Lukas 19,28-48

Einzug in Jerusalem

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Lukas
Nach dieser Rede zog Jesus voran und ging nach Jerusalem hinauf. (Lk 19,28)

Unmittelbar bevor Jesus nach Jerusalem kam, hatte er das Gleichnis von einem vornehmen Mann erzählt, der in ein fernes Land zog, um die Königswürde zu erlangen. Für Jesus beginnt nun der Weg zu seinem Königtum. Wie ein künftiger König zieht er in Jerusalem ein und wird von der Menschenmenge freudig empfangen. Zuvor aber müssen seine Jünger noch einige Vorbereitungen für diesen Einzug treffen.

Und es geschah: Er kam in die Nähe von Betfage und Betanien, an den Berg, der Ölberg heißt, da schickte er zwei seiner Jünger aus und sagte: Geht in das Dorf, das vor uns liegt! Wenn ihr hineinkommt, werdet ihr dort ein Fohlen angebunden finden, auf dem noch nie ein Mensch gesessen hat. Bindet es los und bringt es her! Und wenn euch jemand fragt: Warum bindet ihr es los?, dann antwortet: Der Herr braucht es.
Die Ausgesandten machten sich auf den Weg und fanden alles so, wie er es ihnen gesagt hatte. Als sie das Fohlen losbanden, sagten die Leute, denen es gehörte: Warum bindet ihr das Fohlen los? Sie antworteten: Weil der Herr es braucht. (Lk 19,29-34)

Alle Evangelien berichten davon, dass Jesus auf einem Esel reitend in Jerusalem eingezogen ist. Es ist ein junger Esel, auf dem vorher noch niemand gesessen hat. Jesus beauftragt seine Jünger, diesen bei gewissen nicht näher genannten Leuten zu holen. Da die Evangelien von dem Esel und seiner Beschaffung doch relativ ausführlich berichten, liegt die Vermutung nahe, dass dieser Vorgang eine tiefere Bedeutung hat.

Jesus sagte voraus, dass niemand sie hindern werde, vielmehr auf ihre Worte hin alle zu diesem Tun schweigen würden. ... Irrig wäre die Meinung, der Vorgang habe nicht viel zu bedeuten. Denn wie kamen diese Landleute, die wahrscheinlich arm waren, dazu, sich ohne Widerspruch ihr Eigentum entführen zu lassen? ... Zwei sehr auffallende Umstände: sie sagten gar nichts dazu, dass man ihre Lasttiere wegführte und willigten noch ohne Widerrede ein, als sie hörten, der Herr bedürfe ihrer; und dabei sahen sie ihn selbst nicht einmal, sondern nur seine Jünger. (Johannes Chrysostomus)

Johannes Chrysostomus deutet dies zum einen als ein Zeichen dafür, dass Jesus auch leicht seinem Leiden hätte entgehen können, wenn er es gewollt hätte. Wie die Besitzer des Esels seinem Wunsch willig folgten, so hätte er sich auch die Gunst der Juden erwerben können. Doch nach Gottes Willen sollte es anders kommen.

Jesus wollte die Jünger, die über seinen bevorstehenden Tod betrübt waren, ermutigen und ihnen zeigen, dass er sich dem ganzen Leiden freiwillig unterzog. (Johannes Chrysostomus)

Der Esel, der so willig sich zum Herrn führen lässt und sich von ihm in Dienst stellen lässt, wird aber auch zu einem Bild der Kirche und jedes einzelnen Gläubigen.

Beachte dabei, wie fügsam das Füllen ist. Obwohl noch nicht zugeritten und noch an keine Zügel gewohnt, schreitet es doch ruhigen Schrittes dahin, ohne sich zu bäumen. Auch in diesem Umstand liegt eine Prophezeiung: es wird angedeutet, wie willig sich die Heiden zeigen und mit welcher Bereitwilligkeit sie sich in die neue Ordnung fügen werden. (Johannes Chrysostomus)

Wenn schon die Heiden sich so willig zu Christus hin bekehren, wie viel mehr müssen dann die Gläubigen ihm dienen. Jesus zeigt den Aposteln und uns allen, dass wir bereit sein sollen, ihm alles zu schenken. Dieses Schenken zeigt sich ganz besonders auch im Dienst an den Armen, dem Almosengeben, zu dem wir in der Fastenzeit besonders aufgerufen sind.

