Markus 10,1-16

Ehe und Kinder

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Heilige Schrift
Von dort brach Jesus auf und kam nach Judäa und in das Gebiet jenseits des Jordan. Wieder versammelten sich viele Leute bei ihm und er lehrte sie, wie er es gewohnt war. (Mk 10,1)

Jesus hat sich lange in Galiläa im Gebiet des Sees Gennesaret aufgehalten. Dort, in seiner Heimat, war er bekannt und zugleich vor den Nachstellungen der jüdischen Obrigkeit relativ sicher. Nun aber wandert er mit seinen Jüngern Richtung Jerusalem. er tut das, was er gewohnt ist zu tun, die Menschen lehren und heilen. Doch nun ist er in Judäa und hier sind seine Gegner mächtiger. Sofort sind die Pharisäer zur Stelle, um Jesus mit einer Fangfrage in die Enge zu treiben.

Da kamen Pharisäer zu ihm und fragten: Ist es einem Mann erlaubt, seine Frau aus der Ehe zu entlassen? Damit wollten sie ihn versuchen. (Mk 10,2)

Die Frage nach der Ehe ist ein heikles Thema. Nicht erst in unserer modernen Zeit ist eine strenge Betonung der Unauflöslichkeit der Ehe in die Kritik geraten. Rein menschlich gesehen ist es eine enorme Herausforderung, dass zwei Menschen ein Leben lang zusammen bleiben und dabei noch glücklich sind. Aber ist die Unauflöslichkeit der Ehe deshalb schon unnatürlich oder gar unmenschlich?
Im Judentum war es üblich, dass der Mann, wenn ihm seine Frau "nicht mehr gefällt, weil er an ihr etwas Anstößiges entdeckt" (Dtn 24,1) - eine Aussage, die einen weiten Interpretationsspielraum lässt - ihr eine Scheidungsurkunde ausstellen und sie aus der Ehe entlassen konnte. Scheidung war hier allein das Recht des Mannes, der somit frei über seine Frau verfügen konnte. Die Frau hatte weder die Möglichkeit, sich dagegen zu wehren, noch andererseits von ihrer Seite die Ehe aufzukündigen, wenn ihr der Mann nicht mehr gefiel.
Dieses Recht auf Ehescheidung wird aber nicht durch das Gesetzt des Mose eingeführt, sondern es handelt sich hier um ein bestehendes Gewohnheitsrecht, das als gültig vorausgesetzt wird. Daher kann Jesus die Scheidungspraxis der Juden als Zugeständnis an die Hartherzigkeit der Menschen bezeichnen, das nicht dem ursprünglichen Willen Gottes entspricht und verweist auf die ursprüngliche Schöpfungsordnung Gottes.

Er antwortete ihnen: Was hat euch Mose vorgeschrieben? Sie sagten: Mose hat gestattet, eine Scheidungsurkunde auszustellen und die Frau aus der Ehe zu entlassen.
Jesus entgegnete ihnen: Nur weil ihr so hartherzig seid, hat er euch dieses Gebot gegeben. Am Anfang der Schöpfung aber hat Gott sie männlich und weiblich erschaffen.
Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen und die zwei werden ein Fleisch sein. Sie sind also nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch. (Mk 10,3-8)

Für Jesus ist nicht die Unauflöslichkeit der Ehe sondern vielmehr die Ehescheidung etwas Unnatürliches und Unmenschliches. So wie sie in Israel praktiziert wurde, ist sie eine Degradierung der Frau. Doch auch in anderen Situationen ist die Scheidung kein Zeichen menschlicher Liebe und Freiheit, sondern eine Folge von Egoismus und Hartherzigkeit.
Wie war Gottes ursprünglicher Schöpfungsplan? Im ursprünglichen Text zitiert Markus nach der griechischen Übersetzung der Heiligen Schrift und dann hört sich der Text noch einmal ganz anders an, als wir ihn üblicherweise kennen:

Am Anfang der Schöpfung hat Gott sie als Mann und Frau erschaffen. Darum wird der Mensch Vater und Mutter verlassen, und die zwei werden zu einem Fleisch. Was aber Gott zusammengespannt hat, das darf der Mensch nicht trennen.

