Philipper 1,27-2,11

Jesu Beispiel folgen

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Vor allem: Lebt als Gemeinde so, wie es dem Evangelium Christi entspricht. Ob ich komme und euch sehe oder ob ich fern bin, ich möchte hören, dass ihr in dem einen Geist feststeht, einmütig für den Glauben an das Evangelium kämpft und euch in keinem Fall von euren Gegnern einschüchtern lasst. Das wird für sie ein Zeichen dafür sein, dass sie verloren sind und ihr gerettet werdet, ein Zeichen, das von Gott kommt.
Denn euch wurde die Gnade zuteil, für Christus da zu sein, also nicht nur an ihn zu glauben, sondern auch seinetwegen zu leiden. Denn ihr habt den gleichen Kampf zu bestehen, den ihr früher an mir gesehen habt und von dem ihr auch jetzt hört. (Phil 1,27-30)

Am Ende des ersten Abschnitts hat Paulus deutlich gemacht, dass christliches Leben darin seinen Sinn hat, Christus zu verherrlichen. Wer in Christus ist, hat das Leben, egal was geschieht. Es ist jedoch eine tägliche Herausforderung, dieses Leben in Christus zu bewahren und zu vervollkommnen. Dazu ermuntert Paulus die Philipper.
Die Gläubigen in Philippi scheinen unter den Angriffen von Gegnern des Christentums zu leiden zu haben. Das wundert nicht, wenn wir davon hören, welch verschiedenartige Kulte in der Stadt heimisch waren. Es geht ihnen wie Paulus, der um des Glaubens willen im Gefängnis ist. Das gemeinsame Schicksal schweißt Apostel und Gemeinde zusammen. Wichtig ist, sich nicht einschüchtern zu lassen. Wer standhaft bleibt, trägt den Sieg davon.

Wenn es also Ermahnung in Christus gibt, Zuspruch aus Liebe, eine Gemeinschaft des Geistes, herzliche Zuneigung und Erbarmen, dann macht meine Freude dadurch vollkommen, dass ihr eines Sinnes seid, einander in Liebe verbunden, einmütig und einträchtig, dass ihr nichts aus Ehrgeiz und nichts aus Prahlerei tut. Sondern in Demut schätze einer den andern höher ein als sich selbst. Jeder achte nicht nur auf das eigene Wohl, sondern auch auf das der anderen. (Phil 2,1-4)

Für Paulus ist es wichtig, dass die Gemeinde zusammen hält, dass alle aufeinander schauen, dass nicht jeder seinen eigenen Vorteil sucht, sondern auf andere Rücksicht nimmt. Die Freude des Apostels wird vollkommen, wenn die Philipper einmütig in der Liebe sind. Dieses Leben aus der Liebe konkretisiert sich in einem Leben in Demut. Damit stellt Paulus die Wertehierarchien der Umwelt der frühen christlichen Gemeinden und auch von uns heute auf den Kopf.

Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht. (Phil 2,5)

