Lukas 15,1-10

Verloren, Wiedergefunden

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Heilige Schrift
Alle Zöllner und Sünder kamen zu ihm, um ihn zu hören. Die Pharisäer und die Schriftgelehrten empörten sich darüber und sagten: Er gibt sich mit Sündern ab und isst sogar mit ihnen. Da erzählte er ihnen ein Gleichnis und sagte: Wenn einer von euch hundert Schafe hat und eins davon verliert, lässt er dann nicht die neunundneunzig in der Steppe zurück und geht dem verlorenen nach, bis er es findet? Und wenn er es gefunden hat, nimmt er es voll Freude auf die Schultern, und wenn er nach Hause kommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn zusammen und sagt zu ihnen: Freut euch mit mir; ich habe mein Schaf wiedergefunden, das verloren war. Ich sage euch: Ebenso wird auch im Himmel mehr Freude herrschen über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die es nicht nötig haben umzukehren. (Lk 15,1-7)

Jesus erzählt drei Gleichnisse hintereinander, die eng zusammengehören, das Gleichnis vom verlorenen Schaf, das Gleichnis von der verlorenen Drachme und das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Der Hirte sucht unermüdlich das eine verlorene Schaf, bis er es findet. Die Frau fegt das ganze Haus, bis sie das verlorene Geldstück wieder in Händen hält. Und der Vater schließt den verlorenen Sohn voll Liebe in seine Arme. Was allen drei Gleichnissen gemeinsam ist, ist die Freude, die Freude darüber, dass etwas oder jemand Verlorenes wieder da ist.

Lukas stellt drei Gleichnisse hintereinander: Das verlorene Schaf, das wiedergefunden wurde; die verlorene Drachme, die wiedergefunden wurde; der Sohn, der tot war und wieder zum Leben zurückgekehrt ist; so werden wir durch ein dreifaches Heilmittel aufgerufen, unsere Sünden zu heilen. Christus trägt dich als Hirt mit seinem Leib, die Kirche sucht dich als Mutter, Gott nimmt dich auf als Vater. (Ambrosius)

Bevor Jesus diese Gleichnisse erzählt, berichtet Lukas davon, dass alle Zöllner und Sünder zu Jesus kommen. Darüber empören sich die Pharisäer und Schriftgelehrten. Mit solchen Menschen darf ein Frommer keinen Umgang haben. Die Welt ist klar geordnet. Auf der einen Seite die Guten, auf der anderen die Bösen. Jeder entscheidet selbst, wo er hingehören will. Wer sich für die böse Seite entscheidet, der ist verloren und abgeschrieben. Er ist selbst schuld an seinem Schicksal. Hätte er mal früher bedacht, was er tut. Soll er doch sehen, wohin er mit seiner Einstellung kommt.

Schauen wir uns das Gleichnis vom verlorenen Schaf einmal genauer an. Bilder mit Schafen und Hirten gibt es unzählige in der Heiligen Schrift. Das Bild vom Hirten mit seinen Schafen war den Menschen zur Zeit Jesu aus ihrer Alltagswelt unmittelbar vertraut, aber auch wir, die dieses Bild nicht mehr so deutlich vor Augen haben, können leicht verstehen, worum es geht.
Die Schafe sind auf die Sorge des Hirten angewiesen. Ohne ihn sind sie hilflos. Es kam immer wieder vor, dass sich Schafe von der Herde verirrten. Würde ein solches Schaf die Nacht im Freien verbringen müssen, würde das sicher seinen Tod bedeuten. Es wäre eine leichte Beute für Raubtiere, gegen die es sich in keiner Weise wehren kann.
Auf dieses eine Schaf, dessen Leben in größter Gefahr ist, richtet sich nun die ganze Sorge des Hirten. Aber sind die Hirten wirklich so, wie Jesus sie beschreibt? Kann sich ein Hirte wirklich erlauben, dem einen verlorenen Schaft nachzugehen, und die anderen allein zurück zu lassen? Selbst wenn er es sucht, wird er es dann nicht viel mehr voller Zorn mit vielen Schlägen zur Herde zurück treiben, anstatt es auf den Schultern zu tragen?
Nur wer die Liebe kennt, kann sich vorstellen, was der Verlust eines geliebten Menschen bedeutet. Nur wer liebt, wird seine ganze Mühe daran setzen, den geliebten Menschen rastlos zu suchen. Und wenn er ihn gefunden hat, wird er alle Sorge um den Vermissten vergessen, aus lauter Freude über das Wiedersehen. Er denkt gar nicht daran, dem anderen Vorwürfe zu machen, sondern allein die Freude erfüllt nun sein Herz.
Diese Freude ist das zentrale Geheimnis des Gleichnisses. Nur wer diese Freude der Liebe kennt, weiß etwas vom Herzen Gottes. Gott geht dem Verlorenen nach und seine Arme sind weit ausgestreckt, um jeden zu umfassen, der sich ihm zuwendet. Wer Gottes Liebe kennt, wird keinen Menschen mehr verurteilen und über niemand mehr richten. Er wird erkennen, wie sehr er selbst ständig der göttlichen Liebe und Barmherzigkeit bedarf.
Wir alle sind wie verirrte Schafe. Nie werden wir vollkommen den Willen Gottes erfüllen. Immer werden wir unseren eigenen Weg gehen und brauchen den guten Hirten, der uns voller Liebe sucht und an sein Herz zurückholt. Jesus will uns zeigen, dass auch im Himmel Freude herrscht über jeden einzelnen Menschen, der umkehrt. Gott wird nicht müde, sich an uns zu freuen, wenn er uns an sein Herz drücken kann.

