Psalm 42/43 (43/44)

Sehnsucht nach Gott

[Für den Chormeister. Ein Weisheitslied der Korachiter.]
Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so lechzt meine Seele, Gott, nach dir.
Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Wann darf ich kommen und Gottes Antlitz schauen?
Tränen waren mein Brot bei Tag und bei Nacht; denn man sagt zu mir den ganzen Tag: «Wo ist nun dein Gott?»
Das Herz geht mir über, wenn ich daran denke: wie ich zum Haus Gottes zog in festlicher Schar, mit Jubel und Dank in feiernder Menge.
Meine Seele, warum bist du betrübt und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken, meinem Gott und Retter, auf den ich schaue.
Betrübt ist meine Seele in mir, darum denke ich an dich im Jordanland, am Hermon, am Mizar-Berg.
Flut ruft der Flut zu beim Tosen deiner Wasser, all deine Wellen und Wogen gehen über mich hin.
Bei Tag schenke der Herr seine Huld; ich singe ihm nachts und flehe zum Gott meines Lebens.
Ich sage zu Gott, meinem Fels: «Warum hast du mich vergessen? Warum muss ich trauernd umhergehen, / von meinem Feind bedrängt?»
Wie ein Stechen in meinen Gliedern ist für mich der Hohn der Bedränger; denn sie rufen mir ständig zu: «Wo ist nun dein Gott?»
Meine Seele, warum bist du betrübt und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken, meinem Gott und Retter, auf den ich schaue. (Ps 42,1-12)
Verschaff mir Recht, o Gott, und führe meine Sache gegen ein treuloses Volk! Rette mich vor bösen und tückischen Menschen!
Denn du bist mein starker Gott. Warum hast du mich verstoßen? Warum muss ich trauernd umhergehen, von meinem Feind bedrängt?
Sende dein Licht und deine Wahrheit, damit sie mich leiten; sie sollen mich führen zu deinem heiligen Berg und zu deiner Wohnung.
So will ich zum Altar Gottes treten, zum Gott meiner Freude. Jauchzend will ich dich auf der Harfe loben, Gott, mein Gott.
Meine Seele, warum bist du betrübt und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken, meinem Gott und Retter, auf den ich schaue. (Ps 43,1-5)
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Psalmen
Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser ...

Trockenheit ist ein schrecklicher Zustand. Trockenheit bedeutet das Fehlen von lebensnotwendigem Wasser, der Mensch bekommt Durst. Ohne Wasser verdurstet er qualvoll.
Es gibt aber auch eine Trockenheit des Geistes, der Mensch fühlt sich leer, ausgelaugt, es fehlt an Ideen und positiven Gedanken. Geistige Trockenheit zeichnet sich auch durch eine Gottferne aus. Wo ist das Glück, das ich so oft durch Gottes Nähe gespürt habe? Wo ist Gott? Warum antwortet er nicht auf mein Rufen und Flehen?

Wer denkt bei diesem Psalm nicht an das wunderbare Mosaik in der Lateranbasilika. Gott gießt im Heiligen Geist durch das Kreuz Christi Ströme lebendigen Wassers auf die Erde. Es ergießt sich in die vier Ströme des Paradieses und zwei Hirsche laben sich daran.
Gott allein ist es, der den Durst des Beters stillen kann. Doch der Beter erfährt sich in der Fremde, im Exil, fern vom Haus Gottes, der Schmach seiner Zeitgenossen ausgeliefert:

Wo ist dein Gott?

Anstatt Wasser des Lebens, erfährt er nur Tränenbäche aus seinen Augen. Doch er ist voll Hoffnung. Es wird wieder die frohen Feste der Wallfahrt zum Hause des Herrn geben. Gott ist Heil. Er wird die Trauer in Freude verwandeln.
Dann das wirkmächtige Wort:

Flut ruft der Flut zu beim Tosen deiner Wasser, abyssus abyssum invocat.

Tosende Wasserbäche, Katarakte stürzen hernieder, Wassermassen donnern in die Tiefe, von allen Seiten strömt und tost es. Wie können wir dieses Wort verstehen? Sind die Urkräfte des Wassers erneut entfesselt, mit denen Gott einst in der Sintflut die Erde bedeckt hat? Oder sind die Wasser das Symbol für die überfließende Gnade Gottes, in deren Überfülle der Beter fast ertrinkt?
Welche Fluten immer es auch sein mögen, Gott wird den Beter daraus erretten. Er wird wieder Tage erleben, an denen die Wasser Gottes sanft dahinfließen, ein erquickender Strom, der Ruhe und Geborgenheit vermittelt, Beständigkeit und Dauer.

Der folgende Psalm 43 ist durch seinen Kehrvers mit diesem Verbunden. Er ist die Antwort auf die zweimalige Frage der Ungläubigen: Wo ist dein Gott? Gott wird die Sache des Gerechten führen und er wird ihn zurückführen in das gelobte Land.