Jesus hat mit seinen Worten die Trumpfkarte ausgespielt. Der Verweis auf Gen 2,24 sticht alle anderen Aussagen über Ehe, weil hier die Grundlage schlechthin definiert wird. Sehen wir uns den Text in der vorliegenden Form etwas genauer an. Während im gewohnten Text vom Mann die Rede ist, der Vater und Mutter verlässt und sich an seine Frau bindet, steht hier allgemein Mensch. Beide als, sowohl der Mann als auch die Frau verlassen ihre Familie und verschmelzen zu einer neuen Einheit. Mann und Frau sind in der Ehe nicht mehr zwei, sondern eins. Ein Fleisch. Stellen wir uns vor, wie schwer, ja geradezu unmöglich es ist, das, was zu einem lebendigen Körper zusammengewachsen ist, wieder in zwei Teile zu zertrennen.

Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen. (Mk 10,9)

Näher am Urtext müssten wir übersetzen: "was Gott zusammengespannt hat". Die Bibel gebraucht hier ein Bild aus der Landwirtschaft. Mehrere Zugtiere werden gemeinsam vor einen Wagen gespannt, damit sie sich die Last teilen und die Zugkraft erhöhen. Ehe bedeutet nicht, dass einer die Zügel in der Hand hat und der andere den Karren zieht, sondern dass beide gemeinsam ziehen, gemeinsam durch Dick und Dünn, durch Freude und Leid gehen.
Eine solche Ehe, in der die Partner gemeinsam das Leben angehen, schafft dann auch den Raum dafür, dass aus ihr Kinder hervorgehen, die dann wieder selbst in der Lage sind, das Leben zu meistern. Kinder, die Jesus liebevoll zu sich nimmt und denen er das Reich Gottes verheißt.
Was aber, wenn das gemeinsame Leben doch nicht funktioniert? Wenn einer der Partner - um im Bild zu bleiben - vom gemeinsamen Joch ausschert und den anderen alleine ziehen lässt, wenn er das gemeinsame Fleisch zerschneidet und somit gerade auch dem anderen eine tiefe Wunde zufügt?
Die Lehre Jesu über die Ehe ist zweigeteilt. Die Worte, die wir bisher gehört haben, lehrt Jesus in der Öffentlichkeit. Dann aber zieht er sich mit seinen Jüngern in die vertraute Atmosphäre des Hauses zurück und die Jünger befragen ihn noch einmal zu diesem Thema. Hier folgt nun eine wichtige Ergänzung zu dem vorher Gesagten:

Zu Hause befragten ihn die Jünger noch einmal darüber. Er antwortete ihnen: Wer seine Frau aus der Ehe entlässt und eine andere heiratet, begeht ihr gegenüber Ehebruch. Und wenn sie ihren Mann aus der Ehe entlässt und einen anderen heiratet, begeht sie Ehebruch. (Mk 10,10-12)