Es ist zu bemerken, dass Gott nicht sagt: Freut euch mit dem gefundenen Schaf! sondern: Freut euch mit mir! Denn offenbar macht es ihn froh, wenn wir leben. Und wenn wir zum Himmel zurückgeführt werden, ist seine festliche Freude vollkommen.
Gregor der Große
Oder wenn eine Frau zehn Drachmen hat und eine davon verliert, zündet sie dann nicht eine Lampe an, fegt das ganze Haus und sucht unermüdlich, bis sie das Geldstück findet? Und wenn sie es gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen zusammen und sagt: Freut euch mit mir; ich habe die Drachme wiedergefunden, die ich verloren hatte.Ich sage euch: Ebenso herrscht auch bei den Engeln Gottes Freude über einen einzigen Sünder, der umkehrt. (Lk 15,8-10)

Vielleicht liegt das Bild von der verlorenen Drachme unserer Alltagserfahrung näher als das mit den Schafen. Wenn wir zehn Scheine zu je zehn Euro haben und plötzlich merken, dass wir nur noch neun im Geldbeutel haben, werden wir überlegen, wo das fehlende Geld ist und anfangen zu suchen - und wir sind froh, wenn wir das Geld wiedergefunden haben. Es wird kaum jemand sagen: Ach lass doch das Geld, soll es doch ein anderer finden.
Die Drachme der Frau im Gleichnis reichte gerade dafür aus, das zu kaufen, was sie für einen Tag zum Leben brauchte. Sie hat zehn Drachmen, das heißt für die nächsten zehn Tage ist gesorgt, nicht gerade ein großes finanzielles Polster. Wir können uns vorstellen, was es für sie bedeutet, wenn ihr eine Drachme verloren geht.
Mit Feuereifer sucht sie das verlorene Geldstück. Eine Lampe anzuzünden war damals ein weit größerer Aufwand, als unser Druck auf den Lichtschalter, in den Hütten damals war Fegen weit mühsamer als auf unseren heutigen Parkettböden. Wie viele Ritzen und Spalten es in so einer Hütte gab, in die das Geld gerutscht sein könnte, weiß niemand. Doch endlich hat sie es gefunden, ihre Mühen sind belohnt worden.
Manchmal ist es ja auch unsere eigene Unvorsichtigkeit, dass etwas verloren geht. Eine kleine Unachtsamkeit kann uns mühsame Stunden bescheren, bis wir den Fehler wieder in Ordnung gebracht haben. Da hilft kein Jammern und Klagen. Vielleicht will uns Jesus mit diesem Gleichnis auch zeigen, wie sehr er unseren Alltag kennt, wie leicht da mal etwas schief geht, sei es bei unseren Tätigkeiten, aber auch beim Umgang mit anderen Menschen.
Was auch geschehen ist, wir sollen nicht die Mühe scheuen, die Sache wieder in Ordnung zu bringen. Dann werden auch wir die Freude erfahren, von der Jesus im Gleichnis spricht.