Wenn wir sagen, dass wir keine Sünde haben, führen wir uns selbst in die Irre und die Wahrheit ist nicht in uns. Wenn wir unsere Sünden bekennen, ist er treu und gerecht; er vergibt uns die Sünden und reinigt uns von allem Unrecht. (1Joh 1,8-9)
Johannes ist hier sehr realistisch. Jeder Mensch, auch der Frömmste, kann nicht vollkommen ohne Sünde sein. Es gibt keine Elite der sündenlosen Reinen. Die Geschichte hat immer wieder Beispiele dafür geliefert, wohin es führt, wenn Menschen sich als rein betrachten und eine Gemeinschaft der Reinen aufbauen wollen. Ein solches Unterfangen endet in der Katastrophe. Jeder Mensch muss erkennen, dass er auch schwach ist. Das ist aber kein Freibrief für die Sünde. Wie oben schon gesagt, es muss die Bereitschaft da sein, die Sünde so weit es geht zu meiden, es muss die Bereitschaft da sein, im Licht zu leben.
Gott weiß um die Schwäche des Menschen. Er ist immer wieder bereit, dem Menschen zu vergeben. Johannes sagt ganz deutlich: Wer sagt, dass er nicht gesündigt hat, der macht Gott zum Lügner. Das ist ein sehr drastisches Urteil. Möglicherweise hat Johannes Menschen in der Gemeinde vor Augen, die sich als die Reinen betrachtet haben und die anderen als unwürdige Christen verurteilt haben.
Vielmehr muss der Mensch bereit sein, immer wieder für seine Sünden grade zu stehen, sie zu bekennen und um Vergebung zu bitten. Der Mensch kann vor Gott nicht bestehen. Im Vergleich zu Gottes Reinheit wird der Mensch immer Sünder bleiben. Doch gewährt Gott dem Menschen Gemeinschaft mit sich. Doch nicht die sind vor Gott recht, die sich auf Grund ihrer eigenen Verdienste als rein ansehen, sondern die, die sich von Gott rein machen lassen. Wer seine eigene Schwachheit vor Gott bekennt, dem wird Gott in seiner Liebe stark machen.
In den Sprüchen der Wüstenväter kommt deutlich zum Ausdruck, dass gerade die größten unter diesen Heiligen sich auch immer bewusst sind, dass sie Sünder sind. Dafür einige Beispiele:
Der Altvater Antonius sprach zum Altvater Poimen:
Das ist das große Werk des Menschen, dass er seine Sünde vor das Angesicht Gottes emporhalte, und dass er mit Versuchung rechne bis zum letzten Atemzug.
Ein Bruder fragte den Altvater Poimen: "Meine Gedanken beunruhigen mich, ich soll mich um meine Sünden nicht kümmern, und sie verleiten mich, auf die Mängel des Bruders zu sehen."
Und der Alte erzählte ihm vom Abbas Dioskuros: Er war in seinem Kellion und weinte über sich. Sein Schüler saß in einem anderen Kellion. Als er nun zum Alten kam, fand er ihn weinend und sagte zu ihm: "Vater, was weinst du?"
Der Greis erwiderte: "Meine Sünden beweine ich."
Da sprach der Schüler zu ihm: "Du hast doch keine Sünden, Vater!"
Da antwortete der Greis: "In Wahrheit, Kind, wenn es mir gestattet wäre, meine Sünden zu sehen, dann würden drei oder vier Menschen nicht ausreichen, um sie zu beweinen."
Der Altvater Matoe sagte: Je mehr der Mensch Gott nahekommt, desto mehr sieht er sich für einen Sünder. Auch Isaias, der Prophet, schaute Gott, und er bezeichnete sich als armselig und unrein. (vgl. Jes 6,5)
(Apophthegmata Patrum)
Wenn wir sagen, dass wir nicht gesündigt haben, machen wir ihn zum Lügner und sein Wort ist nicht in uns. (1Joh 1,10)
Wer sich vor Gott als Sünder bekennt, findet Erbarmen, wer sich aber selbst erhebt und als rein bezeichnet, der ist ein Lügner und macht auch Gott zum Lügner. Wir dürfen stets auf Gottes Erbarmen hoffen, aber wir sollen dieses Erbarmen auch nicht ausnutzen.