Christus verlangt nur, dass wir den Bedürftigen geben, und verheißt uns dafür das Himmelreich. ... Seien wir also nicht so kleinlich, nicht so unmenschlich und grausam gegen uns selbst, sondern ergreifen und betreiben wir vielmehr dieses vorzügliche Geschäft, dann werden wir glücklich hinübergehen und es zugleich auch unseren Söhnen hinterlassen können; dann werden wir auch der ewigen Güter teilhaftig werden durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, dem mit dem Vater und dem Heiligen Geiste Ruhm, Macht und Ehre sei jetzt und allezeit und in alle Ewigkeit. Amen! (Johannes Chrysostomus)

Johannes Chrysostomus stellt uns also den Palmesel geradezu als Vorbild hin. Der Esel, der eigentlich ein störrisches Tier ist, fügt sich ganz dem Willen Jesu und als er dann auf dem Esel Platz genommen hat, kann der festliche Einzug in Jerusalem beginnen.

Dann führten sie es zu Jesus, legten ihre Kleider auf das Fohlen und halfen Jesus hinauf. Während er dahinritt, breiteten die Jünger ihre Kleider auf dem Weg aus. Als er sich schon dem Abhang des Ölbergs näherte, begann die Schar der Jünger freudig und mit lauter Stimme Gott zu loben wegen all der Machttaten, die sie gesehen hatten. Sie riefen: Gesegnet sei der König, der kommt im Namen des Herrn. Im Himmel Friede und Ehre in der Höhe! (Lk 19,35-38)

Wie vor einem König breiten die Jünger vor Jesus ihre Kleider auf der Straße aus und zieren den Weg mit Palmzweigen. Wir kennen es heute noch, dass ein roter Teppich ausgelegt wird, wenn hohe Staatsgäste oder Prominente empfangen werden. Es ist ein wahrhaft königlicher Einzug, den Jesus in Jerusalem inszeniert, ganz anders als wir es von seinem bisherigen Auftreten gewohnt sind. Jesus erfüllt die Messias-Weissagung des Propheten Sacharja:

Juble laut, Tochter Zion! Jauchze, Tochter Jerusalem! Siehe, dein König kommt zu dir. Er ist gerecht und hilft; er ist demütig und reitet auf einem Esel, auf einem Fohlen, dem Jungen einer Eselin. (Sach 9,9)

So ist das Reiten Jesu auf einem Esel sicherlich zunächst ein Zeichen seiner Demut.

Er kommt also nicht auf einem Wagen, wie andere Könige, nicht um Steuern einzuheben, nicht mit Groß und Leibwache, sondern er bekundet auch hierin eine große Bescheidenheit. (Johannes Chrysostomus)

Wenn Jesus aber auf einem Esel in Jerusalem einzieht, so macht er damit zugleich seinen Anspruch deutlich, der Messias, der neue König von Israel zu sein. Die Menschen wissen dieses Zeichen zu deuten. Die einen hoffen nun auf den Anbruch der neuen Gottesherrschaft, die anderen versuchen diese mit allen Mittel zu verhindern. Womit aber wohl keiner rechnet, ist das, was in den nächsten Tagen in Jerusalem geschehen wird: Dass der Messias-König seine Herrschaft antritt als König am Kreuz.

Da riefen ihm einige Pharisäer aus der Menge zu: Meister, weise deine Jünger zurecht! Er erwiderte: Ich sage euch: Wenn sie schweigen, werden die Steine schreien. (Lk 19,39-40)

Die Pharisäer wollen den Siegeszug Jesu aufhalten, aber es wird ihnen nicht gelingen. Wenn sie die Menschen zum Schweigen brächten, würden die Steine schreien und als sie schließlich Jesus in den Tod gebracht haben, wird er zu neuem Leben auferstehen. Und doch ist Jesus voller Trauer darüber, dass Jerusalem sich nicht bekehrt, dass es nur wenige sein werden, die ihm treu bleiben.

