"Was willst du, dass ich dir tue?" Diese Frage stellt Jesus dem Bartimäus, diese Frage stellt Jesus jedem von uns. Jesus will unsere Bitten erfüllen. Doch wir müssen auch bereit sein für die Veränderung, für das Neue, das mit der Erfüllung unserer Bitte verbunden ist. Bartimäus lässt seinen Mantel liegen, das einzige, was er besitzt und damit zugleich sein altes, jämmerliches Leben. Er ist bereit und offen für das Neue, von dem er ganz sicher ist, dass Jesus es ihm schenken wird.
"Ich möchte, dass ich wieder sehen kann." Mit der Erfüllung dieser Bitte fängt für Bartimäus ein neues Leben an.
Da sagte Jesus zu ihm: Geh! Dein Glaube hat dich gerettet. Im gleichen Augenblick konnte er sehen und er folgte Jesus auf seinem Weg nach. (Mk 10,52)
Lassen wir nun Bartimäus selbst zu Wort kommen, und von seiner Begegnung mit Jesus erzählen:
Guten Tag, ich möchte mich kurz vorstellen, mein Name ist Bartimäus, ich bin der Sohn des Timäus, geboren in Jericho, einer Stadt in Israel. Man erzählt sich, dass bei ihrer Eroberung die Israeliten mit Posaunen um sie herumgezogen sind, bis ihre Mauern einstürzten. Das war aber schon lange her. Wie Posaunen dröhnten mir die Stimmen der vielen Menschen in den Ohren, die jeden Tag an mir vorübergingen, als ich am Straßenrand saß. Ich konnte sie nicht sehen, denn ich war blind.
Als Blinder hast Du kein schönes Leben. Als Kind kümmerten sich meine Eltern um ich, aber irgendwie kam ich mir vor wie eine Last für sie. Freunde hatte ich keine, wo hätte ich sie kennenlernen sollen, da ich kaum aus dem Haus kam, und wer wollte schon mit einem Blinden befreundet sein. Als ich dann erwachsen war, wollten meine Eltern nicht mehr für mich sorgen. Ich solle doch selber sehen, dass ich mir etwas zu Essen verdiene. Wie so Vielen blieb mir nichts anderes, als zu betteln.
Von Jericho, das tief in der Jordansenke liegt, führt ein steiler Weg hinauf nach Jerusalem, nicht ungefährlich, aber dennoch müssen ihn viele benutzen. So saß ich nun tagein tagaus vor der Stadt am Rande dieses Weges. Es ist ganz einträglich, hier zu sitzen. Manch ein Kaufmann kommt mit reichem Gewinn aus Jerusalem zurück, und er zeigt Mitleid mit einem Armen wie mir. So konnte ich mir auch einen Mantel leisten, um mich vor der Kälte der Nacht zu schützen, mein einziger Besitz. Aber ein Leben war das keines. Wie sehr wünschte ich, leben zu können wie die anderen, einmal nach Jerusalem hinaufzugehen, die Stadt und den Tempel zu sehen. Doch das blieb nur ein Traum, unerfüllbar. Noch nie hat man gehört, dass jemand die Augen eines Blinden geöffnet hat.
In der letzten Zeit habe ich aber immer wieder die Leute von einem Jesus aus Nazaret reden hören. Es hieß, er würde viele Wunder wirken, alle Kranken heilen und auch Blinden die Augen öffnen. Aber die Leute hier erzählen viel, man ist immer wieder auf Neuigkeiten aus, dennoch schien etwas dran zu sein an dem, was die Leute sagten. Leider hatte ich niemanden, der mich zu ihm führen wollte, aber vielleicht wird er ja einmal auf unserem Weg nach Jerusalem vorbeikommen, zwar unwahrscheinlich, aber nicht ganz ausgeschlossen.
Das war von nun an meine Hoffnung, jeden Tag versuchte ich aus den Stimmen der Vorübergehenden herauszuhören, ob es denn etwas Neues über diesen Jesus gäbe. Die einen sagten dies, die anderen das und plötzlich hieß es, dass Jesus ganz in der Nähe sei. Ja, er ist heute in der Stadt und morgen will er weiter nach Jerusalem. Er musste also bei mir vorbeikommen. Vor Aufregung konnte ich nicht mehr schlafen. Ich wollte wach bleiben, um auf keinen Fall diesen Jesus zu verpassen.
Tatsächlich, am nächsten Morgen, laute Stimmen, viele sind fröhlich, jubeln diesem Jesus zu. Ich meine, seine Stimme zu hören, eine sanfte, liebevolle Stimme, wie ich sie noch nie gehört hatte - und ich höre jeden Tag eine Unmenge Stimmen auf dem Weg. Ich fange an zu schreien, so laut ich kann. Er muss mich hören, darf nicht vorübergehen, ohne mich zu bemerken, denn dann gäbe es keine Hoffnung mehr für mich. "Jesus, Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir!" Es kommen andere Leute, sagen mir, ich solle ruhig sein. Der Meister hätte doch keine Zeit für einen Krüppel wie mich, da sind hohe Herren bei ihm, die mit ihm über Gott und das Gesetz diskutieren wollen. Das ist mir egal. Ich schreie noch lauter. Jesus muss mich hören, ich will leben, jetzt oder nie. "Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir!"