Paulus stellt der Gemeinde von Philippi, in der es Rangeleien um Führungspositionen und Einfluss gibt, das Beispiel Jesu vor Augen. Paulus betont hier, dass Jesus Christus Gott gleich war. Er war, wie wir glauben, vor allen Zeiten beim Vater, im Geheimnis der Dreifaltigkeit eins mit dem Vater und dem Heiligen Geist. Doch er behielt dieses Gott-Sein nicht für sich, er kam als gewöhnlicher Mensch auf diese Erde. Jesus gibt so ein Beispiel der Demut. Demut bedeutet nicht, sich hinten anzustellen, nichts zu tun, weil man nichts kann. Demut bedeutet, die eigenen Fähigkeiten einzubringen, aber dabei nicht auf das Ansehen bei den Menschen aus zu sein, nicht nach Macht zu gieren, sondern einfach das zu tun, was man kann, weil man weiß, dass es so gut ist.
Wir erleben oft, wie Menschen sich an Machtpositionen klammern. Sie mögen große Fähigkeiten haben. Aber wenn ein Mensch seine Machtposition höher stellt als seine Fähigkeiten, hat das negative Auswirkungen auf die ganze Gemeinschaft. Andere, die auch ihre Fähigkeiten einbringen wollen, werden an den Rand gedrängt, weil einer um seine Macht fürchtet. Die Vielfalt, die eine lebendige Gemeinschaft auszeichnet, nimmt ab, weil andere Meinungen von der Führungsperson zurückgedrängt werden. Manche dieser Führungspersonen legitimieren ihr Verhalten gar mit einer Verantwortung, die sie für die Gemeinschaft hätten, wobei ihre Verantwortung eher darin bestünde, von ihrem Machtanspruch abzurücken, und Raum für neue Ideen zu schaffen. Es bedürfte der Stärke, loszulassen, aber dem steht die Angst vor Machtverlust entgegen.
Jesus hielt nicht an der Macht seiner Gottheit fest. Er ließ seine Macht los, kam als einfacher Mensch. Er hat getan, was ihm als gut und richtig erschien, hat nicht anderen nach dem Mund geredet, sondern deutlich seine Meinung gesagt. Er hat seine Meinung aber nicht mit Gewalt durchgesetzt. Wer ihm glaubte und ihm folgte, gehörte zu seiner Gemeinschaft, die anderen bekämpfte er nicht, sondern versuchte sie nur durch Wort und Beispiel zu überzeugen. Er ist schließlich für seine Auffassung von der Gerechtigkeit Gottes in den Tod gegangen. Er hielt nicht fest an seinem Leben. Er wusste: die Wahrheit entfaltet ihre Kraft in der Schwachheit. Sie lässt sich nicht mit Gewalt durchsetzen, sondern nur durch Menschen, die bereit sind, jede Anhänglichkeit an die Macht loszulassen, die aber trotzdem zu ihren Überzeugungen stehen und bereit sind, dafür sogar in den Tod zu gehen.
Aus menschlicher Sicht ist dies ein Paradox, aber Gottes Macht setzt sich auf andere Weise durch, als wir Menschen es erwarten würden. Wie viel Unrecht ist geschehen, weil auch die Kirche meinte, die Gerechtigkeit Gottes mit menschlicher Gewalt durchzusetzen. Wieviel Unrecht ist geschehen, weil sich auch in der Kirche immer wieder Menschen an ihre Macht geklammert haben und nicht bereit waren, loszulassen und Raum zu schaffen für das Wirken Gottes. Gott kann die Gräben der menschlichen Machtkämpfe überwinden, aber nur, wenn wir bereit sind, auf unsere Macht zu verzichten. Jesus hat den Tod am Kreuz angenommen, war bereit, die absolute Machtlosigkeit auf sich zu nehmen. Doch Gott hat so seine Macht und Gerechtigkeit aufgerichtet und aus der Niedrigkeit wurde Christus wieder erhöht an den Platz, der ihm seit Ewigkeit gebührt zur Rechten des Vaters.

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Philipper
Er war Gott gleich,
hielt aber nicht daran fest,
wie Gott zu sein,
sondern er entäußerte sich
und wurde wie ein Sklave
und den Menschen gleich.
Sein Leben war das eines Menschen;
er erniedrigte sich
und war gehorsam bis zum Tod,
bis zum Tod am Kreuz.
Darum hat ihn Gott über alle erhöht
und ihm den Namen verliehen,
der größer ist als alle Namen,
damit alle im Himmel,
auf der Erde und unter der Erde
ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu
und jeder Mund bekennt:
"Jesus Christus ist der Herr" -
zur Ehre Gottes, des Vaters. (Phil 2,6-11)

Der Christushymnus des Philipperbriefes beschreibt in geballter und ausdrucksstarker Form das Geheimnis Jesu Christi und gewährt uns wichtige Einblicke in die vorpaulinische Theologie. Der Weg der Liebe ist der Weg der Niedrigkeit, den Christus mit seiner Selbsterniedrigung ans Kreuz gegangen ist.

Der in Gottesgestalt war,

So beginnt der Hymnus. Noch verborgen, aber doch schon eindeutig wird in diesen Worten die Präexistenz Jesu Christi bezeugt. Christus wird nicht irgendwann einmal von Gott geschaffen, sondern er ist - wie es später die Kirche sagen wird: aus dem Vater geboren vor aller Zeit, Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, eines Wesens mit dem Vater.
Mit dem Vater und dem Heiligen Geist ist Jesus Christus ein Gott. Doch er entäußert sich dieses Gottseins und fügt zu seiner göttlichen Natur die menschliche hinzu.

er hielt nicht fest wie ein Raubgut das Gottgleichsein,
sondern er machte sich selbst arm und nahm Knechtsgestalt an.

