. "Ich habe euch alles vorausgesagt" (Mk 13,23), sagt Christus. Wer sein Wort kennt, ist unter den Wissenden.
Die Hoffnung aber, die Gott uns schenkt, ruft zur Tat, das hat schon Papst Klemens geschrieben. Wir dürfen uns nicht ausruhen auf dem Gedanken, dass Gott schon alles richten wird. Gott will, dass wir leben, dass wir das Leben suchen in ihm. Von dieser Suche spricht Rilke.

"Ich will dich immer spiegeln in ganzer Gestalt."

Er will ganz sein, nicht verbogen, sondern wahr. Sich nicht in ein Schema pressen lassen, sondern sich entfalten, stets der sein, der man ist vor Gott.
So ist Christsein auch nicht Uniformität sondern Originalität. Jeder ist auf seine Weise Bild Gottes und jeder muss seinen Weg suchen, dass dieses Bild keine billige Kopie, sondern ein originelles Meisterwerk wird, das Gottes Glanz widerspiegelt. Und all diese lebendigen Bilder werden dann ihren Platz finden in Gottes Herrlichkeit.