Plötzlich tritt eine geheimnisvolle Stille ein, die Leute schweigen, bleiben stehen. Auch Jesus muss stehen geblieben sein, ganz in meiner Nähe. Ich höre seine Stimme: "Ruft ihn her." Und es kommen Leute zu mir, sie sagen: "Hab nur Mut, steh auf, er ruft dich!" Ich überlege kurz. Aufstehen, wie soll ich das machen, ich könnte stürzen und mich blamieren, jemand könnte mir meinen Mantel wegnehmen und was bliebe mir dann, wenn Jesus mir doch nicht helfen kann? Doch keine Sekunde beschäftigen mich diese Gedanken. Ich merke, jetzt ist es soweit. Ich spüre eine Kraft in mir, die ich noch nie hatte. Ich springe auf, der Mantel ist jetzt egal, Jesus ist da und ehe ich weiterdenken kann, stehe ich vor ihm. Keine Ahnung, wie ich meine Schritte gelenkt habe. Ich sehe ihn nicht, aber ich spüre seine Nähe, die Liebe, die von ihm ausstrahlt. Das ist der Moment, auf den ich mein ganzes Leben gewartet habe. Was wird jetzt geschehen?
Ich höre seine Stimme voll Liebe sagen: "Was willst du, dass ich dir tue?" Was für eine Frage. Ich denke, Jesus, siehst Du es denn nicht, ich bin blind, was soll ein Blinder anderes wollen als zu sehen? Dann aber verstehe ich, Jesus will meinen tiefsten Wunsch aus meinem eigenen Mund hören. Er will nicht gerade mal schnell im Vorübergehen mich heilen, sondern er will persönlich mit mir reden. Er will mir zeigen, dass ich ihm wichtig bin. Und ich spreche den tiefsten Wunsch meines Herzens aus: "Rabbuni, dass ich sehen kann." Und Jesus sagt: "Geh, dein Glaube hat dich heil gemacht."
Es war wie ein Traum, in einem einzigen Augenblick veränderte sich mein ganzes Leben. Ich kann diesen Moment nicht beschreiben, was da genau passiert ist. Jedenfalls konnte ich plötzlich sehen. Ich sah Jesus vor mir stehen, seine liebevollen Augen auf mich gerichtet, ich sehe die Menschen um ihn herum. Für einen Augenblick spüre ich die Ewigkeit in dieser Welt. Das ist es, was die Leute erzählten, als sie sagten, das Reich Gottes sei auf Erden angebrochen. Dann geht Jesus weiter, es wird wieder geredet, die Stimmen schallen wieder wie Posaunen, aber ich sehe jetzt die Menschen, denen diese Stimmen gehören.
Ich überlege, was ich jetzt tun soll. Mein alter Platz kommt nicht mehr in Frage, den Mantel kann auch ein anderer haben. Für mich fängt jetzt ein neues Leben an. Ich mache zuerst das, was ich schon immer tun wollte, ich gehe den Weg nach Jerusalem hinauf, ich gehe ihn mit Jesus und seinen Jüngern zusammen. Ich höre, was Jesus spricht, bei ihm will ich bleiben. Doch ich kann nur wenige Tage bei ihm sein, denn in Jerusalem will man Jesus beseitigen. Er wird als Unruhestifter und Gotteslästerer angeklagt und verurteilt. Ich kann es erst nicht verstehen, was da passiert. Wenige Tage, nachdem er mich geheilt hat, stirbt Jesus am Kreuz. Ich bin fassungslos, wie viele seiner Jünger.
Doch plötzlich höre ich von Auferstehung. Was soll das sein? Jesus lebt wieder. Ich habe ihn mit meinen eigenen Augen als den Auferstandenen gesehen. Ich war dabei, als die Apostel am Pfingsttag plötzlich mit ganz neuer Kraft die Botschaft von Jesus verkündeten. Ich darf zu seiner Kirche gehören, von der ersten Stunde an. Und auf der ganzen Welt kennt man meinen Namen, weil ihn der heilige Evangelist Markus, dem ich selbst auch diese Geschichte erzählt habe, in seinem Evangelium aufgeschrieben hat.
Ich will Dir noch eines sagen: wenn Du glaubst, dass Dein Leben total mies ist, Du keine Freude hast und alles schief läuft, wenn Du Dir schon ewig etwas Gutes wünscht, ohne dass es in Erfüllung geht, warte wie ich in der Hoffnung, dass auch Jesus einmal an Dir vorüber kommt. Hoffe darauf und sei bereit, wenn er da ist, dann wird er auch Dich nicht übersehen und er wird Dich fragen: "Was willst du, dass ich dir tue?"