Das Wort Raubgut unterschlägt die Einheitsübersetzung und doch ist es ein Wort, das zum Nachdenken anregt. Was mag das bedeuten? Ist nicht alles, was wir sind und haben, in gewisser Weise Raubgut? Auch wenn wir etwas mit unserem eigenen Fleiß erworben haben, können wir fragen, woher wir die Kraft und die Fähigkeit dazu haben. Ist nicht alles ein Geschenk, für das wir dankbar sein müssen? Wir haben unsere Fähigkeiten von Gott erhalten, um sie zum Einsatz zu bringen. Daher ist es ganz recht, wenn wir mit ihnen Profite machen. Doch der Profit darf nicht allein dazu dienen, dass wir ihn für uns selber benutzen und es uns damit gut gehen lassen. So kann der Mensch nicht glücklich werden, sondern verfällt der Gier nach immer mehr Besitz und geht daran zugrunde. Reichtum macht nur wahre Freude, wenn er geteilt wird mit den Bedürftigen, die aus welchem Grund auch immer nicht die Möglichkeiten und Fähigkeiten dazu haben, selbst erfolgreich zu sein.
Diesen Weg hat Christus uns gezeigt. Er besitzt das Höchste, das es gibt, nämlich das Gottsein. Viele Menschen haben geglaubt, es erlangen zu können, Kaiser haben sich vergöttlicht und doch blieben sie Menschen, denn das Gottsein kommt nur Gott alleine zu. Dieses Gottsein gibt Jesus um unseretwillen auf. Zwar bleibt er weiterhin Gott, doch er begibt sich als Mensch auf die Erde und wird so in allem uns Menschen gleich, außer der Sünde. Der Herr macht sich selbst zum Knecht, wirklich ganz und gar und nicht nur zum Schein, um selbst das Leben eines Knechtes in seiner ganzen Härte zu führen.

Er wurde den Menschen gleich und der Erscheinung nach als ein Mensch gefunden.

Die Kirche wird immer darum ringen, das in angemessenen Worten auszudrücken, was Paulus hier in wenigen Worten formuliert hat. Der Hymnus spricht von der Präexistenz Jesu Christi, seinem Sein beim Vater vor aller Zeit. Jesus Christus war seit Ewigkeiten bei Gott, ist aber in die Zeit gekommen, um als sterblicher Mensch den Menschen die Liebe Gottes zu zeigen.
Die Kirche wird später von den zwei Naturen Christi sprechen. Christus ist wahrer Gott und wahrer Mensch, Gottheit und Menschheit existieren in ihm unvermischt und ungetrennt. Er ist nicht erst während seines Lebens auf Erden vom Vater als Gottes Sohn angenommen worden, sondern war schon immer beim Vater und hat um der Menschen willen das Menschsein angenommen.
Christus hat als Mensch auf Erden gelebt, nicht als ein Gott, der nur als Mensch erscheint. Als wahrer Mensch hat Gott sich in Christus allen Mühen und Gefahren des Menschseins ausgesetzt. Er hat sich entäußert, hat freiwillig auf sein Gott-Sein verzichtet. Aber er blieb seinem Vater im Himmel verbunden und hat im Gehorsam den Willen des Vaters erfüllt.
In nichts unterscheidet sich Jesus in seinem Leben von uns Menschen. Er hat die gleiche Mühsal zu erdulden, wie wir alle. Unter Schmerzen wird er von seiner Mutter geboren, lebt als hilfloses Kind, wächst heran und tritt, als die Zeit da ist, in die Öffentlichkeit. Er vollbringt Taten der Liebe, um den Menschen zu zeigen, zu welcher Liebe sie fähig sind. Doch die Menschen tun das Gegenteil davon. Sie zeigen ihm, zu welchem Bösen sie fähig sind. Das Leben Jesu hat ein Ziel und dieses Ziel ist das Schlimmste, das Menschen einander antun können: das Kreuz. Jesus geht diesen Weg, dem Willen des Vaters gehorsam.

Er erniedrigte sich selbst und zeigte sich gehorsam bis zum Tod, ja bis zum Tod am Kreuz.