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Dominus flevit
Als er näher kam und die Stadt sah, weinte er über sie und sagte: Wenn doch auch du an diesem Tag erkannt hättest, was Frieden bringt. Jetzt aber ist es vor deinen Augen verborgen. Denn es werden Tage über dich kommen, in denen deine Feinde rings um dich einen Wall aufwerfen, dich einschließen und von allen Seiten bedrängen. Sie werden dich und deine Kinder zerschmettern und keinen Stein in dir auf dem andern lassen, weil du die Zeit deiner Heimsuchung nicht erkannt hast. (Lk 19,39-44)

Nur der Evangelist Lukas berichtet uns von einem ganz besonderen Ereignis im Zusammenhang mit dem Einzug Jesu in Jerusalem. Der prachtvolle Triumphzug des Herrn, den seine Jünger mit ihren Rufen begleiten, beginnt oben auf dem Ölberg. Von dort führt der Weg steil hinab nach Jerusalem und dann durch das Kidrontal hindurch wieder zur Stadtmauer hinauf. Immer hat man hier die imposante Kulisse der Stadt mit dem mächtigen Tempelkomplex vor Augen.
Tief erschüttert hält Jesus auf dem Weg vom Ölberg hinab inne. Er sieht deutlich vor Augen, wie diese prachtvolle Stadt zusammen mit dem Tempel zerstört werden wird. Jesus weint, weil er das Unheil sieht, das sich sicher kein anderer von denen, die mit Jesus den Ölberg hinabziehen, vorstellen kann.
Jesus weiß um das, was kommt, weil das Schicksal der Stadt zutiefst mit ihm selbst verknüpft ist. In Jesus Christus kommt Gott in seine Stadt, die seit Urzeiten im Tempel die Wohnung Gottes auf Erden birgt. Doch die Bewohner der Stadt nehmen Gott nicht auf, sondern werfen ihn aus der Stadt hinaus, indem sie ihn vor ihren Toren kreuzigen. Ein unfassbares Ereignis.
Wie oft hat es seither weitere unfassbare Ereignisse gegeben. Wie oft wurde seither die Heimat von Menschen zerstört, gerieten Menschen in Armut und Not und mussten gar ihr Leben lassen, weil die Menschen nicht erkennen, was den Frieden bringt und die Gier nach Macht und Reichtum einiger Weniger stärker ist als das Streben nach einer gerechten Ordnung, in der alle in Frieden leben können.
Der Herr weint auch heute über unsere Welt. Ihm ist das Schicksal so vieler, die Opfer von Kriegen, Terror und Gewalt werden, nicht verborgen. Beten wir um den Frieden in der Welt und dass die Menschen erkennen und umsetzen, was dem Frieden dient - im Großen wie im Kleinen, denn jeder Mensch kann in seiner Umgebung helfen, dem Frieden Raum zu schaffen.

Dann ging er in den Tempel und begann, die Händler hinauszutreiben. Er sagte zu ihnen: Es steht geschrieben: Mein Haus soll ein Haus des Gebetes sein. Ihr aber habt daraus eine Räuberhöhle gemacht.
Er lehrte täglich im Tempel. Die Hohepriester, die Schriftgelehrten und die Ersten im Volk aber suchten ihn umzubringen. Sie wussten jedoch nicht, was sie machen sollten, denn das ganze Volk hing an ihm, um ihn zu hören. (Lk 19,45-48)

Ungehindert geht Jesus nach seinem Einzug in Jerusalem in den Tempel. Es macht ihn wütend, was er dort sieht. Anstatt ein Haus des Gebetes zu sein, wurde der Tempel zu einer Räuberhöhle, die Priester machen mit der Frömmigkeit der Menschen ein Geschäft. Sie leben gut von diesem Gewinn und vernachlässigen ihre eigentliche Aufgabe. Das Gotteslob und die Opfer werden zwar nach den vorgeschriebenen Regeln vollbracht, aber ohne Herz. Die Religion wurde ausgehöhlt zu einem bloßen Formalismus.
Jesus will dem Glauben an den Gott Israels wieder das Herz zurückgeben. Damit aber gefährdet er Macht und Gewinn der religiösen Führer. Sie stellen sich gegen ihn und beraten, wie sie Jesus aus dem Weg räumen können. Aber noch kann sich Jesus ungehindert bewegen. Mehrere Tage lang lehrt er im Tempel und zeigt den Menschen, was der Wille Gottes ist.