Nach einiger Zeit sagte Paulus zu Barnabas: Wir wollen wieder aufbrechen und sehen, wie es den Brüdern in all den Städten geht, in denen wir das Wort des Herrn verkündet haben. Barnabas wollte auch den Johannes, genannt Markus, mitnehmen; doch Paulus bestand darauf, ihn nicht mitzunehmen, weil er sie in Pamphylien im Stich gelassen hatte, nicht mit ihnen gezogen war und an ihrer Arbeit nicht mehr teilgenommen hatte.
Es kam zu einer heftigen Auseinandersetzung, sodass sie sich voneinander trennten; Barnabas nahm Markus mit und segelte nach Zypern. Paulus aber wählte sich Silas und reiste ab, nachdem die Brüder ihn der Gnade des Herrn empfohlen hatten. Er zog durch Syrien und Kilikien und stärkte die Gemeinden. (Apg 15,36-41)
Die zweite Missionsreise des Apostels Paulus beginnt mit einem Streit. Paulus trennt sich von Barnabas, der ihn auf der ersten Reise begleitet hat. Die genauen Hintergründe lassen sich nicht mehr nachvollziehen. Paulus hat, was die Überlieferung betrifft, eindeutig die besseren Karten, die Spur des Barnabas verliert sich im Nebel der Geschichte. Vielleicht stand Paulus damals nicht so klar im Vordergrund, wie wir es heute sehen. War Paulus hier zunächst der Unterlegene? Er wird jedenfalls nie mehr nach Antiochien, wo der Streit stattfand, zurückkehren. Mit Silas bekommt Paulus nun ein herausragendes Mitglied der Jerusalemer Gemeinde zum Begleiter.
Er kam auch nach Derbe und nach Lystra. Und siehe, dort lebte ein Jünger namens Timotheus, der Sohn einer gläubig gewordenen Jüdin und eines Griechen. Er war Paulus von den Brüdern in Lystra und Ikonion empfohlen worden. Paulus wollte ihn als Begleiter mitnehmen und ließ ihn mit Rücksicht auf die Juden, die in jenen Gegenden wohnten, beschneiden; denn alle wussten, dass sein Vater ein Grieche war.
Als sie nun durch die Städte zogen, überbrachten sie ihnen die von den Aposteln und den Ältesten in Jerusalem gefassten Beschlüsse und trugen ihnen auf, sich daran zu halten. So wurden die Gemeinden im Glauben gestärkt und wuchsen von Tag zu Tag.
Weil ihnen aber vom Heiligen Geist verwehrt wurde, das Wort in der Provinz Asien zu verkünden, reisten sie durch Phrygien und das galatische Land. Sie zogen an Mysien entlang und versuchten, Bithynien zu erreichen; doch auch das erlaubte ihnen der Geist Jesu nicht. So durchwanderten sie Mysien und kamen nach Troas hinab. Dort hatte Paulus in der Nacht eine Vision. Ein Mazedonier stand da und bat ihn: Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns! Auf diese Vision hin wollten wir sofort nach Mazedonien abfahren; denn wir kamen zu dem Schluss, dass uns Gott dazu berufen hatte, dort das Evangelium zu verkünden. (Apg 16,1-10)
Zunächst besuchte Paulus bekannte Gemeinden und übermittelte ihnen die Beschlüsse des Apostelkonzils von Jerusalem. Hierbei kam es zur Begegnung mit Timotheus, der zu einem der wichtigsten Mitarbeiter des Paulus werden wird. Nachdem Paulus zunächst in Kleinasien weiter missionieren wollte, dabei aber auf nicht näher benannte Hindernisse stieß, erhielt er in einer nächtlichen Vision den Ruf, nach Europa überzusetzen.