Der Gehorsam dem Willen des Vaters gegenüber hat Christus ans Kreuz geführt. So wollte der Vater der Welt das Übermaß seiner Liebe zeigen. Selbst wenn die Menschen Gott verstoßen und töten, ihn aus ihrer Welt hinauswerfen, so bleibt doch seine Liebe bestehen. Gott verwirft keinen, sondern bietet allen seine Liebe an.
Das Leben Jesu wäre vergebens gewesen, wenn mit dem Kreuzestod alles zu Ende gewesen wäre. Hier ist eine Zäsur im Hymnus, die uns innehalten lässt. Karsamstag. Jesus liegt tot im Grab, die Menschen wissen nicht, was geschehen ist. Es liegt Ruhe über dem Grab. Doch in der Stille geschieht die Entscheidung. Im Verborgenen spielt sich der Kampf ab zwischen den Mächten des Himmels und der Unterwelt. Der Sohn Gottes steigt in den Tod, doch der Tod kann ihn nicht fassen. Jesus besiegt den Tod, er entreißt ihm alle Menschen, die er gefangen hält und nimmt ihm die Macht, jemals wieder über die Menschen zu herrschen. Im Tod Christi verliert der Tod seinen Schrecken, denn er ist nicht mehr das Ende des Lebens, sondern der Hinübergang in das neue Leben, in das Christus uns voran gegangen ist. Die Entäußerung Jesu und sein Gehorsam bis zum Tod haben uns das Leben gebracht. Am Ostersonntag bricht dieses Leben aus dem Grab hervor, als Jesus glorreich aufersteht.

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Philipper
Darum auch hat Gott ihn zur höchsten Höhe erhoben und ihm geschenkt den Namen über allen Namen, damit unter Anrufung des Namens Jesu jedes Knie sich beuge der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen.

Der Vater hat Christus auferweckt. Aus dem Tod ersteht das Leben, aus der Finsternis bricht das Licht hervor, das Leid wandelt sich in Freude. Von nun an kommt an dem Namen Jesu niemand mehr vorbei. Mit dem Namen Jesu ist seine Person gemeint. Wer sich zum Namen Jesu bekennt, der bekennt sich zu Jesus Christus. Wer dies tut, hat es mit der nötigen Ehrfurcht zu tun. Jesus, den die Menschen auf Erden nur als Mensch gesehen haben, offenbart sich nun in seiner Göttlichkeit. Die Bewohner des Himmels und der Unterwelt und der ganzen Erde müssen sich vor ihm niederknien.
Liebe ist stärker als der Tod und Gott bleibt Sieger über alle, die gegen ihn kämpfen. So konnte der Hass der Menschen den Sohn Gottes nicht ins Grab zwingen, sondern Gott hat ihn in seiner Macht auferweckt. Durch den Sieg Gottes hat Christus sich als Herr erwiesen über alle Mächte und Gewalten.
In seiner Auferweckung präsentiert der Vater den Sohn der Welt als den wahren König. Die drei Elemente der Inthronisation finden sich hier: Der Name Jesus wird als neuer Würdenname proklamiert, es folgt der Kniefall vor dem neuen König und schließlich die jubelnde Bestätigung:

Und jede Zunge soll lobpreisend bekennen: Jesus Christus ist der Herr! – zur Ehre Gottes des Vaters.

So kehrt der Hymnus an seinem Ende wieder zu dem zurück, von dem alles ausging und der das Geschehen bestimmt: es ist Gott Vater selbst, dem der Sohn und alle, die den Sohn ehren, die Ehre erweisen. Der Christushymnus des Philipperbriefes endet mit einem triumphalen Schlussakkord. Jesus Christus ist der Herr! In diesen Ruf sollen alle Zungen einstimmen. Ihn müssen alle ehren und als Herrn bekennen. Christus ist der Herr der Welt, er ist mein Herr, der Herr meines Lebens.

Christus hat sich entäußert.
Er, der Gott ist, wurde unseretwegen ein Mensch.
Er, der Herr ist, wurde unseretwegen ein Sklave.
Er, der gebietet, wurde unseretwegen gehorsam.
Er, der das Leben ist, starb unseretwegen den Tod am Kreuz.
Doch er wurde vom Vater erhöht.
Nun steht sein Name über allen Namen.
Alle Welt bete ihn an.
Alle sollen bekennen: Herr ist Jesus Christus!