Bei Markus gesteht Jesus sowohl dem Mann als auch der Frau das Recht auf Scheidung zu. Sowohl der Mann als auch die Frau kann den anderen aus der Ehe entlassen. Ich denke, dass diese zunächst unscheinbare Parallelität der Verse 11 und 12 nicht zu unterschätzen ist.
Nicht die Trennung führt zum Ehebruch, sondern erst eine erneute Ehe. Eine solche gesteht Jesus den getrennten Partnern nicht zu, weder dem Mann noch der Frau. Der Platz an der Seite des Partners soll frei bleiben und somit stets die Möglichkeit für eine Wiederversöhnung.
Ist Jesus hier weltfremd? Während viele Jesus im ersten Teil seiner Rede Recht geben mögen, werden sich doch etliche an dem zweiten Teil stoßen. Wir sehen dies heute besonders an der Diskussion über den Kommunionempfang von wiederverheirateten Geschiedenen.
Wir sollten trotz allem menschlichen Scheitern zunächst einmal die positive Bedeutung der Ehe aus christlicher Sicht hervorheben. Ein Ehepartner ist etwas grundlegend anderes als der heute so beliebte "Lebensabschnittsgefährte". Ehe setzt die grundlegende Bereitschaft dazu voraus, sich zu einem gewissen Teil selbst aufzugeben und eine neue Einheit mit dem Partner zu bilden. Mit der Ehe entsteht etwas grundlegend Neues, das über die bloße Summe zweier Menschen hinausgeht.
Dann aber dürfen wir auch den Blick auf die Realität nicht verlieren. Ehen können scheitern. Die Ursachen dafür sind vielseitig. Hier gilt es, die tieferen Ursachen für Konflikte so früh wie möglich zu erkennen und alles Mögliche zu tun, die Einheit zu bewahren. Wenn aber der Fall eintritt, dass der Riss so tief geht, dass er das gemeinsame Fleisch durchschneidet, dann gilt es, dieses Problem jeweils individuell zu klären. Wie Jesus sich mit seinen Jüngern in das Haus zurückzieht und sie tiefer in seine Lehre einführt als die breite Öffentlichkeit, so gilt es dann auch hier in einem vertraulichen Rahmen nach Lösungen zu suchen.
Wir sollen uns immer wieder bewusst machen, dass Gott es ist, der die Verbindung der Eheleute schafft. "Was Gott verbunden hat ..." Nur, wenn wir ihm Raum geben in unserer Beziehung, kann er den Frieden und die Einheit wirken, die zusammenhält. Wenn wir seinem Wirken Raum geben, kann er Versöhnung schaffen, kann er einen Ausweg zeigen, wo eine Situation ausweglos erscheint.
Unterschätzen wir nicht, wie wichtig es ist, dass die Eheleute gemeinsam beten, dass sie füreinander beten und dass auch wir für die Eheleute beten, besonders dann - aber auch nicht erst dann - wenn wir sehen, dass eine Ehe in die Krise gerät.
Nicht alle können Jesus so nachfolgen, wie die Apostel, indem sie alles verlassen und ganz für Jesus da sind. Damit eine Gesellschaft Bestand haben kann, braucht sie als Fundament die Familie, deren Grundlage die Ehe zwischen Mann und Frau ist und aus der die Kinder hervorgehen. Und "Weltmenschen" brauchen auch ein gewisses Maß an Besitz.
Jesus gibt hier Grundregeln für eine christliche Ehe. Auch wenn Jesus immer wieder Menschen dazu beruft, um seinetwillen auf die Ehe zu verzichten, so ist doch die Ehe der Stand, im dem der Großteil der Gläubigen die Nachfolge verwirklicht. Die Gemeinschaft von Mann und Frau entspringt der Schöpfungsordnung, wie Gott sie am Anfang gegeben hat. Die Ehe ist unauflösbar. Dass Jesus eine besondere Beziehung zu Kindern hat, haben wir im vorangehenden Kapitel schon gesehen. Nun lässt er sich erneut von Kindern umringen und belehrt die Jünger, die ihm die Kinder vom Leibe halten wollen, ja er stellt sie ihnen sogar als Vorbild hin.

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Heilige Schrift
Da brachte man Kinder zu ihm, damit er sie berühre. Die Jünger aber wiesen die Leute zurecht. (Mk 10,13)

Die Leute bringen Kinder zu Jesus, damit er sie segnet. Diese Episode folgt unmittelbar auf die Belehrung Jesu über die Ehe. Wenn Markus diese beiden Stellen so eng miteinander verknüpft, hat das sicher seinen Grund. Kinder sind die lebendige Frucht der Beziehung zwischen Mann und Frau, und eine gute Ehe ist eine der wichtigsten Grundlagen dafür, dass Kinder glücklich aufwachsen können.
Im Christentum hat man schon sehr früh den Stand der Jungfräulichkeit höher geschätzt als die Ehe. Seit dem Zweiten Vatikanum entdeckt die Kirche die Bedeutung der Eheleute für das religiöse Leben wieder neu. Jesus im Kreis der Kinder zeigt uns, dass auch für ihn die Familien wichtig waren. Er freut sich über die Kinder und es liegt ihm am Herzen, dass sie ein erfülltes Leben haben.
Als die Jünger die drängelnden Mütter mit ihren schreienden Kindern abweisen wollen, sagt er:

Als Jesus das sah, wurde er unwillig und sagte zu ihnen: Lasst die Kinder zu mir kommen; hindert sie nicht daran! Denn solchen wie ihnen gehört das Reich Gottes. (Mk 10,14)

Die Offenherzigkeit der Kinder, die ohne Vorbehalte und ohne Scheu auf Jesus zugehen, um sich von ihm in die Arme nehmen zu lassen, wird zum Vorbild für die Jünger:

Amen, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht so annimmt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen. Und er nahm die Kinder in seine Arme; dann legte er ihnen die Hände auf und segnete sie. (Mk 10,15-16)

Was könnte deutlicher zeigen, dass der Ruf Jesu an einzelne in die radikale Nachfolge nicht die Familie mit Kindern als gleichwertigen Weg der Nachfolge ausschließt?
Ebenso zeigt die folgende Episode vom reichen Jüngling, dass nicht alle dazu berufen sind, für die Nachfolge Jesu ihren Besitz aufzugeben. Wohl aber gibt es Menschen, die diese Berufung haben. Für diese ist es dann umso wichtiger, diesem sehr hart und unerreichbar scheinenden Ruf Jesu zu folgen.