So brachen wir von Troas auf und fuhren auf dem kürzesten Weg nach Samothrake und am folgenden Tag nach Neapolis. Von dort gingen wir nach Philippi, eine führende Stadt des Bezirks von Mazedonien, eine Kolonie. In dieser Stadt hielten wir uns einige Tage auf. (Apg 16,11-12)
Paulus brach er mit seinen Begleitern auf und segelte auf kürzestem Weg nach Europa, erreichte die Hafenstadt Neapolis und ging dann sofort weiter zur nächsten größeren Stadt, nach Philippi. Philippi war damals eine bedeutende Handelsstadt. Sie lag an der Via Egnatia, die den Osten des Römischen Reiches mit dem und Westen verband und vom Bosporus über das griechische Festland zum Mittelmeer führte. Dort setze man mit Schiffen nach Italien über und gelangte über die Via Appia nach Rom. Philippi war, wie die Apostelgeschichte historisch korrekt erwähnt, eine Kolonie, also keine gewöhnliche Provinzstadt, sondern eine römische Stadt, deren Einwohner das römische Bürgerrecht besaßen und neben Steuerfreiheit noch etliche andere Privilegien genossen. Viele ehemalige römische Soldaten hatten sich dort niedergelassen.
Am Sabbat gingen wir durch das Stadttor hinaus an den Fluss, wo wir eine Gebetsstätte vermuteten. Wir setzten uns und sprachen zu den Frauen, die sich eingefunden hatten. (Apg 16,13)
Als Fremder suchte Paulus, wie er es gewohnt war, Anschluss an seine jüdischen Landsleute. Eine Synagoge konnte er aber in Philippi nicht finden. Wahrscheinlich lebte in der Stadt nicht die für die Gründung einer Synagoge erforderliche Anzahl von zehn verheirateten jüdischen Männern. Aber er wurde dennoch fündig und entdeckte am Sabbat eine kleine Anzahl Frauen, die sich am Fluss Gangites vor den Toren der Stadt zum Gebet versammelt hatten. Hier am Fluss, der das für die rituellen Waschungen notwendige fließende Wasser bot, versammelte sich die kleine jüdische Gemeinde zusammen mit den Gottesfürchtigen.
Als Gottesfürchtige bezeichnet man Heiden, die sich von den heidnischen Göttern abgewandt haben und sich für die jüdische Religion interessieren, aber den Übertritt zum Judentum nicht vollständig vollziehen. Sie glauben an den Gott Israels und die heiligen Schriften des Judentums, müssen sich aber nicht an die Vielzahl der im jüdischen Gesetz festgelegten Bestimmungen wie Beschneidung, Speisevorschriften und Reinheitsgebote halten. Für viele hätte dies die vollkommene Loslösung von ihren bisherigen Lebensgewohnheiten bedeutet.
Gerade für die Gottesfürchtigen war die neue Religion des Christentums interessant. Jesus selbst äußert sich ja oft sehr kritisch gegenüber der jüdischen Auslegung des Gesetzes. Für ihn war der Glaube an den Gott Israels nicht an die strenge Befolgung dieser Vorschriften gebunden. Während viele gläubige Juden sich von der Predigt den Paulus angegriffen fühlten, ihren Glauben bedroht sahen und daher heftigen Widerstand gegen die neue Religion leisteten, war für viele Gottesfürchtige das, was Paulus verkündete, genau das, was sie gesucht hatten.
Die gläubigen Frauen hatten sich also vor den Toren der Stadt zum Gebet versammelt. Wahrscheinlich feierten sie einen jüdischen Gottesdienst, sie rezitierten das Schma Israel „Höre, Israel! Jahwe, unser Gott, Jahwe ist einzig“ (Dtn 6,4), beteten das 18-Bitten-Gebet und lasen dann einen Abschnitt aus dem Gesetz und einen aus den Propheten. Da es keinen Rabbiner gab, der ihnen die Schrifttexte auslegen konnte, war ihnen die Ankunft des schriftkundigen Paulus sicher sehr willkommen und sie waren an seiner Auslegung der Texte interessiert.
Und dann kommt für Lydia ihre große Stunde, die sie in die Weltgeschichte eingehen ließ, und, was noch wichtiger ist, für sie die Rettung brachte und die langersehnte Erfüllung ihrer Sehnsucht.